Steuerrecht

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 6. Mai 2014 IX R 39/13 – Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften nach der BVerfG-Entscheidung “Rückwirkung im Steuerrecht I”)

Aktenzeichen  IX R 48/13

Datum:
6.5.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 23 Abs 1 S 1 EStG 2002
§ 23 Abs 3 S 1 EStG 2002
§ 23 Abs 3 S 4 EStG 2002
§ 52 Abs 39 S 1 EStG 2002
Art 3 Abs 1 GG
Art 20 Abs 1 GG
StEntlG 1999/2000/2002
§ 118 Abs 2 FGO
Spruchkörper:
9. Senat

Leitsatz

1. NV: Wird eine Immobilie nach Ablauf der ursprünglichen Spekulationsfrist von zwei Jahren und vor Ablauf der neuen Spekulationsfrist von zehn Jahren veräußert, sind die Sonderabschreibungen und AfA-Beträge, die in der Zeit bis zur Verkündung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 zum 1. April 1999 in Anspruch genommen worden sind, dem nicht steuerbaren Zeitraum zuzuordnen.
2. NV: Die in Ziff. II.1 des BMF-Schreibens vom 20. Dezember 2010 (BStBl I 2011, 14) vorgesehene Vereinfachungsregel, wonach bei der Ermittlung des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 im Vergleich zur Gesamtbesitzzeit linear (monatsweise) zu ermitteln ist, entspricht insoweit nicht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, als dadurch Wertsteigerungen, die im Fall einer Veräußerung vor dem 1. April 1999 nicht steuerverhaftet waren, nachträglich in die Besteuerung einbezogen werden (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76).
3. NV: Die nicht mit Verfahrensrügen angegriffene Annahme des FG, aufgrund der Wertentwicklung der Immobilie im gesamten Haltezeitraum habe der Verkehrswert des streitigen Grundstücks zum 31. März 1999 unter den Anschaffungskosten gelegen und sei danach bis zur Veräußerung weiter gesunken, so dass im Zeitraum nach dem 31. März 1999 kein steuerverhafteter Veräußerungsgewinn anfalle, ist möglich und in sich schlüssig und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze oder gesetzliche Auslegungsregeln, so dass der BFH an diese zu den tatsächlichen Feststellungen gehörende Gesamtwürdigung des FG gebunden ist.

Verfahrensgang

vorgehend FG Düsseldorf, 25. April 2013, Az: 8 K 3988/11 F, Urteil

Tatbestand

1
I. Die Beteiligten streiten über die Höhe eines Gewinns bzw. Verlusts aus der Veräußerung eines Grundstücks im Hinblick auf die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) teilweise für verfassungswidrig erklärte Verlängerung der Spekulationsfrist von zwei auf zehn Jahre.
2
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden im Streitjahr 2006 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erwarb mit Vertrag vom 28. Juni 1996 ein Grundstück mitsamt einem noch zu errichtenden Einfamilienhaus für 285.000 DM (145.718 €). Die Anschaffungskosten einschließlich Nebenkosten beliefen sich auf 150.754 €. Der Kläger vermietete anschließend das Grundstück mitsamt fertiggestelltem Gebäude. Am 9. August 2005 übertrug der Kläger das Grundstück unentgeltlich an die Klägerin. Am 30. März 2006 veräußerte die Klägerin das Grundstück für 91.000 €.
3
Die Kläger nahmen hinsichtlich der Gebäudeherstellungskosten in Höhe von 138.120 € in den Jahren 1996 bis 1998 eine Sonderabschreibung nach § 4 des Fördergebietsgesetzes in Höhe von 68.530 € vor (67.999 € in 1996, 210 € in 1997 und 321 € in 1998). Daneben wurden Absetzungen für Abnutzung (AfA) nach § 7 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 2 % pro Jahr vorgenommen (227 € in 1996, 2.737 € in 1997, 2.763 € jeweils von 1998 bis 2005 und 1.152 € in 2006). Insgesamt beliefen sich die Sonderabschreibungen und AfA auf 94.750 €.
4
In der Einkommensteuererklärung für 2006 erklärten die Kläger einen Gewinn aus der Veräußerung des Grundstücks in Höhe von 31.829 € und äußerten zugleich verfassungsrechtliche Zweifel an der Verlängerung der Spekulationsfrist auf zehn Jahre durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 –StEntlG 1999/2000/2002– (BGBl I 1999, 402).
5
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) folgte der Berechnung der Kläger. Unter Berücksichtigung der zum 31. Dezember 2005 festgestellten verbleibenden Verlustvorträge ergaben sich jedoch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften von 0 €. Insoweit stellte das FA den verbleibenden Verlustvortrag des Klägers zum 31. Dezember 2006 mit 27.892 € und der Klägerin mit 27.432 € fest. Das anschließende Einspruchsverfahren ruhte zunächst im Hinblick auf die beim BVerfG anhängigen Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Verlängerung der Spekulationsfrist. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76 wurde die Einspruchsbearbeitung wieder aufgenommen. Nunmehr vertrat das FA die Auffassung, dass auf der Grundlage des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 20. Dezember 2010, BStBl I 2011, 14, unter II.1. der Umfang des steuerbaren Wertzuwachses entsprechend dem Verhältnis der Besitzzeit nach dem 31. März 1999 im Verhältnis zur Gesamtbesitzzeit linear aufzuteilen sei. Daher berechnete es den Veräußerungsgewinn der Kläger wie folgt:
6
Zeitraum
Wertzuwachs
        
