Verwaltungsrecht

Anordnungen zur Hundehaltung (Leinen- und Maulkorbpflicht)

Aktenzeichen  10 B 18.1470

Datum:
9.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 122
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2
BayVwVfG Art. 37, Art. 41 Abs. 5, Art. 43 Abs. 1 S. 1
VwZVG Art. 8 Abs. 1 S. 2,  Art. 36 Abs. 7
BayJG Art. 42 Abs. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Hauskatzen fallen unter das Schutzgut „Eigentum“ im Sinn des Art. 18 LStVG und dürfen daher auch durch einen „Jagdhund“ nicht gejagt und getötet werden. (Rn. 42)
1. Die Anordnung des Leinenzwangs „innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile“ genügt auch den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Eigenschaft als „großer Hund“ genügt für sich allein für eine Anordnung des Maulkorbzwangs im Außenbereich nicht. (Rn. 46) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht in dem hier noch streitigen Umfang abgewiesen.
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2016 ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage jedenfalls zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zulässig.
a) Gegenstand der Anfechtungsklage ist (nur noch) der „Änderungsbescheid“ des Beklagten vom 26. Februar 2016, der den ersten Bescheid des Beklagten vom 24. August 2015 hinsichtlich sämtlicher sicherheitsrechtlicher Regelungen vollständig ersetzt und lediglich hinsichtlich unselbständiger Teile (Kosten, Begründung) in Bezug genommen hat. Der Bescheid vom 24. August 2015 hat damit seine Erledigung gefunden (Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG). Ebenfalls im Berufungsverfahren nicht mehr Verfahrensgegenstand sind die Regelungen in Nr. 3 und Nr. 6b des Bescheids, deren Aufhebung durch das Verwaltungsgericht rechtskräftig geworden ist.
b) Der „Änderungsbescheid“ des Beklagten vom 26. Februar 2016 ist auch statthafter Gegenstand der Anfechtungsklage, da er formwirksam bekanntgegeben und damit nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG auch rechtlich wirksam geworden ist.
Der Bevollmächtigte des Klägers hatte am 9. September 2015 dem Beklagten unter Vorlage einer schriftlichen Vollmacht die Vertretung des Klägers angezeigt; somit waren ab diesem Zeitpunkt gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG Zustellungen für den Kläger allein an den Bevollmächtigten zu richten. Da der Bescheid vom 26. Februar 2016 auch die Androhung von Zwangsmitteln beinhaltete, erforderte die wirksame Bekanntgabe dieses Bescheids – jedenfalls insoweit – nach Art. 41 Abs. 5 BayVwVfG i.V.m. Art. 36 Abs. 7 Satz 1, Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG die förmliche Zustellung an den Bevollmächtigten des Klägers. Die Zustellung an den Kläger persönlich mit Postzustellungsurkunde am 2. März 2016 genügte daher den dargelegten Anforderungen nicht.
Der Bescheid vom 26. Februar 2016 ist jedoch dem Bevollmächtigten des Klägers mit Postzustellungsurkunde am 8. August 2018 – unbestritten – formgerecht zugestellt worden. Damit liegt zum für das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts ein ordnungsgemäß zugestellter und damit wirksam bekanntgegebener Bescheid vor. Auf die im Rechtsmittelverfahren erörterten Fragen der Heilung eines Zustellungsmangels nach Art. 9 VwVZG und etwaiger Fehlerfolgen kommt es damit nicht mehr entscheidungserheblich an.
c) Die statthafte Anfechtungsklage ist auch fristgemäß (§ 74 Abs. 1 VwGO) erhoben worden.
