Strafrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  M 6 S 20.1192

Datum:
17.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 14815
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG  § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 7,§ 46 Abs. 1
FeV Nr. 9.2.1 Anlage 4
VwGO § 80 Abs. 3, § 88, § 113 Abs. 1 S. 1, § 117 Abs. 5
RDGEG § 3, § 5

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf Euro 2.500,– festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1996 geborene Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der vom Antragsgegner verfügten Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.
Am … Dezember 2019 gegen 11:55 Uhr wurde er als Führer eines Kraftfahrzeugs einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen, wobei die Polizei drogentypische Auffälligkeiten feststellte. Die chemisch-toxikologische Untersuchung der ihm am selben Tag um 12:32 Uhr entnommenen Blutprobe ergab ausweislich des Gutachtens des Instituts A* … vom … Januar 2020 eine THC-Konzentration von 15,7 ng/ml sowie eine THC-COOH-Konzentration von ca. 213 ng/ml.
Nach vorheriger Anhörung entzog der Antragsgegner dem Antragsteller mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 6. März 2020 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes zur Abgabe seines Führerscheins binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheids auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe sich wegen regelmäßigen Konsums von Cannabis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen.
Am 16. März 2020 ließ der Antragsteller Widerspruch einlegen sowie bei Gericht einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen; er beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 6. März 2020, zugestellt am 11. März 2020, Az.: …, wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass gegen den Antragsteller bereits ein Bußgeld in Höhe von 500 EUR sowie ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet wurde, welches akzeptiert wurde. Die Blutalkoholkonzentration habe 0,00 ‰ betragen und der Antragsteller habe ohne jede Einwendung den polizeilichen Aufforderungen bei der Kontrolle Folge geleistet. Der Cannabiskonsum sei in der Nacht von … auf … Dezember erfolgt. Das im Bescheid angegebene Datum – „… Dezember 2020“ – sei falsch. Außerdem sei der Antragsteller beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Zudem wird bestritten, dass der Antragsteller regelmäßiger Konsument von Cannabis oder anderer Drogen sei. Auf eine Vermutungsregelung könne nicht abgestellt werden. Der Antragsteller sei bereit, sich regelmäßigen Drogenscreenings und einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu unterziehen.
Der Antragsgegner beantragt unter Vorlage der Behördenakten,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen auf die Begründung des Bescheid Bezug genommen. Insbesondere beweise der hohe THC-Carbonsäure-Wert den regelmäßigen Konsum von Cannabis. Das im Bescheid angegebene Konsumdatum sei ein Schreibversehen. Der Antragsteller habe laut Mitteilung der Polizeiinspektion B.  vom … Januar 2020 angegeben, am … Dezember 2019 gegen 5:00 Uhr einen Joint geraucht zu haben.
Mit Beschluss vom 16. Juni 2020 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO bleibt ohne Erfolg. Er ist zulässig, aber unbegründet.
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 4 des Bescheides ist der Antrag gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs begehrt, da die Zwangsgeldandrohung kraft Gesetz sofort vollziehbar ist (Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG). Der Antragsteller hat nach Aktenlage seinen Führerschein oder die im Verlustfall erforderliche Versicherung an Eides statt noch nicht abgegeben. Insofern ist das dem Antragsteller für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins angedrohte Zwangsgeld noch aktuell.
1. Einwendungen gegen die Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs (§ 80 Abs. 3 VwGO) wurden weder vorgebracht noch sind solche ersichtlich.
2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessenabwägung.
Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, da der Widerspruch nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolglos sein wird. Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Fahrerlaubnisentziehung ist vorliegend die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, da das Widerspruchsverfahren noch nicht abgeschlossen ist. Nach summarischer Prüfung erweisen sich die im streitgegenständlichen Bescheid getroffenen Entscheidungen der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Ablieferungsverpflichtung des Führerscheins zum gegenwärtigen Zeitpunkt als rechtmäßig, so dass der Widerspruch insoweit voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Bei dieser Sachlage überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das Suspensivinteresse des Antragstellers. Der streitgegenständliche Entziehungsbescheid ist demnach rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Gericht verweist zur Begründung auf die zutreffenden Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids (§ 117 Abs. 5 VwGO) und führt lediglich ergänzend bzw. zusammenfassend aus:
