Aktenzeichen 14 W (pat) 24/15
§ 4 PatG
§ 14 Abs 2 PatG
Tenor
In der Beschwerdesache
betreffend das Patent DE 10 2010 005 565
…
hat der 14. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Maksymiw, des Richters Schell sowie der Richterinnen Dipl.-Chem. Dr. Münzberg und Dipl.-Chem. Dr. Wagner
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der angefochtene Beschluss der Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. April 2015 aufgehoben und das Patent 10 2010 005 565 in vollem Umfang aufrechterhalten.
Gründe
I.
1
Die Patentabteilung 23 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung des Einspruchs durch Beschluss vom 23. April 2015 das am 22. Januar 2010 angemeldete und mit der Bezeichnung
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„Vorrichtung zum Besprühen und zum Gießen von Pflanzen“
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erteilte Patent gemäß § 61 Absatz 1 Satz 1 PatG widerrufen.
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Der Widerruf des Patents wurde im Wesentlichen damit begründet, dass jedes der Dokumente
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E4 Catalog 2004 der LISI Group, S. 110 und E17 EP 0 172 456 A1
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dem Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag neuheitsschädlich entgegenstehe.
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Entsprechendes gelte nach Ansicht der Patentabteilung für Hilfsantrag 1. Zu den weiteren Hilfsanträgen führt die Patentabteilung aus, dass dem jeweiligen Gegenstand des Patentanspruchs 1 der Hilfsanträge 2, 3 und 5 gegenüber der Druckschrift E4 gleichfalls die erforderliche Neuheit fehle. Die Neuheit des Gegenstands von Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 stelle entweder die Druckschrift E4 oder die Druckschrift E17 in Frage. E17 erweise sich fernerhin für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 6 als neuheitsschädlich. Bei dem zusätzlich zu den Merkmalen des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag in den jeweiligen Patentanspruch 1 der Hilfsanträge 7 bis 10 aufgenommenen Merkmal handle es sich aus der Sicht der Patentabteilung lediglich um ein gestalterisches, die äußere Form betreffendes Merkmal, welches außerhalb der Technik liege und folglich unbeachtlich bleiben könne. Für die Hilfsanträge 7 bis 10 würden somit die Ausführungen zum Hauptantrag gleichlautend gelten.
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Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie verteidigt ihr Patentbegehren weiterhin mit der erteilten Anspruchsfassung nach Hauptantrag. Der erteilte Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
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„1. Vorrichtung mit einem Tank (1), zum Besprühen und zum Gießen von Pflanzen, wobei an den Tank (1) im Bereich einer ersten Öffnung (2) eine Sprühvorrichtung (3) angekoppelt ist und eine Tülle (4) mit einer zweiten Öffnung (5) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung zwei Griffe und/oder Griffbereiche (8, 9) aufweist, wobei ein erster Griff oder Griffbereich (8) speziell zur Handhabung beim Sprühen vorgesehen ist, während ein zweiter Griff oder Griffbereich (9) speziell zur Handhabung beim Gießen vorgesehen ist und wobei der erste Griff oder Griffbereich (8) – bezogen auf eine waagrecht gehaltene Vorrichtung und/oder bezogen auf eine auf einer waagrechten Fläche abgestellten Vorrichtung – lotrecht oberhalb des Schwerpunktes (16) der Vorrichtung und/oder – bezogen auf eine waagrecht gehaltene Vorrichtung und/oder bezogen auf eine auf einer waagrechten Fläche abgestellten Vorrichtung – lotrecht oberhalb des gemeinsamen Schwerpunktes (16) von Vorrichtung und Wasserfüllung – vorzugsweise bei Sollfüllstand – angeordnet ist.“
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Die weiteren erteilten Patentansprüche 2 bis 10 betreffen Weiterbildungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1.
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Zur Begründung ihrer Beschwerde hat die Patentinhaberin schriftsätzlich im Wesentlichen vorgetragen, dass die Schlussfolgerung der Patentabteilung, es handle sich bei den in der Druckschrift E17 gezeigten Figuren um maßstabsgetreue Darstellungen, nicht richtig sei. Aufgrund dessen könne aus solchen schematischen Darstellungen die Lage des Schwerpunktes für eine darin gezeigte Vorrichtung nicht bestimmt werden. Für die Bestimmung der Lage des Schwerpunktes müsse der Fachmann vielmehr Versuche und/oder Berechnungen durchführen. Hierfür müsse der Fachmann, ein Designer ohne technische Ausbildung mit mehrjähriger Berufserfahrung, jedoch sein Fachwissen zur Hilfe nehmen. Hinzu komme, dass es für die Lehre der E17 nicht darauf ankomme die Handhabung der Gießkanne durch eine Optimierung der Lage des Schwerpunktes relativ zum ersten Griff zu vereinfachen. In der E17 sei die Lage des Schwerpunktes für die darin schematisch dargestellte Gießkanne somit weder unmittelbar d.h. wörtlich, noch eindeutig d.h. mittels Berechnung offenbart. Selbst wenn davon auszugehen sei, dass die Gießkanne in der E17 maßstabsgetreu wiedergegeben sei, läge bei dieser Ausführungsform der Schwerpunkt keinesfalls lotrecht unterhalb des ersten Griffs.
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Auch die Entgegenhaltung E4 stelle nach Ansicht der Patentinhaberin keinen neuheitsschädlichen Stand der Technik dar. Der Grund hierfür sei, dass die Gießkanne vom Typ „Garden Sprayer LS-60005“ der E4 nur einen einzigen Griff zum Handhaben der Gießkanne aufweise und damit keinen patentgemäßen ersten Griff speziell zur Handhabung beim Sprühen besitze. Darüber hinaus könne anhand der perspektivischen Ansicht aller in E4 gezeigten Gießkannen-Modelle die Position des Schwerpunkts bei diesen Gießkannen nicht bestimmt werden.
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Auf die offenkundige Vorbenutzung der in E4 gezeigten Gießkannen-Modelle sei die Patentabteilung zu Recht nicht eingegangen, da die Einsprechende selbst die Modelle LS-60001 und LS-60005 erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents erworben habe und diese zudem nicht mit den in der E4 gezeigten Modellen übereinstimmten.