Auch wenn man im Hinblick darauf, dass sich die Regelung über die förmliche Zustellung in Art. 36 Abs. 7 VwZVG ausdrücklich nur auf die Zwangsmittelandrohung und nicht auch auf die zugrunde liegenden sicherheitsrechtlichen Verwaltungsakte bezieht, annimmt, dass letztere bereits mit der Zustellung an den Kläger persönlich am 2. März 2016 wirksam geworden sind, wäre in diesem Fall im Hinblick auf den Zugang eines mit dem Bescheid vom 26. Februar 2016 inhaltsgleichen Änderungsbescheids mit dem Datum 7. März 2016 die am 7. April 2016 eingegangene Klage auch hinsichtlich der Grundverfügungen noch fristgerecht erhoben worden; jedenfalls wäre insoweit wegen der wohl unverschuldeten Fristversäumung von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO zu gewähren.
2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 26. Februar 2016 (einschließlich der darin in Bezug genommenen Bestandteile des erledigten Bescheids vom 24. August 2015) ist – mit Ausnahme der bereits vom Verwaltungsgericht aufgehobenen Verfügungen Nr. 3 und Nr. 6b – rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die streitgegenständlichen Anordnungen ist Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Danach können Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit und Eigentum Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen.
a) Eine solche Anordnung nach Art. 18 Abs. 2 LStVG darf allerdings nur erlassen werden, wenn im jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelfall eine konkrete Gefahr für die betreffenden Schutzgüter vorliegt (stRspr, vgl. z.B. BayVGH, U.v. 6.4.2016 – 10 B 14.1054 – juris Rn. 19; B.v. 11.2.2015 – 10 ZB 14.2299 – juris Rn. 5 m.w.N.). Dies ist dann der Fall, wenn bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens in dem zu beurteilenden Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in überschaubarer Zukunft mit einem Schadenseintritt gerechnet werden kann. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schutzwürdiger das bedrohte Schutzgut und je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, U.v. 9.11.2010 – 10 BV 06.3053 – juris Rn. 22 m.w.N.). Die Zugehörigkeit eines Hundes zu einer bestimmten Rasse vermag für sich genommen mangels einer in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherten Prognose keine abstrakte oder konkrete Gefahr zu begründen. Der Senat vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass von großen Hunden, die auf öffentlichen Straßen und Wegen mit relevantem Publikumsverkehr frei herumlaufen, eine konkrete Gefahr für Leib und Leben Dritter ausgeht, auch wenn es in der Vergangenheit noch nicht zu konkreten Beißvorfällen gekommen ist (vgl. zuletzt z.B. BayVGH, B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 5; B.v. 12.2.2020 – 10 ZB 19.2474 – juris Rn. 4). Ist es bereits zu einem Beißvorfall oder sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen, ist eine konkrete Gefahr zu bejahen, wenn nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne Erlass einer sicherheitsrechtlichen Anordnung auszuschließen ist (vgl. Schwabenbauer in Möstl/Schwabenbauer, BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht Bayern, Stand 1.5.2020, Art. 18 LStVG Rn. 38 ff.).
Nach diesem Maßstab geht von dem Hund des Klägers eine konkrete Gefahr für Schutzgüter gemäß Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG aus.
Es handelt sich bereits um einen großen Hund im Sinn der Rechtsprechung des Senats, denn ein „Deutsch Drahthaar“ erreicht gemäß dem Rassestandard (FCI-Standard Nr. 98 vom 29.11.2000, S. 6) eine Widerristhöhe von bis zu 68 cm; außerdem handelt es sich auch aufgrund der Züchtung und Ausbildung als Jagdhund um einen kräftigen Hund. Vor allem aber stellt der Hund offensichtlich eine Gefahr für Hauskatzen in seiner Umgebung dar. Auch wenn der Kläger bestreitet, dass sein Hund für alle ihm zugeschriebenen Tötungen von Hauskatzen in der Umgebung verantwortlich gewesen sei, hat er in der mündlichen Verhandlung jedenfalls den Vorfall vom 9. Mai 2015 eingeräumt. Nach Aktenlage hatte er gegenüber dem Beklagten auch den Vorfall vom 17. Mai 2015 nicht bestritten, und für weitere Vorfälle liegen aufgrund der aktenkundigen Zeugenaussagen doch gewichtige Indizien dafür vor, dass der Hund des Klägers jeweils die Katzen getötet hat, auch wenn der Kläger geltend macht, dass es in der Gegend noch weitere gleich aussehende Hunde gebe. Der Kläger selbst weist mehrfach darauf hin, dass sein Hund auf „Raubwildschärfe“ gezüchtet sei und aufgrund seiner Ausbildung als Jagdhund Katzen als „Raubzeug“ ansehe. Auch Hauskatzen unterliegen jedoch als „Eigentum“ dem Schutz des Art. 18 LStVG und dürfen überdies gemäß § 1 Satz 2 TierSchG nicht ohne weiteres getötet werden, wenn sie sich – zumal innerhalb bebauter und bewohnter Bereiche – im Freien aufhalten. Außerdem besteht hier auch eine konkrete Gefahr für die Unversehrtheit von Menschen, da es naheliegt, dass Besitzer versuchen, eine angegriffene Hauskatze gegen den Hund zu verteidigen. Die Ausbildung und Verwendung als Jagdhund dispensiert entgegen der Auffassung des Klägers nicht von der Einhaltung der dargelegten sicherheitsrechtlichen Anforderungen.
