Aktenzeichen 17 U 123/20
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Das Aufspielen des Softwareupdates kann den Vorwurf eines weiteren deliktischen Handelns nicht ohne Weiteres begründen. Ein Hersteller, der – nachdem er manipuliert hat – mit dem KBA zusammenarbeitet und dann mit dessen Zustimmung ein Softwareupdate auf dem Markt bringt und bei den Fahrzeugen aufspielt, darf davon ausgehen, dass er die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt hat. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Pkw-Käufer, der Kenntnis vom Dieselskandal hatte, konnte nicht mehr getäuscht bzw. geschädigt werden. (Rn. 11 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
15 O 5019/19 2019-12-11 Endurteil LGMUENCHENI LG München I
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 11. 12.2019 wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil sowie das in Ziffer I. genannte Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe erbringt.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
B.
I.
1. Die zulässige Berufung (§§ 511, 517, 520 ZPO) ist nicht begründet (§ 826 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB bzw. Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge; künftig: VOEG 715/07), da vertragliche (Mangel-) Ansprüche mangels Vertrags zwischen den Parteien nicht in Betracht kommen: Selbst wenn man vor Aufspielen des Softwareupdates am 11.11.2016, also vor dem Verkauf des Fahrzeugs an den Kläger, von einer Haftung der Beklagten wegen Betrugs (§ 823 Abs. 2 BGB) oder sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) ausgehen würde, bedarf es für einen Schadensersatzanspruch auf dieser Grundlage des Vorsatzes der Beklagten in Form zumindest eines Verrichtungsgehilfen (§ 831 Abs. 1 Satz 1 BGB), wobei hier der Senat offen lässt, ob dieser hierfür überhaupt ausreicht. Allein ein Mangel hinsichtlich Abgasverhalten des klägerischen Fahrzeugs erübrigt nicht konkreten Sachvortrag zum Vorsatz und/bzw. zur Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten hinsichtlich Aufspielen des Softwareupdates, nicht der ursprünglichen Software.
Geht man von einer Haftung wegen Verstößen gegen Zulassungsvorschriften aus, könnte, Schutzgesetzeigenschaft einmal unterstellt (diese ist aber als höchst problematisch anzusehen), eine Haftung wegen fahrlässigen Verstoßes ausreichen, hierzu bedarf es aber des Vortrags eines konkreten Verstoßes. Dieser wird sich aufgrund der gerichtsbekannten Genehmigung des Softwareupdates durch das KBA kaum durch Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VOEG 715/07 belegen lassen. Allein ein Vortrag, Gerichte gingen dazu über, das Software-Update als unzureichend anzusehen, reichen hierfür nicht aus, auch nicht unter dem Blickwinkel der Grundsätze zur sekundären Darlegungslast.
2. Hinzu kommt: Das Aufspielen des Softwareupdates kann den Vorwurf eines weiteren deliktischen Handelns nicht ohne Weiteres rechtfertigen. Es ist gerichtsbekannt, dass das Aufspielen durch das KBA nach Prüfung der technischen Relevanz nicht nur genehmigt sondern angeordnet wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die früheren Manipulationen an der Abgastechnik durch den Hersteller bekannt. Ein Hersteller, der – nachdem er Manipulation begangen hat – mit dem KBA zusammenarbeitet und dann mit dessen Zustimmung ein Softwareupdate auf dem Markt bringt und bei den Fahrzeugen aufspielt, darf davon ausgehen, dass er die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt hat. Ihm kann kein vorsätzliches oder fahrlässige Handeln einfach unterstellt werden.
3. Zu all dem trägt der Kläger jedoch nichts vor.
II.
Der Kläger konnte wegen seiner bis 09.03.2017 erworbenen Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal nicht mehr durch die Beklagte, deren sittenwidrige Schädigungsabsicht noch am 09.03.2017 einmal unterstellt, getäuscht bzw. geschädigt werden:
1. Der Kläger hat in seiner Parteieinvernahme am 25.05.2020 durch den Senat selbst eingeräumt, den VW-Abgasskandal gekannt zu haben. Weiter gab der Kläger zu, für ihn seien VW, Audi und andere „eine Familie“ gewesen. Er sei auch davon ausgegangen, das sich die Firmen Materialien geteilt hätten. Warum dies nach seiner damaligen Kenntnis für den Motor als teures Einzelteil eines solchen Fahrzeugs nicht gelten sollte, könne er nicht beantworten. Zudem habe ihm der Verkäufer vor Vertragsabschluss gesagt, dass ein Softwareupdate aufgespielt worden sei. Damit sei für ihn der Motor in Ordnung gewesen. Er habe auch keine Veranlassung gehabt, trotz Auftauchens der Marke VW in seinen Unterlagen, diesbezüglich misstrauisch zu werden.