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Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit führt die Patentinhaberin aus, dass sich keines der im Einspruchsverfahren befindlichen Dokumente mit der Problematik von Kipp- und/oder Querkräften befasse, die beim Sprühen auf die Hand des Benutzers einwirken würden. Demzufolge offenbare keines der Dokumente die Ausgestaltung einer Gießkanne mit einem ersten Griff speziell zum Sprühen, der lotrecht oberhalb des Schwerpunktes der Gießkanne angebracht sei. Ausgehend von E17 erhalte der Fachmann hierfür ebenfalls keine Anregung. In Anbetracht dessen sei der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag auch erfinderisch. Auf die Hilfsanträge 1 bis 10 müsse infolgedessen aus der Sicht der Patentinhaberin nicht näher eingegangen werden.
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Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin hat mit Schriftsatz vom 10. Februar 2020 mitgeteilt, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Es gilt somit der Antrag der Patentinhaberin aus dem Schriftsatz vom 16. September 2015,
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den Beschluss der Patentabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts vom 23. April 2015 aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, hilfsweise im Umfang eines der Hilfsanträge 1 bis 10 vom 23. April 2015.
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Die Einsprechende beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie tritt dem Vorbringen der Patentinhaberin in allen Punkten entgegen und führt im Wesentlichen Folgendes aus:
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Der Widerrufsgrund des § 21 (1) Nr. 2 PatG sei erfüllt, da der Fachmann aufgrund der unvollständigen Offenbarung einer nur zweidimensionalen Form der patentgemäßen Gieß- und Sprühvorrichtung im Streitpatent nicht erkennen könne, wie er die Vorrichtung ausbilden müsse, um den ersten Griff/Griffbereich lotrecht oberhalb des Schwerpunktes einer nicht befüllten bzw. befüllten Vorrichtung anordnen zu können. Unbeachtlich dessen werde der Fachmann von der Offenbarung der Streitpatentschrift im Unklaren darüber gelassen, wie der im Streitpatent angesprochene Sollfüllstand der Gieß- und Sprühvorrichtung zu definieren sei. Aber nicht nur die Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 sei nicht ausführbar, sondern auch die Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 2, da sich im Streitpatent keine Angaben dazu fänden, was der Fachmann tun müsse, um die darin genannten Kipp- und/oder Querkräfte zu vermeiden, wobei davon auszugehen sei, dass sich diese Kräfte aufgrund der Beabstandung des Griffs zum Handgelenk nie vollständig beseitigen lassen. Auch der erteilte Patentanspruch 5 beschreibe mit der darin genannten „…automatischen Tendenz sich in die geneigte Gießstellung zu begeben…“ lediglich eine Aufgabe, aber keine Lösung.
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Die Neuheit der Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 sei nach Ansicht der Einsprechenden gegenüber den in der Druckschrift
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E3 Auszug aus dem Katalog JINMA 2007, „Trigger Sprayer“, Modelle JM136 bis JM152
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gezeigten Modellen JM151/152 zu verneinen. Aber auch die beiden in der E4 gezeigten Modelle LS-60001 und LS-60005 würden sämtliche Merkmale der Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 aufweisen, was die von der Einsprechenden durchgeführten Versuche zur Schwerpunktbestimmung gemäß
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E9 Verwendetes Verfahren zur Schwerpunktbestimmung, vom 4. September
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2013, S. 1 bis 3
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bestätigen würden. Gegen die Neuheit der patentgemäßen Vorrichtung spreche ferner die offenkundige Vorbenutzung der in E4 gezeigten Modelle LS-60001 und LS-60005. Nachdem das Modell LS-60005 bis auf unwesentliche Einzelheiten, wie die Form des Sprühkopfes, mit dem in der Druckschrift
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E5 Auszug aus dem Katalog JINMA 2007, „Trigger Sprayer“, Modelle JM78-1 bis JM80
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gezeigten Modell JM80 übereinstimme, stehe auch das Modell JM80 der Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 neuheitsschädlich entgegen.
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Die Patentfähigkeit der Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 sei nach Auffassung der Einsprechenden zudem wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit zu verneinen. Ausgehend von dem Dokument E5 sei dem Fachmann die Vorrichtung JM80 bekannt, die sich von der geschützten Vorrichtung lediglich darin unterscheide, dass ihr ein Griffbereich zum einhändigen Besprühen von Pflanzen fehle. Allerdings könne der Fachmann das Modell JM80 in der Art der aus E3 bekannten Produkte JM151/152 mit einem verlängerten Griffbereich für die Betätigung der Sprühfunktion fortbilden und gelange so in naheliegender Weise zur patentgemäßen Vorrichtung. Eine entsprechende Argumentation gelte auch dann, wenn der Fachmann statt des Modells JM80 das Modell LS-60005 des Dokuments E4 als Ausgangspunkt für seine Überlegungen wähle. Auch das Dokument E17 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen oder in Zusammenschau mit dem Dokument E4 rücke eine Vorrichtung mit dem patentgemäßen Merkmal, wonach der Griff des Sprühkopfes lotrecht oberhalb des Schwerpunkts der befüllten und/oder nicht befüllten Vorrichtung liege, in das Blickfeld des Fachmanns. Denn für das Vorsehen dieses Merkmals bedürfe es keiner gesonderten Anregung im Stand der Technik, da der Fachmann biomechanische Aspekte stets berücksichtige. Allein aufgrund seines Fachwissens ziehe der Fachmann demzufolge in Betracht, dass eine Schwerpunktverschiebung in Richtung des Handgelenks für die Ergonomie des Griffes von Bedeutung ist, um so die Hebelwirkungen auf das Handgelenk, welches natürlicher Weise einen gewissen Abstand zum Griff des Sprühkopfes aufweise, so gering wie möglich zu gestalten. Ausgehend von E17 liege es für den Fachmann daher nahe die Form der in E17 gezeigten Kanne entsprechend dem in E4 gezeigten Modell LS-60001 zu gestalten und damit die Aufgabe im patentgemäßen Sinn zu lösen.
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Wegen weiterer Einzelheiten insbesondere dem Wortlaut der erteilten Patentansprüche 2 bis 10 wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig (PatG § 73) und erweist sich auch als begründet.
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1. Das Streitpatent betrifft eine Vorrichtung mit einem Tank zum Besprühen und zum Gießen von Pflanzen (vgl. Streitpatent, Abs. [0001]).