b) Der Beklagte hat das ihm zustehende Ermessen auch fehlerfrei ausgeübt.
Der Leinenzwang außerhalb des Haltergrundstücks innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile sowie darüber hinaus im Außenbereich bis zu einem Abstand von 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs ist im konkreten Fall rechtlich nicht zu beanstanden. Da nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Leinenzwang für große Hunde auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen innerhalb der geschlossenen Ortslage bereits gerechtfertigt ist, wenn es noch nicht zu einem konkreten (Beiß-)Vorfall gekommen ist, gilt dies umso mehr, wenn wie hier außerdem eine konkrete Gefahr für sich im Freien aufhaltende Hauskatzen angenommen werden muss. Die Einbeziehung eines zusätzlichen Abstands vom 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs ist hier sachgerecht, da auch in derartigen Ortsrandlagen erfahrungsgemäß häufig Hauskatzen ebenso wie Menschen anzutreffen sind.
Die Anordnung des Leinenzwangs „innerhalb zusammenhängend bebauter Ortsteile“ genügt auch den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG (BayVGH, B.v. 5.6.2020 – 10 ZB 20.961 – juris Rn. 6; B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 8; B.v. 10.3.2017 – 10 ZB 17.136 – juris Rn. 7).
Auch der Maulkorbzwang für den Außenbereich außerhalb eines Abstands von 200 m zum Ende des Bebauungszusammenhangs ist rechtmäßig. Er rechtfertigt sich nicht schon aus der Eigenschaft des klägerischen Hundes als „großer Hund“ – was nach der Rechtsprechung des Senats für sich allein für eine Anordnung des Maulkorbzwangs im Außenbereich nicht genügt (BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 10 CS 17.405 – juris Rn. 9 ff.) -, sondern beruht auf hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die oben dargelegte Gefahr für Hauskatzen und indirekt auch für Menschen sich auch außerhalb des Bebauungszusammenhangs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit realisieren wird. Auch in freiem Gelände sind Katzen kein „Freiwild“, das von einem Hund aus eigener Initiative als „Raubzeug“ getötet werden dürfte, sondern nur vom Jagdschutzberechtigten (Art. 41 BayJG) in einem Jagdrevier (Art. 3 ff. BayJG) im Rahmen des Art. 42 Abs. 1 Nr. 2 BayJG. Für den Einsatz des Hundes als Jagdhund, insbesondere für die Teilnahme an Jagdveranstaltungen, hat der Beklagte ohnehin in Nr. 4 des Bescheids eine Ausnahme von der Leinenpflicht ebenso wie von der Maulkorbpflicht festgesetzt, wenn der Kläger dies jeweils rechtzeitig schriftlich mitteilt. Auch wenn der Kläger diese „Meldepflicht“ als unpraktikabel empfinden mag, führt sie jedenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der zugrunde liegenden sicherheitsrechtlichen Maßnahmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 ff. ZPO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und § 52 Abs. 2 GKG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

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