Europarecht

Keine Revisionszulassung im sog. Dieselskandal bei individuellen Fallumständen

Aktenzeichen  19 U 6592/19

Datum:
15.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 25502
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 522 Abs. 2
BGB § 826

 

Leitsatz

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Frage, ob eine (unterstellt) sittenwidrige vorsätzliche Täuschung durch VW im konkreten Fall und nach den eigenen Angaben des Käufers kausal für seinen Willensentschluss war, das Fahrzeug zu erwerben, stellt jedoch eine einzelfallbezogene Tatsachenfrage dar (Rn. 15 – 16). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 O 1072/19 2019-10-24 Urt LGMUENCHENII LG München II

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 24.10.2019, Aktenzeichen 12 O 1072/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München II ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 22.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger erwarb am 10.06.2017 bei der S. M. C. GmbH in P. einen gebrauchten Pkw der Marke VW, Typ Sharan 2.0 TDI, zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von 20.629,99 €. Das Fahrzeug ist mit dem von der Beklagten hergestellten Motor EA 189 versehen. Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. „VW-Abgasskandal“ geltend. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München II vom 24.10.2019, Aktenzeichen 12 O 1072/19, Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO). Das Landgericht München II hat die Klage abgewiesen, dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren,
1.Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München II vom 24.10.2019 (12 O 1072/19) wird die Beklagte gesamtschuldnerisch (neben der S. M. C. GmbH) verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 19.225,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus 19.164,48 € seit dem 09.07.2018 zu bezahlen.
2.Die Beklagte wird gesamtschuldnerisch (neben der S. M. C. GmbH) verurteilt, den Kläger von den aus dem zwischen dem Kläger und der a. Bank GmbH & Co. KG abgeschlossenen Darlehensvertrag zur Finanzierung des streitgegenständlichen VW Nummer …59 ab Februar 2020 fällig werdenden weiteren 5 Darlehensraten à 173,52 € freizustellen.
3.Die Verurteilungen Ziffer 1 und 2 erfolgen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw VW Sharan 2.0 TDI, Fahrzeugidentifikationsnummer …90.
4.Die Beklagte wird verurteilt, Zinsen in Höhe von 4% aus 15.000 € vom 10.06.2017 bis zum 08.07.2019 zu bezahlen.
5.Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung gemäß Ziffer 3 in Verzug befindet.
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 11.05.2020 (Bl. 446 / 454 d. A.), auf die Bezug genommen wird, wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, seine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 10.06.2020 nahm der Kläger dazu Stellung. Im Übrigen und ergänzend wird auf die Schriftsätze der Parteien im Berufungsverfahren Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 24.10.2019, Aktenzeichen 12 O 1072/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Senat hält das angefochtene Urteil des Landgerichts München II für offensichtlich zutreffend und nimmt auf dieses Bezug. Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis des Senats vom 11.05.2020, wonach der Senat die Berufung im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO für unbegründet hält. Auch der weitere Schriftsatz des Klägers vom 10.06.2020 gab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
1. Die Berufung setzt auch in der Stellungnahme dem – maßgeblich und bereits allein die Entscheidung tragenden – Aspekt nichts Durchgreifendes entgegen, wonach der geltend gemachte Schadensersatzanspruch des Klägers vorliegend jedenfalls an einer Kausalität zwischen einer möglichen sittenwidrigen vorsätzliche Täuschung der Beklagten und dem Kaufentschluß des Klägers scheitert. Selbst wenn im Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Kaufvertrages eine Täuschung der Beklagten noch angedauert hätte, weil sie das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung zur Steuerung des Emissionskontrollsystems manipulierte Dieselfahrzeug im Jahre 2012 mit dem Ziel in Verkehr brachte, dieses am Markt abzusetzen, war dies in dem vorliegend zu beurteilenden, konkreten Einzelfall nach den eigenen Angaben des Klägers in der informatorischen Anhörung in erster Instanz nicht ausschlaggebend für seinen Willensentschluss, das Fahrzeug zu erwerben.
Der Senat stellt nicht in Abrede, dass dem Kläger die Nichtbetroffenheit vom sog.