2. Letzteres glaubt der Senat dem Kläger aus zwei Gründen nicht:
a) Zum einen ist es nach Ansicht des Senats unglaubhaft, bei der unter Ziffer B II 1 geschilderten und vom Kläger als zum damaligen Zeitpunkt von ihm als bekannt eingeräumten Einzelheiten von einer Unkenntnis der Erstreckung der Motormanipulation auch auf Audifahrzeuge beim Kläger auszugehen. Bei seinem Verkäufer nachgefragt hat der Kläger nach seinem Eingeständnis nicht, obwohl dies geradezu zwingend auf der Hand lag. Viel näher liegt dann in diesem Zusammenhang, dass der Kläger, auch wenn er dies abstritt, einen entsprechenden Rabatt herausgehandelt hat bzw. ihm dieser von vorneherein angeboten wurde.
b) Auch aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Kläger während seiner Einvernahme ist zur Überzeugung des Senats nicht davon auszugehen, dass der Kläger tatsächlich so geradezu naiv war, wie er nach dem Eindruck des Senats sich darzustellen versuchte. Der Kläger ist nach eigenen Angaben Lehrer für Mathematik und Sport. Gerade ein bestandenes Mathematikstudium für das Lehramt erfordert doch ein erhebliches Potential an logischem Denkvermögen. Und der Eindruck des Senats vom Kläger war, dass sich dieser in der Kaufsituation vor und am 09.03.2017 über die Zusammenhänge des sogenannten Dieselskandals mit seinem zu kaufenden Kraftfahrzeug, auch wenn es kein VW sondern ein Audi war, im Klaren war.
III.
Ein etwaiger Mangel der Software des Softwareupdates vom 11.11.2016, sittenwidrige Schädigungsabsicht der Beklagten und Arglosigkeit des Klägers (weiterhin) unterstellt, war nicht ursächlich für den Kaufentschluss des Klägers:
1. Dieser gab in seiner Parteieinvernahme am 25.05.2020 weiter an, wegen des Updates (von dem der Kläger nicht einmal erfahren haben will, wofür) sei der Motor für ihn in Ordnung gewesen, er habe gefragt, ob er damit weiterhin in Städte fahren könne. Für ihn sei wichtig gewesen, dass das Fahrzeug sparsam sei und weniger CO₂ ausstoße.
2. Der Senat ist der Überzeugung, dass für den Kläger tatsächlich im Wesentlichen ein Kriterium wichtig war: Mit dem Fahrzeug weiterhin (trotz Euro-V-Norm) in Innenstädte fahren zu können, ohne von entsprechenden Fahrverboten betroffen zu sein. Ob also das Fahrzeug tatsächlich NOX-Grenzwerte einhielt, war für ihn zur Überzeugung des Senats tatsächlich nicht relevant und damit auch nicht für seine Kaufentscheidung ursächlich. Im Hinblick auf das Update könnte der Kläger auch noch ohne Weiteres in sämtliche Innenstädte des Bundesgebiets fahren. Dass dies jetzt teilweise verboten bzw. eingeschränkt ist, liegt gerichtsbekannt jedoch nicht an irgendwelchen „Schummelaktionen“ des VW-Konzerns sondern an den unzureichenden Luftschadstoffkonzentrationen einzelner Innenstädte, die auch auf die Abgasnorm Euro V, nicht jedoch auf den sogenannten Dieselskandal zurückgehen sollen. Damit spielte für den Kläger die (angebliche) Existenz eines sogenannten Thermofensters oder Ähnliches für seine Kaufentscheidung keine Rolle.
C
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit dieses und des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 708 Nr. 10 analog, § 711 ZPO.
Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO kam die Zulassung der Revision nicht in Betracht.