IT- und Medienrecht

Amts- und Staatshaftung wegen der ordnungsbehördlichen Untersagung des Betriebs einer Sportwettenannahmestelle: Voraussetzungen einer Haftungsverlagerung auf die übergeordnete Körperschaft und deren Passivlegitimation; verschuldensunabhängige Haftung bei Unvereinbarkeit der angewandten gesetzlichen Regelungen mit Gemeinschaftsrecht

Aktenzeichen  III ZR 333/13

Datum:
16.4.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
Art 34 S 1 GG
§ 839 BGB
Art 340 AEUV
§ 9 Abs 2 Buchst a OBG NW
§ 39 Abs 1 Buchst b OBG NW
§ 284 Abs 1 StGB
§ 12 Abs 1 S 2 Nr 1 LottStVtr
§ 14 Abs 3 S 2 LottStVtr
§ 1 Abs 1 S 2 SportWettG NW vom 14.12.1999
§ 4 Abs 1 S 2 GlSpielWStVtr 2008
§ 9 Abs 1 S 2 GlSpielWStVtr 2008
§ 9 Abs 1 S 3 Nr 3 GlSpielWStVtr 2008
§ 10 Abs 2 GlSpielWStVtr 2008
§ 10 Abs 5 GlSpielWStVtr 2008
Spruchkörper:
3. Zivilsenat

Leitsatz

1. Weisungen einer übergeordneten Körperschaft, die der nachgeordneten Verwaltung zur gleichmäßigen Ausführung behördlicher Aufgaben allgemein eine bestimmte Gesetzesauslegung vorschreiben, begründen regelmäßig keine Amtspflichten gegenüber dem einzelnen Bürger. Sie führen – anders als die Weisung in einem konkreten Einzelfall – auch nicht zu einer Haftungsverlagerung von der nachgeordneten auf die übergeordnete Behörde.
2. Die verschuldensunabhängige Haftung nach § 39 Abs. 1 Buchst. b OBG NW erfasst nicht den Fall, dass das von der Ordnungsbehörde zutreffend angewandte Gesetz verfassungswidrig ist (legislatives Unrecht). Dem steht es gleich, wenn die Ordnungsbehörde nationales Recht für sich genommen korrekt ausführt, das – für die Verwaltung nicht ohne weiteres erkennbar – mit Unionsrecht nicht vereinbar ist.

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 14. Juni 2013, Az: 11 U 89/11, Urteilvorgehend LG Bochum, 9. September 2011, Az: 5 O 156/10, Urteil

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des 11. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 14. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin zu 1 zu 2/5 und der Kläger zu 2 zu 3/5 zu tragen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Kläger machen gegen die beklagte Stadt Ersatzansprüche geltend, weil ihnen durch zwei Ordnungsverfügungen der Betrieb einer Sportwettenannahmestelle untersagt wurde.
2
Zunächst unterhielt die Klägerin zu 1 im Gebiet der Beklagten eine solche Annahmestelle und vermittelte dort ab dem 30. November 2006 auf Grund eines Geschäftsbesorgungsvertrags Sportwetten für ein in Gibraltar ansässiges und durch die dortige Regierung lizenziertes Unternehmen.
3
Mit Ordnungsverfügung vom 18. Januar 2007 untersagte die Beklagte der Klägerin zu 1 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Betrieb der Annahmestelle. Die Klägerin zu 1 erhob gegen diese Verfügung Widerspruch, der später zurückgewiesen wurde. Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs beim Verwaltungsgericht blieb ebenso ohne Erfolg wie der Widerspruch der Klägerin zu 1 gegen die Festsetzung eines Zwangsgelds von 10.000 € und dessen Beitreibung sowie gegen die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes von 20.000 €. Daraufhin stellte die Klägerin zu 1 am 16. März 2007 den Vermittlungsbetrieb ein und meldete wenige Monate später ihr Gewerbe ab.
4
Ab dem 21. August 2007 betrieb sodann der Kläger zu 2 in denselben Betriebsräumen die Sportwettenvermittlung. Dies wurde ihm mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung der Beklagten vom Folgetag untersagt. Nach einer Zwangsgeldfestsetzung in Höhe von 20.000 € und Androhung eines weiteren Zwangsgelds von 30.000 € sowie der erfolglosen Durchführung von Widerspruchsverfahren stellte der Kläger zu 2 den Vermittlungsbetrieb am 4. September 2007 ein und meldete das Gewerbe am 14. Februar 2008 ab. Ab Februar 2008 wurde das Geschäftslokal weiterverpachtet.
5
Mit an die Bezirksregierungen gerichtetem Erlass vom 31. März 2006 hatte das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen unter Bezugnahme auf das zur Verfassungsmäßigkeit des Sportwettenmonopols ergangene Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 ausgeführt, die Veranstaltung und Vermittlung privater Sportwetten sei in Nordrhein-Westfalen ebenso wie in anderen Bundesländern verboten und nicht erlaubnisfähig. Wer hiergegen verstoße, müsse mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Das Ministerium bat, die bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzten Ordnungsverfügungen zügig zu vollstrecken. Soweit noch keine Unterlassungsverfügungen ergangen seien, werde gebeten, solche unverzüglich zu erlassen und gegebenenfalls parallel strafprozessuale Maßnahmen zu veranlassen.
6
Die Bevollmächtigten der Kläger, die diese wegen gleichartiger Untersagungsverfügungen auch gegenüber anderen Kommunen vertraten, erhielten auf Anfrage mit Schreiben des Innenministeriums vom 11. November 2010 die Auskunft, der Erlass vom 31. März 2006 habe Weisungscharakter für die Ordnungsbehörden in Nordrhein-Westfalen.
7
Unter dem 7. Dezember 2010 kündigten die Bevollmächtigten der Kläger gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche wegen der Untersagungsverfügung vom 18. Januar 2007 an und erklärten, von einer Klageerhebung gegen die Stadt abzusehen, wenn durch Vorlage entsprechender Dokumente nachgewiesen werde, dass der Erlass der Verfügung auf konkrete Weisung einer Landesbehörde erfolgt sei. Hierauf erwiderte die Beklagte, die Klägerin zu 1 müsse die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch darlegen und beweisen. Es sei nicht Aufgabe der Stadt nachzuweisen, warum sie in bestimmter Weise tätig geworden sei.
8
Die Kläger haben daraufhin Klage auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten erhoben, den Klägern die infolge der Ordnungsverfügungen vom 18. Januar und 22. August 2007 und deren Vollstreckung entstandenen Schäden zu ersetzen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung, mit der der Kläger zu 2 aufgrund einer Abtretung an die Klägerin zu 1 die von ihm erhobenen Ansprüche zuletzt nur noch im Wege der Prozessstandschaft geltend gemacht hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Antrag weiter.

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