33
Einleitend führt das Streitpatent anhand einiger Beispiele aus, dass sich die aus dem Stand der Technik bekannten Gießkannen mit Sprüh- und Gießfunktion insofern als nachteilig erweisen, als sie insbesondere bei der Betätigung der Sprühfunktion umständlich und in einer für den Benutzer anstrengenden Weise festzuhalten sind (vgl. Streitpatent, Abs. [0002 bis 0009]).
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2. Ausgehend davon liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde eine Gieß-kanne bereitzustellen, die ergonomisch und kraftschonend – insbesondere bei Betätigung der Sprühfunktion – handhabbar ist (vgl. Streitpatent, Abs. [0010]).
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Für die Definition einer davon abweichenden Aufgabenstellung besteht vorliegend keine Veranlassung. Hiervon ist auszugehen, weil den Angaben im Streitpatent zur Folge mit der Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 das patentgemäße Ziel erreicht wird, eine komfortabel und ergonomisch handhabbare Gieß- und Sprühvorrichtung bereitzustellen, bei der auf die Hand des Benutzers beim Sprühen keine Kipp- und/oder Querkräfte wirken (vgl. Streitpatent, Abs. [0012 und 0013]). Folglich orientiert sich die in der Streitpatentschrift wiedergegebene Aufgabenstellung an der tatsächlichen Leistung der Erfindung und ist somit als eine im patentgemäßen Sinn korrekte objektive Aufgabe zu bewerten.
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Die Einsprechende wendet hiergegen ein, dass Kipp- und Querkräfte aufgrund des Abstandes der Vorrichtung zum Handgelenk nie vollständig vermieden werden könnten, so dass mit der patentgemäßen Lösung die im Streitpatent genannten Vorteile nicht erreichbar seien. Nach Ansicht der Einsprechenden könne die patentgemäße Aufgabenstellung daher allenfalls in der Bereitstellung einer Vorrichtung zum Besprühen und Gießen von Pflanzen mit bestimmten Kipp- und/oder Querkräften gesehen werden oder in der Bereitstellung einer Kanne mit dem Schwerpunkt unter dem ersten Griff.
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Diesem Einwand kann nicht gefolgt werden. Grundlage für die Formulierung einer Aufgabe sind nicht ausschließlich die in der Streitpatentschrift genannten Vorteile, sondern auch diejenigen Vorteile, die der Fachmann der Darstellung der Erfindung im Streitpatent entnimmt. So versteht es sich für den Fachmann im vorliegenden Fall von selbst, dass mit der patentgemäßen Vorrichtung keine physikalischen Grundsätze aufgehoben werden können, sondern bei der patentgemäßen Vorrichtung lediglich der Einfluss von physikalischen Größen, wie Kipp- und/Querkräften, soweit minimiert werden kann, dass die patentgemäße Vorrichtung eine ergonomisch vorteilhafte Handhabung der Sprühfunktion ermöglicht (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 1 Rdn 49). Am Erreichen dieses Vorteils bestehen keine Zweifel, da Angaben, die die vorteilhafte Wirkung der patentgemäßen Vorrichtung widerlegen würden, nicht vorliegen.
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Die zweite von der Einsprechenden vorgeschlagene Aufgabenstellung, eine Kanne mit dem Schwerpunkt unter dem ersten Griff bereitzustellen, enthält durch die Korrelation von Schwerpunkt und erstem Griff bereits Teile der Lösung. Nachdem eine objektive Aufgabenstellung jedoch frei von Lösungsansätzen sein muss, handelt es sich auch bei dieser Aufgabe um keine Alternative zur patentgemäß formulierten Aufgabenstellung. Es ist daher an der im Streitpatent genannten Aufgabe festzuhalten.
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3. Gelöst wird die patentgemäße Aufgabe mit der Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1, die folgende Merkmale aufweist:
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M1 Vorrichtung mit einem Tank zum Besprühen und Gießen von Pflan-
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zen, wobei
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M2 an den Tank im Bereich einer ersten Öffnung eine Sprühvorrich-
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tung angekoppelt ist und
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M3 eine Tülle mit einer zweiten Öffnung vorgesehen ist;
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M4 zudem weist die Vorrichtung zwei Griffe oder Griffbereiche auf,
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M4.1 von denen ein erster Griff oder Griffbereich speziell zur Handha-
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bung beim Sprühen vorgesehen ist,
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M4.2 während ein zweiter Griff oder Griffbereich speziell zur Handhabung
49
beim Gießen vorgesehen ist, wobei
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M5 der erste Griff oder Griffbereich bezogen auf eine waagrechte Positionierung der Vorrichtung
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M5.1 lotrecht oberhalb des Schwerpunkts der Vorrichtung und/oder
52
M5.2 lotrecht oberhalb des gemeinsamen Schwerpunkts von Vorrichtung
53
und Wasserfüllung – vorzugsweise bei Sollfüllstand – angeordnet
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ist.
55
4. Mit der Lösung einer solchen Aufgabe ist in der Praxis ein Industriedesigner betraut. Dieser verfügt neben seinem künstlerischen Fachwissen zugleich über so viel an technischer Erfahrung, dass er bei den zu gestaltenden Gegenständen auch ergonomische Aspekte berücksichtigen kann. Hiervon ist deshalb auszugehen, weil zu den Fähigkeiten eines Industriedesigners neben der Gestaltung der äußeren Erscheinungsform von industriell gefertigten Produkten auch ein handwerklich-technisches Know-how, insbesondere die Ergonomie, gehört. Außerdem entwickelt der Industriedesigner die Lösungen zu der ihm übertragenen Aufgabenstellung üblicher Weise in Projektarbeit praxisnah und häufig in direkter Zusammenarbeit mit der Entwicklungs- und Konstruktionsabteilung bzw. der Produktion eines Unternehmens, so dass er auf diesem Wege weitere technische Informationen erhält.
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5. Bezüglich der Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche 1 bis 10 bestehen keine Bedenken. Deren Merkmale sind aus den Ansprüchen 1 bis 10 sowie den Beschreibungsabsätzen [11, 12, 13 und 15] der Offenlegungsschrift herleitbar. Sie entsprechen überdies den erteilten Patentansprüchen 1 bis 10 im Wortlaut. Die Ansprüche sind auch sonst nicht zu beanstanden.
