Aktenzeichen W 3 S 20.30042
Leitsatz
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der zur Person nicht ausgewiesene Antragsteller, nach seinen Angaben ein am … 2001 geborener senegalesischer Staatsangehöriger, beantragte am 18. Januar 2019 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Gewährung politischen Asyls. Hierbei ließ er durch seinen Amtsvormund angeben, er sei im Besitz eines Aufenthaltstitels in Italien gewesen.
Aufgrund der Ladung des Antragstellers zur Anhörung vor dem Bundesamt am 18. März 2019 bat der Amtsvormund um eine Verlegung des Termins mit der Begründung, der Antragsteller befinde sich derzeit nicht in guter psychischer Verfassung und sei derzeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie W… stationär aufgenommen, dies auch wegen Suizidgedanken.
Das Klinikum A., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, stellte mit Bescheinigung vom 31. Januar 2019 die Diagnose Verdacht auf paranoide Schizophrenie und posttraumatische Belastungsstörung.
Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 14. August 2019 gab der Antragsteller an, er gehöre zur Volksgruppe der Peul und habe nie Personaldokumente besessen. In seinem Heimatland habe er bis zu seiner Ausreise in der Region C. gelebt und dort bei seiner Familie gewohnt. Er habe sein Heimatland am 9. Februar 2016 verlassen und sei im August 2018 nach Deutschland eingereist. Er habe sich zwei Jahre lang in Italien aufgehalten. Dort sei er nicht geblieben, weil er nicht gesund gewesen sei und auf der Straße habe schlafen müssen. Er habe sechs Jahre lang die Schule besucht und keinen Beruf erlernt, sondern in der Landwirtschaft der Familie mitgearbeitet. Er begehre deshalb die Gewährung politischen Asyls, weil in der Region C. die Rebellen gegen die Bevölkerung kämpften. Er persönlich sei jedoch weder bedroht noch verletzt noch angegriffen worden. Im Heimatland sei er noch gesund gewesen, während der Reise habe er viel erlebt und gesehen, was ihn belaste. In Libyen habe er sich einen Monat lang im Gefängnis aufgehalten, dort seien Leute vor seinen Augen getötet worden. Er sei in Libyen vergewaltigt worden. Der vom Antragsteller mitgebrachte Psychologe gab an, der Antragsteller bekomme Tabletten zum Schlafen, Einzelgesprächsangebote fruchteten wenig. Die heilpädagogische Wohngruppe gebe ihm einen geschützten Raum.
Der Antragsteller ließ einen Entlassungsbrief des Klinikums A., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, vom 9. April 2019 vorlegen, welcher sich auf einen stationären Aufenthalt vom 15. bis 31. März 2019 bezieht und den Verdacht auf eine schwere Depression mit psychotischen Symptomen und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.
Auf eine entsprechende Anfrage teilte das italienische ministerio dell‘interno unter dem 3. September 2019 mit, dass der Asylantrag des Antragstellers in Italien am 4. Januar 2018 zurückgewiesen worden sei, er jedoch ein humanitäres Aufenthaltsrecht bis 20. Dezember 2019 erhalten habe.
Mit Bescheid vom 3. Januar 2020 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und den Antrag auf Asylanerkennung sowie den Antrag auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Antragsteller wurde unter Abschiebungsandrohung in den Senegal zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung aufgefordert. Gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet; gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller stamme aus einem sicheren Herkunftsstaat und habe nichts glaubhaft vorgebracht, was zu der Überzeugung gelangen ließe, dass in seinem Falle entgegen der Einschätzung der allgemeinen Lage im Senegal die Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ernsthaften Schadens erfüllt seien. Er sei in seinem Heimatland keiner einzigen konkreten gegen seine Person zielgerichteten Verfolgungshandlung ausgesetzt gewesen. In der Region Casamance herrsche seit 2012 de facto Waffenstillstand. Hinsichtlich der psychischen Erkrankung seien keine aktuellen aussagekräftigen Unterlagen zur Verfügung gestellt worden. Die vorgelegten Arztschreiben genügten den Anforderungen an ein entsprechendes ärztliches Gutachten unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht. Es fehle die Beschreibung, wie sich konkret die gesundheitliche Entwicklung im Falle der Rückkehr darstelle. Es liege nicht die Bescheinigung außergewöhnlich schwerer körperlich oder psychischer Schäden bei einer Rückkehr ins Heimatland vor. Auf die weitere Begründung wird Bezug genommen.
