Baurecht

Bürgerbegehren zur Erhaltung der Verkehrsführung einer Gemeindeverbindungsstraße

Aktenzeichen  Au 7 K 18.2070

Datum:
22.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 18406
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GO Art. 18a, Art. 63 Abs. 2
BauGB § 1 Abs. 7

 

Leitsatz

1. Mit der Abstimmungsfreiheit der Bürger wäre es nicht zu vereinbaren, wenn in der Begründung eines Bürgerbegehrens unzutreffende Tatsachen behauptet oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert würde. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Ausschlusstatbestand der Haushaltssatzung (Art. 63 Abs. 2 GO) gelangt grundsätzlich erst dann zur Anwendung, wenn diese selbst, d.h. unmittelbar zum Gegenstand des Bürgerbegehrens gemacht wird; allein mittelbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt sind unerheblich. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
3. Grundsätzlich kann auch die Bauleitplanung, die als Teil der kommunalen Planungshoheit zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zählt, Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)
4. In die Bauleitplanung eingreifende Bürgerbegehren, die ein positives Planungsziel verfolgen, sind nur dann zulässig, wenn dem planenden kommunalen Gremium noch ein Planungsspielraum und damit Abwägungsspielraum von substantiellem Gewicht verbleibt und genügend Alternativen zur Abwägung in der konkreten Planung offen gehalten werden. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, das Bürgerbegehren „…“ mit der Fragestellung „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde * alle rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreift, um die Gemeindeverbindungs straße … Str. mit ihrer jetzigen Verkehrsführung zu erhalten?“ zuzulassen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

I.
Gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) konnte die Entscheidung mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen.
II.
Die Verpflichtungsklage ist nach Auslegung des klägerischen Antrags gemäß § 88 VwGO in der tenorierten Fassung ohne den Zusatz „unverzüglich“ zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2018 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Kläger haben einen Anspruch auf Zulassung des Bürgerbegehrens, da dieses zulässig ist.
Maßgebend für die Beurteilung, ob das streitgegenständliche Bürgerbegehren die formellen wie materiellen Voraussetzungen erfüllt, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
Das Gericht geht davon aus, dass keine rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens, das mit Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2018 zurückgewiesen wurde, bestehen. An dieser Stelle wird auf die bereits im Erörterungstermin vom 16. Dezember 2019 und im daraufhin ergangenen Schreiben des Gerichts vom 27. Dezember 2019 ausführlich erläuterte, den Beteiligten hinreichend bekannte Einschätzung des Gerichts Bezug genommen.
1. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten die Einhaltung der formellen Anforderungen an die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens, insbesondere, dass das am 2. Oktober 2018 bei der Beklagten eingereichte Bürgerbegehren „*“ die erforderliche Zahl von gültigen Unterschriften enthält und das notwendige Quorum gemäß Art. 18a Abs. 5 und 6 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) erreicht hat sowie dass das streitgegenständliche Bürgerbegehren eine Angelegenheit des eigenen Wirkungskreises der Beklagten betrifft (Art. 18a Abs. 1 GO).
Ebenfalls unstreitig ist nunmehr die ordnungsgemäße Vertretung durch die drei Kläger gemäß Art. 18 a Abs. 4 Satz 1 GO i.R.d. zweiten, hier streitgegenständlichen Bürgerbegehrens, nachdem die erforderlichen Unterschriften auf den neuen Unterschriftenlisten – erweitert um den Zusatz der Adressen der Vertreter – erneut eingeholt worden sind.
2. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens entspricht den Vorgaben des Art. 18 a Abs. 4 Satz 1 GO, insbesondere kann sie mit Ja oder Nein beantwortet werden und stellt keinen Verstoß gegen das Koppelungsverbot dar, da sie nur eine einzige Thematik beinhaltet.
