Aktenzeichen 1 BvR 642/09
Art 3 Abs 1 GG
§ 264c SGB 6
§ 77 Abs 2 S 1 Nr 4 Buchst a SGB 6 vom 20.12.2000
Verfahrensgang
vorgehend BSG, 14. August 2008, Az: B 5 R 98/07 R, Urteilvorgehend SG Berlin, 16. Juli 2007, Az: S 7 R 5635/06, Urteil
Gründe
1
                            Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Kürzung des Zugangsfaktors bei Bezug von Hinterbliebenenrente, wenn der Todesfall
      vor Beginn des 63. Lebensjahres des Versicherten liegt.
   
I.
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                            Der in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherte Ehemann der Beschwerdeführerin verstarb im April 2001 im Alter von
      54 Jahren. Seitdem erhält die Beschwerdeführerin eine Hinterbliebenenrente. Dabei wurde der Zugangsfaktor entsprechend der
      Übergangsregelung des § 264c Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in Verbindung mit Anlage 23 a.F. um 1,12 % gekürzt. Der
      Rentenbescheid wurde bestandskräftig.
   
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                            Nachdem der 4. Senat des Bundessozialgerichts im Jahr 2006 entschieden hatte, dass Erwerbsminderungsrenten vor Vollendung
      des 60. Lebensjahres nicht zu kürzen seien (BSGE 96, 209), beantragte die Beschwerdeführerin erfolglos die Überprüfung ihres
      Rentenbescheides. Die nach dem Widerspruchsverfahren erhobene Klage wurde abgewiesen, die vom Sozialgericht zugelassene Sprungrevision
      zurückgewiesen.
   
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                            Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.
   
II.
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                            Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG
      nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil sie jedenfalls unbegründet ist. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr.
      4 Buchstabe a SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung und die hierauf beruhenden Behörden- und Gerichtsentscheidungen
      verletzten die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
   
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                            1. Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdeführerin bereits vor dem Tod ihres Mannes Inhaberin einer Anwartschaft auf eine Hinterbliebenenrente
      gewesen ist, die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt wäre. Jedenfalls wäre der in der Absenkung des Zugangsfaktors zu sehende
      Eingriff in diese Rentenanwartschaft verfassungsrechtlich gerechtfertigt, weil er sowohl dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
      als auch den Anforderungen des Vertrauensschutzprinzips (vgl. BVerfGE 97, 271 ) genügt.
   
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                            Insbesondere gibt es für die Kürzung der Hinterbliebenenrente entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hinreichende
      sachliche Gründe. Das Ziel des Gesetzgebers, die Finanzierung und damit die Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen
      Rentenversicherung zu erhalten, legitimiert – wie bei der Absenkung des Zugangsfaktors bei vorgezogenen Altersrenten (vgl.
      BVerfGE 122, 151 ) und bei Erwerbsminderungsrenten vom Bundesverfassungsgericht festgestellt (vgl. BVerfG, Beschluss
      des Ersten Senats vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3588/08 u.a. -, juris) – verfassungsrechtlich die Kürzung. Ferner muss der Gesetzgeber
      Hinterbliebene, deren Rentenanwartschaft allenfalls durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, nicht besser stellen als Versicherte,
      deren Anwartschaft grundrechtlichen Eigentumsschutz genießt. Bereits dies rechtfertigt es, auf das Alter des Versicherten
      zum Zeitpunkt seines Todes und nicht auf das Alter der Hinterbliebenen abzustellen. Es würde dem Charakter der Hinterbliebenenrente
      als aus der Versicherung des Versicherten abgeleiteter Rente widersprechen, wenn die Hinterbliebene eine höhere Rente erhielte
      als der Versicherte zum gleichen Zeitpunkt.
   
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                            Die Regelung ist auch im Übrigen verhältnismäßig. Insofern gilt für die Kürzung der Hinterbliebenenrenten nichts anderes als
      für die Abschläge bei vorzeitigen Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (vgl. insofern BVerfG 122,
      151 ) oder bei Erwerbsminderungsrenten (vgl. insofern BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 11. Januar 2011 – 1
      BvR 3588/08 u.a. -, juris).
   
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                            Dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ist durch die Übergangsregelung des § 264c SGB VI in Verbindung mit Anlage 23 a.F. hinreichend
      Rechnung getragen worden.
   
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                            2. Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Die den unterstellten Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG rechtfertigenden Gründe legitimieren
      die von der Beschwerdeführerin behauptete Gleichbehandlung von Hinterbliebenenrentnern mit Alters- und Erwerbsminderungsrentnern
      ebenso wie die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin gegenüber gleichaltrigen Beziehern von Hinterbliebenenrenten, die
      aufgrund eines höheren Alters des Versicherten zum Zeitpunkt seines Todes eine höhere Rente erhalten.
   
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                            3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
   
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                            Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
   




