Aktenzeichen 2 BvR 1710/10
§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG
§ 93c Abs 1 S 1 BVerfGG
§ 10d EStG
§ 22 Nr 3 EStG
§ 23 Abs 3 S 8 EStG vom 19.12.2000
§ 23 Abs 3 S 8 EStG vom 19.10.2002
§ 23 Abs 3 S 8 EStG vom 09.12.2004
§ 23 Abs 3 S 9 EStG vom 19.12.2000
§ 23 Abs 3 S 9 EStG vom 19.10.2002
§ 23 Abs 3 S 9 EStG vom 09.12.2004
§ 69 Abs 2 S 2 Alt 2 FGO
Verfahrensgang
vorgehend BFH, 25. Mai 2010, Az: IX B 179/09, Beschluss
Tenor
1. Die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 25. Mai 2010 – IX B 179/09 – verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht       aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes und wird aufgehoben. Das Verfahren wird an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.
2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
4. …
Gründe
1
                            Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes. Mittelbar
      wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Verfassungsmäßigkeit des Verlustverrechnungsverbots gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 8 und
      9 des Einkommensteuergesetzes – EStG – in der für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 geltenden Fassung.
   
I.
2
                            1. Der mit seiner Ehefrau zusammen veranlagte Beschwerdeführer unternahm in den Streitjahren 2002 bis 2004 Stillhaltergeschäfte
      auf Terminkontrakte und Devisentermingeschäfte. Er erhielt als Stillhalter bei Abschluss des Optionsgeschäfts Prämien und
      verpflichtete sich im Gegenzug, am festgelegten Fälligkeitstermin bei Ausübung der Option durch den Käufer das Basisgeschäft
      (Lieferung oder Abnahme des Basiswerts zum festgelegten Preis) durchzuführen oder einen entsprechenden Ausgleich in Geld zu
      leisten. Er vereinnahmte in den Streitjahren Stillhalterprämien in Höhe von 18.015.940 € (2002), 20.466.199 € (2003) und 53.096.641
      € (2004). Die Verluste aus den Basisgeschäften betrugen 9.477.720 € (2002), 43.402.481 € (2003) sowie 40.459.122 € (2004).
   
3
                            Das Finanzamt erfasste in den geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 die Stillhalterprämien
      als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 EStG, ließ aber eine Verrechnung mit den Verlusten aus den privaten Veräußerungsgeschäften
      (Basisgeschäften) aufgrund des Verlustverrechnungsverbots gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG nicht zu, sondern stellte die
      Verluste nach § 10d EStG gesondert fest. Über die Einsprüche des Beschwerdeführers gegen die Einkommensteuerfestsetzungen
      sowie gegen die Ablehnung seines Antrags auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abgabenordnung (AO)
      hat das Finanzamt bisher noch nicht entschieden.
   
4
                            2. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungszeiträume
      2002 bis 2004 lehnte das Finanzamt ab. Auf Antrag des Beschwerdeführers gewährte das Finanzgericht München in seinem Beschluss
      vom 12. August 2009 – 1 V 1193/09 – (EFG 2009, S. 2035 ff.) teilweise Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide
      für die Jahre 2002 bis 2004 bis einen Monat nach Ergehen einer Einspruchsentscheidung. Es gewährte insoweit Aussetzung der
      Vollziehung der Steuerfestsetzung, als sich nach einer Verrechnung der vom Beschwerdeführer vereinnahmten Stillhalterprämien
      mit den Verlusten aus den Basisgeschäften sowie einem Verlustrück- bzw. -vortrag der nicht verrechneten Verluste aus den Basisgeschäften
      aus dem Jahr 2003 in das Jahr 2002 bzw. 2004 im Ergebnis keine positiven Einkünfte aus den Stillhaltergeschäften mehr ergeben.
   
5
                            3. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde des Finanzamts hob der Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 25. Mai 2010 – IX B 179/09
      – (BFH/NV 2010, S. 1627) den Beschluss des Finanzgerichts auf und lehnte den Antrag, die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide
      für die Jahre 2002 bis 2004 auszusetzen, ab. Nach seiner Auffassung bestehen für die Streitjahre keine ernstlichen Zweifel
      an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide.
   
