Aktenzeichen 7 C 5/16
Verfahrensgang
vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 24. November 2015, Az: 8 A 1126/14, Urteilvorgehend VG Köln, 10. April 2014, Az: 13 K 394/13
Tatbestand
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Der Kläger begehrt als Insolvenzverwalter steuerliche Auskünfte von dem für die Insolvenzschuldnerin zuständigen Finanzamt.
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Den unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) gestellten Antrag des Klägers auf Übersendung von Kontoauszügen aller dort geführten Steuerarten betreffend die Insolvenzschuldnerin für die Veranlagungszeiträume von 2009 bis einschließlich 2011 lehnte das Finanzamt ab. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht statt. Die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 24. November 2015 zurückgewiesen und dabei den Verpflichtungsausspruch im Anschluss an eine Klarstellung des Klägers insoweit neu gefasst, als die Auskunftserteilung durch Herausgabe von Kopien der Jahreskontenauszüge sich auf die Zeit bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschränkt.
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Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch folge aus § 4 Abs. 1 IFG NRW. Er sei nicht durch die Subsidiaritätsklausel des § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW ausgeschlossen. Besondere bereichsspezifische Regelungen über einen Informationsanspruch seien nicht einschlägig. Dies gelte insbesondere auch für die “absichtsvolle Nichtregelung” eines Akteneinsichtsrechts für das steuerliche Verwaltungsverfahren in der Abgabenordnung. Ein solches Verfahren sei nicht betroffen, weil der Insolvenzverwalter bei einem Auskunftsverlangen, das der Ermittlung anfechtbarer Zahlungen auf Steuerschulden diene, nicht gemäß § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO in Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners handele. Dem Anspruch stünden Versagungsgründe nicht entgegen. Ob das Steuergeheimnis nach § 30 AO einem Informationsanspruch überhaupt entgegengehalten werden könne, könne offenbleiben. Denn jedenfalls sei § 30 AO nicht verletzt. Zwar unterfielen die begehrten Steuerkontoauszüge in sachlicher Hinsicht dem Schutzbereich des Steuergeheimnisses. Mit der Mitteilung steuerlicher Verhältnisse an den Betroffenen werde nicht gegen das Steuergeheimnis verstoßen. Die begehrten Auskünfte seien aber auch gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht geheimhaltungsbedürftig. Dieser könne nach Übergang der Verfügungsbefugnis als nunmehr Betroffener im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO das Finanzamt von der Beachtung des Steuergeheimnisses selbst entbinden; dessen bedürfe es nicht, wenn der Insolvenzverwalter die Herausgabe steuerlicher Daten an sich selbst begehre. Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen gemäß § 80 Abs. 1 InsO erstrecke sich auch auf Geschäftsgeheimnisse und steuerliche Daten, soweit dies für die ordnungsgemäße Verwaltung der Insolvenzmasse und die Insolvenzabwicklung erforderlich sei. Dies ergebe sich auch daraus, dass der Insolvenzverwalter gegenüber dem Insolvenzschuldner gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse habe. Der Insolvenzschuldner habe eine Mitwirkungspflicht, welche die Verpflichtung umfasse, das Finanzamt vom Steuergeheimnis zu befreien. Die Geheimhaltungsinteressen des Insolvenzschuldners müssten deswegen zurücktreten. Das Finanzamt werde letztlich weder mit unzumutbaren “fachfremden” Prüfungspflichten belastet, noch werde durch die Erteilung der Auskunft der Anspruch der Insolvenzschuldnerin auf rechtliches Gehör verletzt.
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Mit seiner vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 30 AO. Die Durchbrechung des Steuergeheimnisses sei nicht durch eine der abschließenden Regelungen nach § 30 Abs. 4 bis 6 AO gerechtfertigt. Im Unterschied zum Insolvenzschuldner sei der Kläger als Insolvenzverwalter nicht Betroffener im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO und könne folglich von der Wahrung des Steuergeheimnisses nicht entbinden. Auf §§ 97 ff. InsO könne die Dispositionsbefugnis des Klägers nicht gestützt werden. Das dort vorgesehene Verfahren dürfe nicht umgangen werden. Die Verfügungsbefugnis gehe auch nicht nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Kläger über. Das Steuergeheimnis stehe nur bei Erfüllung der steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zur Disposition des Insolvenzverwalters. Gerade darum gehe es hier allerdings nicht, und nur deswegen sei der Anwendungsbereich des IFG NRW eröffnet. Im Übrigen werde ein solcher Übergang der Bedeutung des verfassungsrechtlich verankerten Steuergeheimnisses nicht gerecht. Zudem werde das Finanzamt mit fachfremden Prüfungspflichten überfordert.
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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2015 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 10. April 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angefochtene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision des Beklagten.
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Das Oberverwaltungsgericht hat die Insolvenzschuldnerin zum Verfahren beigeladen. Der erkennende Senat hat die Beiladung angesichts der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass insolvenzfreies Vermögen nicht vorhanden ist, aufgehoben.