Aktenzeichen 3 AV 1/19
§ 53 Abs 2 VwGO
§ 83 S 1 VwGO
§ 17 Abs 1 S 1 GVG
Verfahrensgang
vorgehend VG Greifswald, 23. September 2019, Az: 2 A 1158/19 HGW, Beschluss
Tenor
Als örtlich zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Leipzig bestimmt.
Gründe
I
1
Der klagende Landkreis nimmt die Beklagte auf Zahlung für Leistungen des Rettungsdienstes in Anspruch. Mit Rechnungen vom 15. Februar 2019 (16057186 und 16057185) erhob er einen Betrag in Höhe von 185 € für eine am 31. August 2016 durchgeführte Beförderung im Krankentransportwagen sowie einen Betrag in Höhe von 596 € für einen Transport im Rettungswagen am 1. September 2016. Am 25. Juli 2019 hat er beim Verwaltungsgericht Greifswald Klage erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 796,71 € (781 € + 5 € Mahnkosten + 10,71 € Verzugszinsen) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. März 2019 zu zahlen.
2
Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 23. September 2019 das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen. Eine örtliche Zuständigkeit nach § 52 VwGO sei nicht gegeben. Die Beklagte habe ihren Wohnsitz in Trüllikon/Schweiz. Für einen Aufenthaltsort im Inland bestünden keine Anhaltspunkte.
3
Am 16. Oktober 2019 hat das Verwaltungsgericht durch Mitteilung der Einwohnermeldestelle (Einwohnerkontrolle) Trüllikon Kenntnis erhalten, dass die Beklagte am “24.8.18” nach Leipzig weggezogen ist.
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Der Beschluss vom 23. September 2019 ist dem Kläger am 8. Oktober 2019 und der Beklagten am 19. Oktober 2019 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 12. November 2019 hat das Verwaltungsgericht die Gerichtsakte dem Bundesverwaltungsgericht übersandt. Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 28. November 2019 Gelegenheit zur Äußerung gegeben.
II
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1. Gemäß § 53 Abs. 2 VwGO bestimmt das Bundesverwaltungsgericht das zuständige Gericht, wenn eine örtliche Zuständigkeit nach § 52 VwGO nicht gegeben ist.
6
a) Diese Voraussetzung war bei Erhebung der Klage, durch die die Streitsache rechtshängig geworden ist (§ 90 Satz 1 VwGO), erfüllt. Die Beklagte hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Wohnsitz in der Schweiz. Bei dem von der Meldestelle Trüllikon angegebenen Wegzugsdatum “24.8.18” dürfte es sich hinsichtlich der Jahreszahl um ein Versehen handeln. Denn die Klageschrift ist der Beklagten unter der Anschrift “… Straße …, 8466 Trüllikon/Schweiz” durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt worden; als Empfangsdatum ist der 14. August 2019 vermerkt. Danach bestand bei Klageerhebung keine örtliche Zuständigkeit nach § 52 VwGO. Die Regelungen des § 52 Nr. 1 bis Nr. 4 VwGO sind nicht einschlägig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich auch nicht aus der Auffangvorschrift des § 52 Nr. 5 VwGO, wonach “in allen anderen Fällen” das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz, Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthalt hat oder seinen letzten Wohnsitz oder Aufenthalt hatte. Die Beklagte hatte bei Klageerhebung keinen derartigen örtlichen Bezugspunkt im Inland. Zwar ist, wenn ein Wohnsitz oder Aufenthalt des Beklagten im Inland fehlt, auch dessen letzter Wohnsitz oder Aufenthalt im Inland als zuständigkeitsbestimmender Umstand heranzuziehen. Für einen dahingehenden örtlichen Bezugspunkt bestehen hier aber keine Anhaltspunkte. Der Aufenthalt der Beklagten im Landkreis Vorpommern-Greifswald Ende August/Anfang September 2016 genügt nicht, weil es für einen zuständigkeitsbegründenden Aufenthalt im Sinne des § 52 Nr. 5 VwGO eines über eine flüchtige Ortsberührung hinausgehenden Verweilens bedarf (Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 52 Rn. 40).
