Aktenzeichen IV ZR 317/19
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 7. November 2019, Az: 7 U 182/19vorgehend LG Stuttgart, 15. April 2019, Az: 3 O 7/18
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart – 7. Zivilsenat – vom 7. November 2019 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Berufung des Klägers das Urteil des Landgerichts Stuttgart – 3. Zivilkammer – vom 15. April 2019 teilweise abgeändert und die Beklagte über einen Betrag von 499,61 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. April 2016 und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 48,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. April 2019 hinaus zur Zahlung an den Kläger verurteilt worden ist. Die Berufung des Klägers wird auch insoweit zurückgewiesen.
Von den Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger 97,7 % und die Beklagte 2,3 %. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 808,67 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger fordert von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge und Herausgabe von Nutzungen.
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Die Parteien schlossen im Juni 2001 einen Vertrag über eine Rentenversicherung nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) ab.
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Mit Schreiben vom 15. Januar 2016 erklärte der Kläger den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. Im Februar 2016 kündigte er den Versicherungsvertrag und erhielt einen Rückkaufswert in Höhe von 7.303 €.
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Mit der Klage verlangt er – soweit für die Revision noch von Bedeutung – Rückzahlung seiner auf den Vertrag geleisteten Beiträge abzüglich Risikokosten und Rückkaufswert zuzüglich Herausgabe von Nutzungen, insgesamt 9.574,21 €, und Zahlung von Verzugszinsen.
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Der Kläger meint, die Widerspruchsfrist nach § 5a VVG a.F. sei wegen formaler und inhaltlicher Mängel der Widerspruchsbelehrung sowie wegen Unvollständigkeit der Verbraucherinformation nicht in Gang gesetzt worden.
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Das Landgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung des Klägers die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 1.308,28 € – einschließlich eines auf einen weiteren Vertrag entfallenden Betrages von 499,61 € – und außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 48,20 € jeweils nebst Zinsen, wie aus dem Tenor ersichtlich, verurteilt. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung hinsichtlich der vom Berufungsgericht zuerkannten Ansprüche betreffend den noch streitgegenständlichen Vertrag.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit für die Revision relevant – ausgeführt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erstattung geleisteter Prämien sowie Herausgabe gezogener Nutzungen aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1, § 818 Abs. 1 und 2 BGB zu. Er habe das Widerspruchsrecht noch im Jahr 2016 wirksam ausüben können. Zwar sei dem Kläger eine formell und inhaltlich ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt worden. Aber die ihm überlassene Verbraucherinformation nach § 10a VAG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: VAG a.F.) sei unvollständig gewesen. Es fehle die nach Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) bis d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. erforderliche Angabe über das Ausmaß, in dem Rückkaufswerte garantiert würden.
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II. Hiergegen wendet sich die Revision zu Recht.
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1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte der nach dessen revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrte Kläger den Widerspruch nicht wegen Unvollständigkeit der Verbraucherinformation noch im Jahr 2016 wirksam erklären.
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a) Der Beginn der in § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. bestimmten vierzehntägigen Widerspruchsfrist gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt zwar unter anderem voraus, dass dem Versicherungsnehmer die Unterlagen nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., darunter auch die Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F., vollständig vorliegen.
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b) Die dem Kläger überlassene Verbraucherinformation war aber nicht, wie das Berufungsgericht meint, deshalb unvollständig, weil eine Angabe dazu fehlte, ob und in welchem Umfang Rückkaufswerte überhaupt garantiert wurden. Zu der notwendigen Verbraucherinformation nach § 10a Abs. 1 VAG a.F. gehörten bei Lebensversicherungen und Unfallversicherungen mit Prämienrückgewähr gemäß Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) der Anlage Teil D zum VAG a.F. die Angabe der Rückkaufswerte und nach Buchst. d) dieser Bestimmung Angaben über das Ausmaß, in dem Rückkaufswerte garantiert sind. Im Streitfall fehlt es an garantierten Rückkaufswerten im Sinne von Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. Nach den vom Berufungsgericht zum Inhalt des hier in Rede stehenden Versicherungsvertrags getroffenen Feststellungen hat die Beklagte dem Kläger keine Rückkaufswerte in bestimmter Höhe vertraglich zugesagt. Darüber hat die Beklagte entgegen der Würdigung des Berufungsgerichts in der im Versicherungsschein enthaltenen Verbraucherinformation ausreichend informiert. Im Ansatz zutreffend geht das Berufungsgericht von der im Versicherungsschein enthaltenen Übersicht aus, in deren vierter Spalte der “Rückkaufswert plus Überschußbeteiligung in DM” ausgewiesen wird. Im dritten Absatz vor der Tabelle wird der “Rückkaufswert einschließlich Überschußbeteiligung” als “Zeitwert” der Versicherung zum Zeitpunkt der Kündigung beschrieben, dessen Höhe von mehreren Faktoren abhänge, vor allem von der Zinsentwicklung auf dem Kapitalmarkt. Weiter wird erläutert, der in der Spalte 4 genannte Wert sei “auf Basis der heutigen Berechnungsgrundlagen ermittelt”. Daran schließt sich der ausdrückliche Hinweis an: “Er kann nicht garantiert werden.” Wird einem Versicherungsnehmer – wie hier – ausdrücklich mitgeteilt, dass in einer nachfolgenden Übersicht aufgeführte Rückkaufswerte nicht garantiert werden können, ist er darüber informiert, dass Rückkaufswerte “überhaupt nicht”, auch nicht teilweise garantiert werden. Zudem ist in der Übersicht die Überschrift zu der Spalte 2 durch Sternchen-Fußnote mit dem Zusatz versehen “Diese Beträge garantieren wir”, während die Überschriften zu den Spalten 3 und 4 jeweils durch Doppelsternchen-Fußnote um den Hinweis “Diese Beträge können wir nicht garantieren” ergänzt werden. Auch damit hat die Beklagte eindeutig mitgeteilt, dass die in Spalte 4 aufgeführten Rückkaufswerte nicht garantiert sind. Im Übrigen verpflichtet § 10a Abs. 1 Satz 1 VAG a.F. in Verbindung mit Abschnitt I Nr. 2 Buchst. b) und d) der Anlage Teil D zum VAG a.F. entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts den Versicherer nicht anzugeben, dass es im Hinblick auf den abgeschlossenen Vertrag an einer Garantie von Rückkaufswerten fehlt. Dies hat der Senat mit dem nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Urteil vom 11. Dezember 2019 in dem Verfahren IV ZR 8/19 (VersR 2020, 208 Rn. 13 ff.), in dem es um eine nahezu gleich gestaltete Verbraucherinformation derselben Beklagten wie hier ging, entschieden und im Einzelnen ausgeführt.
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2. Die Frage, ob das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union unvereinbar ist, ist hier nicht entscheidungserheblich. Auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells ist es dem ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrten und informierten Kläger nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrags über vierzehneinhalb Jahre auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben: Senatsurteil vom 16. Juli 2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 32 ff.).
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Lehmann
Dr. Brockmöller
Dr. Bußmann