6
                            Es sei entgegen der Auffassung des Finanzgerichts nicht ernstlich zweifelhaft, dass nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuernde Einkünfte
      aus Stillhalterprämien nicht mit Verlusten aus Basisgeschäften auszugleichen seien. Nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG dürften Verluste
      aus privaten Veräußerungsgeschäften nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten
      Veräußerungsgeschäften erzielt habe, ausgeglichen werden; sie dürften nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Nach § 23 Abs.
      3 Satz 9 EStG minderten die Verluste nach Maßgabe des § 10d EStG jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar
      vorangehenden Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach §
      23 Abs. 1 EStG erzielt habe oder erziele. Dieser Gesetzeslage widerspreche der angefochtene Beschluss.
   
7
                            Eine Umqualifizierung der Einkünfte gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 4 EStG in solche nach § 22 Nr. 3 EStG in Höhe der
      vom Steuerpflichtigen im Eröffnungsgeschäft kassierten Stillhalterprämien komme nicht in Betracht. Verluste aus einem Basisgeschäft
      im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG seien auch nicht durch die Gewährung der Option veranlasst und deshalb nicht als
      Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei den Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG abziehbar. Zudem hätten Einkünfte aus
      privaten Veräußerungsgeschäften bereits systematisch Vorrang vor den sonstigen Einkünften, wie sich aus § 22 Nr. 3 EStG explizit
      ergebe. Daher könne nicht umgekehrt das nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG (oder nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) steuerbare
      Basisgeschäft in den Anwendungsbereich des § 22 Nr. 3 EStG einbezogen werden. Dagegen spreche neben der Subsidiarität des
      § 22 Nr. 3 EStG gegenüber § 22 Nr. 2 in Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG das von der Rechtsprechung seit jeher zugrunde
      gelegte systemtragende Trennungsprinzip zwischen Eröffnungs-, Basis- und Gegengeschäft. Zwischen das die Prämienzahlung auslösende
      Eröffnungsgeschäft (Stillhaltergeschäft) und die erlittenen Verluste trete das Basisgeschäft als eigenständige Erwerbsquelle.
      Überdies führe die Lösung des Finanzgerichts durch Umqualifizierung der Einkünfte aus den Basisgeschäften in Höhe der vereinnahmten
      Stillhalterprämien in solche aus § 22 Nr. 3 EStG zu Widersprüchen: Stünden nämlich die Verluste aus allen Basisgeschäften
      tatsächlich in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Stillhalterprämien, müsste man sie – ohne sie aufzusplitten – auch in
      vollem Umfang § 22 Nr. 3 EStG zurechnen. Es liege auf der Hand, dass ein derartiges Ergebnis die Systematik des § 22 Nr. 2
      und 3 EStG contra legem umkehren würde.
   
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                            Es bestünden auch keine Wertungswidersprüche zum Glattstellungsgeschäft. Ebenso wenig verstoße die Besteuerung der Options-
      und Termingeschäfte gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Vielmehr sei ihr Ergebnis (kein Abzug der im Basisgeschäft erlittenen Verluste
      bei den Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG) die folgerichtige Ausprägung der Systematik des § 22 Nr. 2 und 3 EStG. Auch die Beschränkung
      des Verlustausgleichs bei privaten Veräußerungsgeschäften durch § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG sei verfassungsgemäß. Die Ausprägungen
      des Trennungsprinzips führten deshalb entgegen der Auffassung der Antragsteller auch nicht zu einer übermäßigen Besteuerung.
      Im Gegenteil: Anders als noch zur früheren Rechtslage vor Geltung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG falle ein durch einen
      Barausgleich vermittelter Verlust im Basisgeschäft nicht mehr auf der nicht steuerbaren Vermögensebene an, sondern könne im
      Rahmen der Einkunftsart des § 22 Nr. 2 EStG (private Veräußerungsgeschäfte, § 23 Abs. 1 EStG) ausgeglichen oder abgezogen
      werden.
   
II.
9
                            Mit der am 3. August 2010 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer
      unmittelbar gegen den am 6. Juli 2010 zugestellten Beschluss des Bundesfinanzhofs und mittelbar gegen das Verlustverrechnungsverbot
      gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG in der für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 geltenden Fassung. Er macht geltend,
      durch diese Hoheitsakte in seinen Grundrechten aus Art. 1 Abs. 1, Art. 3, Art. 12 Abs. 1 GG sowie Art. 14 GG verletzt worden
      zu sein. Der Beschwerdeführer beantragt, den Beschluss des Bundesfinanzhofs aufzuheben und dem Finanzamt München bis zur Entscheidung
      des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerde im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG aufzugeben,
      die Steuerbeträge der Jahre 2002 bis 2004, hinsichtlich derer die Aussetzung der Vollziehung beantragt wird, soweit sie noch
      offen sind, einstweilen nicht fällig zu stellen, hilfsweise Vollstreckungsaufschub zu gewähren.
   
