Aktenzeichen 3 AZR 513/16
§ 111 Abs 4 S 2 AktG
§ 77 Abs 3 BetrVG
§ 16 BetrAVG
§ 1 BetrAVG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Hamburg, 14. Oktober 2015, Az: 20 Ca 115/15, Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg, 31. März 2016, Az: 2 Sa 41/15, Urteilnachgehend Landesarbeitsgericht Hamburg, 14. März 2018, Az: 2 Sa 71/17, Urteil
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 31. März 2016 – 2 Sa 41/15 – im Kostenpunkt insgesamt und insoweit aufgehoben, als es der Klage über einen Betrag iHv. 145,76 Euro zzgl. Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21. Mai 2015 hinaus stattgegeben hat.
Die Klage wird unter entsprechender Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Oktober 2015 – 20 Ca 115/15 – abgewiesen, soweit dem Kläger Zinsen für den 20. Mai 2015 zugesprochen wurden. Im Übrigen (Erhöhung des Weihnachtsgeldes 2014 um 25,46 Euro zzgl. Zinsen ab 21. Mai 2015) wird der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten darüber, nach welcher Regelung sich die Anpassung des Ruhegeldes des Klägers richtet.
2
Der im März 1937 geborene Kläger war bereits vor dem 1. Oktober 1998 und bis zum 31. März 2002 bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H Aktiengesellschaft (im Folgenden H AG alt) als Arbeitnehmer tätig. Seit dem 1. April 2002 bezieht er ein betriebliches Ruhegeld.
3
Das Arbeitsverhältnis des Klägers richtete sich zuletzt nach dem Arbeitsvertrag vom 14./28. August 2001. Dieser bestimmt ua.:
„6. Zusatzleistungen
Sie erhalten nach den betrieblichen Regelungen eine betriebliche Altersversorgung, aus der Ihnen bzw. im Falle Ihres Ablebens Ihren Hinterbliebenen Ruhegeld-Leistungen gewährt werden.
…
Voraussetzungen, Inhalt und Umfang der Leistungen sind in den jeweils geltenden Regelungen beschrieben.
…
9. Anwendungen anderer Regelungen
Die Bestimmungen des H-Manteltarifvertrages sowie die betrieblich vereinbarten Regelungen in ihrer jeweils gültigen Fassung finden ausdrücklich und ergänzend Anwendung, soweit dieser Vertrag keine Regelungen enthält; ausgenommen sind die heutigen Abschnitte V/A-1, 2, V/B-F; VI, VII/A des Manteltarifvertrages.
Falls künftig durch Tarifvertrag Teile dieses Vertrages geregelt werden, ersetzen sie unmittelbar und ohne Übergang entgegenstehende vertragliche Bestimmungen. Dasselbe gilt für Betriebsvereinbarungen, wenn sie nicht ausdrücklich AT-Arbeitsverhältnisse von der Anwendung ausschließen.“
4
Die betriebliche Altersversorgung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der H AG alt, richtete sich zunächst nach der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien (BV 75.14; im Folgenden BV Soziale Richtlinien). Diese bestimmt in Nr. 7 im Abschnitt „Allgemeine Bestimmungen“ in der am 1. Juli 1986 geltenden Fassung auszugsweise:
„Anpassung
Die Ruhegeldberechnung wird zu bestimmten Zeitpunkten jeweils der Entwicklung der Gehaltstarife angepaßt.
Soweit bestehende Anwartschaften vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter in Ruhegeld umgewandelt werden, ist dieses alle drei Jahre auf eine Anpassung hin zu überprüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage der H zu berücksichtigen (gesetzliche Regelung).“
5
Im Jahr 2000 vereinbarten die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V., deren Mitglied die H AG alt war, einerseits und die IG Metall sowie die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (im Folgenden DAG) andererseits einen neuen Manteltarifvertrag (im Folgenden MTV H) für die H AG alt. In diesem ist unter II/D Nr. 5.3 geregelt:
„Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die direkt aus dem Arbeitsverhältnis mit der H AG unter Bezug von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in den Ruhestand gehen, haben unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung.
Für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die nach dem 30.09.1998 ein Arbeitsverhältnis mit der H AG aufgenommen haben, leistet das Unternehmen einen Beitrag zur betrieblichen Altersversorgung, wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sich an ihrer Altersversorgung in festzulegendem Umfang in Form von Eigenbeiträgen beteiligen.