Gegen den am 7. Januar 2020 zugestellten Bescheid ließ der Antragsteller am 13. Januar 2020 im Verfahren im Verfahren W 3 K 20.30041 hinsichtlich seiner Ziffern 4 bis 7 Klage erheben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Dies ließ er damit begründen, aufgrund der in der Anhörung festgestellten Traumatisierung sei zumindest die Vermutung des § 60a Abs. 2c AufenthG widerlegt.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen und änderte die Abschiebungsandrohung im angegriffenen Bescheid dahingehend, dass der Antragsteller aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zu verlassen. Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin und denjenigen der Gerichtsakte im Verfahren W 3 K 20.30041, welche Gegenstand des Verfahrens waren, Bezug genommen.
II.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin angeordnete Abschiebungsandrohung, beschränkt auf deren sofortige Vollziehbarkeit.
Der zulässige Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 3 AsylG auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren W 3 K 20.30041 ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Alt. 1 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts überwiegt. Die vom Gericht vorzunehmende Interessenabwägung richtet sich in erster Linie nach den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, wobei die Aussetzung der Abschiebung gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG nur angeordnet werden darf, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Derartige Zweifel liegen nur dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angegriffene Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris Rn. 99).
Im Verfahren W 3 K 20.30041 begehrt der Antragsteller unter Aufhebung von Ziffern 4 bis 7 des Bescheides des Bundesamtes vom 3. Januar 2020 lediglich die Verpflichtung der Beklagten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen. Demzufolge ist im vorliegenden Verfahren lediglich zu prüfen, ob ernstliche Zweifel an der Feststellung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4 des Bescheides vom 3.1.2020), bestehen. Dies ist indes nicht der Fall.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen, wie sie der Antragsteller ausschließlich geltend macht, liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist es, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – BVerwGE 127, 33; BayVGH, U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16). Von einer abschiebungsschutzrelevanten Verschlechterung des Gesundheitszustandes kann nicht schon dann gesprochen werden, wenn eine Heilung des Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist; eine solche Gefahr ist auch nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur, wenn außergewöhnlich schwere körperliche oder psychische Schäden alsbald nach der Einreise des Betroffenen in den Zielstaat drohen (BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 15 ZB 18.30851 – juris Rn. 13; U.v. 23.9.2019 – 8 B 19.32560 – juris Rn. 16). In diesem Zusammenhang verweist § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG auf § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG. Hiernach muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD-10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Die wesentliche Verschlechterung der lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung durch die Abschiebung im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG kann auch auf unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat beruhen. Allerdings ist es nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 und 4 AufenthG). Neben den Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sind auch sämtliche andere zielstaatsbezogene Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Krankheit führen können, in die Beurteilung miteinzubeziehen. Eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung kann demnach insbesondere auch dann eintreten, wenn in dem Abschiebezielstaat Behandlungsmöglichkeiten zwar vorhanden, für den betreffenden Ausländer aber aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht erreichbar sind (BVerwG, B.v. 17.1.2019 – 1 B 85.18 – juris Rn. 5; OVG NRW, U.v. 11.9.2018 – 5 A 3000/15.A – juris Rn. 31).
Auf dieser Grundlage sind keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes im angegriffenen Bescheid, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, erkennbar. Dies gilt insbesondere für die gesundheitliche Situation des Antragstellers.
Der Antragsteller hat im Verfahren vor dem Bundesamt und im vorliegenden Gerichtsverfahren verschiedene diesbezügliche Unterlagen vorgelegt.
