Aktenzeichen 10 CS 19.2402, 10 C 19.2404
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 2 Abs. 3 S. 1, S. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2, S. 4 S. 1, S. 2, § 81 Abs. 1, Abs. 3, Abs. 4 S. 1
AufenthV § 39 S. 1 Nr. 1
SGB II § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 7a
SGB XII § 19 Abs. 2 S. 1, § 41 Abs. 2
Leitsatz
Bei Ausländern, bei denen ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen alsbaldiger Überschreitung der Altersgrenze des § 7a SGB II bevorsteht und die daher gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen können, bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf grundsätzlich nach den Bestimmungen des SGB XII. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
Au 1 S 19.1772 2019-11-15 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg
Tenor
I. Die Verfahren 10 CS 19.2402 und 10 C 19.2404 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Kosten der Beschwerdeverfahren trägt die Antragstellerin.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren 10 CS 19.2402 wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerden der Antragstellerin, die sich gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 15. November 2019 richten, mit dem ihr Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (I.) und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (II.) abgelehnt worden sind, sind unbegründet.
II.
Die zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage, soweit dieser auf die Wiederherstellung der Fiktionswirkung abzielte, mit dem angefochtenen Beschluss bereits mangels Zulässigkeit abgelehnt. Die Gültigkeit der der Antragstellerin erteilten Aufenthaltserlaubnis sei zum 30. September 2018 abgelaufen. Die gesetzliche Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG habe nicht eintreten können, weil der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst am 16./17. November 2018 und damit verspätet eingereicht worden sei. Selbst bei Umdeutung des Antrags in einen Eilantrag nach § 123 VwGO, wäre dieser mangels Anordnungsanspruchs unbegründet. Ein Anspruch auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bestehe nur in dem sich unmittelbar nach Ablauf der Gültigkeit der Aufenthaltserlaubnis anschließenden Jahr, welches vorliegend jedoch bereits zum 30. September 2019 abgelaufen sei. Aber auch im Übrigen lägen die Erteilungsvoraussetzungen nach § 31 Abs. 1 AufenthG nicht vor, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung die ursprünglich erteilte Aufenthaltserlaubnis schon erloschen gewesen sei und deswegen nicht mehr habe verlängert werden können. Gründe, warum die Antragstellung unverschuldet verspätet erfolgt sei, seien nicht vorgebracht worden. Unabhängig davon komme die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 Abs. 4 Satz 2 AufenthG jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorlägen; so sei der Lebensunterhalt der Antragstellerin, insbesondere im Hinblick auf die Alterssicherung, nicht gesichert.
Zur Begründung der Beschwerde trägt die Antragstellerin vor, rechtzeitig die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragt zu haben und verwies hierzu auf eine „Terminbestätigung“ der Antragsgegnerin vom 27. August 2018. Zudem sei der Antragstellerin am 16. November 2018 eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt worden. Auch liege aufgrund häuslicher Gewalt ein Härtefall im Sinne des § 31 Abs. 2 AufenthG vor. Die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis habe gemäß § 39 Satz 1 Nr. 1 AufenthV im Bundesgebiet beantragt werden können. Die Antragstellerin verfüge über ein Einkommen aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit. Im Übrigen wäre ein Sozialhilfebezug nach § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unschädlich.
Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
1. Dabei kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, soweit er sich gegen die in Nr. 1 des Bescheids erfolgte Ablehnung des Antrags auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis richtet, statthaft ist. Insofern hat das Verwaltungsgericht zwar zu Recht festgestellt, dass nur dann, wenn sich ein Ausländer gegen die Versagung eines Aufenthaltstitels wendet und sein Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eine gesetzliche Erlaubnis-, Duldungs- oder Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 3 oder 4 AufenthG ausgelöst hatte, sich der vorläufige Rechtsschutz nach Ablehnung des Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 AufenthG richtet (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2019 – 10 CS 19.1212 – juris Rn. 8 m.w.N.; B.v. 28.10.2014 – 10 C 14.2002 – juris Rn. 13, B.v. 21.6.2013 – 10 CS 13.1002 – juris Rn. 13 ff. m.w.N.). Jedoch gehen die Parteien aufgrund der erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegten „Terminbestätigung“ „in Sachen: Verlängerung Aufenthaltstitel“ nunmehr übereinstimmend von einer fristgerechten Antragstellung am 27. August 2018 aus. Mithin spricht viel dafür, dass im Zuge der Terminvereinbarung zumindest sinngemäß ein Begehren, das auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem bestimmten Aufenthalt im Bundesgebiet gerichtet ist, zum Ausdruck gekommen ist und von der Antragsgegnerin auch so verstanden wurde (Kluth in BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand: 1.11.2019, § 81 Rn. 6; zur Online-Terminbuchung: vgl. BVerwG, U.v. 15.8.2019 – 1 C 23.18 – juris Rn. 28 m.w.N.). In diesem Sinne sind wohl auch die von der Antragsgegnerin am 16. November 2018 ausgestellten Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 4 AufenthG, wonach der Aufenthaltstitel als fortbestehend gelte, zu sehen.
2. Unabhängig davon ist der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz jedenfalls unbegründet. Denn die Antragstellerin kann sich für die der Sache nach nur noch in Betracht kommende weitere Verlängerung des Aufenthaltstitels (§ 31 Abs. 4 AufenthG) nach Ablauf des Verlängerungsjahres (§ 31 Abs. 1 AufenthG) weder auf die Erleichterung des § 31 Abs. 4 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II und XII berufen (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2019 – 10 C 18.1179 – juris Rn. 10 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 8.2.2007 – 4 ME 49/07 – juris Rn. 3 f.; Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 31 Rn. 26), noch ist sie von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) befreit (BayVGH, B.v. 7.8.2019 – 10 C 19.1351 – juris Rn. 4; Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2019, § 31 Rn. 38). Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Bei Ausländern, bei denen ein Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen alsbaldiger Überschreitung der Altersgrenze des § 7a SGB II (hier: 65 Jahre und 9 Monate) bevorsteht und die daher gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II beanspruchen können, bemessen sich Einkommen und Unterhaltsbedarf grundsätzlich nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (SGB) Zwölftes Buch – Sozialhilfe – SGB XII. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die wie die Antragstellerin die – mit § 7a SGB II korrespondierende – Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII demnächst erreicht haben, Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, bestreiten können. Für Ausländer gelten insoweit keine anderen Regelungen (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Dies zugrunde gelegt ist die vom Verwaltungsgericht angestellte Prognose zur nicht tragfähigen Finanzierung der Altersruhe ohne staatliche Sozialhilfe (vgl. BVerwG, U.v. 18.4.2013 – 10 C 10.12 – juris Rn. 13; Uwe Berlit, jurisPR – BVerwG 15/2013 Anm. 4) vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin demnächst aus dem Erwerbsleben ausscheiden wird, mit dem bloßen Hinweis auf die derzeitige Erwerbssituation – ausweislich der beim Verwaltungsgericht vorgelegten Unterlagen verfügt die Antragstellerin derzeit über ein Nettoeinkommen von knapp 900,- Euro/Monat (s. Bl. 83-85 der VG-Akte) – nicht durchgreifend in Frage gestellt. Insbesondere sind damit keine weiteren nachhaltig zur Verfügung stehenden Mittel für den Zeitraum ab Ausscheiden der Antragstellerin aus dem Erwerbsleben dargetan.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO wird ebenfalls zurückgewiesen.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist, wie sich aus den Ausführungen unter I. ergibt, erfolglos geblieben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CE 19.2402 beruht auf § 47 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG. Einer Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 C 19.2404 bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).