Verkehrsrecht

Haftungsverteilung bei Kollision mit einem wendenden Fahrzeug

Aktenzeichen  20 O 8252/17

Datum:
27.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 23609
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 9 Abs. 5
StVG § 7, § 17, § 18
VVG § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BGB § 249, § 253

 

Leitsatz

1. Zur Haftungsverteilung bei einer Kollision zwischen einem nach vorherigem Halt an einer Lichtzeichenanlage bei Grünlicht anfahrenden Kradfahrer und einem Fahrzeug, dessen Fahrer gerade ein Wendemanöver vollzieht (hier 75% zu 25% zu lasten des Wendenden). (Rn. 21 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Bemessung des Schmerzensgeldes in einem solchen Fall, wenn der Kradfahrer bei folgenlos ausgeheilten Verletzungen mehrere Wochen lang einen Gilchristverband tragen und die Schulter ruhig stellen musste (1.000 Euro unter Berücksichtigung einer 25%igen Mithaftung). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 4.006,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.966,68, € seit 13.05.2017 und aus 39,78 € seit 12.09.2017 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 € zu bezahlen.
3. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 571,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 15.06.2017 zu bezahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 52 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 48 % zu tragen.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Gründe

Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
Gemäß den §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG in Verbindung mit §§ 249, 253 BGB haften die Beklagten dem Kläger samtverbindlich auf einen Teil des geltend gemachten Schadens.
Haftung dem Grunde nach:
Die Beklagten haften für den Schaden des Klägers zu 75 %.
Die Beklagte zu 1 hat § 9 Abs. 5 StVO verletzt, weil sie gewendet hat und sich dabei nicht so verhalten hat, dass die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war.
Aus dem nachvollziehbaren Gutachten des erfahrenen und anerkannten Sachverständigen Herrn … ergibt sich, dass die Beklagte zu 1, wenn sie die Kurve entsprechend eng genommen hätte, in einem Zug hätte wenden können. Tatsächlich gelang dies jedoch unstreitig nicht, sondern sie musste zurücksetzen, wodurch es zur Kollision mit dem Kraftrad des Klägers kam.
Dass das Beklagtenfahrzeug im Kollisionszeitpunkt stand, ist nicht nachgewiesen, wie sich aus den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen ergibt.
Aufgrund der Aussage der glaubwürdigen Zeugen ergibt sich, dass der Kläger bei Grün in die Kreuzung eingefahren ist, wie es auch selber angegeben hat. Der Zeuge … hat angegeben, der Kläger sei erst losgefahren, als die Ampel von Rot auf Grün sprang, der Zeuge …, dass sie in dem Moment auf Grün sprang, als der Kläger sie passierte. Somit steht jedenfalls als Ergebnis fest, dass der Kläger bei Grün in die Kreuzung einfuhr.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht aber auch fest, dass der Kläger riskant gefahren ist. Dies hat er selber eingeräumt, und es wurde auch von den weiteren Zeugen bestätigt.
Der erfahrene Sachverständige hat angegeben, dass der Kläger den Unfall hätte vermeiden können, wenn er rechtzeitig verlangsamt hätte. Zwar hat er bei seiner Anhörung auf Nachfrage des Klägers eingeräumt, dass unterstellt, man nimmt den Punkt, wenn das Beklagtenfahrzeug steht, also bevor es rückwärts fährt, als Reaktionsaufforderung an den Kläger, dann der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen wäre.
Bei der Verkehrssituation angepasster Fahrweise hätte der Kläger das aber nicht riskieren dürfen.