Aus der Bescheinigung des Klinikums A…, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters vom 31. Januar 2019 ergibt sich, dass der Antragsteller sich erstmals am selben Tag in dieser Klinik in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung befand. Es wird der Verdacht auf paranoide Schizophrenie und eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Es bestehe eine akute und erhebliche Eigengefährdung. Der Antragsteller habe verschiedene Personen darum gebeten, ihm mit einem von ihm selbst mitgebrachten Messer die Pulsadern aufzuschneiden; später habe er nach einem Seil gefragt. Die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sei zwingend erforderlich.
Im Entlassungsbrief des Klinikums A…, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters vom 9. April 2019 wird der Verdacht auf schwere Depression mit psychotischen Elementen sowie eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Der Antragsteller habe sich vom 15. März 2019 bis zum 31. März 2019 stationär in der Klinik aufgehalten. Seit Januar sei er insgesamt vier Mal in der Kinder- und Jugendpsychiatrie W… gewesen. Am 16. März 2019 habe keine Suizidalität bestanden, am 31. März 2019 Suizidalität im Sinne von konkreten Suizidgedanken. Der Antragsteller habe wiederholt von nächtlichen Albträumen mit intensiver Angst berichtet. Die Unterbringung in der geschlossenen KJP-Intensiveinheit an der Uniklinik W. sei eingeleitet worden. Hier sei er zwischenzeitlich wieder entlassen worden. Im Rahmen eines ambulanten Kontaktes zuletzt am 4. April 2019 habe keine akute Eigen-/Fremdgefährdung/Suizidalität bestanden. Eine erwachsenenpsychiatrische Weiterbehandlung sei dringend geboten.
In einer gutachterlichen Stellungnahme der Diplom-Psychologin und psychologischen Psychotherapeutin N. vom 16. Januar 2020 wird die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung gestellt. Der Antragsteller habe als Minderjähriger seine Heimat mit allen vorhandenen Schutzfaktoren verlassen in der Annahme, dass er mit Sicherheit eine bessere Welt finden würde. In Libyen sei er monatelang entgegen diesen Erwartungen wiederholt grausamen Taten ausgesetzt gewesen, die mit Ängsten, Scham und hoher Anspannung verbunden gewesen seien. Diese Erfahrungen hätten seine koginitiven Grundannahmen in dysfunktionaler Weise verändert. Zudem lösten infolge der Koppelung Trauma-Situation ähnliche Merkmale heute dieselben physiologischen und emotionalen Reaktionen aus wie damals während der Erlebnisse. Dies führe zu Vermeidungsverhalten. Die Durchführung einer intensiven und angemessenen Psychotherapie sei zwingend notwendig. Diese Form der Behandlung sei im Herkunftsland des Patienten nicht gegeben bzw. die dort angebotenen Therapieformen entsprächen nicht dem aktuellen wissenschaftlichen Stand, so dass die Effektivität fragwürdig sei. Eine Abschiebung des Antragstellers in das Herkunftsland würde deshalb höchstwahrscheinlich zu einer Verschlechterung seiner Symptomatik führen und die Suizidgefahr erhöhen oder einen Suizidvollzug hervorrufen.
Diese Unterlagen entsprechen nicht den Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AsylG.
Die Bescheinigung vom 31. Januar 2019 stellt zwar die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung; allerdings finden sich keinerlei Ausführungen, auf welche Art und Weise der die Bescheinigung ausstellende Facharzt zu dieser Diagnose gelangt ist. Vielmehr finden sich lediglich einige Ausführungen zur zu diesem Zeitpunkt bestehenden akuten und erheblichen Eigengefährdung. Ob diese mit der diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung im Zusammenhang steht oder mit dem ebenfalls diagnostizierten Verdacht auf paranoide Schizophrenie, ist nicht erkennbar. Zu den fünf Kriterien, die für die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung erforderlich sind, wird nicht Stellung genommen (vgl. Leitlinie posttraumatische Belastungsstörung, ICD-10 F 43.1, AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 051/0100 der Deutschen Gesellschaft für Psychotherapeutische Medizin, der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychomotorik und Tiefenpsychologie, des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin, der Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie und der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie, zuletzt im Januar 2006 aktualisiert: Kriterium A: Wertigkeit des traumatisierenden Ereignisses; Kriterium B: Flashbacks, Nachhallerlebnisse, Albträume; Kriterium C: Angst, Angstausweitung, Vermeidung; Kriterium D: Erinnerungslücken bzw. Übererregbarkeit; Kriterium E: Zeitliche Zuordnung). Schon deswegen erfüllt die Bescheinigung nicht die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG, zumal die Bescheinigung lediglich auf einem einmaligen Kontakt beruht, so dass nicht nachvollziehbar ist, wie der Arzt zu der gestellten Diagnose gelangen konnte.
