Verwaltungsrecht

Erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung

Aktenzeichen  4 ZB 20.30120

Datum:
14.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 1197
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 3
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 132 Abs. 2 Nr. 3, § 138 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

 

Leitsatz

Fehler der Sachverhalts- oder der Beweiswürdigung sind dem materiellen Recht zuzuordnen und können nicht zur Berufungszulassung im Asylrecht führen, da § 78 Abs. 3 AsylG den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht vorsieht. (Rn. 2 – 5) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 13 K 18.31307 2019-11-14 VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO wegen eines Verfahrensmangels – hier wegen der gerügten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach § 138 Nr. 3 VwGO – zuzulassen.
Das rechtliche Gehör als “prozessuales Urrecht” des Menschen sichert den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 – 1 PBvU 1/02 – BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Das rechtliche Gehör gewährleistet im Sinn der Wahrung eines verfassungsrechtlich geboten Mindeststandards, dass ein Kläger die Möglichkeit hat, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu bescheiden. Ein Gehörsverstoß liegt deshalb nur vor, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238/241).
Der Kläger sieht seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt, dass das Verwaltungsgericht seinen Vortrag nicht genügend berücksichtigt habe, wenn es auf Seite 6 der Entscheidungsgründe ausführe, dass der Kläger es trotz ausdrücklicher Nachfrage in der mündlichen Verhandlung unterlassen habe, detailreiche Angaben zum Schlagen und Foltern zu machen. Hierzu zitiert der Kläger die entsprechende Passage aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 14. November 2019, wonach der Kläger auf Frage des Verwaltungsgerichts, was dem Kläger durch die Haschd Al-Schabi an Beschimpfungen, Erniedrigungen und Folter widerfahren sei, u.a. ausgeführt hat: “Dann haben sie mich geschlagen. Sie haben mich geschlagen und da ich Kakai bin, haben sie mich heftig geschlagen. Sie haben zu mir gesagt, nachdem sie mich geschlagen und gefoltert haben, dass ich mich nicht mehr in der Stadt aufhalten darf. Ich habe Ja gesagt, damit ich dieser Folter entgehen kann. Sie haben sich mir gegenüber anders verhalten, nur, weil ich ein Kakai bin. Sie haben mich gequält. Sie haben mir gegenüber Drohungen ausgestoßen, mich beschimpft und mich als Verräter bezeichnet. Sie haben sehr schlechte Wörter benutzt und unangenehme Aussagen getätigt.”
Mit diesem Vortrag wird eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht dargelegt im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG. Allein schon dadurch, dass das Verwaltungsgericht den umfangreichen Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf insgesamt vier Seiten zu Protokoll genommen hat, dürfte sichergestellt sein, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag zur Kenntnis genommen hat. Das Verwaltungsgericht führt in seinem Urteil (UA S. 6) weiter aus, die vom Kläger geschilderten Vorgänge vermögen die Bewertung als Einzelverfolgung nicht zu tragen. Der Kläger habe vorgetragen, er sei beschimpft, geschlagen und gefoltert worden. Trotz ausdrücklicher Nachfrage in der mündlichen Verhandlung habe der Kläger es allerdings unterlassen, detailreiche Angaben zum Schlagen und Foltern zu machen. Lediglich hinsichtlich der Beschimpfungen habe er veranlasst werden können, ergänzend zu sagen, er sei bedroht worden und die Haschd Al-Schabi hätten sehr schlechte Wörter benutzt und unangenehme Aussagen getätigt. Hinsichtlich des Schlagens und Folterns habe es der Kläger bei der nicht näher erläuterten Behauptung belassen. Dies werde deshalb vom Gericht als nicht glaubhaft bewertet. Daraus ergibt sich, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag des Klägers nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern in seinem Urteil auch gewürdigt hat.
In der Sache geht es dem Kläger um die Frage der inhaltlichen Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Bewertung des vom Kläger zu Protokoll gegebenen Vortrags, mithin um die Würdigung der gesamten Umstände des Falls durch das Gericht gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wobei die Sachverhalts- oder Beweiswürdigung grundsätzlich dem Bereich des materiellen Rechts zuzuordnen ist. Aus diesem Grund führt eine fehlerhafte Sachverhalts- oder Beweiswürdigung im Ausgangspunkt zu einem materiell-rechtlichen Fehler, nicht aber zu einem Verfahrensfehler. Im Asylprozess kann die Verletzung materiellen Rechts als solche jedoch nicht zu einer Berufungszulassung führen, weil § 78 Abs. 3 AsylG mangels einer dem § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO entsprechenden Vorschrift den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung gerade nicht vorsieht.
Nichts anderes folgt auch aus dem Umstand, dass Fehler bei der Beweiswürdigung ausnahmsweise – etwa ein Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze – einen Verfahrensmangel in Gestalt der Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) darstellen können (vgl. BVerwG, U.v. 19.1.1990 – 4 C 28.89 – BVerwGE 84, 271; B.v. 8.2.2011 – 10 B 1.11 u.a. – NVwZ-RR 2011, 382 Rn. 3; U.v. 22.3.2012 – 7 C 1.11 – BVerwGE 142, 159 Rn. 36). Denn selbst bei einer Sachverhaltswürdigung, die so schwere Defizite aufweist, dass der Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Verfahrensfehler anzusehen ist, wäre ein daraus resultierender Verfahrensfehler jedenfalls kein Verstoß auch gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs i.S.v. § 138 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO (i.V.m. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG), sondern nur ein allgemeiner Verfahrensfehler i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, auf den aber im Asylprozess ein Berufungszulassungsantrag – anders als etwa ein Revisionszulassungsantrag nach einem Berufungsurteil – nicht gestützt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 17.5.2018 – 14 ZB 17.30263 – juris Rn. 8; OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.2.2012 – OVG 10 N 41.12 – juris Rn. 3 m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

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