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6. Vor der Beurteilung der Patentfähigkeit sind die im erteilten Patentanspruch 1 genannten Merkmale M5, M5.1 und M5.2 auszulegen, um deren technische Bedeutung klarzustellen (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 14 Rdn 19).
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Aus der Tatsache, dass der erteilte Patentanspruch 1 in Bezug auf die Abmessungen, das Material sowie die Gestalt der patentgemäßen Gießvorrichtung allgemein formuliert ist, ergibt sich für den Fachmann bei der gebotenen funktionsorientierten Auslegung der patentgemäßen Merkmale M5.1 und M5.2, dass es sich bei dem darin genannten „Schwerpunkt“ keinesfalls um einen einzigen definierten Schwerpunkt handeln kann, sondern um einen variablen Schwerpunkt handeln muss. Zumal bei der Definition des „Schwerpunkts“ vorliegend zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass sich dieser bei der patentgemäßen Vorrichtung nicht nur in Abhängigkeit von der Form der Gießkanne, sondern auch in Abhängigkeit von der in der Gießkanne vorhandenen Wassermenge verlagert. Für die patentgemäße Gieß- und Sprühvorrichtung sind daher zwei Schwerpunktzonen zu definieren: Eine erste Schwerpunktzone für die leere Vorrichtung, innerhalb derer der erste Griff oder Griffbereich abhängig von der Gestalt der Vorrichtung liegt und eine zweite Schwerpunktzone, in der sich der Schwerpunkt abhängig von der Wassermenge bewegt.
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Demnach versteht der Fachmann unter dem in den patentgemäßen Merkmalen M5.1 und M5.2 angegebenen „Schwerpunkt“ denjenigen Bereich, in dem sich die beiden zuvor genannten Schwerpunktzonen bei der jeweiligen Vorrichtung überschneiden, da nur so gewährleistet ist, dass die Handhabung der Vorrichtung gerade im befüllten Zustand – auf den es bei deren Handhabung aufgrund des erhöhten Gewichts der Vorrichtung durch die darin enthaltene Flüssigkeit maßgeblich ankommt – ohne störende Kipp- und/oder Querkräfte im patentgemäßen Sinn möglich ist (vgl. Streitpatent, Abs. [0011 bis 0013]). Dies macht zugleich deutlich, dass der Fachmann bei der zwischen den patentgemäßen Merkmalen M5.1 und M5.2 verwendeten „und/oder-Verknüpfung“ allein aufgrund seiner Fachkenntnis erkennt, dass sich dabei nur die „oder-Verknüpfung“ und damit die Kombination der Merkmale M5 und M5.2 als technisch sinnvoll erweist. Im Folgenden wird nur von dieser Merkmalskombination ausgegangen und diese u.a. auch als Merkmalsgruppe M5 bezeichnet.
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Die Wassermenge kann den Angaben in der Streitpatentschrift zur Folge in der Vorrichtung bis zu einem sog. „Sollfüllstand“ reichen (vgl. Streitpatentschrift, Abs. [0029]). Die Klägerin weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass für den Fachmann nicht ersichtlich sei, welcher Füllstand dem „Sollfüllstand“ entspreche. Hierin sieht der mit der Konzeption von Gieß- und Sprühvorrichtungen für Pflanzen befasste Fachmann jedoch keine Unklarheit, da ihm bekannt ist bis zu welcher Füllhöhe in der Branche solche Gefäße regelmäßig befüllt werden. Ohne anderweitige Angaben im Streitpatent geht der Fachmann folglich bei einem allgemein genannten „Sollfüllstand“ stets von dem fachüblichen Füllstand aus.
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Die im erteilten Patentanspruch 1 vorgesehene Kombination des Merkmals M5 mit dem Merkmal M5.2 fordert ferner, dass sich der Griff der Sprühvorrichtung in seiner jeweiligen räumlichen Ausformung lotrecht oberhalb des Schwerpunkts befindet. Dies macht für den Fachmann deutlich, dass es für die patentgemäße Lehre nicht darauf ankommt, den Sprühkopf lotrecht oberhalb des Schwerpunktes zu platzieren, sondern nur den Griff des Sprühkopfes, wie dies beispielhaft in der Figur 1 des Streitpatents veranschaulicht ist. Nachdem die Form des Griffs im Streitpatent nicht näher definiert wird, ergibt sich für den Fachmann aus der Merkmalsgruppe M5 somit die Lehre, dass nicht die Form von Sprühkopf und/oder Gießvorrichtung maßgeblich ist, sondern allein die Korrelation zwischen dem Schwerpunkt der Vorrichtung und der Platzierung des ersten Griffs für den Sprühkopf lotrecht oberhalb des Schwerpunkts.
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7. Ausgehend von dem zuvor unter Punkt II.6 definierten Sinngehalt der Merkmale M5, M5.1 und M5.2 ergibt sich ferner, dass die technische Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
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Es ist zwar zutreffend, dass die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 weder die räumlich-körperliche Gestaltung der patentgemäßen Gießvorrichtung näher definieren, noch anhand der schematischen Darstellung der in der patentgemäßen Figur 1 gezeigten Ausführungsform eine Schwerpunktbestimmung möglich ist.
64
Die in der patentgemäßen Figur 1 gezeigte Ausführungsform weist dem Fachmann jedoch die entscheidende Richtung, in der er weiterarbeiten kann, um eine Gießvorrichtung mit den patentgemäßen Merkmalen bereitstellen zu können. Das Erfordernis, hierfür eine zweidimensionale schematische Darstellung einer patentgemäßen Gießvorrichtung in eine dreidimensionale Raumform überführen zu müssen, geht dabei nicht über das allgemeine Können und Wissen des Fachmanns hinaus. In Kenntnis des prinzipiellen Aufbaus der patentgemäßen Ausführungsform kann der Fachmann nämlich allein durch Routineversuche ermitteln, an welcher Stelle die im patentgemäßen Ausführungsbeispiel gezeigte Vorrichtung in ihrer dreidimensionalen Form noch bauchiger bzw. flacher, kürzer bzw. länger und/oder noch schmäler bzw. breiter ausgestaltet werden kann, um nach wie vor die patentgemäßen Merkmale zu erfüllen. Das Maß des Zumutbaren übersteigen solche Versuche auch nicht dadurch, dass der Fachmann erst mehrere Gießkannen-Modelle nach dem Schema der patentgemäßen Figur 1 herstellen muss, um herauszufinden, wo bei dem jeweiligen 3D-Modell der erste Griff/Griffbereich anzubringen ist, damit dieser sich entsprechend dem patentgemäßen Merkmal M5.2 lotrecht oberhalb des Schwerpunktes sowohl der leeren als auch der befüllten Gießvorrichtung befindet (vgl. Schulte, PatG, 10. Auflage, § 34 Rdn 351, Punkt g). Die exakte Bestimmung des Lots beanstandet die Einsprechende dabei als unmöglich, legt hierfür aber keine Beweise vor, so dass der Senat keine Veranlassung dafür sieht an einer exakten Bestimmung des Lots zu zweifeln. Die im erteilten Patentanspruch 1 beschriebene technische Lehre ist daher im gesamten beanspruchten Umfang ausführbar.