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b) Die zuständigkeitsbestimmenden Umstände haben sich jedoch nach Klageerhebung verändert. Der vom Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 18. Oktober 2019 erteilte Hinweis an die Beteiligten, “dass der Umzug der Beklagten nach Leipzig keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit des Gerichts hat, da der Umzug erst … nach Klageerhebung stattgefunden hat und sich die Zuständigkeit des Gerichts danach bemisst, wo die Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung ihren Wohnsitz hat”, begegnet Bedenken. Nach dem prozessualen Grundsatz der “perpetuatio fori” wird die Zuständigkeit eines Gerichts durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG). Der Grundsatz wirkt zuständigkeitserhaltend. Er lässt eine bei Rechtshängigkeit bestehende Zuständigkeit des Gerichts nicht mehr entfallen, um im Interesse der Prozessökonomie eine Verzögerung und Verteuerung gerichtlicher Verfahren zu vermeiden. Dagegen sind aus demselben Grund nach Rechtshängigkeit eingetretene Umstände, die zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts führen, beachtlich, soweit der Rechtsstreit nicht bereits verwiesen wurde (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. November 2005 – 3 C 55.04 – BVerwGE 124, 321 ; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 41/§§ 17-17b GVG Rn. 9). Das Gleiche dürfte gelten, wenn das zunächst angerufene, aber unzuständige Gericht unter Berücksichtigung der veränderten Umstände nicht selbst zuständig geworden ist, sondern ein anderes (drittes) Gericht (VG Bayreuth, Beschluss vom 12. Februar 2018 – B 5 K 17.1058 [ECLI:DE:VGBAYRE:2018:0212.B5K17.1058.00] – juris Rn. 13; VG Gießen, Beschluss vom 26. Januar 2017 – 6 K 153/17.GI.A [ECLI:DE:VGGIESS:2017:0126.6K153.17.GI.A.0A] – juris Rn. 4; VG Münster, Beschluss vom 14. April 2008 – 1 K 201/08 – juris Rn. 11; VG Sigmaringen, Beschluss vom 30. Oktober 2003 – 2 K 1573/03 [ECLI:DE:VGSIGMA:2003:1030.2K1573.03.0A] – juris Rn. 4). Es spricht Vieles dafür, dass diese Grundsätze auch anwendbar sind, wenn bei Rechtshängigkeit keine örtliche Zuständigkeit nach § 52 VwGO gegeben ist, jedoch durch einen nachträglich eingetretenen Umstand die örtliche Zuständigkeit des angerufenen oder eines anderen Gerichts begründet wird. Denn es entspricht dem Gedanken der Prozessökonomie, ein unnötig gewordenes Verfahren nach § 53 VwGO zu vermeiden.
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Danach könnte durch den am 24. August 2019 erfolgten Wegzug der Beklagten ins Inland für den anhängigen Rechtsstreit der Gerichtsstand des § 52 Nr. 5 VwGO nachträglich begründet worden sein.
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2. § 53 Abs. 2 VwGO enthält allerdings keine Regelung zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt. Auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit abzustellen, dürfte aus den unter 1. b) dargelegten Gründen ausscheiden. In Betracht kommt jedoch, auf die zuständigkeitsbestimmenden Umstände bei Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts abzuheben (vgl. § 53 Abs. 3 VwGO) oder auf die Umstände im Zeitpunkt seiner Entscheidung. Sollte der Zeitpunkt der Anrufung maßgeblich sein, stellt sich die weitere Frage, ob es auf den Erlass des Anrufungsbeschlusses, auf dessen Zustellung an die Verfahrensbeteiligten oder auf die Übersendung der Gerichtsakte an das Bundesverwaltungsgericht ankommt.
10
3. Der Senat sieht davon ab, den aufgeworfenen Fragen abschließend nachzugehen. Ist die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts hier als unzulässig anzusehen, wäre die Gerichtsakte an das Verwaltungsgericht zurückzusenden und der Rechtsstreit von dort an das gemäß § 52 Nr. 5 VwGO örtlich zuständige Verwaltungsgericht Leipzig zu verweisen (§ 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG). Erweist sich die Anrufung des Bundesverwaltungsgerichts als zulässig, ist die Zuständigkeitsbestimmung nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit zu treffen und hat sich an den Wertungen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung sowie dem Gebot einer effektiven und sachgerechten Verfahrensdurchführung zu orientieren (BVerwG, Beschlüsse vom 23. August 2006 – 6 AV 1.06 – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 31 Rn. 3 und vom 13. März 2009 – 7 AV 6.09 – Buchholz 310 § 53 VwGO Nr. 33 Rn. 3). Danach wäre ebenfalls das Verwaltungsgericht Leipzig örtlich zuständig, weil bei der Entscheidung nach § 53 Abs. 2 VwGO die Wertung des § 52 Nr. 5 VwGO zu berücksichtigen ist. Es dient deshalb der Verfahrensbeschleunigung, wenn das angerufene Bundesverwaltungsgericht die Zuständigkeitsbestimmung vornimmt.