Steuerrecht

Einkommensteuerrechtliche Qualifikation von Preisgeldern aus Turnierpokerspielen

Aktenzeichen  X R 34/16

Datum:
7.11.2018
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2018:U.071118.XR34.16.0
Normen:
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2002
§ 15 Abs 2 EStG 2002
§ 228 AO
§ 229 Abs 1 S 1 AO
§ 231 Abs 1 S 1 Nr 3 AO
§ 232 AO
EStG VZ 2005
EStG VZ 2006
EStG VZ 2007
Spruchkörper:
10. Senat

Leitsatz

1. NV: Die Teilnahme an Turnierpokerspielen kann als Gewerbebetrieb i.S. von § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG zu qualifizieren sein .
2. NV: Das Turnierpokerspiel ist nach einkommensteuerrechtlichen Maßstäben im Allgemeinen nicht als reines –und damit per se nicht steuerbares– Glücksspiel, sondern als Mischung aus Glücks- und Geschicklichkeitsspiel einzustufen .
3. NV: Da Zahlungsansprüche des FA gegen den Steuerschuldner auch während eines Rechtsstreits über die Steuerfestsetzung verjähren und damit erlöschen können, sofern das FA in dieser Zeit keine taugliche Unterbrechungshandlung vornimmt, ist der Eintritt der Zahlungsverjährung in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen .

Verfahrensgang

vorgehend FG Münster, 18. Juli 2016, Az: 14 K 1370/12 E,G, Urteil

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 18. Juli 2016 14 K 1370/12 E,G aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Münster zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.
1
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte in den Jahren 2004 bis 2006 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Angestellter. Darüber hinaus nahm er in den Streitjahren 2005 bis 2007 häufig an Pokerturnieren teil. Die Turniere fanden in verschiedenen Städten und Ländern (A, B, C, D, E, F) statt.
2
Aus der Teilnahme an den Turnieren erzielte der Kläger in den Streitjahren aufgrund seines Spielerfolges wiederholt Preisgelder. Es fielen dabei Reisekosten, Teilnahmegebühren und Ausgaben für am Gewinn beteiligte Dritte an. Ferner nahm der Kläger in Spielcasinos außerhalb von Turnieren an verschiedenen sog. “Cash Games” und “Black Jack” teil.
3
Ab April 2008 arbeitete der Kläger wieder bei seinem früheren Arbeitgeber als Angestellter.
4
Am 16. Oktober 2009 wurde gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Verkürzung der Einkommensteuer für das Jahr 2007 eingeleitet. Das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (StrafaFA) begann am 1. Dezember 2009 eine Fahndungsprüfung, die u.a. die Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 2005 bis 2007 zum Gegenstand hatte. Im Rahmen einer Hausdurchsuchung wurde eine Aufstellung beschlagnahmt, die vom Kläger erstellt worden war. Diese Aufstellung beinhaltet die Höhe der Spielgewinne des Klägers aus der Teilnahme an Pokerturnieren sowie die damit im Zusammenhang stehenden Startgelder, Trinkgelder, Reisekosten und die an Dritte abgeführten Gewinnbeteiligungen. Nach dieser Aufstellung nahm er insgesamt an 91 Tagen an turniermäßigen Pokerveranstaltungen teil. Der damalige Bevollmächtigte des Klägers äußerte gegenüber der zuständigen Fahndungsprüferin, der Kläger habe in den Jahren 2004 und 2005 in etlichen Spielbanken an Glücks- und Geschicklichkeitsspielen (u.a. “Black Jack”) teilgenommen und insoweit öfter für den Spieleinsatz Bargeld abgehoben und bei entsprechendem Gewinn Bareinzahlungen getätigt. Das StrafaFA stufte die Betätigung als Pokerspieler als gewerbliche Tätigkeit ein und schätzte die Einkünfte aus der Teilnahme an Pokerturnieren auf Grundlage der im Rahmen der Hausdurchsuchung vorgefundenen Aufstellung. Die außerhalb von Pokerturnieren in Spielcasinos erzielten Gewinne schätzte das StrafaFA in Höhe von 25.000 €.
5
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) folgte der Auffassung des StrafaFA und erließ am 7. Februar 2011 für das Jahr 2006 einen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer (festgesetzte Einkommensteuer: 70.502 €) und setzte am selben Tag erstmalig Einkommensteuer für das Jahr 2005 (20.233 €) sowie mit Bescheiden vom 26. Februar 2011 erstmalig Gewerbesteuer-Messbeträge für die Jahre 2005 bis 2007 (2005: 214 €, 2006: 7.805 € und 2007: 0 €) fest.
6
Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die daraufhin erhobene Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2016, 1864 veröffentlichtem Urteil ab. Der Kläger habe sowohl mit seiner Tätigkeit als Kartenspieler bei Turnierpokerveranstaltungen als auch bei “Cash Games” (u.a. “Black Jack”) in Spielcasinos Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt. Der Ansatz seiner Einkünfte aus dieser gewerblichen Tätigkeit sei im Ergebnis auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
7
Mit seiner Revision rügt der Kläger, in verfahrensrechtlicher Hinsicht habe das FG den Sachverhalt bezüglich seiner vermeintlichen Spielfähigkeiten nicht ausreichend aufgeklärt. Die Spielfertigkeiten seien anhand der sog. “kritischen Wiederholungshäufigkeit” des einzelnen Spielers zu bestimmen (sog. CRF-Wert). Der Erfolg beim Pokerspiel hänge sowohl vom Glück als auch von der Geschicklichkeit der Spieler ab. Je häufiger das Spiel wiederholt werde, desto größer werde die Bedeutung des Geschicks für das Spielergebnis. Maßgeblich sei zudem das Geschick der anderen Mitspieler. Zur Feststellung seiner Spielerfähigkeiten hätte das FG den CRF-Wert des Klägers und seiner Mitspieler unter Berücksichtigung der von ihm gespielten Turniere ermitteln müssen. Eine Besteuerung des Gewinns komme nur in Betracht, sofern das Ergebnis des Pokerturniers nicht maßgeblich vom Glück, sondern wesentlich vom Geschick des Spielers abhängig gewesen sei.
8