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Der von der Einsprechenden auch auf die Unteransprüche 2 und 5 erstreckte Widerrufgrund des § 21 (1) Nr. 2 PatG geht aus folgenden Gründen ebenfalls ins Leere:
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In dem erteilten Patentanspruch 2 wurde im Vergleich zum erteilten Patentanspruch 1 lediglich die Wirkungsangabe aufgenommen „…ohne dass auf die an dem ersten Griff oder Griffbereich (8) haltende Hand Kipp- und/oder Querkräfte wirken.“ Technische Maßnahmen, die über diejenigen im erteilten Patentanspruch 1 – auf den Patentanspruch 2 rückbezogen ist – genannten Maßnahmen hinausgehen, beinhaltet der Patentanspruch 2 nicht. Ein Rückgriff auf die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 zur Verwirklichung der patentgemäßen Wirkungsangabe nach Patentanspruch 2 erscheint vorliegend allerdings ausreichend, da die patentgemäße Aufgabenstellung bereits auf eine Verbesserung der Ergonomie der patentgemäßen Gießvorrichtung ausgerichtet ist. Folglich sind schon die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 darauf abgestimmt die patentgemäße Aufgabe zu lösen und damit auch in der Lage, die im erteilten Patentanspruch 2 genannte Vermeidung von Kipp- und/oder Querkräften auf die Hand, die den ersten Griff/Griffbereich hält, zu bewirken. Folglich erfordert eine Verwirklichung des im erteilten Patentanspruch 2 zusätzlich genannten Merkmals keine weitergehenden Informationen.
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Für die Realisierung der im erteilten Patentanspruch 5 angegebenen Eigenschaft und Positionierung des zweiten Griffs – betreffend das einhändige Tragen der Vorrichtung am zweiten Griff, das Ausgießen von Wasser aus dem Tank durch eine Tülle über den zweiten Griff sowie eine Positionierung des zweiten Griffs an der Vorrichtung derart, dass die Vorrichtung automatisch die Tendenz hat sich in die geneigte Gießstellung zu begeben – kann sich der Fachmann an bereits bekannten Gießvorrichtungen orientieren, da die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 5 lediglich bekannte Eigenschaften solcher Vorrichtungen beschreiben. Es ist daher nicht erkennbar, weshalb der Fachmann nicht in der Lage sein soll, diese Merkmale zu verwirklichen. Beweise dafür, dass die Merkmale des erteilten Patentanspruchs 5 nicht realisierbar sind, hat die Einsprechende jedenfalls nicht erbracht, so dass aus der Sicht des Senats keine Veranlassung dafür besteht, an der Ausführbarkeit der im erteilten Patentanspruch 5 beschriebenen Lehre zu zweifeln.
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8. Hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichkeit der Katalogauszüge E3, E4 und E5 vor dem Anmeldetag des Streitpatents – dem 22. Januar 2010 – ist nach allgemeiner Lebenserfahrung die Wahrscheinlichkeit, dass die Kataloge „JINMA 2007“ (= E3, E5) und „LISI CATALOG 2004“ (= E4) in den angegebenen Jahren tatsächlich einer breiten Öffentlichkeit zugänglich waren, als sehr hoch einzustufen. Obwohl die Einsprechende hierfür zwar keinen eindeutigen Beweis erbracht hat, werden die Dokumente E3, E4 und E5 im Folgenden dennoch als relevanter Stand der Technik berücksichtigt.
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9. Die Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 ist neu.
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Im Rahmen ihres Neuheitsangriffes macht die Einsprechende eine offenkundige Vorbenutzung der in der Druckschrift E3, E4 oder E5 gezeigten Gießkannen vom Typ JM151/JM152 gemäß E3, vom Typ LS-60001/LS-60005 gemäß E4 bzw. vom Typ JM80 gemäß E5 geltend. Allerdings hat die Einsprechende keine Beweise dafür vorgelegt, wann, wo, wie und wer die jeweiligen Gießkannen vor dem Anmeldetag des Streitpatents benutzt, verkauft oder in anderer Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Die offenkundige Vorbenutzung, an die ein strenger Beweismaßstab anzulegen ist, ist demzufolge nicht ausreichend substantiiert und geht damit ins Leere.
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Unabhängig von der offenkundigen Vorbenutzung der in der Druckschrift E3, E4 oder E5 zeigten Gießkannenmodelle vertritt die Einsprechende die Ansicht, dass jedes der genannten Dokumente eine Vorrichtung mit sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 offenbare. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.
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Es ist zwar festzustellen, dass jedes der Dokumente E3 und E4 Gießkannen mit einer zweifachen Funktion zeigt, die einerseits das Besprühen und andererseits das Gießen von Pflanzen ermöglichen. Die fotographischen Darstellungen der Modelle JM151/JM152 in der E3 bzw. der Modelle LS-60001/LS-60005 in der E4 offenbaren somit Vorrichtungen mit den patentgemäßen Merkmalen M1 bis M3. Aufgrund des relativ großen Abstandes zwischen dem zentralen Wasserreservoir und dem Sprühkopf erkennt der Fachmann bei den Gießkannen vom Typ JM151/JM152 der E3 bzw. vom Typ LS-60001 der E4 ferner, dass jede dieser Gießkannen über zwei Griffe verfügt, von denen der eine jeweils für die Bedienung der Sprühfunktion vorgesehen ist, während der andere der Betätigung der Gießfunktion dient (vgl. E3, letzte Bildreihe von unten oder E4, S. 110, letzte Bildreihe von unten, linke Produktgruppe). Demzufolge erfüllt jedes der zuvor genannten Gießkannenmodelle im Dokument E3 bzw. E4 zusätzlich die patentgemäßen Merkmale M4 bis M4.2.
