Verkehrsrecht

Offensichtlicher Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis wirkt auch in einem umgetauschten EU-Führerschein fort

Aktenzeichen  3 C 26/17

Datum:
12.9.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2019:120919U3C26.17.0
Normen:
Art 2 Abs 1 EGRL 126/2006
Art 7 Abs 1 EGRL 126/2006
Art 12 Abs 1 EGRL 126/2006
§ 28 Abs 1 FeV 2010
§ 28 Abs 4 S 1 Nr 2 FeV 2010
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

Hat ein Mitgliedstaat einen EU-Führerschein unter offensichtlichem Verstoß gegen die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes ausgestellt und tauscht ein anderer Mitgliedstaat diesen Führerschein um, wirkt der Wohnsitzmangel in dem umgetauschten Führerschein fort. (wie BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2018 – 3 C 9.17 – BVerwGE 162, 308)

Verfahrensgang

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 29. August 2017, Az: 10 S 856/17, Urteilvorgehend VG Sigmaringen, 5. April 2016, Az: 7 K 2408/14

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie berechtigt war, mit ihrem britischen Führerschein Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen.
2
Der Klägerin, einer deutschen Staatsangehörigen, wurden nach Trunkenheitsfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen von 2,57 und 2,36 Promille die ihr in Deutschland 1982 und 1993 erteilten Fahrerlaubnisse entzogen. Ihre hier 1997 und 2000 gestellten Anträge auf Wiedererteilung nahm sie zurück.
3
Am 31. Mai 2005 erwarb die Klägerin eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B; als Wohnort war im Führerschein eine Adresse in Deutschland angegeben. Nachdem die Klägerin den tschechischen Führerschein bei einer Verkehrskontrolle in Deutschland vorgelegt hatte, wies sie das Landratsamt Tübingen (im Folgenden: Landratsamt) darauf hin, dass sie wegen des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis, der sich unmittelbar aus dem Führerschein ergebe, von dieser Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keinen Gebrauch machen dürfe. Daraufhin tauschte die Klägerin ihren tschechischen Führerschein am 22. Februar 2009 in einen bis zum 21. Februar 2019 gültigen britischen Führerschein um. Mit Bescheid vom 28. Juli 2009 stellte das Landratsamt – in Unkenntnis des Umtausches – fest, dass die tschechische Fahrerlaubnis der Klägerin auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unwirksam sei. Auch dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof, bei denen die Klägerin erfolglos gegen diesen Bescheid klagte, teilte sie den Umtausch nicht mit. Erst als das Landratsamt die Klägerin zur Vorlage ihres tschechischen Führerscheins aufforderte, setzte sie es über den Umtausch in Kenntnis.
4
Mit Schreiben vom 3. Juli 2013 beantragte die Klägerin beim Landratsamt, “die Inlandsgültigkeit des am 22.02.2009 durch Umschreibung eines tschechischen Führerscheins vom 31.05.2005 erlangten britischen Führerscheins anzuerkennen”.
5
Am 16. Juli 2014 hat die Klägerin (Untätigkeits-)Klage auf Anerkennung der Inlandsgültigkeit ihres britischen Führerscheins erhoben. Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat das Landratsamt eine Auskunft des Resper Casework Team der britischen Driver & Vehicle Licensing Agency – DVLA – vom 22. Februar 2016 vorgelegt; dort wird mitgeteilt, der Klägerin sei ihre britische Fahrerlaubnis am 10. Februar 2015 endgültig entzogen worden.
6
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Sie dürfte bereits unzulässig sein, da mit der Aufhebung der britischen Fahrerlaubnis ein erledigendes Ereignis eingetreten sei; jedenfalls sei sie unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung des Führerscheins. Da es infolge der Aufhebung bereits an einer gültigen EU-Fahrerlaubnis fehle, komme es nicht darauf an, ob bei der Ausstellung des britischen Führerscheins das Wohnsitzerfordernis verletzt worden sei und damit die Voraussetzungen von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorlägen.
7
Im Berufungszulassungsverfahren hat das Landratsamt eine weitere Auskunft der Driver & Vehicle Licensing Agency vom 24. Mai 2016 vorgelegt, in der die rechtskräftige Entziehung der britischen Fahrerlaubnis der Klägerin bestätigt wird.
8