Der Antragsteller hat die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV in Folge des regelmäßigen Konsums von Cannabis verloren und bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Entziehungsbescheids auch nicht wiedererlangt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz -StVG- und § 46 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung -FeVhat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Nach Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist in der Regel ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer regelmäßig Cannabis konsumiert, ohne dass es des Hinzutretens weiterer fahreignungsrelevanter Umstände wie etwa fehlenden Trennungsvermögens bedarf. Regelmäßiger Konsum liegt bei täglicher oder nahezu täglicher Einnahme von Cannabis vor (BVerwG, U.v. 26.2.2009 – NJW 2009, 2151; U.v. 23.10.2014 – NJW 2015, 2439 – Rn. 18).
Angesichts der im Blut des Antragstellers festgestellten THC-Carbonsäure-Konzentration von 213 ng/ml ist davon auszugehen, dass der Antragsteller jedenfalls zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle am … Dezember 2019 regelmäßiger Konsument von Cannabis war. Nach gesicherter, auf rechtsmedizinischen Untersuchungen beruhender Erkenntnis ist ab einer Konzentration des THC-Metaboliten THC-COOH von 150 ng/ml im Blutserum von einem regelmäßigen Cannabiskonsum auszugehen (vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2019 – 11 CS 19.1432 -, juris Rn. 9; B.v. 24.4.2019 – 11 CS 18.2605 – NJW 2019, 2339 Rn. 13; B.v. 27.1.2017 – 11 CS 16.2403 – juris Rn. 14 f.; OVG Berlin-Bbg., B.v. 27.8.2018 – OVG 4 S 34.18 – juris Rn. 5 m.w.N.; HessVGH, B.v. 15.9.2016 – 2 B 2335/16 – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 11.2.2015 – 16 B 50/15 – juris Rn. 8; Patzak in Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 9. Aufl. 2019, Vor §§ 29 ff. Rn. 471; Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 3 StVG Rn. 4a; Zwerger, ZfS 2007, 551/552). Mit dem vorliegenden Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist nichts vorgetragen worden, was diese in medizinischen Studien und Untersuchungen gewonnenen wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage stellt.
Soweit der Antragsteller vorträgt, dass er seit dem Vorfall kein Cannabis mehr konsumiere und beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei, vermag dies keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Ebenso wenig das Vorbringen, dass er den Bußgeldbescheid samt Fahrverbot akzeptiert habe, nicht zusätzlich Alkohol zu sich genommen habe und den Anweisungen der Polizei Folge geleistet habe.
Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalls nach Nummer 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 FeV sind nicht ersichtlich. Da es vorliegend um den Verlust der Fahreignung durch die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (hier regelmäßige Einnahme von Cannabis) gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV geht, müssten sich die zur Begründung eines Ausnahmefalls vorgetragenen Gründe auf eine vom Regelfall abweichende Wirkung der regelmäßigen Einnahme von Cannabis auf die Fahreignung des Klägers beziehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2011 – 11 ZB 11.462 – BeckRS 2011, 32252 Rn. 9). In dieser Richtung wurde vom Kläger aber nichts vorgetragen. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass er aufgrund einer besonderen Steuerungs- oder Kompensationsfähigkeit trotz regelmäßigen Cannabiskonsums fahrgeeignet ist.
Anhaltspunkte für eine Wiedererlangung der Fahreignung lagen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht vor, so dass der Antragsgegner nicht gehalten war, zur Klärung der Wiedererlangung der Fahreignung eine medizinisch-psychologische Untersuchung nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV anzuordnen.
Der Antragsgegner hat daher zutreffend angenommen, dass die mangelnde Fahreignung des Antragstellers im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV feststand und ihm deshalb ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen die Fahrerlaubnis zu entziehen war. Erst im Wiedererteilungsverfahren wird nach § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV mittels eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu klären sein, ob der Antragsteller sein Konsumverhalten nachhaltig geändert hat.
Angesichts der mangelnden Erfolgsaussichten des Widerspruchs und der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen hat es bei der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis zu verbleiben und müssen die beruflichen und privaten Interessen des Antragstellers am Erhalt der Fahrerlaubnis zurücktreten.
3. Da die aufschiebende Wirkung hinsichtlich der Nr. 1 des Bescheides folglich nicht wiederherzustellen war, verbleibt es auch bei der für sofort vollziehbar erklärten Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins in Nr. 2 des Bescheids (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG). Es bestehen ferner keine rechtlichen Bedenken gegen die Zwangsgeldandrohung oder die Festsetzungen zu den Kosten.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – und berücksichtigt die Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Stand 2013, Nrn. 1.5 und 46.3).

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