Aktenzeichen VI R 21/15
Leitsatz
1. Bei Selbständigen und Gewerbetreibenden, deren Einkünfte naturgemäß stärkeren Schwankungen unterliegen, ist bei der Ermittlung des Nettoeinkommens regelmäßig ein Dreijahresdurchschnitt zu bilden (Bestätigung des Senatsurteils vom 28. März 2012 VI R 31/11, BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769).
2. Steuerzahlungen sind von dem hiernach zugrunde zu legenden unterhaltsrelevanten Einkommen grundsätzlich in dem Jahr abzuziehen, in dem sie gezahlt wurden (Bestätigung des Senatsurteils in BFHE 237, 79, BStBl II 2012, 769).
3. Führen Steuerzahlungen für mehrere Jahre jedoch zu nicht unerheblichen Verzerrungen des unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommens im Streitjahr, sind die im maßgeblichen Dreijahreszeitraum geleisteten durchschnittlichen Steuerzahlungen zu ermitteln und vom “Durchschnittseinkommen” des Streitjahres abzuziehen.
Verfahrensgang
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 19. Februar 2015, Az: 16 K 10187/14, Urteil
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19. Februar 2015 16 K 10187/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Tatbestand
1
I. Streitig ist die Berechnung der nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) abziehbaren Unterhaltsleistungen bei einem Selbständigen, der Steuerzahlungen für mehrere Jahre geleistet hat.
2
Der mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr (2012) Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 425.642 €. In den Jahren 2010 bis 2012 betrug der Durchschnitt seiner Einkünfte aus selbständiger Arbeit 483.096 €. Daneben erwirtschafteten die Eheleute im Streitjahr noch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 4.190 € bzw. 2.934 €. Im Streitjahr leistete der Kläger Zahlungen für Einkommensteuer 2009 (in Höhe von 1.085 €), 2010 (in Höhe von 210.905,31 €), 2011 (in Höhe von 195.059 €) und 2012 (in Höhe von 129.657 €) sowie für Solidaritätszuschlag und Annexsteuern 2009 (in Höhe von 59,67 €), 2010 (in Höhe von 9.974,41 €), 2011 (in Höhe von 10.520,10 €) und 2012 (in Höhe von 7.140 €). Hierfür verwendete er u.a. Bankguthaben in Höhe von 270.288,44 € und 140.696,87 €.
3
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragten der Kläger und seine Ehefrau, für Unterhaltsleistungen an die beiden volljährigen Söhne des Klägers und Stiefsöhne der Ehefrau gemäß § 33a Abs. 1 EStG einen Betrag in Höhe von jeweils 8.004 € als außergewöhnliche Belastungen anzusetzen. Die Söhne A und B studierten im Streitjahr und wohnten in Y bzw. Z. Nach den Angaben in der Steuererklärung bezogen beide keine eigenen Einkünfte und Bezüge oder öffentlichen Ausbildungshilfen. Des Weiteren lebte der Sohn der Ehefrau und Stiefsohn des Klägers C im Haushalt des Klägers und seiner –insoweit kindergeldberechtigten– Ehefrau.
4
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt –FA–) berücksichtigte die geltend gemachten Unterhaltsleistungen im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung nicht, weil die sog. Opfergrenze aufgrund der Steuerzahlungen im Streitjahr von insgesamt ca. 564.000 € unterschritten worden sei. Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage hingegen statt. Es führte aus, das FA habe die Opfergrenze vorliegend fehlerhaft berechnet. Denn es habe außer Acht gelassen, dass der Kläger zur Abdeckung der Steuerschulden angesparte Mittel in Höhe von etwa 410.000 € eingesetzt habe.
5
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
6
Es beantragt,das Urteil des Niedersächsischen FG vom 19. Februar 2015 16 K 10187/14 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7
Der Kläger beantragt,die Revision zurückzuweisen.
8
Während des Revisionsverfahrens ist das Bundesministerium der Finanzen (BMF) dem Rechtsstreit gemäß § 122 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beigetreten.