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                            Da in den Streitjahren 2002 bis 2004 die Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften die vereinnahmten Stillhalterprämien
      im Ergebnis überstiegen, werde durch die Steuerfestsetzung gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen.
      Die Besteuerung habe erdrosselnde Wirkung und greife in das grundrechtlich geschützte Existenzminimum ein. Daher sei das Verrechnungsverbot
      des § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG einzuschränken, um eine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung zu vermeiden. Bis zur Klärung
      der verfassungsrechtlichen Fragen hinsichtlich der grundrechtlich gebotenen Grenzen des Verlustverrechnungsverbots bestehe
      ein grundrechtlich verbürgter Anspruch auf Aussetzung der Vollziehung, welcher durch die Entscheidung des Bundesfinanzhofs
      verletzt worden sei. Ergehe keine einstweilige Anordnung, habe die Verfassungsbeschwerde jedoch später Erfolg, bestehe die
      Gefahr, dass aufgrund der zwischenzeitlichen Steuererhebung einschließlich Vollstreckungshandlungen die wirtschaftliche Existenz
      des Beschwerdeführers vernichtet werde. Dagegen entstehe bei einer Aussetzung der Vollziehung für die öffentliche Hand lediglich
      ein Zinsschaden, der dadurch kompensiert werde, dass bei einer späteren Erhebung auch ein höherer Zinsbetrag wegen des längeren
      Verzinsungszeitraums beansprucht werden könne.
   
III.
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                            Das Bundesverfassungsgericht hat den Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von dieser Möglichkeit haben
      die Bundesregierung und der Bundesfinanzhof Gebrauch gemacht.
   
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                            1. Zu der Verfassungsbeschwerde hat für die Bundesregierung das Bundesministerium der Finanzen Stellung genommen. Es hat ausgeführt,
      die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet, da die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG verfassungsgemäß
      sei. Die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs und seine Rechtsprechung zum Trennungsprinzip bei der Besteuerung
      von Optionsgeschäften seien auch nicht willkürlich.
   
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                            2. Der IX. Senat des Bundesfinanzhofs verweist in seiner Stellungnahme auf seinen hier angegriffenen Beschluss, in dem er
      sich zur Verfassungsmäßigkeit der streitigen Regelung geäußert habe. Der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung
      liege das systemtragende Trennungsprinzip zwischen Eröffnungs-, Basis- und Gegengeschäft zugrunde. Dies verhindere, Risiken
      aus hochspekulativen Geschäften auf die Allgemeinheit zu verlagern.
   
IV.
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                            Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen den Beschluss des Bundesfinanzhofs wendet,
      weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe
      b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer gemäß
      § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eröffnenden Weise – auch offensichtlich begründet, da der Beschluss des Bundesfinanzhofs den Beschwerdeführer
      in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzt; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen
      sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 35, 263 ; 35, 382 ; 93, 1 ) (1).
      Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (2).
   
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                            1. Der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss des Bundesfinanzhofs verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht
      aus Art. 19 Abs. 4 GG und ist nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache wird an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen
   
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                            a) Der Beschwerdeführer hat zwar nur Art. 1 Abs. 1, Art. 3, Art. 12 Abs. 1 GG sowie Art. 14 GG als verletzt bezeichnet. Das
      hindert jedoch nicht eine Prüfung des angegriffenen Beschlusses auch am Maßstab des Art. 19 Abs. 4 GG. Der Beschwerdeführer
      hat den maßgeblichen Sachverhalt vorgetragen und gerügt, der Bundesfinanzhof habe seinen grundrechtlich verbürgten Anspruch
      auf Aussetzung der Vollziehung verletzt. Damit hat er einen möglichen Verstoß auch gegen die Grundrechtsnorm des Art. 19 Abs.
      4 GG dargelegt und dem Begründungserfordernis der §§ 23, 92 BVerfGG genügt. Eine ausdrückliche Benennung des als verletzt
      gerügten Grundrechtsartikels verlangen diese Vorschriften nicht (vgl. BVerfGE 79, 174 ; 84, 366 ).
   
