Aktenzeichen III ZR 151/12
§ 1 BSEUntersV
Art 34 GG
Leitsatz
1. Die den Veterinärbehörden im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von BSE-Tests an Rindern in einem Schlachthof obliegenden Amtspflichten entfalten grundsätzlich keine drittgerichtete Schutzwirkung zugunsten der Unternehmen, die vom Schlachthof – oder auch von einem “Zwischenlieferanten” – Schlachtprodukte erwerben und diese weiter veräußern oder verarbeiten.
2. Unterrichtet die Veterinärbehörde einen Abnehmer, bei dem sich die vorläufig sichergestellte Ware befindet, im Zusammenhang mit der Freigabe der Ware darüber, dass die (vermeintlich vollständig) durchgeführten BSE-Tests negativ verlaufen seien, so schafft sie dadurch einen unmittelbaren Vertrauenstatbestand für die ordnungsgemäße Durchführung der Untersuchungen und haftet dem Adressaten der Mitteilung auf Ersatz seines Vertrauensschaden.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Karlsruhe, 3. Mai 2012, Az: 12 U 149/11vorgehend LG Mosbach, 19. August 2011, Az: 1 O 15/11
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 3. Mai 2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mosbach vom 19. August 2011 wegen einer Forderung von 421.519,68 € nebst außergerichtlichen Kosten von 3.608 €, jeweils zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, zurückgewiesen worden ist. In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung aufgrund nicht durchgeführter BSE-Tests.
2
Die Klägerin betreibt eine Fettschmelze. Dazu bezieht sie Rohmaterial (Schlachtfette) von der Streithelferin in 1 – einem Schlachthofbetreiber – und verarbeitet es zu Lebensmittel-, Futter- und Industriefett sowie Grieben. Im Schlachthof, in dem eine Software benutzt wird, die die Streithelferin zu 2 programmiert hat, unterhält das Veterinäramt des M. -Kreises eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Der Schlachtablauf – pro Tag werden etwa 200 Rinder geschlachtet – ist wie folgt organisiert: Zunächst finden eine visuelle Prüfung der Rinder auf Gesundheit sowie des Transporters auf Hygiene und eine Kontrolle der Ohrmarke, des Anlieferungsscheins und des Rinderpasses statt; hierbei werden äußerlich auffällige Tiere ausgesondert. Danach erfolgt die Freigabe zur Schlachtung durch Abzeichnung des Anlieferungsscheins. In der Betäubungsstation gleicht ein Schlachthofmitarbeiter die Ohrmarke mit dem Rinderpass ab, scannt den Pass und teilt eine Schlachtnummer zu. Die hierbei eingesetzte Software verarbeitet die zuvor eingescannten Daten des Passes, teilt die Tiere Altersklassen zu und markiert die testpflichtigen Tiere mit “T”. Die eingescannten Daten einschließlich des Geburtsdatums und der Altersklasse werden auf einen Bildschirm in die Fleischhygienestelle übertragen und dort von einem Veterinär eingesehen. Dieser stellt sodann die testpflichtigen Tiere fest und gibt Anweisung zur Entnahme einer Probe an einen Schlachthofmitarbeiter. Die Proben werden danach von dem Veterinär mit einem Barcode versehen und an ein Untersuchungslabor weitergeleitet. Dieses wertet die Proben aus und gibt das Ergebnis an die bundesweite sogenannte HIT-Datei (Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tiere) in München weiter. Bei dieser werden die vom Labor übermittelten Untersuchungsergebnisse mit den vom Schlachthof gelieferten Daten zusammengeführt und überprüft, ob Proben in ausreichendem Umfang entnommen wurden. Die Ergebnisse werden dem Regierungspräsidium T. mitgeteilt, das die Informationen an das Veterinäramt M. -Kreis weitergibt.
