Aktenzeichen 1 AZR 50/15
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Lörrach, 16. Juli 2014, Az: 3 Ca 38/14, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, 17. November 2014, Az: 9 Sa 51/14, Urteil
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2014 – 9 Sa 51/14 – aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lörrach vom 16. Juli 2014 – 3 Ca 38/14 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über eine Prämie für die Nichterhebung der Kündigungsschutzklage.
2
Der Kläger war zunächst als Beamter bei der Deutschen Bundespost eingesetzt. Nach deren Privatisierung nimmt die Deutsche Telekom AG (DT AG) die Dienstherreneigenschaft für die ihr zugewiesenen Beamten der ehemaligen Deutschen Bundespost wahr. Die DT AG beurlaubte den Kläger unter Wegfall der Besoldung für eine Tätigkeit als Arbeitnehmer, ua. für die Vivento Technical Services GmbH.
3
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (NSN S) erwarb zum 1. Januar 2008 den Geschäftsbetrieb der Vivento Technical Services GmbH. Die mit dieser bestehenden Arbeitsverhältnisse gingen auf die NSN S über, die mit zuletzt rd. 950 Mitarbeitern, darunter ca. 190 beurlaubten Beamten der DT AG, an 16 Standorten in Deutschland Dienstleistungen auf dem Telekommunikationssektor erbrachte.
4
Die NSN S und deren Betriebsrat schlossen am 29. April 2013 einen Sozialplan über die beabsichtigte Betriebsschließung (SP 2013) ab. Nach dessen Nr. 1.2 gilt dieser nicht für beurlaubte Beamte. In der gleichfalls am 29. April 2013 abgeschlossenen „Betriebsvereinbarung Sonderprämie“ (BV Sonderprämie) ist bestimmt:
„…
wird ergänzend zu dem am 29.04.2013 abgeschlossenen Sozialplan Folgendes vereinbart:
Präambel
Der gesamte Betrieb der NSN S wird stillgelegt. Über diese Maßnahme existiert ein Interessenausgleich sowie ein Sozialplan. Dabei liegt es im vorrangigen Interesse der Betriebsparteien, die Arbeitslosigkeit der betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (…) zu vermeiden und ihnen neue berufliche Perspektiven zu eröffnen, weshalb der Wechsel in eine Transfergesellschaft besonders incentiviert werden soll. Soweit Mitarbeiter trotz des Angebots den Wechsel in eine Transfergesellschaft ablehnen oder kein Angebot auf einen Wechsel in die Transfergesellschaft erhalten, obwohl sie durch betriebsbedingte Kündigung von Arbeitslosigkeit bedroht sind und dem Geltungsbereich des Sozialplans unterfallen (weil sie sich z. B. in Elternzeit befinden), soll honoriert werden, wenn sie das Bedürfnis der NSN S nach Planungssicherheit dennoch berücksichtigten, indem sie keine Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erheben oder innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist einen Abwicklungsvertrag mit NSN S schließen. Außerdem soll honoriert werden, wenn die Mitarbeiter alle überlassenen Arbeitsmittel vor Austritt bei NSN S nachweisbar an NSN S zurückgeben. …
1.
Geltungsbereich
Diese Betriebsvereinbarung findet Anwendung auf diejenigen Mitarbeiter der NSN S, die
▪
dem Geltungsbereich des Sozialplans vom 29.04.2013 unterfallen;
▪
nicht vom Erhalt einer Abfindung gemäß Ziffer 3. des Sozialplans vom 29.04.2013 ausgeschlossen sind;
▪
einen dreiseitigen Vertrag mit NSN S innerhalb der Angebotsfrist abschließen und keine Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erheben
oder
das Angebot auf Abschluss eines dreiseitigen Vertrages ablehnen (bzw. trotz Bedrohung durch Arbeitslosigkeit durch eine arbeitgeberseitigen Kündigung kein Angebot erhalten) und entweder (1) keine Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erheben oder (2) innerhalb von drei Wochen nach Zugang der arbeitgeberseitigen Kündigung einen Abwicklungsvertrag schließen, wobei kein Anspruch auf Abschluss eines Abwicklungsvertrages besteht.
2.
Anspruch auf Sonderprämie
2.1
Mitarbeiter, die unter den Geltungsbereich dieser Betriebsvereinbarung gemäß Ziff. 1. fallen, haben Anspruch auf eine Sonderprämie von EUR 4.346,00 brutto.
…
3.
Schlussbestimmungen
…
3.2
Sollten einzelne Bestimmungen dieser Betriebsvereinbarung unwirksam sein oder werden, bleiben die übrigen Bestimmungen davon unberührt. Die Parteien verpflichten sich, in einem solchen Fall anstelle der unwirksamen Bestimmungen eine Regelung zu treffen, die dem mit der unwirksamen Bestimmung verfolgten Zweck möglichst nahe kommt. Entsprechendes gilt im Falle einer von den Betriebspartnern nicht bedachten Lücke oder falls eine vorstehende Regelung undurchführbar sein oder werden sollte.
…“
5
Die NSN S kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2013. Der Kläger erhob gegen diese Kündigung keine Kündigungsschutzklage.
6
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Ausschluss aus der BV Sonderprämie sei zu Unrecht erfolgt. Den Betriebsparteien sei es um die Planungssicherheit für die NSN S gegangen. Arbeitnehmer, die keine Kündigungsschutzklage erheben, sollten durch die Sonderprämie belohnt werden. Diese Planungssicherheit erhalte die NSN S auch dann, wenn die beurlaubten Beamten auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichteten.
7
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Interesse – zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.346,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Mai 2014 (Rechtshängigkeit) zu zahlen.
8
Die Beklagte hat zuletzt beantragt,
1.
die Klage abzuweisen;
2.
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 4.346,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. August 2014 zu bezahlen;
hilfsweise
3.
festzustellen, dass die Betriebsvereinbarung Sonderprämie vom 29. April 2013 nichtig ist.
9
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung der Sonderprämie nebst Zinsen verurteilt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen sowie den Kläger zur Rückzahlung der zwischenzeitlich von der Beklagten zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Sonderprämie nebst Zinsen verurteilt. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils sowie die Abweisung der Widerklage.