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Mit fachmännischem Blick mag den fotographischen Darstellungen dieser Gießkannenmodelle darüber hinaus noch zu entnehmen sein, dass sich der Sprühkopf mit seinem dazugehörigen Griff/Griffbereich bei diesen Gießkannen oberhalb der für das Ausgießen von Wasser geeigneten Tülle befindet. Darin ist jedoch keine Offenbarung der patentgemäßen Merkmale M5 und M5.2 zu erkennen. Einerseits wird der Schwerpunkt in der Druckschrift E3 bzw. E4 weder angesprochen, noch ist dieser in den zweidimensionalen Darstellungen eingezeichnet. Andererseits ist es unbestritten, dass sich der Schwerpunkt aus zweidimensionalen Darstellungen, wie in E3 bzw. E4 gezeigt, für die jeweiligen Vorrichtungen nicht errechnen lässt, sondern nur durch Versuche ermittelt werden kann, was die Einsprechende selbst durch ihren Versuchsbericht E9 bestätigt. Ohne Kenntnis des Schwerpunktes ist jedoch eine Offenbarung der in den patentgemäßen Merkmalen M5 und M5.2 enthaltenen Lehre nicht möglich, da nach dieser der Griff/Griffbereich des Sprühkopfes lotrecht oberhalb des Schwerpunkts zu platzieren ist. Demzufolge kann der Fachmann die patentgemäße Merkmalsgruppe M5 der Druckschrift E3 bzw. E4 weder unmittelbar noch eindeutig entnehmen (vgl. BGH GRUR, 2009, 382 bis 388, Rdn 25 – Olanzapin (Juris-Version)). Aus den zuvor genannten Gründen liest der Fachmann die Merkmale M5 und M5.2 im Sinne der BGH-Entscheidung „Proteintrennung“ auch nicht mit (vgl. BGH GRUR 2014, 758, Leitsatz 2a – Proteintrennung).
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Die Einsprechende vertritt diesbezüglich die Auffassung, dass für den Fachmann die Bestimmung des Schwerpunkts bei Gieß- und Sprühvorrichtungen etwas Selbstverständliches darstellte und er, wie im Versuchsbericht E9 gezeigt, allein aufgrund seines allgemeinen Fachwissens eine Schwerpunktbestimmung durchführen könne. Die Ermittlung des Schwerpunktes führe nach Ansicht der Einsprechenden demzufolge nicht zu einer Ergänzung der Offenbarung von E3 bzw. E4, die über Selbstverständliches hinausgehe.
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Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Dem Fachmann mögen Methoden zur Schwerpunktbestimmung geläufig sein und die Bestimmung der Position des Schwerpunkts bei einer Sprüh- und Gießvorrichtung für ihn auch zur Routine gehören. Die technische Information, die der fachmännische Leser bei vollständiger Ermittlung des Sinngehalts der Druckschrift E3 bzw. E4 entnimmt, beinhaltet aber weder Aussagen zum Schwerpunkt noch zu dessen Bedeutung für die Ergonomie des Griffs/Griffbereichs am Sprühkopf. Um aus den Darstellungen der E3 bzw. E4 zu der patentgemäßen Merkmalsgruppe M5 zu gelangen, muss der Fachmann somit sein Fachwissen zu Rate ziehen. Zum einen muss er mit Hilfe seines Fachwissens die Lage des Schwerpunktes einer vollen sowie einer leeren Gießvorrichtung bestimmen. Zum anderen muss er aus seinem Fachwissen auf die Kenntnis zurückgreifen, dass sich bei einem Körper, der sich im stabilen Gleichgewicht befindet, die am Körper angreifenden Kräfte gegenseitig kompensieren (vgl. E10, S. 213/214, Stichwort „Gleichgewicht“). Übertragen auf die Gießkannen der E3 bzw. E4 muss der Fachmann daraus überdies den Schluss ziehen, dass auf den Griff/Griffbereich des Sprühkopfes dann die geringsten Kräfte wirken, wenn sich der Griff/Griffbereich lotrecht oberhalb des Schwerpunktes befindet. Weder die Druckschrift E3 noch die Druckschrift E4 offenbart eine Vorrichtung mit den patentgemäßen Merkmalen M5 und M5.2. Um zur patentgemäßen Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 zu gelangen ist der Fachmann deshalb gezwungen, die Offenbarung der Druckschrift E3 bzw. E4 durch sein Fachwissen zu ergänzen, was einer Neuheitsschädlichkeit der genannten Druckschriften entgegensteht (vgl. BGH GRUR 2014, 758, Rdn. 39 – Proteintrennung, mwN).
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Auch die Druckschrift E5 kann die Neuheit der im erteilten Patentanspruch 1 beschriebenen Vorrichtung nicht in Frage stellen. Die Kannen mit Gieß- und Sprühfunktion vom Typ JM80 der Druckschrift E5 weisen außer einem Schraubverschluss zur Befestigung des Sprühkopfes am Wassertank keinen als Griff nutzbaren Abschnitt auf. Die Einsprechende hat durch einen Versuch zwar veranschaulicht, dass ein Benutzer grundsätzlich in der Lage ist, die Gießkanne an der Verbindungsstelle zwischen Sprühkopf und Wassertank zu umgreifen. Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Fachmann allein durch die Betrachtung der Modelle JM80 keine Gießkanne unmittelbar und eindeutig erkennen kann, die neben einem Griff für die Gießfunktion auch einen Griff speziell zu Handhabung der Sprühfunktion besitzt. Diese Sichtweise bestätigen die übrigen in E5 gezeigten, als reine Pflanzensprühvorrichtungen ausgestalteten Modelle JM78 und JM79, die im Gegensatz zum Modell JM80 stets einen im Vergleich zum Wassertank schmalen, länglichen Abschnitt zwischen Sprühkopf und Wassertank aufweisen, der mangels anderweitiger Griffmöglichkeiten der Handhabung der Sprühvorrichtung dient. Die einzige in der Druckschrift E5 gezeigte Gießkanne mit Gieß- und Sprühfunktion vom Typ JM80 weist einen solchen Abschnitt allerdings nicht auf. Sie erfüllt das patentgemäße Merkmal M4.1 daher nicht.