Dieselskandal wichtig war und er das Auto nicht erworben hätte, wenn er vom Einbau der illegalen Software auch in das streitgegenständliche Fahrzeug gewusst hätte (Stellungnahme, S. 2). Allerdings war dem Kläger zum Zeitpunkt des Kaufes die Abgasproblematik bei Fahrzeugen der Beklagten durchaus bewußt. Die (versuchte) sittenwidrige Täuschung hätte daher nicht dazu geführt, daß er das streitgegenständliche Fahrzeug erworben hätte. Ursächlich für den Erwerb eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeuges war im vorliegenden Fall nach dem eigenen Vortrag des Klägers die behauptete Falschauskunft des Verkäufers der Firma S., wonach das Fahrzeug gerade nicht von der Abgasproblematik betroffen wäre. Erst aufgrund dieser Auskunft entschloß sich der Kläger zu dem Kauf, den er ansonsten nicht durchgeführt hätte. Konsequenterweise nahm der Kläger ursprünglich vor dem Landgericht München I neben der Beklagten die S. M. C. GmbH in Anspruch, wobei das Verfahren gegen die hiesige Beklagte später mit Beschluss vom 20.03.2019 (Bl. 361/362) abgetrennt und an das hiesige Erstgericht (Landgericht München II) verwiesen wurde.
2. Der Senat sieht keine Veranlassung, mit der Entscheidung den 28.07.2020 und den an diesem Tag anberaumten Verhandlungstermin vor dem BGH (VI ZR 5/20) abzuwarten.
Dies widerspräche zum einen der gesetzlichen Vorgabe in § 522 Abs. 2 ZPO, wonach der Senat bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen – wie hier – die Berufung unverzüglich zurückweisen soll.
Zum anderen ist (auch aus dem Terminshinweis Anlage BK 3) nicht ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof über die im vorliegenden Einzelfall vorliegende Konstellation zu befinden hat (= Frage der Kausalität bei Fahrzeugerwerb in Kenntnis des sog. Dieselskandals trotz ausdrücklicher Nachfrage nach der Betroffenheit beim (unabhängigen) Veräußerer und – behaupteter – Verneinung durch diesen). Gleiches gilt i. Ü. für das als Anlage zur Stellungnahme vorgelegte Urteil des OLG Stuttgart – 14 U 160/19. Dort (S. 7) stellte das OLG Stuttgart fest: „Dabei wurde weder vom Verkäufer darüber aufgeklärt, dass das Fahrzeug zu den vom sog. „Abgasskandal“ betroffenen gehört, noch war überhaupt beim Verkaufsgespräch davon die Rede“.
3. § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO stehen einer Entscheidung des Senats nach § 522 Abs. 2 ZPO nicht entgegen.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind entgegen der Auffassung der Berufung nicht gegeben. Es liegt weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache vor noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 522 Abs. Nr. 2 und 3 ZPO).
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 12).
Die Frage, ob eine (unterstellt) sittenwidrige vorsätzliche Täuschung der Beklagten im konkreten Fall und nach den eigenen Angaben des Klägers vorliegend kausal für seinen Willensentschluss war, das Fahrzeug zu erwerben, stellt jedoch eine einzelfallbezogene Tatsachenfrage dar.
Der Umstand, dass eine einheitliche Entscheidung des Revisionsgerichts in mehreren denselben Sachverhalt betreffenden Parallelverfahren angestrebt wird, gibt der Sache keine allgemeine, mithin grundsätzliche Bedeutung (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 14; Beschluss vom 22. September 2015 – II ZR 310/14, ZIP 2016, 266 Rn. 5).
Die Revision ist nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung wegen Divergenz zuzulassen.
Das wäre dann der Fall, wenn in der Entscheidung des Berufungsgerichts ein abstrakter Rechtssatz aufgestellt würde, der von einem in anderen Entscheidungen eines höheren oder eines gleichgeordneten Gerichts aufgestellten abstrakten Rechtssatz abweicht (BGH, Beschluss vom 23.01.2018 – II ZR 76/16, Rn. 10; Beschluss vom 29. Mai 2002 – V ZB 11/02, BGHZ 151, 42, 45; Beschluss vom 1. Oktober 2002 – XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 186; Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 293 mwN; Beschluss vom 9. Juli 2007 – II ZR 95/06, ZIP 2007, 2074 Rn. 2).
Einen solchen abstrakten Rechtssatz stellt der Senat bei der Beantwortung der Frage, ob im vorliegenden konkreten Einzelfall eine (unterstellt) sittenwidrige vorsätzliche Täuschung der Beklagten nach den eigenen Angaben des Klägers kausal für seinen Willensentschluss war, das Fahrzeug zu erwerben, nicht auf.
Soweit die Berufung etwa Urteile der Oberlandesgerichte Hamm, Stuttgart und Koblenz benennt, die einen Anspruch der Fahrzeugerwerber auch nach der Ad-Hoc-Mitteilung bejaht haben, so beinhalten diese in der Kausalitätsfrage (ebenfalls) ausführlich begründete, auf Tatsachenbasis getroffene Einzelfallentscheidungen und stellen insoweit keine abweichenden abstrakten Rechtssätze auf (OLG Stuttgart, a. a. O.; OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019 – I-13 U 149/18 -, Rn. 53 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 03. April 2020 – 8 U 1956/19 -, Rn. 72 ff.)
Die Fortbildung des Rechts erfordert aus diesem Grund ebenfalls keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
4. Eine mündliche Verhandlung ist vor diesem Hintergrund nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO bestimmt.

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