3. Die Begründung des streitgegenständlichen Bürgerbegehrens entspricht ebenfalls den gesetzlichen Anforderungen. Die nach Art. 18 a Abs. 4 Satz 1 GO erforderliche Begründung soll es dem Bürger ermöglichen, sich mit den Zielen des Bürgerbegehrens und den dort angesprochenen Problemen auseinander zu setzen; dem Bürger muss klar sein, wofür oder wogegen er sich einsetzt. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (E.v. 13.4.2000, Az.: Vf.4-IX-00, BayVBl 2000, 460 – 467) wäre es mit der Abstimmungsfreiheit der Bürger nicht zu vereinbaren, wenn in der Begründung unzutreffende Tatsachen behauptet würden oder die geltende Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert würde. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sowie des Gesichtspunkts, dass das Rechtsinstitut Bürgerbegehren/Bürgerentscheid so angelegt sein muss, dass die Fragestellung, aber auch die Begründung von Gemeindebürgern ohne besondere verwaltungsrechtliche Kenntnisse formuliert werden können müssen, ist die Begründung des Bürgerbegehrens „*“ als ausreichend zu bewerten. Der erste Satz der Begründung, „Die Gemeinde * möchte im Zuge der Erweiterung der Firma * die * Straße in östlicher Richtung verlegen.“ lässt erkennen, dass die Beklagte nicht nur unverbindliche Zielvorstellungen hat, sondern dass hierfür konkrete Maßnahmen anstehen. Dass die Begründung des Bürgerbegehrens den damaligen genauen Verfahrensstand der Bauleitplanung nicht darstellt und gegebenenfalls drohende Vergütungs- oder Schadensersatzansprüche o.Ä. nicht erwähnt, führt nicht zur Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens wegen fehlerhafter Begründung. Es wäre im Sinne einer einfachen Handhabung des Rechtsinstituts Bürgerbegehren zu viel verlangt, wenn diese Vorgänge als zwingender Bestandteil einer ordnungsgemäßen Begründung angesehen würden, selbst wenn wie vorliegend bei einem der Vertreter des Bürgerbegehrens als Gemeinderatsmitglied genauere Kenntnis hierüber vorliegen mag. Solche Vorgänge sind den Bürgern im Rahmen der Meinungsbildung bis zum Bürgerentscheid durch die Beklagte (oder die Initiatoren) darzustellen (VG Augsburg, B.v. 31.5.2006 – Au 7 E 06.552). Den jeweils aktuellen Verfahrensstand des Bebauungsplanverfahrens kann die Begründung zwangsläufig nicht abbilden.
4. Das Bürgerbegehren betrifft die kommunale Bauleitplanung und damit den eigenen Wirkungskreis der Gemeinde gemäß § 18a Abs. 1 GO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB).
Ferner enthält das Bürgerbegehren nicht bereits einen gesetzlich ausgeschlossenen Gegenstand aus dem Negativkatalog des Art. 18a Abs. 3 GO. Der Ausschlusstatbestand der Haushaltssatzung (Art. 63 Abs. 2 GO) gelangt grundsätzlich erst dann zur Anwendung, wenn diese selbst, d.h. unmittelbar zum Gegenstand des Bürgerbegehrens gemacht wird; allein mittelbare Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt sind unerheblich. Andernfalls käme es zu einer übermäßigen und den Telos des Art. 18a GO verletzenden Anwendbarkeit dieses Ausschlusstatbestands, weil die durch Bürgerbegehren verfolgten Maßnahmen in aller Regel Kosten verursachen und dadurch Auswirkungen auf den gemeindlichen Haushalt haben (BeckOK KommunalR Bayern/Suerbaum/Retzmann GO, 2. Aufl., Art. 18a Rn.10). Die Gemeinden haben beim Vollzug der Haushaltsgrundsätze des Art. 61 GO einen weiten Gestaltungsspielraum. Ihr Handeln ist erst dann rechtswidrig, wenn es mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlechthin unvereinbar ist. Die Gerichte können daher nur untersuchen, ob die Gemeinden den ihnen zustehenden Gestaltungsspielraum in nicht mehr vertretbarer Weise überschritten haben. In entsprechender Weise ist auch die Rechtmäßigkeit von Maßnahmen zu beurteilen, die Bürgerbegehren durchsetzen wollen, soweit sie Auswirkungen auf die Haushaltswirtschaft der Gemeinden haben (BayVGH, B.v. 10.11.1997 – 4 CE 97.3392 – juris). Eine äußerste Grenze ergibt sich somit erst dort, wo entgegen der Vorgabe des Art. 61 Abs. 2 Satz 1 GO das begehrte Handeln mit den Grundsätzen vernünftigen Wirtschaftens schlechthin unvereinbar ist. Ein Bürgerentscheid darf daher insbesondere nicht zu einer unzulässigen Verschuldung führen (BeckOK KommunalR Bayern/Suerbaum/Retzmann GO, 2. Aufl., Art. 18a Rn.10). Eine solche ist hier nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
5. Das Bürgerbegehren verstößt zum maßgeblichen aktuellen Zeitpunkt nicht gegen den Grundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der kommunalen Haushaltsführung nach Art. 61 Abs. 2 Satz 1 GO und ist damit auch nicht auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 10.11.1997, BayVBl 1998, 209 bis 212; U.v. 18.3.1998, BayVBl 1998, 402) darf der Gemeinderat ein Bürgerbegehren nicht zurückweisen, wenn nicht der Bürgerentscheid selbst gegen die Rechtsordnung verstößt, sondern wenn sich erst als Folge ungewisser künftiger Maßnahmen und Entwicklungen eine Rechtsverletzung ergeben kann. Denn die Zulässigkeitsentscheidung ist eine gebundene Rechtsentscheidung. Im maßgeblichen Zeitpunkt dieser Entscheidung steht nicht fest und ist auch nicht absehbar, ob und in welcher Höhe die Beklagte bei erfolgreichem Bürgerentscheid Vergütungs- oder Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sein wird, in welcher Höhe ihr weitere Planungskosten entstehen werden, ob sie abgeschlossene Verträge rückabwickeln kann o.Ä. Solche Erwägungen können die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens zum aktuellen Zeitpunkt daher nicht begründen.
6. In Streit steht somit letztlich einzig die Frage nach dem Verstoß gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB. Das Bürgerbegehren ist aber auch im Hinblick auf das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB nicht auf ein rechtswidriges Ziel gerichtet.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann grundsätzlich auch die Bauleitplanung, die als Teil der kommunalen Planungshoheit zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden zählt, Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein (vgl. BayVGH, B.v. 8.11.2011 – 4 CE 11.1619 – juris – unter Hinweis auf BayVGH, B.v. 13.12.2010 – 4 CE 10.2839 – BayVBl 2011, 309). Sowohl die Bayerische Verfassung als auch die Bayerische Gemeindeordnung sind stark plebiszitär ausgestaltet, weshalb nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (im Unterschied zu anderen Bundesländern) auch die Bauleitplanung grundsätzlich zulässiger Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein kann (Umkehrschluss zu Art. 18a Abs. 3 GO).
Dabei ist allerdings in jedem Fall zu prüfen, ob die konkrete Fragestellung mit den gesetzlichen Vorschriften des Baurechts vereinbar ist. Damit ist auch und vor allem das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Gebot, bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen, Prüfungsgegenstand.