17
                            b) Art. 19 Abs. 4 GG eröffnet den Rechtsweg gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen
      Gewalt. Gewährleistet wird nicht nur das formelle Recht, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes
      (vgl. BVerfGE 35, 263 ; 35, 382  m.w.N.). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener
      Zeit. Daraus folgt, dass gerichtlicher Rechtsschutz namentlich in Eilverfahren so weit wie möglich der Schaffung solcher vollendeten
      Tatsachen zuvorzukommen hat, die dann, wenn sich eine Maßnahme bei (endgültiger) richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist,
      nicht mehr rückgängig gemacht werden können (vgl. BVerfGE 37, 150 ; 65, 1 ). Hieraus ergeben sich für die Gerichte
      Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49,
      220 ; 77, 275 ; 93, 1 ).
   
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                            c) Diesen Anforderungen wird der Beschluss des Bundesfinanzhofs wegen der unzureichenden Abwägung der gegenläufigen Interessen
      des Beschwerdeführers und des Allgemeinwohls bei der Vollstreckung der Steuerschuld nicht gerecht.
   
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                            aa) Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts
      ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den
      Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel
      sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige
      Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der
      Beurteilung der Tatfragen auslösen. Dies gilt auch für ernstliche Zweifel an der verfassungsrechtlichen Gültigkeit einer dem
      angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, vgl. zum Beispiel BFH
      BStBl II 2001, S. 411 = BFHE 194, 157). An die Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind,
      wenn die Verfassungswidrigkeit von Normen geltend gemacht wird, keine strengeren Anforderungen zu stellen als im Falle der
      Geltendmachung fehlerhafter Rechtsanwendung (vgl. BFH BStBl II 1984, S. 454 = BFHE 140, 396).
   
20
                            Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung der
      angefochtenen Einkommensteuerbescheide wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen
      Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen
      Existenz führen würde (vgl. BFH, Beschluss vom 5. März 1998 – VII B 36/97 -, BFH/NV 1998, S. 1325 , m.w.N.). Nach
      ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kommt eine Aussetzung der Vollziehung bei Vorliegen einer unbilligen Härte allerdings
      nur in Betracht, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide nicht ausgeschlossen werden
      können (vgl. BFH, Beschluss vom 2. November 2004 – XI S 15/04 -, BFH/NV 2005, S. 490 , m.w.N.; Koch, in: Gräber, Kommentar
      zur FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 Rn. 107). Sind Zweifel fast ausgeschlossen, ist eine Aussetzung der Vollziehung selbst dann nicht
      zulässig, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (BFH BStBl II 1968, S. 84 = BFHE 90, 318; BStBl II 1968,
      S. 538 = BFHE 92, 314).
   
21
                            bb) In der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung hat der Bundesfinanzhof seine Prüfung darauf beschränkt,
      ob das Finanzgericht München ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ausgesetzten Einkommensteuerbescheide zu Unrecht
      bejaht hat. Aufgrund seiner ständigen Rechtsprechung zur grundsätzlichen Trennung der Besteuerung von Options- und Basisgeschäften
      und zur Verfassungsmäßigkeit des Verlustverrechnungsverbots gemäß § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG hat er ernstliche Zweifel
      an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen verneint. Nicht in seine Überprüfung miteinbezogen hat er jedoch die Frage,
      ob eine Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative FGO zu gewähren ist, da die Vollziehung für den
      Beschwerdeführer eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
   
22
                            Diese Prüfung wäre jedoch unter Beachtung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten gewesen,
      da die Vollstreckung der in den Streitjahren gegen den Beschwerdeführer festgesetzten Einkommensteuer (zuzüglich Solidaritätszuschlag
      und Zinsen) in Höhe von ca. 50.000.000 € bei einem tatsächlich vorhandenen Vermögen von ca. 22.000.000 € voraussichtlich zur
      Insolvenz des Beschwerdeführers führen würde und der dadurch eintretende Schaden bei Rückzahlung der eingezogenen Beträge
      im Falle des Erfolgs des Einspruchsverfahrens nicht ausgeglichen werden könnte. Die Vollstreckung vor einer Entscheidung des
      Finanzamts über die angefochtenen Einkommensteuerbescheide ist durch das öffentliche Interesse an dem Einzug der noch nicht
      bestandskräftig festgesetzten Steuern nicht gerechtfertigt, zumal es das Finanzamt selbst in der Hand hat, durch den Erlass
      der Einspruchsentscheidung die Aussetzung der Vollziehung – vorerst – zu beenden.
   