Gesamtbesitzzeit = 117 Monate
31.829 €
        
Zeitraum vor dem 31. März 1999 = 33 Monate
8.978 €
steuerfrei
1. April 1999 bis 30. März 2006 = 84 Monate
22.851 €
steuerpflichtig
7
Das FA erließ entsprechend geänderte Verlustfeststellungsbescheide und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
8
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen erhobenen Klage statt. Der in der Zeit von der Anschaffung des Grundstücks bis Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31. März 1999 entstandene Wertzuwachs sei steuerfrei zu stellen. Nach der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 127, 1, BStBl II 2011, 76 sei maßgeblich, ob der Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen enthalte, die bis zum 31. März 1999 entstanden und steuerfrei hätten realisiert werden können. Wäre das Grundstück bis zum 31. März 1999 veräußert worden, hätten die bis dahin in Anspruch genommenen AfA und die Sonderabschreibung den Veräußerungsgewinn zwar erhöht, dieser wäre aber nach Ablauf der zweijährigen Spekulationsfrist steuerfrei gewesen. Die Kläger hätten daher darauf vertrauen dürfen, die Wertzuwächse steuerfrei vereinnahmen zu dürfen und insoweit eine konkret verfestigte schutzwürdige Vermögensposition erlangt. Da der tatsächliche Wert des Grundstücks zum 31. März 1999 nicht feststehe, sei der Gewinn in einen bis zum 31. März 1999 entstandenen steuerfreien Wertzuwachs und in einen auf den Zeitraum danach entfallenden steuerbaren Wertzuwachs aufzuteilen. Dabei seien die Abschreibungsbeträge den Zeiträumen zuzuordnen, in denen sie tatsächlich gewährt worden seien und sich steuerlich ausgewirkt hätten. Demzufolge ergebe sich hier für die Zeit nach dem 31. März 1999 kein Veräußerungsgewinn. Die Höhe des bis zum 31. März 1999 infolge der Sonderabschreibung entstandenen Wertzuwachses stehe fest und sei einer Schätzung nicht zugänglich. Das FA habe auch eine Wertsteigerung nach dem 31. März 1999 nicht nachgewiesen. Da es sich insoweit um eine steuerbegründende Tatsache handele, obliege dem FA die Feststellungslast. Da entsprechend den Angaben der Kläger und den von ihnen vorgelegten Unterlagen bis zur Veräußerung des Grundstücks fortlaufend ein Wertverfall zu verzeichnen gewesen und ein deutlicher Veräußerungsverlust erzielt worden sei, beruhe die Annahme eines Veräußerungsgewinns durch das FA ausschließlich auf der zeitanteiligen Aufteilung der in Anspruch genommenen Sonderabschreibung. Ordne man die Sonderabschreibung dem Zeitraum vor dem 31. März 1999 zu, ergebe sich in diesem Zeitraum ein nicht steuerbarer Wertzuwachs und für den Zeitraum ab dem 1. April 1999 kein steuerbarer Veräußerungsgewinn.
9
Mit seiner Revision bringt das FA vor, das FG gehe fehlerhaft davon aus, dass Abschreibungen und AfA Wertzuwächse im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG darstellten. Unter Wertzuwachs sei eine Steigerung des Werts zu verstehen. Die AfA sei aber das genaue Gegenteil, nämlich eine Wertminderung von Anlagevermögen. Dies folge auch aus § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG, der nur die Anschaffungskosten mindere, nicht aber den Wert des Wirtschaftsguts erhöhe. Nach Auffassung des BVerfG sowie auch nach Ansicht des vorlegenden Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) im Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02 (BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284) sei eine typisierende Aufteilung des Veräußerungsgewinns in einen steuerbaren und nicht steuerbaren Teil nach dem Verhältnis der Besitzzeit ausdrücklich zulässig. Zudem schreibe § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG einen generellen Ansatz von Abschreibungen und damit auch der Sonderabschreibung vor. Dies schließe eine konkrete Zuordnung von Sonderabschreibungen zu einem bestimmten Zeitraum aus. Die Sonderabschreibung wolle dem Eigentümer angesichts des Zustands der Wohnungen im Beitrittsgebiet einen Anreiz geben, Neubauten und Modernisierungsmaßnahmen im Fördergebiet unverzüglich vorzunehmen. Das Vorziehen steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten habe allein den Charakter einer Steuerstundung, die zu einem Ausgleich in späteren Zeiträumen und damit nicht zu einem endgültigen Steuervorteil führen solle. Durch die Zuordnung der Sonderabschreibungen zu einem konkreten Zeitraum verbleibe bei den Klägern jedoch ein Steuervorteil, der vom Gesetzgeber in dieser Form nicht beabsichtigt gewesen sei.
10
Das FA beantragt,das Urteil des FG Düsseldorf vom 25. April 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
11
Die Kläger beantragen,die Revision zurückzuweisen.

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