Steuerrecht

Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten

Aktenzeichen  II B 30, 32-34, 38/18, II B 30/18, II B 32/18, II B 33/18, II B 34/18, II B 38/18

Datum:
17.7.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2019:B.170719.IIB30.18.0
Normen:
§ 96 Abs 1 Halbs 1 FGO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
§ 116 Abs 6 FGO
§ 81 Abs 1 S 1 FGO
§ 8 AO
§ 2 Abs 1 Nr 1 S 2 Buchst a ErbStG 1997
§ 2 Abs 1 Nr 1 S 2 Buchst b ErbStG 1997
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

1. Das FG verstößt gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn es seine Entscheidung maßgeblich auf eine Zeugenaussage oder Unterlagen stützt, wobei weder die protokollierten Bekundungen des Zeugen noch die in den Akten befindlichen Unterlagen die durch das FG gezogenen Schlussfolgerungen stützen .
2. Beantragt der Beschwerdeführer im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur eine teilweise Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit er beschwert ist, betrifft die Entscheidung aber einen nicht teilbaren Streitgegenstand, ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass die vollständige Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung der Streitsache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG begehrt wird.

Verfahrensgang

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 24. Oktober 2017, Az: 1 K 431/16, Urteilvorgehend Hessisches Finanzgericht, 24. Oktober 2017, Az: 1 K 1140/16, Urteilvorgehend Hessisches Finanzgericht, 24. Oktober 2017, Az: 1 K 1150/16, Urteilvorgehend Hessisches Finanzgericht, 24. Oktober 2017, Az: 1 K 1152/16, Urteilvorgehend Hessisches Finanzgericht, 24. Oktober 2017, Az: 1 K 1156/16, Urteil

Tenor

Die Verfahren II B 30/18, 32-34/18 und 38/18 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Auf die Beschwerden der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision werden die Urteile des Hessischen Finanzgerichts vom 24. Oktober 2017 – 1 K 431/16, 1 K 1140/16, 1 K 1150/16, 1 K 1152/16 und 1 K 1156/16 aufgehoben.
Die Sachen werden an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen.
Diesem werden die Entscheidungen über die Kosten der Beschwerdeverfahren übertragen.

Tatbestand

I.
1
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) lebte mehrere Jahre in eheähnlicher Gemeinschaft mit dem am 15. November 2012 verstorbenen italienischen Staatsangehörigen X in der Schweiz.
2
Bis zum 19. Juni 2002 betrieb die Klägerin in … ein Einzelunternehmen und wurde wegen ihres Wohnsitzes in der im Inland angemieteten Wohnung bis 2002 als unbeschränkt steuerpflichtig zur Einkommensteuer veranlagt. Unter der Wohnungsadresse war sie beim Einwohnermeldeamt der Stadt O bis Ende 2011 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Mit notariell beurkundeter letztwilliger Verfügung vom 12. Juli 2011 (Testament) setzte X die Klägerin als Alleinerbin ein. Im Testament wird als Adresse der Klägerin die inländische Wohnung angegeben. Seit 1. Januar 2012 ist die Klägerin bei der Schweizer Meldebehörde angemeldet.
3
Die inländische Wohnung wurde durch den Aufsichtsdienst S betreut. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) suchte S die Wohnung täglich auf, leerte regelmäßig den Briefkasten, stellte im Winter die Heizung an und führte alle anstehenden Arbeiten (beispielsweise Reinigungsarbeiten) aus.
4
Nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen die Klägerin u.a. wegen des Verdachts der Hinterziehung von Schenkungsteuer für den Zeitraum ab 2007 fand am 5. Februar 2014 eine Durchsuchung der inländischen Wohnung durch Beamte der Steuerfahndung in Anwesenheit der Mitarbeiter der S statt.
5
Am 19. März 2015 erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) mehrere Schenkungsteuerbescheide gegenüber der Klägerin. Die Schenkungsteuer belief sich für die Zuwendungen im Jahr2007 auf 4.784 €,
2008 auf 8.993 €,
2010 auf 366.060 €,
2011 auf 7.800 € und
2012 auf 27.870 €.
6
Das FA ging davon aus, dass diese Erwerbe der unbeschränkten Steuerpflicht unterlägen. Die Klägerin habe einen inländischen Wohnsitz in ihrer Wohnung unterhalten, die vollständig mit Festnetztelefon, Möbeln, Kleidung und Bad-Accessoires ausgestattet gewesen sei. Das nach den Ermittlungen der Steuerfahndung gefertigte Bewegungsprofil der Jahre 2004 bis 2013 zeige, dass die Klägerin während der maßgeblichen Zeiträume sich längere Zeit im Inland aufgehalten und hier ihren Lebensmittelpunkt gehabt habe.
7
Die Einsprüche und Klagen hatten überwiegend keinen Erfolg. Das FG verhandelte am 21. August 2017 und am 24. Oktober 2017 mündlich. Am 21. August 2017 hörte es zu der Dauer und dem Umfang der Nutzung der inländischen Wohnung durch die Klägerin u.a. den Zeugen E (Mitarbeiter der S) und zu den Feststellungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens und der Durchsuchung der Wohnung als Zeugen u.a. die Beamten der Steuerfahndung Zeuge A, Zeuge B und Zeuge C. Am 24. Oktober 2017 verlas das FG u.a. die schriftlichen Aussagen der Zeuginnen K (Schwester der Klägerin) und I (Nichte der Klägerin).
8
In den Urteilsbegründungen führte das FG aus, bei den Zahlungen an die Klägerin handle es sich um freigebige Zuwendungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Die Zuwendungen fielen zumindest unter die erweiterte unbeschränkte Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG, da die Klägerin sich im Jahr 2007 zumindest noch nicht länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten habe, ohne einen inländischen Wohnsitz zu haben. Die Klägerin habe zumindest bis in das Jahr 2008 hinein ihre zum dauerhaften Wohnen geeignete Mietwohnung regelmäßig in einem Umfang aufgesucht und genutzt, der einer Aufgabe des Wohnsitzes entgegenstehe. So seien von ihr im Februar/März 2008 und von August bis Oktober 2008 in O Arzttermine wahrgenommen, Geschäfte aufgesucht und vom Festnetzanschluss der Wohnung diverse Telefongespräche geführt worden. Die Inlandsaktivitäten der Klägerin würden durch die glaubhafte Aussage des Zeugen E i.V.m. den Protokollen der S bestätigt. Die Klägerin habe nach der Aussage des Zeugen E die täglichen Kontrolltermine der S stets für die Zeiträume abbestellt, in denen sie sich in ihrer Wohnung aufgehalten habe. Danach ergebe sich, dass die Klägerin vom 11. Februar 2008 bis 26. Mai 2008 und ab dem 19. August 2008 keine Kontrollen ihrer Wohnung habe durchführen lassen. Diese Zeiträume würden sich mit den vorgelegten Unterlagen über die Inlandsaktivitäten der Klägerin und das durch das FA gefertigte Bewegungsprotokoll decken.
9
Mit ihren Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin geltend, die Rechtssache habe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere nach § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Außerdem rügt sie nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO diverse Verfahrensmängel, auf denen die Urteile beruhen könnten. Das FA tritt den Beschwerden entgegen.

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