Die Frage, ob ein Spiel den Tatbestand des Glücksspiels erfülle, sei keine Tatsache, sondern eine rechtliche Würdigung. Die rechtliche Beurteilung des FG, wonach es sich bei dem Turnierpokerspiel um ein Geschicklichkeitsspiel handele, sei fehlerhaft. Das FG beziehe sich zwar auf straf- und verwaltungsrechtliche Literatur zur Untersuchung der Glücksspieleigenschaft des Pokerspiels, diese belege die Einordnung des Turnierpokerspiels als Geschicklichkeitsspiel indes nicht. Die internationale Rechtsprechung und Literatur gehe vielmehr mehrheitlich von der Glücksspieleigenschaft des Pokerspiels aus. Insbesondere komme für Österreich der dortige unabhängige Finanzsenat in seiner Entscheidung vom 24. Juli 2007 ZI RV/0369-W/02 zu der zutreffenden Wertung, dass auch das bei Turnieren durchgeführte Pokerspiel in der Variante “Texas Hold’em” ein Glücksspiel darstelle. Die Annahme, im Rahmen der Teilnahme an Pokerturnieren überwiege die Geschicklichkeitskomponente die Glückskomponente, sei daher unzutreffend. Vielmehr zeige sich, dass der Zufall bzw. das Glück die maßgebliche Determinante bilde. Ein Leistungsaustausch finde daher nicht statt.
9
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien Einnahmen aus Glücksspielen, wie Rennwetten und Lotteriespielen nicht als steuerbar angesehen worden. Vor diesem Hintergrund überzeuge auch die Aussage des erkennenden Senats nicht, der einkommensteuerrechtliche Begriff des Gewerbebetriebs kenne das Tatbestandsmerkmal des Glücksspiels weder in positiver noch in negativer Hinsicht.
10
Zumindest bei den Turnieren, an denen der Kläger teilgenommen habe, sei eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr i.S. des § 15 Abs. 2 EStG auszuschließen. Das FG stelle darauf ab, dass der Kläger eine Tätigkeit am Markt gegen Entgelt für Dritte äußerlich erkennbar angeboten habe, indem er seine spielerischen Fähigkeiten als Dienstleistung gegenüber dem Veranstalter bei Pokerturnieren öffentlich dargeboten habe. Beim Turnierpoker sei die Leistung des einzelnen Spielers gegenüber dem Veranstalter jedoch nicht in seiner Spieltätigkeit, sondern allein in dem jeweiligen Einsatz, dem “Buy-In” des Spielers, zu sehen. Der Spieler sei nicht Leistender, sondern bloßer Konsument des Spielangebotes; er kaufe mit seinem Einsatz lediglich eine Gewinnchance. Der Kläger habe die Preisgelder damit nicht als Entgelt für eine Leistung erhalten. Bei den vom Kläger besuchten Pokerturnieren handele es sich nicht um Unterhaltungsveranstaltungen, die nahezu ausschließlich von der Mitwirkung der Kandidaten lebten.
11
Auch in Bezug auf die Beurteilung von “Cash Games” stelle sich das Urteil des FG als materiell rechtsfehlerhaft dar. “Black Jack” sei ein Glücksspiel. Dies werde durch zahlreiche fachwissenschaftliche Studien belegt. Selbst bei einer optimalen Spielstrategie könne der Spieler keine guten Gewinnchancen beim “Black Jack” erreichen. Entscheidend sei hierbei nicht das Geschick des Spielers, sondern der Zufall.
12
Dasselbe gelte auch in Bezug auf das “Poker Cash Game”. Mit Urteil vom 10. Oktober 2014 RV/3100566/2012 habe das Österreichische Bundesfinanzgericht entschieden, dass bei der als “Cash Game” gespielten Art von Poker nicht das spielerische Geschick, sondern zumindest vorwiegend der Zufall bei der Verteilung der Karten über den Spielausgang entscheide. Die Annahme des FG, der Kläger habe die Ergebnisse bei seiner Teilnahme an “Poker Cash Spielen” positiv beeinflussen können, sei damit fehlerhaft.
13
Die Zahlungsansprüche des FA seien ferner zwischenzeitlich verjährt. Die Zahlungsansprüche aus den Einkommensteuerbescheiden 2005 und 2006 seien im Jahr 2011 fällig gewesen. Damit sei bei diesen Zahlungsansprüchen Verjährung eingetreten. Unterbrechungstatbestände i.S. des § 231 der Abgabenordnung (AO) lägen im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum nicht vor.
14
Dass die Einkommensteueransprüche für die Jahre 2005 und 2006 aufgrund der eingetretenen Verjährung erloschen seien, habe gemäß § 35b des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) auch Bedeutung für die Gewerbesteuermessbescheide.
15
Der Kläger beantragt sinngemäß,das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2012 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2005 und 2006 vom 7. Februar 2011 dahingehend zu ändern, dass die Gewinne des Klägers aus der Teilnahme an Pokerturnieren und “Cash Games” nicht als gewerbliche Einkünfte berücksichtigt werden sowie die Gewerbesteuermessbescheide 2005 bis 2007 vom 26. Februar 2011 aufzuheben.
16
Das FA beantragt,die Revision des Klägers zurückzuweisen.
17
Der BFH habe Einnahmen, die beim “Backgammon-Spiel” erzielt wurden, als gewerblich klassifiziert (Verweis auf das BFH-Urteil vom 11. November 1993 XI R 48/91, BFH/NV 1994, 622). Die Erfolgschancen beim “Backgammon” hingen maßgeblich vom Würfelglück ab, so dass kein signifikanter Unterschied zum Poker bestehe. Entsprechendes gelte auch beim “Black Jack” sowie dem “Poker Cash Game”.
18
Eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 16. August 2011 habe die Zahlungsverjährung gemäß § 231 Abs. 1 Nr. 3 AO unterbrochen. Die Pfändung habe die Rückstände in Höhe von 109.545,26 € aus der Einkommensteuer 2005 und 2006 einschließlich der bis dahin angefallenen Säumniszuschläge und Vollstreckungskosten beinhaltet. Gemäß § 231 Abs. 2 Nr. 3 AO dauere eine Verjährungsunterbrechung bis zum Erlöschen des Pfändungspfandrechts an.

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