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Aus der Sicht der Einsprechenden kommt als neuheitsschädlichen Stand der Technik des Weiteren die Druckschrift E17 in Frage. Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Die Druckschrift E17 beschreibt eine für den häuslichen Gebrauch geeignete Bewässerungsvorrichtung, die ein Verteilen der Flüssigkeit auf unterschiedliche Weise ermöglicht (vgl. E17, S. 1, Z. 22 bis S. 2, Z. 12). Hierfür weist diese Vorrichtung, wie in Figur 3 gezeigt, drei Öffnungen auf. Bei der Öffnung (12) handelt es sich um die Öffnung einer Tülle zum Ausgießen von Wasser, auf die Öffnung (10) kann eine Sprühvorrichtung (16) aufgeschraubt werden, und die Öffnung (9) dient dazu Wasser in die Vorrichtung einzufüllen (vgl. E17, S. 3 iVm Figuren 1 und 3). Bei dieser Vorrichtung kann außerdem durch das Umgreifen des Halses der Sprühvorrichtung (16) Wasser versprüht werden, oder beim Umgreifen des Griffes (14) Wasser aus der Vorrichtung über die Tülle (11) ausgegossen werden, wofür jeweils nur eine einzige Hand benötigt wird (vgl. E17, S. 3, Z. 27 bis S. 4, Z. 1). Damit ist der E17 eine Gießvorrichtung mit den patentgemäßen Merkmalen M1 bis M4.2 zu entnehmen.
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Über den Schwerpunkt der Gießvorrichtung wird in der E17 nichts ausgesagt. Auch die Position der an der Gießvorrichtung angebrachten Sprühvorrichtung (16) wird in der E17 nicht thematisiert. Zudem schweigt die Beschreibung der E17 zur Position und Art des Griffs/Griffbereichs der Sprühvorrichtung. Nähere Angaben macht die E17 lediglich zu dem Haltelement (13) mit dem geraden Griff (14), welches allerdings lediglich dazu geeignet ist Flüssigkeit über die Tülle (12) auszugießen. Eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung dafür, dass es bei kombinierten Sprüh- Gießvorrichtungen auf eine lotrechte Positionierung des Griffs der Sprühvorrichtung oberhalb des Schwerpunkts der Gießvorrichtung, entsprechend den patentgemäßen Merkmalen M5 und M5.2, ankommt, findet sich in der E17 somit nicht.
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Hieran ändert auch die in der Figur 4 gezeigte Ausführungsform nichts. Die schematische Darstellung dieser Gießvorrichtung weist zwar eine vom Griff der Sprühvorrichtung senkrecht nach unten verlaufende gestrichelte Linie auf (vgl. E17, Fig. 4 iVm S. 4, Z. 2 bis 5 und Anspruch 8). Mit dieser Linie wird allerdings nur der Verlauf einer im Inneren der Gießvorrichtung vorgesehenen, undurchlässigen Wand (119) symbolisiert, die zwei unterschiedliche Flüssigkeiten im Hohlraum der Gießvorrichtung voneinander trennt und es auf diese Weise ermöglicht, dass über den Sprühkopf (16) eine andere Flüssigkeit versprüht werden kann, als über die Tülle (11) ausgegossen wird.
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Dem Argument der Einsprechenden, der Fachmann lese die patentgemäßen Merkmale M5 und M5.2 in der E17 mit, da er bei der Figur 4 von einer maßstabsgetreuen Darstellung einer spiegelsymmetrisch aufgebauten Vorrichtung ausgehe, kann sich der Senat nicht anschließen. Zum einen geht der Fachmann keinesfalls davon aus, dass es sich bei der schematischen Darstellung der Figur 4 um eine maßstabsgetreue Abbildung handelt, da in der gesamten Druckschrift E17 kein Maßstab angegeben wird. Zum anderen beinhaltet die E17 – wie bereits zuvor in Verbindung mit den Druckschriften E3 und E4 dargelegt – keinerlei Informationen zu den patentgemäßen Merkmalen M5 und M5.2. Ein Mitlesen der patentgemäßen Merkmale M5 und M5.2 würde daher auch in diesem Fall zu einer unzulässigen Ergänzung der Offenbarung von E17 führen.
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10. Die Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1 beruht zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit.
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Ein möglicher Ausgangspunkt für die patentgemäße Aufgabenstellung ist die in der Druckschrift E5 gezeigte Sprüh- und Gießvorrichtung vom Typ JM80 (vgl. E5, letzte Bildreihe von unten, rechte Produktgruppierung). Diese Vorrichtung macht auf den ersten Blick deutlich, dass ein einhändiger Betrieb dieser Vorrichtung beim Sprühen nur schwer möglich ist. Um diesen Nachteil zu beseitigen und eine Sprüh-/Gieß-kombination bereitstellen zu können, bei der insbesondere die Sprühfunktion ergonomisch und kraftschonend handhabbar ist – wie es die vorliegend unter Punkt II.2 definierte Aufgabenstellung vorsieht – orientiert sich der Fachmann folglich an weiteren im Stand der Technik bekannten Vorrichtungen, die sich zum Besprühen und Gießen von Pflanzen eignen. Beim Durchblättern des JINMA Katalogs 2007, aus dem auch der Auszug E5 stammt, stößt der Fachmann auch auf die Katalogseite, die vorliegend als Dokument E3 bezeichnet wird, auf der Sprüh-/Gießkombi-nationen für Pflanzen zu sehen sind, die die Bezeichnung JM151/JM152 tragen (vgl. E3, letzte Bildreihe von unten). Im Vergleich zu den Vorrichtungen der E5 fällt bei diesen Gießkannen auf, dass der Wassertank im Bereich zwischen dem Schraubverschluss für den Sprühkopf und dem Tankkörper verlängert ist, ohne dadurch jedoch die Standfestigkeit der Vorrichtung zu beeinträchtigen. In dieser Verlängerung des Tankkörpers erkennt der Fachmann einen eigenen Griff/Griffbereich zur Betätigung des Sprühkopfes.
