Aktenzeichen 1 BvR 2256/10 – Vz 32/12
§ 97b Abs 2 S 2 BVerfGG
§ 97d Abs 2 S 4 BVerfGG
§§ 74ff HGB
§ 74 HGB
§ 74c Abs 1 S 1 HGB
Verfahrensgang
vorgehend BVerfG, kein Datum verfügbar, Az: 1 BvR 2256/10vorgehend BVerfG, kein Datum verfügbar, Az: 1 BvR 284/09
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Verzögerungsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Gründe
I.
1
                            Die Verzögerungsbeschwerde betrifft drei Verfassungsbeschwerdeverfahren des Beschwerdeführers.
   
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                            1. a) Die Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2256/10 richtete der Beschwerdeführer gegen ein Teilurteil eines Landesarbeitsgerichts
      und erklärte sich damit einverstanden, die Verfassungsbeschwerde zurückzustellen, bis die letzte Entscheidung im fachgerichtlichen
      Verfahrenszug ergangen sei. Das Landesarbeitsgericht hatte ihm auf seine Berufung hin unter Abweisung des Anspruchs im Übrigen
      lediglich einen Teil der von ihm eingeklagten Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot zugesprochen.
      Darüber hinaus verfolgte der Beschwerdeführer gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber Auskunfts-, Herausgabe-, Löschungs-
      und Unterlassungsansprüche, die er im Hinblick auf seinen während seines Arbeitsverhältnisses geführten Schrift- und E-Mail-Verkehr
      geltend machte, wie auch Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen vermeintlich missbräuchlicher Verwendung des Schrift-
      und E-Mail-Verkehrs und von ihm erstellter Computerdateien. Das Landesarbeitsgericht wies durch Schlussurteil vom Dezember
      2009 die Berufung hinsichtlich aller vom Beschwerdeführer noch verfolgten Ansprüche zurück. Es ließ die Revision gegen das
      Teil- und das Schlussurteil nicht zu. Die vom Beschwerdeführer gegen die Nichtzulassung erhobenen Beschwerden blieben erfolglos.
      Das Bundesarbeitsgericht wies sie zurück und lehnte überdies die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Erhebung von Anhörungsrügen,
      die der Beschwerdeführer gegen die Beschlüsse über die Nichtzulassungsbeschwerden richten wollte, ab und wies eine Gegenvorstellung
      des Beschwerdeführers zurück. Der Beschwerdeführer bezog das Schlussurteil des Landesarbeitsgerichts und die Beschlüsse des
      Bundesarbeitsgerichts in die Verfassungsbeschwerde ein. Er beantragte Prozesskostenhilfe. Der letzte Beschluss des Bundesarbeitsgerichts
      datiert vom 30. Juni 2010. Der Beschwerdeführer nahm ihn am 9. August 2010 in seine Verfassungsbeschwerde auf. Die Verfassungsbeschwerde
      wurde in das Verfahrensregister übertragen.
   
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                            b) Am 31. Dezember 2011 legte der Beschwerdeführer Verzögerungsrüge ein. Ihm drohe ein erheblicher finanzieller Schaden. Während
      des Verfahrens sei er dem Insolvenzrisiko seines Prozessgegners ausgesetzt. Der eingeklagte Geldbetrag fehle ihm zur Bedienung
      eigener Verbindlichkeiten. Er sei mittellos. 2008 und 2009 habe es Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn gegeben. Im November
      2008 habe er die eidesstattliche Versicherung nach dem damals geltenden § 807 ZPO abgegeben.
   
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                            c) Am 3. März 2012 hat der Beschwerdeführer die Verzögerungsbeschwerde erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Er wiederholt
      seine Darlegungen zur Verzögerungsrüge und ergänzt, dass er im Januar 2012 erneut eine eidesstattliche Versicherung nach §
      807 ZPO abgegeben habe. Er begehrt den Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens, insbesondere den Jahrespauschalbetrag
      nach § 97a Abs. 2 Satz 3 BVerfGG.
   