23
                            Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung sind Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide
      2002 bis 2004 auch nicht völlig ausgeschlossen. Dies ergibt sich bereits aus den Stellungnahmen in der Literatur, die die
      getrennte Erfassung von Options- und Basisgeschäft bei der Einkommensbesteuerung für verfassungswidrig halten (vgl. Weber-Grellet,
      in: Schmidt, Kommentar zum EStG, 29. Aufl. 2010, § 20 Rn. 149; Zanzinger, DStR 2010, S. 149 ff.; Hahne/Krause, BB 2008, S.
      1101 f.) bzw. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Verlustverrechnungsverbots nach § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG äußern
      (vgl. Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 20. Aufl. 2010, § 9 Rn. 559; Strahl/Fuhrmann, FR 2003, S. 387 ; Dechant, Die
      Besteuerung privater Veräußerungsgeschäfte in systematischer und verfassungsrechtlicher Hinsicht, 2006, S. 263 ff.). Der Bundesfinanzhof
      hat diesen – auch vom Beschwerdeführer geltend gemachten – Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung unter Verkennung
      der Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick darauf, dass im summarischen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
      noch keine endgültige Entscheidung zu treffen ist, bei der Abwägung der gegenläufigen Interessen zu wenig Bedeutung beigemessen.
      Aus diesem Grund ist die Entscheidung des Bundesfinanzhofs aufzuheben und das Verfahren an den Bundesfinanzhof zurückzuverweisen.
   
24
                            2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG
      nicht vorliegen.
   
25
                            a) Der Annahme steht insoweit der Grundsatz der Subsidiarität entgegen, der erfordert, dass der Beschwerdeführer über das
      Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus die ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ergreift,
      um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken. Für Entscheidungen im Verfahren des vorläufigen
      Rechtsschutzes folgt daraus, dass die Erschöpfung des Rechtswegs im Eilverfahren nicht ohne weiteres ausreicht, um die Zulässigkeit
      der Verfassungsbeschwerde zu begründen, wenn das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der Grundrechtsverletzung
      abzuhelfen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen gerügt
      werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 ). Der Subsidiaritätsgrundsatz soll vor allem sichern,
      dass durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte dem Bundesverfassungsgericht ein regelmäßig in
      mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird und ihm die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte,
      insbesondere auch der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden; zugleich wird damit der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung
      und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren
      (vgl. BVerfGE 68, 376  m.w.N.).
   
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                            b) Nach diesen Grundsätzen ist der Beschwerdeführer hinsichtlich der Frage, ob die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur
      Besteuerung von Stillhaltergeschäften auf Terminkontrakten und Devisentermingeschäfte gegen die Grundrechte aus Art. 1 Abs.
      1, Art. 3, Art. 12 Abs. 1 GG sowie Art. 14 GG verstößt, bzw. ob die mittelbar mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung
      des § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG in der für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2004 geltenden Fassung verfassungswidrig
      ist, auf die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache zu verweisen. Die Verfassungsbeschwerde betrifft insoweit ausschließlich
      Grundrechtsverletzungen, die sich nicht auf die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes, sondern auf die Hauptsache beziehen,
      nämlich auf die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide, die im Hauptsacheverfahren zu prüfen ist.
   
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                            3. Mit der Entscheidung erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG). Für eine
      solche Anordnung besteht auch kein Bedürfnis, da mit der Aufhebung des Beschlusses des Bundesfinanzhofs der dem Beschwerdeführer
      einstweiligen Rechtsschutz gewährende Beschluss des Finanzgerichts München vom 12. August 2009 – 1 V 1193/09 – wieder wirksam
      wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2009 – 1 BvR 1702/09 -, EuGRZ 2009, S. 653
      ; Stark, in: Umbach/ Clemens/Dollinger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Mitarbeiterkommentar, 2. Aufl. 2005, § 95 Rn.
      70).
   
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                            4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG. Dem Beschwerdeführer ist lediglich
      die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten, da die Verfassungsbeschwerde nur teilweise Erfolg hat (vgl. BVerfGE 101,
      54 ; 101, 331 ; 103, 142 ).
   




