Arbeitsrecht

Bestimmtheit eines Feststellungsantrags – Anwendbarkeit von Tarifverträgen des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen durch Verweisungsklausel

Aktenzeichen  4 AZR 521/15

Datum:
25.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BAG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BAG:2017:250117.U.4AZR521.15.0
Normen:
§ 293 ZPO
§ 4 Abs 1 TVG
§ 5 Abs 4 TVG
§ 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
§ 256 Abs 1 ZPO
§ 139 Abs 2 ZPO
Art 103 Abs 1 GG
Spruchkörper:
4. Senat

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Köln, 10. Dezember 2014, Az: 20 Ca 3952/14, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Köln, 13. Juli 2015, Az: 2 Sa 441/15, Urteil

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 13. Juli 2015 – 2 Sa 441/15 – insoweit aufgehoben, als es der Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 10. Dezember 2014 – 20 Ca 3952/14 – stattgegeben hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit von Tarifverträgen des Einzelhandels Nordrhein-Westfalen auf ihr Arbeitsverhältnis und damit zusammenhängende Vergütungsdifferenzen.
2
Die Klägerin ist seit dem 1. April 1999 bei der Beklagten, die in K ein Einzelhandelskaufhaus betreibt und zu keinem Zeitpunkt Mitglied eines Arbeitgeberverbands war, in Teilzeit (108 von 163 Monatsarbeitsstunden) beschäftigt und nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „in Vergütungsgruppe G1, 6. Berufsjahr“ eingruppiert.
3
Der Arbeitsvertrag der Klägerin enthält auf der ersten Seite auszugsweise folgende Regelungen:
        
„…    
        
Tarifliche Einstufung:
G 1, 6. Berufsjahr
        
Vergütung:
Tarifentgelt
2.218,97 DM
        
        
        
= Gesamtentgelt
           
2.218,97 DM
“       
        
4
In den hieran angefügten Allgemeinen Vertragsbedingungen ist Folgendes vereinbart:
        
„…    
        
2. Vergütung
        
Die arbeitsvertraglich vorgesehene Eingruppierung des Mitarbeiters erfolgt vorbehaltlich einer späteren Überprüfung. Sollte sich hierbei eine fehlerhafte Eingruppierung herausstellen, erklärt sich der Mitarbeiter damit einverstanden, daß mit Wirkung ab dem auf die Feststellung folgenden Monats eine Neugruppierung herbeigeführt wird. Über-/Unterzahlungen werden mit der nächsten Vergütungsabrechnung verrechnet, wobei auf die sozialen Belange des Mitarbeiters Rücksicht zu nehmen ist und ggf. Überzahlungen auf mehrere Monate zu verteilen sind.
        
…    
        
Freiwillige übertarifliche Zulagen sonstiger Art können bei Änderung der Tarifbezüge, gleich aus welchem Anlaß auf die tariflichen Erhöhungen angerechnet werden.
        
…       
        
13. Schlußbestimmung
        
Ergänzend gelten die gesetzlichen und tarifvertraglichen Regelungen, ebenso wie die im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarungen.“
5
Die Vergütungstarifverträge im Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen (Gehaltstarifvertrag/Lohntarifvertrag) waren bis zum 31. März 2000 und der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen (MTV) bis zum 31. März 2003 allgemeinverbindlich. Der MTV sah eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Eingruppierung vor. Die Beklagte wandte bei vielen Arbeitnehmern den gleichen Formulararbeitsvertrag an, unabhängig davon, ob zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch die Vergütungstarifverträge und der MTV, nur der MTV oder keiner der Tarifverträge mehr allgemeinverbindlich waren.
6
Die Beklagte gab nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nach Außerkrafttreten der Allgemeinverbindlichkeit Vergütungserhöhungen aus den Vergütungstarifverträgen des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen vollständig an die Arbeitnehmer weiter. Erst nach dem Tarifabschluss vom 10. Dezember 2013, der rückwirkend ab dem Monat August 2013 eine Tariferhöhung von 3 % und zum 1. Mai 2014 um weitere 2,1 % vorsah, erhöhte die Beklagte die Vergütung ihrer Arbeitnehmer zum 1. Januar 2014 lediglich um 2 %.
7
An die Klägerin zahlte die Beklagte für die Monate August bis Dezember 2013 eine Grundvergütung iHv. jeweils 1.498,52 Euro brutto und ab Januar 2014 iHv. 1.519,31 Euro brutto und führte die in den gezahlten Bruttobeträgen enthaltenen Steuern und Sozialversicherungsabgaben ab.
8
Mit ihrer der Beklagten am 6. Juni 2014 zugestellten Klage sowie ihren Klageerweiterungen aus den Schriftsätzen vom 31. Oktober 2014 und vom 23. März 2015 hat die Klägerin zuletzt die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die jeweils gültigen Entgelttarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden und die sich daraus ergebende Vergütung zu zahlen. Für den Zeitraum von August 2013 bis Oktober 2014 hat sie Differenzvergütungsansprüche – in den Vorinstanzen auch noch hinsichtlich der von der Beklagten im November 2013 und Juni 2014 gezahlten Jahressonderzahlungen – geltend gemacht. Sie hat dazu die Ansicht vertreten, sie habe einen Anspruch auf das jeweilige Tarifentgelt, da ihr Arbeitsvertrag die Entgelttarifverträge des nordrhein-westfälischen Einzelhandels dynamisch in Bezug nehme. Bei dynamischer Tarifgeltung hätte ihre monatliche Grundvergütung ab August 2013 1.533,86 Euro brutto betragen und ab Mai 2014 1.566,33 Euro brutto.
9
Die Klägerin hat, soweit für die Revision von Bedeutung, beantragt,
        
1.    
die Beklagte zu verurteilen, an sie 562,07 Euro brutto (Vergütungsnachzahlung für die Monate August 2013 bis einschließlich Oktober 2014) nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
        
        
aus 221,75 Euro ab dem 1. Januar 2014,
        
        
aus jeweils 14,55 Euro ab dem 1. Februar, dem 1. März, dem 1. April und dem 1. Mai 2014 sowie
        
        
aus jeweils 47,02 Euro ab dem 1. Juni, dem 1. Juli, dem 1. August, dem 1. September, dem 1. Oktober sowie dem 1. November 2014
        
        
zu zahlen,
        
2.    
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die jeweils gültigen Entgelttarifverträge des Einzelhandels NRW auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.
10
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag sei als statische Verweisung auf den bei Arbeitsvertragsschluss anwendbaren Vergütungstarifvertrag auszulegen. Ein Arbeitgeber wolle nie dynamisch an Tarifverträge gebunden sein, wenn er selber nicht Mitglied im Arbeitgeberverband ist. Dies sei so offensichtlich, dass auch Arbeitnehmer dies erkennen müssten. § 305c BGB komme nicht zur Anwendung, da es an einem zweifelhaften Auslegungsergebnis fehle. Bei den Arbeitsverträgen, die während der Allgemeinverbindlichkeit der Vergütungstarifverträge geschlossen wurden, habe sie nur deklaratorisch auf die ohnehin bestehende Verpflichtung zur Zahlung von Tarifvergütung hinweisen wollen.
11
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Klägerin teilweise abgeändert und der Klage insoweit stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

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