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                            d) Durch Beschluss vom 20. November 2012 lehnte die 3. Kammer des Ersten Senats die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das
      Verfassungsbeschwerdeverfahren ab und nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an.
   
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                            e) Die Berichterstatterin hat zur Verzögerungsbeschwerde Stellung genommen. Als sie das Dezernat übernommen habe, habe sie
      zunächst einen relativ hohen Bestand älterer Verfahren abarbeiten müssen. Hinzugekommen sei die Berichterstattung in mehreren
      bereits zugestellten Senatssachen. Außerdem hätten Verfahren, in denen existenzsichernde Leistungen in Rede stünden, Vorrang.
      Es handele sich um Streitigkeiten aus dem Bereich des Grundsicherungsrechts und um arbeitsrechtliche Verfahren, in denen es
      um Kündigungsschutz oder andere Fragen von existentieller Bedeutung für die Beschwerdeführer gehe. Das Verfahren, das der
      Verzögerungsbeschwerde zugrunde liege, habe nicht dazu gehört. Das fachgerichtliche Ausgangsverfahren habe weder eine Bestandsschutzstreitigkeit
      noch laufende Gehaltszahlungen betroffen. Der Beschwerdeführer habe dem Verfassungsbeschwerdeverfahren seinerseits keine Eilbedürftigkeit
      beigemessen. Ende 2009 habe er erneut angeregt, es weiterhin auszusetzen, obwohl nach seinen Angaben bereits im Jahr zuvor
      Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn stattgefunden hätten.
   
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                            Der Beschwerdeführer hat sich zur Stellungnahme der Berichterstatterin wie folgt geäußert: Die Gesamtdauer des Verfahrens
      sei ihm nicht anzulasten. Der Erlass des Teilurteils sei unnötig gewesen. Er habe gegen dieses Urteil, obwohl das Landesarbeitsgericht
      noch nicht über alle von ihm erhobenen Ansprüche entschieden habe, vorgehen müssen, um seine prozessualen Rechte zu wahren.
      Neben der Karenzentschädigung habe auch das begehrte Schmerzensgeld erhebliche Bedeutung für ihn. Seine E-Mails seien trotz
      Zusicherung freien E-Mail-Verkehrs abgefangen worden, wodurch er seinen Arbeitsplatz verloren habe. Diesen Verlust könne er
      als Schwerbehinderter nie mehr wettmachen. Der Schadensersatz solle die bis zum Erreichen des Rentenalters ausfallenden Gehaltszahlungen
      und die Verminderung seiner Rentenansprüche ausgleichen.
   
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                            2. a) Am 5. Februar 2009 erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil und beantragte
      Prozesskostenhilfe (Verfahren 1 BvR 284/09). Das Bundesverfassungsgericht lehnte durch Beschluss der 3. Kammer des Ersten
      Senats vom 12. Februar 2009 die Gewährung von Prozesskostenhilfe ab und nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung
      an. Eine Ausfertigung des Beschlusses wurde am 20. Februar 2009 an den Beschwerdeführer abgesandt.
   
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                            b) Der Beschwerdeführer bezog dieses Verfahren in die Verzögerungsrüge vom 31. Dezember 2011 und die Verzögerungsbeschwerde
      vom 3. März 2012 ein.
   
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                            3. Der Beschwerdeführer erstreckte die Verzögerungsrüge und die Verzögerungsbeschwerde ferner auf eine Verfassungsbeschwerde,
      die unter dem Aktenzeichen AR 1621/03 in das Allgemeine Register aufgenommen, jedoch nicht in das Verfahrensregister übertragen
      wurde.
   
II.
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                            Die Verzögerungsbeschwerde ist unzulässig. Die Darlegungen des Beschwerdeführers genügen nicht den Begründungsanforderungen
      nach § 97b Abs. 2 Satz 2 BVerfGG.
   
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                            1. Hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2256/10 lassen die Ausführungen des Beschwerdeführers keine Gegebenheiten
      erkennen, aus denen die Unangemessenheit der Verfahrensdauer folgt.
   