Deshalb führt diese Aussage des Sachverständigen nicht dazu, hier von einer Unvermeidbarkeit des Unfalls für den Kläger auszugehen.
Die von ihm selbst eingeräumte riskante Fahrweise, die die Zeugen bestätigt haben, führt zu dem Ergebnis, dass er versuchte, noch am Beklagtenfahrzeug vorbeizukommen, dies aber nicht gelang.
Damit ist dem Kläger ein Mithaftungsanteil von 25 % anzurechnen, aber nicht mehr angesichts des misslungenen Fahrmanövers der Beklagten zu 1.
Haftung der Höhe nach:
der Totalschaden am Kraftfahrzeug in Höhe von 2250 € ist unstreitig ebenso wie die Gutachterkosten in Höhe von 710,19 €, die Zulassungskosten, die Kosten für die Schilder und für den Nutzungsausfall in Höhe von 40,40 €, 15 € und 322 €.
Unstreitig ist ferner die Unkostenpauschale von 30 € sowie die Positionen Helm für 549 € Stiefel für 390 € Handschuhe für 99 € und eine Jacke für 699 €, abzüglich 20 % für alle Positionen außer der Jacke.
Ferner sind die Attestkosten in Höhe von 53,04 € nicht bestritten worden. Das gleiche gilt für die Zuzahlung von 7,90 € für den Gilchrist-Verband.
Aus dem Schadensgutachten des Sachverständigen … ergibt sich nicht, dass der Topcase mit in die Wertung eingeflossen ist, sodass dieser ebenfalls zu ersetzen ist.
Der Gepäckträger ist aber wohl in die Bewertung miteingeflossen und war daher nicht zu berücksichtigen.
Die Transportkosten in Höhe von 120 € für den Transport des verunfallten Motorrads zur Adresse des Klägers sind ersatzfähig, nicht jedoch die für den Transport des neuen Motorrads von … zum Kläger, denn er hätte ein Ersatzfahrzeug auch in … beschaffen können.
Dass das Headset bei dem Unfall beschädigt wurde, ist nicht nachgewiesen.
Der Verdienstausfall war nicht zuzusprechen, denn die Einvernahme des glaubwürdigen Zeugen … hat nicht ergeben, dass er es war, der auf den Aufhebungsvertrag bestand.
Zwar ist durch dessen Angaben klar geworden, dass zwischen ihm und dem Kläger durchaus ein Arbeitsvertrag bestand, der Bestand haben sollte. Allerdings konnte das Argument der Beklagten, dass ein Anspruch auf Aufhebung nicht gegeben war, sodass der Kläger ohne diesen Vertrag für die Zeit seiner Erkrankung volle Lohnfortzahlung erhalten hätte, nicht entkräftet werden. Der Kläger hat diesen Schaden also selbst verursacht durch Abschluss des Aufhebungsvertrages, obwohl sein Arbeitgeber darauf keinen Anspruch hatte.
Danach ergibt sich folgende Rechnung: 2.250 + 710,19 + 40,40 + 15 + 30 + 699 + 53,04 +7,90 +120 + 322 = 4.247,53 + 80 % von (549 + 390 +330 + 99) = 1094,40; das Ganze multipliziert mit 0,75 ergibt insgesamt den zugesprochenen Betrag.
Schmerzensgeld steht dem Kläger zu, da er unstreitig verletzt wurde und nach dem Unfall sechs Wochen krankgeschrieben war. Die Verletzungen sind folgenlos ausgeheilt. Dennoch musste der Kläger mehrere Wochen lang einen Gilchristverband tragen und die Schulter ruhig stellen, sodass ein Schmerzensgeld von 1.000 € angemessen erscheint. Dies bewegt sich auch im Rahmen der vorgefundenen Rechtsprechung, vergleiche Hacks Schmerzensgeldbeträge 2013, Nr. 2247 (AG Nürtingen), 2248 (OLG Düsseldorf), 2249 (LG Köln). Ein höheres Schmerzensgeld zuzusprechen, war nicht veranlasst, weil in die Gesamtabwägung die Mithaftung des Klägers einzubeziehen ist, und weil der Kläger die Verletzung subjektiv nicht als gravierend empfand.
Die Rechtsanwaltskosten sind ebenfalls gemäß § 249 BGB geschuldet, jedoch nur aus dem zugesprochenen Betrag.
Zinsen sind gemäß den §§ 286, 288, 291 BGB geschuldet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 708 Nummer 11, 711 ZPO.
Verkündet am 27.02.2020

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