Einzelheiten, insbesondere Anspruchsvoraussetzungen, Zeitpunkt des Übertrittes in den (vorzeitigen) Ruhestand, Höhe der Beiträge und Leistungen u. ä. werden – ebenso wie die Behandlung besonderer Personengruppen und Härtefälle – durch die Betriebspartner geregelt.“
6
Nach Maßgabe eines Ausgliederungs- und Übernahmevertrags vom 22. August 2002 wurde ein Teil des Vermögens der H AG alt und zwar das von ihr betriebene operative Geschäft mit allen zugehörigen Vermögensgegenständen und Schuldposten als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Ausgliederung auf die Erste H AG ausgegliedert. Die Erste H AG wurde mit Beschluss der Hauptversammlung vom 22. August 2002 in H Aktiengesellschaft (im Folgenden H AG neu) und mit Beschluss der Hauptversammlung vom 7. April 2005, ins Handelsregister am 2. Januar 2006 eingetragen, in V Aktiengesellschaft umfirmiert. Die V Aktiengesellschaft hat nach Maßgabe des Abspaltungs- und Übernahmevertrags vom 10. Juli 2008 einen Teil ihres Vermögens (die Unternehmenseinheit „Vertrieb“) als Gesamtheit im Wege der Umwandlung durch Abspaltung auf die V S GmbH als übernehmenden Rechtsträger übertragen. Die V S GmbH ist die Versorgungsschuldnerin des Klägers und Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits.
7
Wegen der bevorstehenden Ausgliederung von Teilen des Vermögens von der H AG alt auf die Erste H AG vereinbarten die Erste H AG und die IG Metall in einem Tarifvertrag vom 26. Juni 2002 die kollektivrechtliche Fortgeltung der zum Stichtag des Wirksamwerdens der Ausgliederung gültigen Tarifverträge der H AG alt bei der Erste H AG.
8
Die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. einerseits und die IG Metall andererseits änderten mit einem Tarifvertrag vom 24. Juli 2003 den MTV H ua. wie folgt:
„
Abschnitt II/D (Beendigung des Arbeitsverhältnisses):
Abs. 5.3 Abs. 3 erhält folgende Neufassung; Datum des Inkrafttretens: 01.01.2003:
Einzelheiten, insbesondere Anspruchsvoraussetzungen, Zeitpunkt des Übertrittes in den (vorzeitigen) Ruhestand, Höhe der Beiträge und Leistungen u. ä. werden – ebenso wie die Behandlung besonderer Personengruppen und Härtefälle – durch Betriebsvereinbarung geregelt. Änderungen werden nur nach Zustimmung der Tarifpartner wirksam.“
9
Am 26. September 2003 schlossen die im „V-Konzern“ vertretenen Gewerkschaften IG BCE, ver.di und IG Metall eine Vereinbarung, wonach sie „für die Erarbeitung und Verhandlung eines Konzerntarifwerkes sowie dessen Fortentwicklung“ eine Tarifgemeinschaft bildeten. Die bisherigen Zuständigkeiten der Einzelgewerkschaften sollten unverändert weiter fortbestehen.
10
Mit Wirkung zum 1. Juli 2005 schlossen die H AG neu, die später als V Aktiengesellschaft firmierte, und der bei ihr gebildete Betriebsrat die Betriebsvereinbarung Nr. 2005.03 (im Folgenden BV 2005.03). Diese bestimmt:
„In den Sozialen Richtlinien (BV 75.14, zuletzt geändert durch BV 2004.11) wird die Ziff. 7 im Abschnitt ‚Allgemeine Bestimmungen‘ wie folgt neu gefasst:
Die Anpassung der Ruhegeldzahlbeträge, des Weihnachtsgeldes (nominelles Ruhegeld) und der Hinterbliebenenbezüge erfolgt jährlich zum Zeitpunkt der allgemeinen Anpassung der Sozialversicherungsrenten (SV-Renten). In Jahren ohne SV-Rentenerhöhung erfolgt die Anpassung der betrieblichen Leistungen grundsätzlich zum gleichen Stichtag wie im Vorjahr.
Dieses Verfahren gilt auch für bereits im Ruhestand befindliche ehemalige Mitarbeiter und deren Hinterbliebene.
Die Festlegung der Höhe des Anpassungssatzes erfolgt unter Berücksichtigung der Entwicklung der Gehaltstarife, der Lebenshaltungskosten bzw. der Realeinkommen sowie der wirtschaftlichen Lage der H.
Soweit bestehende Anwartschaften vorzeitig ausgeschiedener Mitarbeiter in Ruhegeld umgewandelt werden, ist dieses alle drei Jahre auf eine Anpassung hin zu überprüfen und hierüber nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung von § 16 BetrAVG zu entscheiden.“
11
Dieser Betriebsvereinbarung stimmten die IG Metall und die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V. am 26. Oktober 2006 rückwirkend für den Zeitpunkt ihres vorgesehenen Inkrafttretens zu.