Der Entlassungsbrief vom 4. April 2019 benennt als Zeitraum, in welchem der Antragsteller in Behandlung war, den 15. März 2019 bis zum 31. März 2019 sowie den 4. April 2019, ein Zeitraum, der für die Erstellung der Diagnose posttraumatische Belastungsstörung zumindest nicht ungeeignet erscheint, zumal darauf abgestellt wird, welche Untersuchungen vorgenommen worden sind. Allerdings ist diese ärztliche Unterlage nicht schlüssig. Es fehlt (gemäß den oben genannten Diagnosemerkmalen) bereits die Benennung eines traumatischen Lebensereignisses als Auslöser für die Symptomatik. Da eine posttraumatische Belastungsstörung jedoch als „verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“ (vgl. ICD-10 F: 43.1, internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) entsteht, ist die Benennung des entsprechenden Lebenssachverhaltes in der ärztlichen Unterlage erforderlich. Dies ergibt sich auch daraus, dass es Sache des Tatrichters ist, sich Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen (BayVGH, B.v. 13.12.2018 – 13a ZB 18.33056 – juris Rn. 10). Wird jedoch in der ärztlichen Unterlage kein Lebenssachverhalt benannt, der als Auslöser der posttraumatischen Belastungsstörung angenommen wird, ist eine derartige tatrichterliche Überprüfung nicht möglich.
Zudem fehlen in dieser ärztlichen Unterlage auch Ausführungen zur zeitlichen Dimension der posttraumatischen Belastungsstörung. Gemäß ICD-10 F: 43.1 folgt der Beginn dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Soweit erkennbar beruft sich der Antragsteller als Auslöser einer posttraumatischen Belastungsstörung auf Ereignisse während seines Aufenthalts in Libyen. Allerdings hat er sich in Libyen nach seinen eigenen Angaben bald nach der Ausreise aus dem Senegal am 9. Februar 2016 aufgehalten; anschließend befand er sich zwei Jahre in Italien, bevor er im August 2018 nach Deutschland gelangt ist. Dass er bereits in Italien an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankt war, ist zumindest nicht vorgetragen; auch aus der ärztlichen Unterlage vom 4. April 2019 geht hierzu nichts hervor. Vielmehr verhält sich diese Unterlage in keiner Weise zu der Frage, wann und in welcher Form die Symptomatik erstmals beim Antragsteller aufgetreten ist. Auch deswegen fehlt es der Bescheinigung an einer hinreichenden Schlüssigkeit.
Aus dieser Unterlage ist zudem nicht erkennbar, ob und in welcher Art und Weise sich die Erkrankung bei einer Abschiebung in den Senegal wesentlich verschlechtern würde. Insbesondere wären Aussagen erforderlich zu der Frage, ob es bei der Rückkehr in den Senegal zu so genannten Flashbacks kommen könnte, dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Traumatisierung nicht im Senegal, sondern in Libyen erfolgt sein soll.