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                            a) Die Verzögerungsbeschwerde ist gemäß § 97b Abs. 2 Satz 2 BVerfGG schriftlich einzulegen und gleichzeitig zu begründen.
      Anders als § 97b Abs. 1 Satz 3 BVerfGG, nach dem bei Einlegung der Verzögerungsrüge die Umstände, die die Unangemessenheit
      der Verfahrensdauer begründen, darzulegen sind, enthält § 97b Abs. 2 Satz 2 BVerfGG keine näheren Maßgaben für die Begründung
      der Verzögerungsbeschwerde. Hieraus folgt aber nicht im Umkehrschluss, dass der Beschwerdeführer bei der Verzögerungsbeschwerde
      zu den rechtlichen und tatsächlichen Umständen der nach seiner Auffassung gegebenen Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht
      vorzutragen braucht und sich etwa auf Darlegungen zu den Rechtsfolgen gemäß § 97a Abs. 2 BVerfGG beschränken kann. Der Entschädigungsanspruch,
      der mit der Verzögerungsbeschwerde geltend gemacht werden kann, knüpft an die Unangemessenheit der Verfahrensdauer an (§ 97a
      Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Ist die Unangemessenheit der Verfahrensdauer aber Anspruchsvoraussetzung für die Entschädigung, hat
      der Beschwerdeführer hierzu im Rahmen der Verzögerungsbeschwerde in der Regel vorzutragen, soweit es sich um Umstände handelt,
      die in seinem Kenntnisbereich liegen. Auf die zur Verzögerungsrüge gegebenen Darlegungen kann dabei zwar grundsätzlich Bezug
      genommen werden, doch ist es unerlässlich, auf die seit Einlegung der Verzögerungsrüge eingetretenen verfahrenserheblichen
      Umstände einzugehen.
   
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                            b) Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Aufgaben
      und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts (§ 97a Abs. 1 Satz 2 BVerfGG). Bei der Bestimmung der relevanten Einzelfallumstände
      ist an die Maßstäbe anzuknüpfen, die das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Zusammenhang
      mit der Beurteilung überlanger gerichtlicher Verfahren entwickelt haben (vgl. BVerfG, Beschwerdekammer, Beschluss vom 1. Oktober
      2012 – 1 BvR 170/06 – Vz 1/12 -, juris, Rn. 21). Hiernach sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der
      Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie,
      das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu
      beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschwerdekammer, a.a.O.,
      Rn. 23).
   
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                            c) Der Beschwerdeführer hat keine Umstände aufgezeigt, aus denen sich ergibt, dass nach den vorgenannten Maßstäben die Dauer
      des Verfassungsbeschwerdeverfahrens unangemessen gewesen sein könnte. Zwar vergingen, nachdem der Beschwerdeführer den letzten
      Beschluss des Bundesarbeitsgerichts in die Verfassungsbeschwerde einbezogen hatte, mehr als 27 Monate bis zur Entscheidung
      des Bundesverfassungsgerichts, doch ergibt sich aus den Ausführungen des Beschwerdeführers nicht, dass das Verfahren für ihn
      eine Bedeutung hatte, die eine frühere Entscheidung erfordert hätte.
   
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                            aa) Zu den von ihm geltend gemachten Auskunfts-, Herausgabe-, Löschungs- und Unterlassungsansprüchen äußert sich der Beschwerdeführer
      im Verzögerungsbeschwerdeverfahren nicht und benennt keine Umstände, die dafür sprechen könnten, dass die Verfassungsbeschwerde
      insoweit vordringlich zu bearbeiten gewesen wäre.
   
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                            bb) Auch soweit es dem Beschwerdeführer um die Feststellung der Schadensersatzpflicht seines ehemaligen Arbeitgebers und um
      die Zahlung der Ka-renzentschädigung in der von ihm begehrten Höhe sowie von Schmerzensgeld ging, lassen seine Darlegungen
      nicht erkennen, dass das Verfassungsbeschwerdeverfahren für ihn derart erheblich war, dass eine beschleunigte Bearbeitung
      notwendig gewesen wäre.
   