Der direktdemokratischen Einwirkung auf die kommunale Bauleitplanung sind demnach durch das in § 1 Abs. 7 BauGB verankerte bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot (bundesrechtliche) Grenzen gesetzt. Die planerische Abwägung erfolgt grundsätzlich durch das im Baugesetzbuch (§§ 1 ff. BauGB) geregelte mehrstufige förmliche Verfahren, in dessen Verlauf der Planinhalt durch eine Kette aufeinander aufbauender Auswahlentscheidungen erst nach und nach konkrete Gestalt annimmt. Der ergebnisoffene Abwägungsvorgang muss grundsätzlich Planänderungen bis zur Schlussabstimmung ermöglichen (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2005 – 4 CE 05.1961 – BayVBl 2006, 405). Wenn also die Bauleitplanung zum Gegenstand eines Bürgerbegehrens gemacht werden soll, ist zu unterscheiden, ob nur eine Grundsatzentscheidung über die gemeindliche Planung mit Rahmenfestlegungen getroffen werden soll, oder ob demgegenüber konkrete Festsetzungen und Darstellungen vorgegeben werden sollen, die die im Verfahren der Bauleitplanung erforderliche Abwägung unzulässig beschränken würden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass in die Bauleitplanung eingreifende Bürgerbegehren, die ein positives Planungsziel verfolgen, nur dann zulässig sind, wenn dem planenden kommunalen Gremium noch ein Planungsspielraum und damit Abwägungsspielraum von substantiellem Gewicht verbleibt und genügend Alternativen zur Abwägung in der konkreten Planung offen gehalten werden (BayVGH B.v.16.4.2012 – 4 CE 12.517 – juris Rn. 28, v. 28.7.2005 BayVBl 2006, 405; v. 11.8.2005 – Az. 4 CE 05,1580 – juris; v. 28.5.2008 BayVBl 2009, 245; v. 13.12.2010 DVBl 2011, 308 Rn. 33).
Eine positive Festlegung (etwa in Form einer Höchstgrenze) durch ein Bürgerbegehren stellt zwar einen Eckpunkt für die gemeindliche Abwägung dar, beinhaltet aber nicht von vorneherein eine solche Selbstbindung, dass eine Abwägung in keinem Fall mehr in sachgerechter Weise vorgenommen werden könnte. Ein Abwägungsmangel ist durch eine derartige Fragestellung nicht gleichsam automatisch vorprogrammiert, sondern es ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls, ob auf der Grundlage einer derartigen Vorentscheidung durch einen Bürgerentscheid die nachfolgende Planungsentscheidung abwägungsfehlerfrei getroffen werden kann. Wo die Grenze zwischen zulässiger Vorgabe eines Rahmens und unzulässiger Beschneidung des Abwägungsvorgangs zu ziehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls (BayVGH, B.v. 11.8.2005 – 4 CE 05.1580 – juris Rn. 31).
In einer aktuelleren Entscheidung (BayVGH, B.v. 18.1.2019 – 4 CE 18.2578 – juris) ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof offen, ob diese – durch eine Reihe wertungsabhängiger Rechtsbegriffe gekennzeichnete – allgemeine Leitlinie geeignet sei, die Fälle einer zu weitgehenden Vorabbindung in objektiv vorhersehbarer Weise zu bestimmen. Unzulässig sei ein auf eine Bauleitplanung gerichtetes Bürgerbegehren jedenfalls dann, wenn dessen Fragestellung auf konkrete grundstücksbezogene Festsetzungen im Sinne des § 9 Abs. 1 BauGB bzw. der Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (BaunutzungsverordnungBauNVO) abzielt, die der noch zu beschließende Bebauungsplan unverändert übernehmen soll. Dies betreffe insbesondere die Fälle, in denen mit bindender Wirkung für das weitere Planaufstellungsverfahren über die Bebaubarkeit bestimmter Flächen hinsichtlich der Art (§ 1 Abs. 2 BauNVO) oder des Maßes der baulichen Nutzung (§ 16 Abs. 2 BauNVO), der Bauweise (§ 22 Abs. 1 BauNVO) oder der überbaubaren Grundstücksfläche (§ 23 Abs. 1 BauNVO) abgestimmt werden soll. Mit einer solchen plebiszitären Selbstbindung werde, selbst wenn es im Einzelfall nur um planerische Detailfragen geht, die Entscheidung über die betreffende Festsetzung bereits vollständig vorweggenommen; dem Gemeinderat verbleibe insoweit bei seiner abschließenden Abwägungsentscheidung keinerlei Abweichungs-, Ausgestaltungs- oder Konkretisierungsspielraum mehr (BayVGH, B.v. 18.1.2019 – 4 CE 18.2578 – juris Rn. 20).