3
Bis zum 31. Dezember 2008 mussten solche Rinder auf BSE kontrolliert werden, die zum Zeitpunkt der Schlachtung über 30 Monate alt waren. Ab 1. Januar 2009 bestand nach dem neu eingefügten § 1 Abs. 1a der BSE-Untersuchungsverordnung die Testpflicht für im Inland geborene und gehaltene Rinder nur noch, wenn sie älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 schlachtete die Streithelferin zu 1 unter anderem sieben Rinder, die älter als 48 Monate waren. Die Daten der Tiere wurden zum Teil von Hand eingegeben und verändert. Aufgrund eines Systemfehlers wurden die sieben Rinder der ab dem 1. Januar 2009 neu definierten Altersklasse 3 (30 bis 48 Monate) zugeordnet und daher nicht mit “T” markiert. Obwohl für diese Tiere eine Testpflicht auf BSE bestand, ordnete der jeweilige Veterinär eine Probeentnahme nicht an. Das aus den Schlachtungen stammende Rohfett lieferte die Streithelferin zu 1 an die Klägerin auf Sicherungsschein, das heißt zur Verwahrung bis zur Aufhebung der Beschlagnahme.
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Zwischen dem 12./13. und 21./22. Januar 2009 erstellten die Veterinäre des Landratsamts im Rahmen sogenannter Begleitscheine (“Begleitschein U. zur Abgabe bestimmter Produkte vor dem Vorliegen eines BSE-Untersuchungsergebnisses”) fünf “Ergebnismitteilungen”. Die Begleitscheine enthielten im oberen Teil jeweils Informationen zum Herkunftsbetrieb (HB) – hier: Streithelferin zu 1 -, zum Empfängerbetrieb (EB) – hier: Klägerin – und zu der für den Herkunfts- und Empfängerbetrieb jeweils zuständigen Veterinärbehörde sowie links darunter im Abschnitt I verschiedene “Angaben zu den Produkten” – unter anderem Schlachtdatum, Anzahl der Fettbehälter, Nettogewicht – und ferner folgenden Zusatz: “Die gesamte Sendung bleibt bis Vorliegen des negativen BSE-Untersuchungsergebnisses vorläufig beschlagnahmt. Die für die Überwachung des EB zuständige Veterinärbehörde sowie der Empfängerbetrieb wurden vorab über die Ankunft der Sendung am … um ca. … Uhr unterrichtet”. Im rechten Abschnitt II enthalten die Scheine unter “Ergebnismitteilung” unter anderem folgende Sätze: “Das Ergebnis der Untersuchung auf BSE für Schlachtdatum … verlief mit: negativem Ergebnis. Die Beschlagnahme der Sendung wird aufgehoben. Die für die Überwachung des EB zuständige Veterinärbehörde sowie der Empfängerbetrieb wurden über das Ergebnis am … um ca. … Uhr unterrichtet.” Sowohl die “Angaben zu den Produkten” als auch die “Ergebnismitteilung” sind jeweils von Veterinären des Landratsamts unterzeichnet.
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Das Veterinäramt erhielt von der HIT-Datei – bei dieser gab es Probleme mit der Umprogrammierung auf die neue Rechtslage, sodass auch Rinder im Alter zwischen 30 und 48 Monaten zunächst weiter als testpflichtig behandelt wurden – über 300 Fehlermeldungen, darunter auch solche bezüglich der sieben Rinder, die trotz Testpflicht nicht auf BSE überprüft worden waren. Diese sieben relevanten Meldungen nahm das Veterinäramt nicht zur Kenntnis.
6
Die Klägerin verarbeitete das Rohfett zumindest teilweise weiter zu Rinderraffinat, Talg und Griebenmehl und verkaufte es zumindest teilweise weiter. Am 22. Januar 2009 informierte die HIT-Datei, die zwischenzeitlich eine Bereinigung der Fehlermeldungen durchgeführt hatte, das Veterinäramt erneut über die sieben nicht auf BSE getesteten Rinder. Am gleichen Tag beschlagnahmte das Veterinäramt das Rohfett bei der Streithelferin zu 1. Diese leitete die Verfügung an die Klägerin weiter und veranlasste über die Streithelferin zu 2 die Beseitigung des Systemfehlers. Am 9. Februar 2009 wies die Stadt W. die Klägerin an, das von der Streithelferin zu 1 an sie gelieferte Rohfett zu beseitigen. Dem kam die Klägerin bezüglich der bei ihr noch vorhandenen Ware nach; im Übrigen forderte sie ihre Abnehmer dazu auf, mit dem an diese gelieferten Rohfett in gleicher Weise zu verfahren. In der Folgezeit traten drei Abnehmer ihre Amtshaftungsansprüche gegen das beklagte Land an die Klägerin ab.
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Die Klägerin nimmt das beklagte Land aus eigenem und abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.