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Nach Ansicht der Einsprechenden gelange der Fachmann durch die Zusammenschau von E5 und E3 somit in naheliegender Weise zur Vorrichtung des erteilten Patentanspruchs 1. Dies gelte aus der Sicht der Einsprechenden auch für eine kombinierte Betrachtung der Druckschriften E5 und E4, da die E4 mit dem Modell LS-60001 eine zu den Modellen JM151/JM152 der E3 nahezu baugleiche Sprüh-/Gießvorrichtung zeige (vgl. E4, S. 110, letzte Bildreihe von unten, linke Produktgruppe). Die Einsprechende begründet ihre Sichtweise damit, dass mit den patentgemäßen Merkmalen M5 und M5.2 kein besonderer technischer Effekt verbunden sei, sondern diese Merkmalsgruppe lediglich eine platte Selbstverständlichkeit wiedergebe. Dem Fachmann sei bekannt, dass sich ein Körper, der an einem Punkt lotrecht oberhalb seines Schwerpunktes gehalten werde, in einem stabilen Gleichgewicht befinde, also in einem Zustand, in dem sich die an der Vorrichtung angreifenden Kräfte gegenseitig kompensierten. Die Ausnutzung dieses Effekts sei von jeder beliebigen Sprühflasche bekannt und könne daher keine erfinderische Tätigkeit begründen. Infolgedessen ergebe sich das Naheliegen der patentgemäßen Vorrichtung auch aus einer Zusammenschau der Druckschrift E17 mit der Druckschrift E4 oder dem allgemeinen Fachwissen.
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Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Es mag zwar zutreffend sein, dass ein Vergleich des in E5 gezeigten Modells JM80 mit den Modellen JM151/152 der E3 bzw. mit dem Modell LS-60001 der E4 dazu anregt, den Wassertank in Richtung des Sprühkopfes zu verlängern, um so einen speziellen Griff/Griffbereich zur Bedienung des Sprühkopfes zu schaffen. Dadurch werden aber allenfalls die patentgemäßen Merkmale M4, M4.1 und M4.2 in das Blickfeld des Fachmanns gerückt.
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Ein gleichzeitiges Naheliegen der Merkmalsgruppe M5 kann auf diese Weise jedoch nicht begründet werden. Zunächst steht es außer Frage, dass dem allgemeinen Können und Wissen des Fachmanns das von der Einsprechenden angesprochene physikalische Prinzip des stabilen Gleichgewichts ebenso zuzurechnen ist, wie die Bestimmung des Schwerpunkts bei einer Vorrichtung. Aufgrund seiner zusätzlichen biomechanischen Kenntnisse liegt es für den Fachmann durch die Kombination von E5 bzw. E17 mit E3 und/oder E4 zudem zweifelsohne auf der Hand bei einer Sprüh-/Gießkombination darauf zu achten, dass der Schwerpunkt der Vorrichtung unter dem Sprühkopf liegt, um so den Einfluss von nachteiligen Kipp- und Querkräften bei dessen Bedienung weitestgehend zu vermeiden.
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Daraus kann allerdings kein Naheliegen der patentgemäßen Merkmale M5 und M5.2 abgeleitet werden. Denn anders als die Lehre, die sich aus einer Zusammenschau von E5 bzw. E17 mit E3 und/oder E4 sowie dem allgemeinen Fachwissen ergibt, fordert die patentgemäße Merkmalsgruppe M5 eine Platzierung des Griffs/Griffbereichs für den Sprühkopf lotrecht oberhalb des Schwerpunks einer Vorrichtung und nicht, dass sich die Symmetrieachse des Sprühkopfes lotrecht oberhalb des Schwerpunktes befindet. Zudem unterliegt die Gestaltung des Griffs/Griffbereichs nach der patentgemäßen Lehre keinerlei Begrenzung, wohingegen die Druckschriften E3, E4, E5 und E17 auf konkrete Formen fixiert sind. Aufgrund dessen erhält der Fachmann in keiner der genannten Druckschriften einen Hinweis auf die patentgemäße Merkmalsgruppe M5. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da sich keines der genannten Dokumente E3, E4, E5 und/oder E17 mit der Ergonomie von Griffen an Sprüh-/Gießkombinationen für Pflanzen befasst. Auch über die Lage des Schwerpunktes bei solchen Vorrichtungen wird in keiner der genannten Druckschriften etwas ausgesagt, was schon zuvor unter Punkt II.9 ausführlich erörtert wurde. Trachtet der Fachmann, wie im vorliegenden Fall, folglich danach, die Ergonomie des Griffs/Griffbereichs für die Sprühfunktion einer Gießkanne zu verbessern, hat er ausgehend von den oben genannten Dokumenten eine Vielzahl an Möglichkeiten, wie er dieses Ziel erreichen kann. Er kann versuchen den Kraftaufwand für die Handpumpe zu reduzieren oder er kann die Form des Griffs/Griffbereichs am Sprühkopf weiter optimieren. Er kann aber auch versuchen den Sprühhebel durch einen anderen, leichter zu bedienenden Mechanismus zu ersetzten. Einen zusätzlichen Beleg dafür, dass dem Fachmann zur Lösung der ihm gestellten Aufgabe eine breite Palette an Möglichkeiten zur Verfügung steht, liefert der in der einleitenden Beschreibung der Streitpatentschrift zitierte Stand der Technik. Nachdem allerdings weder dieser Stand der Technik, noch der vorliegend zitierte Stand der Technik in Form der Druckschriften E3, E4, E5 und E17 mit seinen ausschließlich fotographischen Darstellungen eine Anregung oder einen Hinweis dafür liefert, dass bei der Verbesserung der Ergonomie eines Griffs/Griffbereichs für den Sprühkopf einer Gießkanne biomechanischen Gesichtspunkten eine Vorrangstellung einzuräumen ist, kann keine Rede davon sein, dass eine Vorrichtung mit den patentgemäßen Merkmalen M5 und M5.2 für den Fachmann naheliegt. Anders ausgedrückt, gelangt der Fachmann zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 nur in Kenntnis der Erfindung und damit nur durch eine unzulässige rückschauende „ex post“ Betrachtung.
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Die weiteren im Verfahren genannten Druckschriften sind entweder nachveröffentlicht, oder nur für die von der Einsprechenden geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung von Bedeutung. Deren Berücksichtigung führt daher ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis.
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11. Nach alledem hat der Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung Bestand.
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Mit ihm sind auch die auf ihn rückbezogenen, auf Ausgestaltungen der hauptanspruchsgemäßen Vorrichtung gerichteten Unteransprüche 2 bis 10 bestandsfähig.