Entscheidend für die Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens, das auf eine Vorentscheidung zum Inhalt eines Bebauungsplans zielt, ist im Hinblick auf das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB demnach wie aufgezeigt, dass nur Rahmenfestlegungen getroffen werden sollen, die einen verbleibenden Planungsspielraum von substantiellem Gewicht belassen und genügend Alternativen zur Abwägung der konkreten Belange offen halten (vgl. BayVGH, B.v. 28.7.2005 – 4 CE 05.1961 – BayVBl 2006, 405). Hiervon geht die Kammer vorliegend aus.
a) Die Rechtsprechung hält eine auf Einstellung von Bauleitplanverfahren zielende Fragestellung für rechtlich unproblematisch (BayVGH, B.v. 19.3.2007 – 4 CE 07.416 – juris Rn. 23 m.w.N.).
So befand der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 23.4.1997 – 4 ZE 97.1237 – NVwZ 1998, 423) beispielsweise die Fragestellung „Der Bebauungsplanentwurf Nr. 1/23 ‘Obere Stadt’ wird abgelehnt. Es wird ein neuer Bebauungsplan mit folgender Zielsetzung aufgestellt: (…)“ für nicht unzulässig, sondern stellte fest, dass das Bürgerbegehren damit zulässigerweise auf eine Art Grundsatzbeschluss des Stadtrats mit der Zielsetzung gerichtet sei, dass er weitere auf Grund des Bebauungsplanverfahrens sich ergebende Entscheidungen der Antragsgegnerin zur Folge haben werde.
In einem anderen Beschluss befand der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 19.3.2007 – 4 CE 07.416 – juris) die Fragestellung „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde * für den Bau von Möbelmärkten keine planungsrechtlichen Voraussetzungen schafft und deshalb das Bebauungsplanverfahren für das „Sondergebiet *“ südlich der *straße/östlich des *zentrums sowie das 20. Änderungsverfahren zum Flächennutzungsplan einstellt und nicht weiterverfolgt?“ für rechtlich zulässig.
Wenn aber schon ein Bürgerbegehren mit dem Inhalt der kompletten Einstellung der Bauleitplanung grundsätzlich zulässig ist, dann muss dies erst recht für die Begrenzung auf einen Teil gelten. Nichts Anderes will im Ergebnis auch die streitgegenständliche, auf den Erhalt der * Straße abzielende Fragestellung „Sind Sie dafür, dass die Gemeinde * alle rechtlich zulässigen Maßnahmen ergreift, um die Gemeindeverbindungs straße * Str. mit ihrer jetzigen Verkehrsführung zu erhalten?“. Diese ist ihrem Wortlaut nach zwar nicht ausdrücklich auf die diesbezügliche (Teil-)Einstellung der Bauleitplanung gerichtet, eine solche stellt aber jedenfalls eine der denkbaren „rechtlich zulässigen Maßnahmen“ im Sinne des Bürgerbegehrens dar.
b) Letztlich offenbleiben kann an dieser Stelle das vom ehemaligen Beklagtenbevollmächtigten angeführte Argument, dass auch das Begehren nach dem Erhalt des Status Quo durch das vom Bürgerbegehren vorgegebene Ziel des „*“ letztlich gleichermaßen wie eine positive Festsetzung auf eine verbindliche Festsetzung gerichtet sei. Mit der Zulassung des Bürgerbegehrens würden nicht nur Rahmenfestlegungen getroffen werden, da auch eine negative Festsetzung letztlich eine verbindliche, zentimetergenaue Vorgabe sei, da dahinter die gleiche Abwägungsentscheidung wie bei einer positiven Festsetzung stehe. Der Beklagten bleibe hier daher als Möglichkeit nur übrig, die Planung entweder komplett einzustellen oder aber die * Straße als öffentliche Verkehrsfläche festzusetzen.