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                            Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zu Schadensersatzklagen bereits ausgesprochen, dass ihnen nicht stets eine
      gesteigerte Dringlichkeit zukomme; über sie brauche anders als etwa in Sorgerechts-, Personenstands- oder Arbeitsrechtsverfahren
      grundsätzlich nicht beschleunigt entschieden zu werden (vgl. EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 – 75529/01 -, FamRZ 2007, S. 1449
       Rn. 130-133, Sürmeli ./. Deutschland). Der Verfassungsbeschwerde liegt zwar ein arbeitsrechtliches Verfahren zugrunde,
      das Verfahren gehört aber nicht zu denjenigen arbeitsrechtlichen Angelegenheiten, in denen wie etwa im Kündigungsschutzprozess
      kurzfristig geklärt werden muss, ob laufende Verpflichtungen zur Erbringung der Arbeitsleistung und Ansprüche auf Entgeltzahlung
      bestehen. Ob die Karenzentschädigung im Einzelfall wegen eines weitreichenden Wettbewerbsverbotes mit Gehalts- und Rentenzahlungen
      gleichzusetzen sein kann, auf die der Empfänger zur Finanzierung seines laufenden Lebensunterhalts angewiesen ist und die
      daher in aller Regel beschleunigt zu bearbeiten sind (vgl. EGMR, Urteil vom 26. April 2007 – 14635/03 -, juris, Rn. 90, L.
      ./. Deutschland; BVerfG, Beschwerdekammer, a.a.O., Rn. 45), bedarf keiner Entscheidung. Der Arbeitnehmer ist nicht gehindert,
      eine Arbeit aufzunehmen, die dem Konkurrenzschutzinteresse seines ehemaligen Arbeitgebers nicht zuwiderläuft (vgl. § 74c Abs.
      1 Satz 1 HGB). Dass und warum eine solche Tätigkeit für ihn nicht in Betracht kam, hat der Beschwerdeführer nicht vorgetragen.
      Dazu hätte bereits deshalb Anlass bestanden, weil er die Karenzentschädigung erst zwei Jahre nach der im Januar 2001 erfolgten
      Beendigung des Arbeitsverhältnisses und damit nach Ablauf des Wettbewerbsverbots (vgl. § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB) gerichtlich
      geltend gemacht hat.
   
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                            Der Beschwerdeführer leitet die aus seiner Sicht bestehende hohe Bedeutung der von ihm begehrten Feststellung einer Schadensersatzpflicht
      seines Arbeitgebers und des von ihm verfolgten Schmerzensgeldanspruchs daraus ab, dass die geltend gemachte pflichtwidrige
      Verhaltensweise des Arbeitgebers den Arbeitsplatzverlust verursacht habe und er deshalb bis zum Erreichen des üblichen Renteneintrittsalters
      Gehaltsausfälle und als deren Folge eine Verringerung seiner Rentenansprüche erleiden werde, die er als Schwerbehinderter
      nicht werde ausgleichen können. Sein pauschal gehaltener Vortrag lässt bereits offen, weswegen er aufgrund seiner Schwerbehinderung
      nicht erneut ein Arbeitsverhältnis mit vergleichbarer Entlohnung finden kann und der Kompensationsleistungen in höherem Maße,
      als dies bei Zahlungsbegehren üblicherweise der Fall ist, bedarf. Vor allem aber war und ist nicht erkennbar, inwiefern die
      Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens auf die von ihm befürchteten Einbußen von Einfluss sein könnte.
   
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                            2. Soweit die Verzögerungsbeschwerde die oben unter I.2 und I.3 genannten Verfassungsbeschwerden betrifft, wird von einer
      weiteren Begründung gemäß § 97d Abs. 2 Satz 4 BVerfGG abgesehen.
   
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                            3. Die Gewährung von Prozesskostenhilfe scheidet ungeachtet der Frage, ob sie für das Verfahren der Verzögerungsbeschwerde
      überhaupt in Betracht kommt, wegen der mangelnden Erfolgsaussichten der Verzögerungsbeschwerde aus (vgl. § 114 ZPO).
   




