Aktenzeichen AN 9 K 17.00959
Leitsatz
1. Eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans ist regelmäßig nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung anzunehmen (sog. Gebietserhaltungsanspruch). Nur durch diese Festsetzungen wird kraft Gesetzes ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Eigentümerinnen und Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet begründet. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) sowie Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) haben in der Regel keine dementsprechende, ein Austauschverhältnis begründende Funktion. Deshalb vermitteln solche Festsetzungen Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Maßgeblich dafür ist die Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall, wobei sich ein entsprechender Wille nicht nur aus dem Bebauungsplan selbst, sondern auch seiner Begründung oder sonstigen Vorgängen in Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung iHv 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. April 2017 in Gestalt des Ergänzungsbescheides vom 27. Februar 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Anfechtungsklage des Klägers gegen den Bauvorbescheid vom 25. April 2017 in Gestalt des Ergänzungsbescheides vom 27. Februar 2018 ist zulässig, insbesondere liegt die Klagebefugnis des Klägers gemäß § 42 Abs. 2 VwGO vor.
Der Kläger ist Nachbar im Sinne des Baurechts, Art. 66 Abs. 1 BayBO. Sein Grundstück mit der FlNr. …, Gemarkung …, … in …, grenzt unmittelbar an das streitgegenständliche Grundstück der Beigeladenen an. Er hat die Bauantragsunterlagen im Rahmen des Verfahrens auf Erteilung eines Vorbescheides nicht unterschrieben, weshalb ihm durch die Beklagte der streitgegenständliche Vorbescheid vom 25. April 2017 sowie der Ergänzungsbescheid vom 27. Februar 2018 zugestellt wurden.
2. Die Klage ist jedoch als unbegründet abzuweisen, da der Vorbescheid der Beklagten, soweit dieser Regelungen enthält, nicht gegen nachbarschützende Rechte des Klägers, auf die allein sich der Kläger berufen kann, verstößt. Eine Beeinträchtigung nachbarschützender Normen durch das geplante Vorhaben „Errichtung eines Einfamilienhauses – Doppelhaushälfte mit einem Carport und einer Garage“ – ist insoweit nicht ersichtlich. Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist planungsrechtlich zulässig und verstößt nicht gegen das planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in seiner subjektiv-rechtlichen Ausprägung.
Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung des Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erteilt werden. Ein Vorbescheid beinhaltet die verbindliche Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, dass dem Bauvorhaben hinsichtlich der zur Entscheidung gestellten Fragen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die vorweg entschiedenen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsfragen sind im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Der Umfang der Bindungswirkung eines bestandskräftigen Bauvorbescheids richtet sich nach den gestellten Fragen und den zugrundeliegenden Plänen (BayVGH, B.v. 29.04.2019 – ZB 15.2606 – juris). Nach ständiger Rechtsprechung können sich Dritte gegen einen Vorbescheid nur dann mit Aussicht auf Erfolg wehren, wenn der angefochtene Vorbescheid rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG Ansbach, U.v. 17.4.2013 – 9 K 12.01176 – BeckRS 2013, 50835).
Im vorliegenden Fall richtet sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 30 Abs. 3 i. V. m. § 31 Abs. 2 BauGB, da das Bauvorhaben der Beigeladenen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … der Beklagten liegt, der als Art der baulichen Nutzung Allgemeines Wohngebiet festsetzt. In nicht zu beanstandender Weise hat die Beklagte in dem Vorbescheid vom 25. April 2017, ergänzt mit Bescheid vom 27. Februar 2018, der Beigeladenen in der Ziffer 2 eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. … wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Westen erteilt.
Eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans ist regelmäßig nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung anzunehmen (sog. Gebietserhaltungsanspruch, grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 ff.; vgl. auch BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – juris Rn. 3 f.; BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 9). Nur durch diese Festsetzungen wird kraft Gesetzes ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Eigentümerinnen und Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet begründet. Das Maß der baulichen Nutzung (§ 16 BauNVO) sowie Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) haben in der Regel keine dementsprechende, ein Austauschverhältnis begründende Funktion. Deshalb vermitteln solche Festsetzungen Drittschutz nur dann, wenn sie ausnahmsweise nach dem Willen der Gemeinde als Planungsträgerin diese Funktion haben sollen. Maßgeblich dafür ist die Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall, wobei sich ein entsprechender Wille nicht nur aus dem Bebauungsplan selbst, sondern auch seiner Begründung oder sonstigen Vorgängen in Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben kann (BayVGH, B.v. 29.7.2014 9 – CS 14.1171 – juris).
Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Voraussetzungen ist die grundsätzlich als nachbarschützend einzustufende Art der baulichen Nutzung Allgemeines Wohngebiet durch die von der Beigeladenen geplante Errichtung eines Einfamilienhauses – Doppelhaushälfte mit einem Carport und einer Garage unproblematisch gewahrt und wurde auch seitens des Klägers nicht gerügt.
Darüber hinaus sind – entgegen den Ausführungen des Klägers – die Abstandsflächenvorschriften kein Prüfungsgegenstand im Vorbescheidsverfahren. Aus der Begründung des Vorbescheides der Beklagten vom 25. April 2017 ergibt sich, dass der vorliegende Bebauungsplan gerade keine Regelungen über Abstandsflächen trifft. Grundlage zur Ermittlung der Abstandsflächen bildet die Abstandsflächensatzung der Beklagten. Die Prüfung der Abstandsflächen ist dem sich anschließenden Baugenehmigungsverfahren vorbehalten. Der von der Beigeladenen eingereichte Abstandsflächenplan wurde dementsprechend von der Beklagten nicht genehmigt und ist damit nicht von der rechtlichen Bindungswirkung des Vorbescheides erfasst.
Ein Verstoß gegen das Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme (§ 15 BauNVO) ist vorliegend nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls nicht erkennbar. Der Kläger wird durch das streitgegenständliche Vorbescheidsvorhaben nicht über das zumutbare Maß in ihren nachbarlichen Interessen beeinträchtigt.
Nach gefestigter Rechtsprechung ist das Maß der gebotenen Rücksichtnahme jeweils von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig. Gegeneinander abzuwägen sind Schutzwürdigkeit des Betroffenen, Intensität der Beeinträchtigung, Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (vgl. BVerwG v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris Rn. 7 m.w.N.). Gemessen an diesen Vorgaben stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben entgegen den Ausführungen des Klägers weder im Hinblick auf die gerügte erdrückende Wirkung noch hinsichtlich anderer Gesichtspunkte als unzumutbar und damit rücksichtslos dar.
Eine optisch erdrückende Wirkung scheidet bereits mangels einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhaben der Beigeladenen und dem Wohngebäude des Klägers aus. Eine er-drückende Wirkung kommt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung allenfalls in Ausnahmefällen bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu be-nachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B.v. 20.7.2010 – 15 CS 10.1151 – juris Rn. 18). Bejaht wurde eine solche Wirkung beispielsweise bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in Entfernung von 15 m zum zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 f.) oder bei einer 11,5 m hohen Siloanlage im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 2 und 15). Allein anhand dieser Beispielsfälle wird deutlich, dass es für die Rüge einer erdrückenden Wirkung auf ein krasses Missverhältnis zwischen Höhe und Nähe der jeweils betroffenen Gebäude an-kommt.
Hier besteht zwischen den beiden Wohngebäuden keine nennenswerte Höhendifferenz, die im Sinne der oben genannten Rechtsprechung ein krasses Missverhältnis belegt. Dies zeigt sich deutlich aus dem im Nachgang zum Vorbescheidsantrag vom 24. Oktober 2016 nachgereichten Schnitt & Ansichten-Plan mit der Plannr., wodurch die Ansichten von Osten und Westen ergänzt wurden. Die westliche Außenwand des geplanten Baukörpers hat eine Länge von 18 m bei einer Traufhöhe von 5,15 m und einem Abstand von 3 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze. Demgegenüber hat der mit Bescheid der Beklagten im Jahr 2016 genehmigte Anbau des Klägers – unter Erteilung einer Befreiung wegen Überschreitung der Baugrenzen in Richtung Osten gemäß § 31 Abs. 2 BauGB – eine Länge von 13,5 m zum Grundstück der Beigeladenen hin und eine Höhe von 3,55 m (Oberkante Attika) bei einem Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze von 4,30 m. Dem Kläger ist zwar einzuräumen, dass durch die Verwirklichung des Bauvorhabens auf dem Nachbargrundstück ein massiver Baukörper entsteht, dennoch erreicht dieser nicht eine derartige Qualität und Größe, dass darin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots gesehen werden könnte Nach alledem ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich der Beigeladene durch die Stellung eines Antrags dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen aufzuerlegen, §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.