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Sie habe keinen Anspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Feststellung einer Inlandsfahrberechtigung aus der britischen Fahrerlaubnis. Diesem Feststellungsbegehren stehe die bestandskräftige Entziehung der britischen Fahrerlaubnis durch die britische Fahrerlaubnisbehörde DVLA entgegen. Damit sei die Klägerin nicht, wie § 28 Abs. 1 FeV voraussetze, Inhaberin einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis. Unabhängig davon stehe einer Inlandsfahrberechtigung der Klägerin auch der Ausschlussgrund des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV entgegen, da die der britischen Fahrerlaubnis zugrundeliegende tschechische Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden sei. Diese Regelung sei auch dann anzuwenden, wenn – wie hier – ein unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ausgestellter EU-Führerschein ohne erneute Überprüfung der Fahreignung in den Führerschein eines anderen EU-Mitgliedstaates umgetauscht werde, der seinerseits keinen weiteren Wohnsitzverstoß dokumentiere. Diese Auslegung entspreche am besten dem Ziel, den die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Missbrauch des Anerkennungsgrundsatzes zu bekämpfen. Sie stehe auch im Einklang mit dem Unionsrecht. In allen Fällen, in denen im Rahmen der (mit dem Umtausch des Führerscheins zugleich erfolgenden) Neuerteilung der Fahrerlaubnis keine erneute Prüfung der Fahreignung des Betroffenen erfolge, setze die neu erteilte (zweite) Fahrerlaubnis auf der ersten Fahrerlaubnis auf. Deswegen hafteten Mängel dieser ersten Fahrerlaubnis auch der zweiten Fahrerlaubnis weiter an mit der Folge, dass dem Führerschein, der diese zweite Fahrerlaubnis dokumentiere, ebenfalls die Anerkennung versagt werden könne. Die Annahme, mit der prüfungsfreien Neuerteilung einer zweiten Fahrerlaubnis im Wege des Umtauschs würden Mängel der umgetauschten (ersten) Fahrerlaubnis geheilt, finde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keine Grundlage. Dort sei geklärt, dass ein Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung eines Führerscheins ablehnen könne, der auf der Grundlage eines Führerscheins ausgestellt worden sei, der mit einer Unregelmäßigkeit behaftet sei, die die Nichtanerkennung des letztgenannten Führerscheins rechtfertige. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob die Auskunft der britischen Fahrerlaubnisbehörde vom 24. Mai 2016 – wofür vieles spreche – so zu verstehen sei, dass die Klägerin auch beim Umtausch der tschechischen in eine britische Fahrerlaubnis gegen das Wohnsitzprinzip verstoßen habe und die Anerkennung der britischen Fahrerlaubnis zusätzlich auch deswegen ausscheide. Aus den genannten Gründen habe auch der Hilfsantrag der Klägerin keinen Erfolg, der auf die Feststellung gerichtet sei, sie sei bis zum Zeitpunkt der behaupteten Entziehung der britischen Fahrerlaubnis berechtigt gewesen, von ihr im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.
9
Mit der Revision begehrt die Klägerin nur noch die Feststellung, dass sie berechtigt gewesen war, von ihrer britischen Fahrerlaubnis vom 22. Februar 2009 bis zum 10. Februar 2015 im Inland Gebrauch zu machen. Zur Begründung macht sie geltend: Ihr noch im Streit stehender Fortsetzungsfeststellungsantrag sei zulässig. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung einer Inlandsfahrberechtigung, obwohl sich die Erteilung der britischen Fahrerlaubnis mittlerweile durch die Entziehung vom 10. Februar 2015 erledigt habe. Gegen sie sei noch ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 28. Februar 2013 anhängig. Die Umschreibung ihrer Fahrerlaubnis sei ein ausländischer Verwaltungsakt, der vom Anerkennungsmechanismus des § 28 FeV und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG erfasst werde. Der Wohnsitzverstoß setze sich nicht in der neuen Fahrerlaubnis fort. Der Hinweis auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Fällen Apelt und Köppl gehe fehl, da es dort nicht um eine Umschreibung, sondern darum gegangen sei, auf eine inlandsungültige Fahrerlaubnis eine weitere Fahrerlaubnis aufzusatteln. Die britische Behörde habe keine Veranlassung gehabt, von einem Makel des tschechischen Führerscheins auszugehen, weil es in Großbritannien eine Vorschrift wie die des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht gebe. Wenn schon eine durch Bestechung, aber originär zustande gekommene Fahrerlaubnis trotz vollständiger Rechtswidrigkeit erst einmal anerkannt werden müsse, dann gelte das erst recht, wenn es sich um eine Fahrerlaubnis handele, die nur nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates mit einem Makel behaftet sei.
10
Der Beklagte tritt der Revision entgegen und trägt vor: Die der britischen Fahrerlaubnis zugrundeliegende tschechische Fahrerlaubnis vom 31. Mai 2005 sei unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden. Die Inlandsungültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis setze sich nach dem Umtausch in der britischen Fahrerlaubnis fort. Der Berechtigung, damit Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen, stehe § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV entgegen, auch wenn der Wohnsitzverstoß im neuen Führerschein nicht dokumentiert sei. Das Berufungsurteil verletze auch das Unionsrecht nicht.

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