Die vorliegende Fragestellung zielt indes ausdrücklich nur auf „rechtlich zulässige Maßnahmen“ ab, sodass die Beklagte gerade nicht zu einem Verstoß gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB verpflichtet wird, wodurch der Bebauungsplan „* Straße“ rechtswidrig würde. Über die Einschränkung durch den Passus „alle rechtlich zulässigen Maßnahmen“ ist vielmehr gewährleistet, dass die Beklagte gerade nur alles rechtlich Zulässige zum Erhalt der „* Straße“ bei erfolgreichem Bürgerentscheid vornehmen muss. Zu einem Verstoß gegen das Abwägungsgebot soll sie dadurch ausdrücklich gerade nicht gezwungen werden. Die Kammer weist an dieser Stelle im Übrigen nochmals darauf hin, dass die Anforderungen an die Formulierung im Interesse einer bürgernahen Ausgestaltung der Rechtsinstitute Bürgerbegehren/Bürgerentscheid schlicht nicht überspannt werden dürfen.
Das Gericht verkennt hierbei – in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Beklagten – nicht, dass es für die Frage des unzulässigen Eingriffs in die Abwägungsentscheidung nicht allein auf das Abwägungsergebnis, sondern auch auf den Abwägungsvorgang ankommt, da letzterer zwingender Bestandteil der Abwägungsentscheidung ist (vgl. §§ 214 und 215 BauGB). Indes kann es nicht den geltend gemachten, bei erfolgreichem Bürgerentscheid drohenden Abwägungsausfall erkennen. Der Einwand, man könne letztlich zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass die Planung bei – gedachtem – erfolgreichem Bürgerentscheid gar keinen Sinn mehr mache, wenn man den Erhalt der * Straße alternativlos stellen würde, kann letztlich nicht überzeugen.
c) Auch der Einwand der Beklagten, dass die Gemeinde zahlreiche Alternativen geprüft habe, eine Tunnelung oder Überbrückung jedoch wegen des damit einhergehenden Platzverbrauchs wegen der für den geplanten Arbeitsverkehr erforderlichen Rampen nicht in Betracht komme, was sich so auch aus der Begründung des Bebauungsplans ergebe, bedarf keiner Entscheidung.
Es ist schlicht nicht Sache der erkennenden Kammer, zumal in einem Kommunalrechtsstreit, die denkbaren anderen Planungsvarianten auf ihre Machbarkeit oder Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen, sondern einzig darüber zu entscheiden, ob durch das Bürgerbegehren gleichsam ein Abwägungsfehler vorprogrammiert ist. Auf den Unterschied zwischen dem Passus „alle rechtlich zulässigen Maßnahmen“ und „alle erforderlichen Maßnahmen“ sei hier nochmals hingewiesen.
Der Erhalt der Gemeindeverbindungs straße „* Straße“ wäre isoliert betrachtet ein zulässiger Gegenstand eines Bürgerbegehrens und „kollidiert“ hier schlicht aufgrund örtlicher Gegebenheiten mit dem übrigen Bebauungsplangebiet. Die „* Straße“ stellt letztlich nur einen Teilaspekt des Bauleitplanverfahrens der Beklagten dar. Eine weitere Planung zur Erweiterung des Firmengeländes für die Firma * erscheint auch bei Zulassung des Bürgerbegehrens und ggf. erfolgreichem Bürgerentscheid nicht ausgeschlossen.
III.
Die Beklagte als unterliegende Partei trägt die Kosten des Verfahrens (§ 154 Abs. 1 VwGO).
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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