12
Unter dem Datum des 20. November 2006 schlossen die Arbeitgebervereinigung energiewirtschaftlicher Unternehmen e. V., der Arbeitgeberverband energie- und versorgungswirtschaftlicher Unternehmen e. V. und der Wirtschaftsverband Kohle e. V. einerseits sowie die IG BCE, ver.di und die IG Metall andererseits ua. für die V Aktiengesellschaft den Manteltarifvertrag für die Mitgliedsunternehmen der Tarifgemeinschaft V (im Folgenden MTV 2006). Der MTV 2006 enthält ua. folgende Regelung:
„VII. Altersversorgung
§ 36 Altersversorgung
1.
Arbeitnehmer, die ab dem 01.01.2007 bei einem Mitgliedsunternehmen der Tarifgemeinschaft V eingestellt werden, erhalten eine betriebliche Altersversorgung nach einem neuen einheitlichen System. Die Einzelheiten dieser betrieblichen Altersversorgung werden auf betrieblicher Ebene geregelt. Für die bis zum 31.12.2006 eingestellten Arbeitnehmer gelten die bisherigen Versorgungssysteme weiter.“
13
Die Beklagte erhöhte das Ruhegeld des Klägers jedenfalls seit dem Jahr 2007 jeweils zum 1. Juli eines Jahres entsprechend der Entwicklung der Gehaltstarife. Zum 1. Juli 2011 steigerte sie das Ruhegeld um 3,16 vH, zum 1. Juli 2012 um 2,49 vH und zum 1. Juli 2013 um 2,4 vH. Dabei legte die Beklagte die jeweilige prozentuale Tariferhöhung zugrunde und rechnete diese aufgrund der jeweils dreizehnmonatigen Laufzeit des Gehaltstarifvertrags auf einen Zwölf-Monats-Zeitraum um.
14
Nach dem „Tarifvertrag über die Tabellenvergütung (TVT)“ vom 10. April 2013, der erstmals zum 28. Februar 2015 gekündigt werden konnte, wurden die Tabellenvergütungen ua. ab dem 1. April 2014 um 1,8 vH angehoben.
15
Das Ruhegeld des Klägers belief sich bis zum 30. Juni 2014 auf monatlich 2.938,08 Euro brutto. Zum 1. Juli 2014 erhöhte die Beklagte das Ruhegeld um 1,03 vH und zahlte an den Kläger monatlich 2.968,34 Euro brutto. Diese Anpassung erfolgte auf der Grundlage der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes.
16
Mit seiner – der Beklagten am 20. Mai 2015 zugestellten – Klage hat der Kläger die Weitergabe der tariflichen Gehaltserhöhung ab dem 1. Juli 2014 begehrt und geltend gemacht, sein Ruhegeld sei nach der BV Soziale Richtlinien an die Entwicklung der Gehaltstarife anzupassen. Die BV 2005.03 sei unwirksam und finde auf sein Versorgungsverhältnis keine Anwendung. Als Betriebsvereinbarung gelte sie nicht für die Betriebsrentner. Die BV 2005.03 sei bereits aus formalen Gründen unwirksam, weil ver.di als Rechtsnachfolgerin der DAG dieser Betriebsvereinbarung ebenso habe zustimmen müssen wie der Aufsichtsrat der Arbeitgeberin. Auch lägen die materiellen Voraussetzungen für eine verschlechternde Neuregelung nicht vor. Jedenfalls ergebe sich ein Anspruch auf Anpassung des Ruhegeldes entsprechend der Entwicklung der Gehaltstarife aus betrieblicher Übung. Folglich bestehe ein Anspruch auf eine Erhöhung des Ruhegeldes um 1,96 vH. Die Tariflohnerhöhung von 1,8 vH sei auf zwölf Monate hochzurechnen. Ab Juli 2014 ergebe sich daher eine monatliche Differenz iHv. 27,33 Euro. Weiter habe er Anspruch auf Zahlung eines um 38,01 Euro erhöhten Weihnachtsgeldes für das Jahr 2014.
17
Der Kläger hat beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 311,31 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, für die Erhöhung und Festsetzung der laufenden Ruhegeldbezüge jeweils die Steigerung der Gehaltstarife gemäß Ziffer 7 der Betriebsvereinbarung Soziale Richtlinien (BV 75.14 in der Fassung ab 1. Juli 1986) zugrunde zu legen.
18
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
19
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat die Erhöhung des Ruhegeldes auf 1,65 vH beschränkt, die Klage für die Monate Juli und August 2014 abgewiesen und Zinsen ab dem 20. Mai 2015 zugesprochen. Die ausschließlich von der Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Der Kläger begehrt die Zurückweisung der Revision.