Die gutachterliche Stellungnahme vom 16. Januar 2020 wurde nicht von einem Facharzt, sondern von einer Diplom-Psychologin erstellt. Sie entspricht damit nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG. Deswegen kann sie lediglich ergänzend herangezogen werden. Diese Stellungnahme benennt als Zeitraum, in welchem ein Kontakt zwischen Antragsteller und Urheberin der Stellungnahme bestand, November 2019 bis 16. Januar 2020. Allerdings ist schon nicht erkennbar, zu wie vielen Kontakten es in diesem Zeitraum gekommen ist. Es ist lediglich von einer psychotherapeutischen „Mitbehandlung“ die Rede. Damit ist für das Gericht nicht erkennbar, ob ein hinreichender Kontakt für eine sachgerechte Beurteilung der gesundheitlichen Problematik des Antragstellers bestanden hat.
Die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung stützt sich auf die Darstellung verschiedener Symptome und auf eine vier Monate andauernde Inhaftierung in Libyen, in deren Rahmen der Antragsteller mehrmals Zeuge und Opfer grausamer Gewalttaten gewesen sei. Einzelheiten werden nicht genannt, so dass eine tatrichterliche Würdigung – dies im Zusammenhang mit den Angaben des Antragstellers bei der Anhörung vor dem Bundesamt – nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die Bescheinigung nimmt zudem keine Stellung zur zeitlichen Dimension der Erkrankung, dies insbesondere im Zusammenhang mit dem bereits oben thematisierten etwa zweijährigen Aufenthalt in Italien, den der Antragsteller nach eigenen Angaben nicht wegen einer psychischen Erkrankung beendet haben will, sondern weil er allgemein nicht gesund gewesen sei und zuletzt auf der Straße habe schlafen müssen. Im Übrigen ist diese Bescheinigung in ihrem Unterpunkt „Mikroanalyse“ für das Gericht nicht verständlich.
Damit ist auch diese Bescheinigung nicht dazu geeignet, weder eigenständig noch als Ergänzung zu den genannten ärztlichen Unterlagen und in einer Gesamtschau mit diesen ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu wecken.
Hinzu kommt, dass diese Bescheinigung eine viermonatige Inhaftierung in Libyen benennt, während der Antragsteller bei der Anhörung vor dem Bundesamt als diesbezüglichen Zeitraum lediglich einen Monat genannt hat. Insofern ist auch die Glaubwürdigkeit seines Vorbringens in Frage gestellt.
Weitere Unterlagen, insbesondere solche der Kinder- und Jugendpsychiatrie W…, in der sich der Antragsteller aufgehalten haben soll, sind nicht vorhanden.
Auf dieser Grundlage ist für das Gericht weder die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung als solche plausibel noch wäre – deren Plausibilität unterstellt – hinreichend erkennbar, dass diese Erkrankung durch die Abschiebung in den Senegal zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führen würde (BT-Drs. 18/7538 vom 16.2.20216, S. 18).
Auch dass eine derartige Erkrankung im Senegal nicht hinreichend im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 4 und Satz 5 AufenthG behandelbar wäre oder dass eine solche Behandlung trotz der familiären Unterstützung für den Antragsteller nicht erreichbar wäre, ist für das Gericht nicht erkennbar.
Die allgemein harten Lebensbedingungen im Senegal eröffnen keine Berufung auf den Schutz aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Es ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller bei seiner Rückkehr aufgrund der schlechten allgemeinen Bedingungen im Senegal mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefährdungslage ausgesetzt wäre, d.h. gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgesetzt ist (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N.; BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24/10 – NVwZ 2012, 451 Rn. 20). Dies kann beim Antragsteller nicht angenommen werden. Unabhängig von der Frage, ob er als junger arbeitsfähiger Mann eigenständig in der Lage wäre, sich im Senegal seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist im Senegal hinreichend Verwandtschaft vorhanden, zu der sich der Antragsteller begeben kann und wo er Unterstützung finden würde.
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der streitgegenständlichen Verfügung, der Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 3. Januar 2020, das private Interesse des Antragstellers, zunächst vom Vollzug der angeordneten Maßnahmen verschont zu bleiben. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der entsprechenden Entscheidung des Bundesamtes und es besteht damit kein Grund, der Klage entgegen der gesetzlichen Grundentscheidung in § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen.
Damit war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).