Aktenzeichen 10 ZB 20.21
ZPO § 44 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 141 Abs. 2, § 218, § 227 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 31 Abs. 4 S. 2
ARB 1/80 Art. 6, Art. 7
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1
Leitsatz
Ein Anspruch auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bestehe nicht, da bei gebotener Interessenabwägung angesichts der Straffälligkeit des Klägers und des gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Sozialhilfebezugs dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung der Vorrang einzuräumen ist. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 K 19.52 2019-11-26 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage weiterverfolgt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 20. Dezember 2018 zur Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten, ist zulässig, aber unbegründet.
Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, 1.) noch wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, 2.) zuzulassen.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht, das trotz Nichterscheinen des Klägers und seines Bevollmächtigten zum Termin am 26. November 2019 über die Klage entschieden hat, hat die Verpflichtungsklage als unbegründet abgewiesen. Ein Anspruch auf die begehrte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bestehe nicht, weil diese nach Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft und Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis am 15. Dezember 2007 nur gemäß § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nach pflichtgemäßem Ermessen erfolgen könne. Die Beklagte habe bei der danach gebotenen Interessenabwägung angesichts der Straffälligkeit des Klägers und seines gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Sozialhilfebezugs dem öffentlichen Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung den Vorrang einräumen dürfen. Ein atypischer Ausnahmefall liege insoweit nicht vor, weil der Kläger einen krankheitsbedingt nicht zu vertretenden Sozialleistungsbezug oder gar die von ihm angedeutete Schuldunfähigkeit bei der Begehung der Straftaten nicht habe belegen können. Aussagekräftige medizinische Unterlagen sein nicht vorgelegt und auch keine sonstigen neuen Gesichtspunkte vorgetragen worden. Auf ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80 könne sich der Kläger nicht berufen. Zwar habe er im Zeitraum vom 22. Juli 2002 bis 31. Dezember 2005 einen Anspruch gemäß Art. 6 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 erworben. Dieser Anspruch sei jedoch in der Folgezeit untergegangen, weil der Kläger anschließend in einem anderen Beruf tätig gewesen sei. Ein neues Aufenthaltsrecht zur Fortsetzung der Berufstätigkeit nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 habe er danach nicht mehr erreicht.
Soweit sich der Kläger zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf seine Ausführungen in den vorangegangenen Schriftsätzen und insbesondere auf von ihm lediglich begangene „Bagatelldelikte (Leistungserschleichungen)“, „langjährige persönliche und familiäre Bindungen“, vom Verwaltungsgericht nicht hinreichend berücksichtigte und entsprechend gewichtete für ihn „sprechende Umstände“ sowie eine – ungeachtet einer „teilweisen Erwerbsunfähigkeit“ und eines „Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente“ – Assoziationsberechtigung als Arbeitnehmer beruft, genügt sein Vorbringen schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Das Darlegungsgebot erfordert eine substantielle Erörterung des in Anspruch genommenen Zulassungsgrundes sowie eine erkennbare Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 10 ZB 19.1318 – juris Rn. 6; B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2498 – juris Rn. 8; B.v. 24.1.2019 – 10 ZB 17.1343 – juris Rn. 4; B.v. 5.12.2018 – 9 ZB 18.904 – juris Rn. 3 m.w.N.), insbesondere eine substantielle Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil und den insofern entscheidungstragenden Argumenten (vgl. Happ in Eyermann, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 62 ff. m.w.N.). Daran fehlt es hier, weil sich der Kläger weder mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zum langjährigen und auch künftig zu erwartenden Sozialleistungsbezug substantiell auseinandersetzt noch der pauschale Einwand bloßer „Bagatelldelikte“ angesichts deren Häufigkeit und strafrechtlichen Ahndung stichhaltig ist. Nichts anderes gilt für die Behauptung einer Assoziationsberechtigung als Arbeitnehmer, die jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts (UA S.10 bis 12) vermissen lässt.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
Die auf eine nicht ordnungsgemäße Ladung sowohl des Klägers persönlich als auch seines Prozessbevollmächtigten gestützte Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs greift nicht durch. Zwar vermittelt der verfassungsrechtlich (Art. 103 Abs. 1 GG) verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) den Beteiligten das Recht, an einer im Verwaltungsrechtsstreit stattfindenden mündlichen Verhandlung teilzunehmen und sich dort zu Tatsachen und Rechtsfragen zu äußern (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.1990 – 8 C 58.90 – juris Rn. 6). Ein Ladungsmangel liegt jedoch entgegen der Auffassung des Klägers nicht vor. Denn das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Bevollmächtigte des Klägers zum ursprünglich auf den 24. September 2019 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß nach § 102 VwGO geladen worden ist und die wegen seines Nichterscheinens erfolgte neue Terminbestimmung (Dienstag, 26. November 2019, 12:00 Uhr) mit im Termin verkündeten Beschluss eine erneute förmliche Ladung der Parteien ersetzt (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 218 ZPO); der (Ausnahme-)Fall einer Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers nach § 141 Abs. 2 ZPO lag hier nicht vor. Eine beglaubigte Abschrift des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 24. September 2019 mit diesem Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen Empfangsbekenntnis am 30. September 2019 zugestellt.
Die Verhinderung eines durch einen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten (hier: des in der Zwischenzeit in die Türkei abgeschobenen Klägers) rechtfertigt eine Terminänderung bzw. Vertagung regelmäßig nicht (vgl. BayVGH, B.v. 12.8.2019 – 10 ZB 19.32915 – Rn. 9; B.v. 31.5.2019 – 10 ZB 19.613 – juris Rn. 16; B.v. 18.10.2018 – 10 ZB 18.31963 – Rn. 7 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn gewichtige Gründe substantiiert vorgetragen werden, die die persönliche Anwesenheit des Beteiligten in der mündlichen Verhandlung zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur effektiven Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als erforderlich erscheinen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 26.1.1989 – 6 C 66.86 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 8.2.2017 – 11 ZB 17.30041 – juris Rn. 18; B.v. 19.11.2018 – 10 ZB 18.31182 – Rn. 3). Dies war nach der zutreffenden Bewertung des Verwaltungsgerichts, es bedürfe keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung durch persönliche Anhörung des Klägers, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen den Behördenakten zu entnehmen bzw. im bisherigen Verfahren vorgetragen worden seien, nicht der Fall. Einen erheblichen Grund im Sinne des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO für eine Terminsänderung hat das Verwaltungsgericht demzufolge zu Recht verneint.
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) oder des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) liegt auch nicht darin, dass das Verwaltungsgericht trotz der mit Schriftsatz des Bevollmächtigten vom 26. November 2019 geäußerten Besorgnis der Befangenheit „insbesondere der Richterin R.“ (Richterablehnung der Berichterstatterin) die Klage des Klägers mit dem im Termin vom 26. November 2019 verkündeten Urteil (s. § 116 Abs. 1 Satz 1 VwGO) abgewiesen hat. Denn ein zulässiger Ablehnungsantrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem der abzulehnende Richter noch Entscheidungen zu treffen hat, also bis zum vollständigen Abschluss der jeweiligen Instanz (zu dieser zeitlichen Schranke des Ablehnungsrechts vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2011 – 1 BvR 2411/10 – NJW 2011, 2191; BVerwG, B.v. 29.6.2016 – 2 B 18.15 – juris Rn. 38; Hoppe in Eyermann, VwGO, Kommentar, 15. Aufl. 2019, § 54 Rn. 22; Vossler in BeckOK ZPO, Stand 1.1.2020, § 44 Rn. 9; Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 42 Rn. 3). Das Ablehnungsgesuch ist gemäß § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 44 Abs. 1 ZPO bei dem Gericht, dem der abgelehnte Richter angehört, anzubringen. Empfangszuständig ist wegen § 45 Abs. 1 ZPO derjenige Spruchkörper (hier: Kammer), dem der Richter für den betreffenden Rechtsstreit angehört. Da das Ablehnungsgesuch des Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich der Faxkennung erst um 12:08 Uhr und damit nach Beginn der mündlichen Verhandlung am 26. November 2019 (Aufruf der Sache um 12:02 Uhr) bei der Poststelle des Verwaltungsgerichts eingegangen und der den Rechtsstreit entscheidenden Kammer erst nach deren Verkündung des Urteils im Termin (Beendigung der Sitzung um 12:27 Uhr) zur Kenntnis gelangt ist, war es aus vom Kläger zu vertretenden Umständen nicht mehr rechtzeitig und damit der Spruchkörper unter Mitwirkung der Berichterstatterin nicht an einer Entscheidung in der Sache gehindert.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).