Europarecht

Keine Verjährung von Schadenersatzansprüchen bezüglich eines vom Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeugs bei gerichtlicher Geltendmachung im Jahr 2019 und vorübergehender Anmeldung zur Musterfeststellungsklage (hier: Seat Ibiza, Style Salsa 1.6 TDI CR)

Aktenzeichen  22 O 123/19

Datum:
9.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 4173
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1a, § 323 Abs. 5 S. 2, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Zur Frage einer möglichen Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal bei erst nach dem Jahr 2018 erhobener Klage vgl. nunmehr grundlegend BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 793/20; ebenso OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5743; OLG München BeckRS 2020, 11023; BeckRS 2020, 28274; BeckRS 2020, 28789; OLG Koblenz BeckRS 2020, 20955; noch a.A.: OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7263; OLG Oldenburg, BeckRS 2020, 6999; BeckRS 2020, 7000; BeckRS 2020, 6830; LG Bamberg BeckRS 2020, 21464. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Anmeldung zur Musterfeststellungsklage im Jahr 2018 hemmt die Verjährung, so dass eine erst 2019 erhobene Klage des Käufers eines vom Diesel-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs gegen die Herstellerin des Motors nicht verjährt ist. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dem Käufer ist es nicht verwehrt, sich wegen rechtsmissbräuchlicher An- und Abmeldung zur Musterfeststellungsklage auf die Wirkung der Verjährungshemmung zu berufen, wenn er sich am 28.12.2018 zur Musterfeststellungsklage angemeldet und am 18.02.2019 wieder abgemeldet hat. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zu typischen Detailfragen aus VW-Dieselfällen hier: Erstattung von Finanzierungskosten; Gesamtlaufleistung 250.000 km; Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr; keine Deliktszinse. (Rn. 55, 56, 57 und 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, 9.336,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Seat Ibiza, FIN:
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der im Klagantrag zu 1 genannten Zug um Zug Leistung im Annahmeverzug befindet. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.100,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.01.2019 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 9.836,11 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.
Die Beklagte hat der Klägerseite in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt und ist daher der Klägerseite zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet, § 826 BGB. Die Ansprüche sind nicht verjährt.
Die Klägerseite hat daher einen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises von 16.843,30 € abzüglich Nutzungsersatz von 8.964,90 € und zuzüglich der Finanzierungskosten in Höhe von 1.457,71 €, somit von 9.336,11 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges. Die Klägerseite hat weiterhin Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, allerdings nicht in der vollen geltend gemachten Höhe. Der Annahmeverzug war festzustellen.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
I.
Ein Anspruch aus § 826 BGB besteht
1. Das Handeln der Beklagten hat gegen die guten Sitten verstoßen, da sie das Fahrzeug der Klägerseite ab mit einer Software zur Steuerung des Abgasrückführungssystems versehen und auf den Markt gebracht hat, die wegen ihrer Funktionsweise eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 darstellte.
Die Beklagte hat Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA 189 mit einer Software zur Steuerung des Abgasrückführungssystems versehen, die beim Erkennen des Durchfahrens des NEFZ (“Neuer europäischer Fahrzyklus“) in einen NOxoptimierten Prüfstandmodus schaltet, durch den es zu einer höheren Abgasrückführungsrate kam, während das Abgassrückführungssystem im normalen Fahrbetrieb in einem anderen Modus betrieben wurde. Diese Funktionalität der Software zur Steuerung des Abgasrückführungssystems stellte eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2, 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 dar.
Nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, welche die Wirkung von Emissionskontrollsystems verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist gemäß der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
Diese Voraussetzungen erfüllte die von der Beklagten eingesetzten Software aufgrund der beschriebenen Funktionalität, da hierdurch zumindest im Ergebnis im realen Fahrbetrieb die Wirkung des Emissionskontrollsystems gegenüber dem Prüfstandbetrieb verringert wird.
Für diese Auslegung sprechen auch die Erwägungsgründe der VO (EG) 715/2007, wonach durch die Verordnung eine Verbesserung der Luftqualität durch Verminderung von Kraftfahrzeugemmissionen, insbesondere Stickoxidemissionen von Dieselfahrzeugen, angestrebt werden soll. Dieses Ziel könnte ersichtlich nicht erreicht werden, wenn es zulässig wäre, dass die Stickoxidgrenzwerte lediglich im Prüfstandmodus erreicht werden, während durch einen anderen Betriebsmodus der Software zur Steuerung des Abgasrückführungssystems im realen Fahrbetrieb mehr Stickoxide ausgestoßen werden. Dementsprechend ist im Übrigen auch das Kraftfahrtbundesamt von einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegangen und hat die Beklagte Maßnahmen zur Abhilfe durchführen lassen.
Die Erfüllung eines Ausnahmetatbestandes nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 a) – c) VO (EG) 715/2007 ist nicht ersichtlich.
2. Dieses Handeln der Beklagten war sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B. Urteil vom 15.10.2013, VI ZR 124/12) ist ein Verhalten sittenwidrig, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann.
Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt, insbesondere liegt eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten vor. Dies ergibt sich bereits aus dem eingesetzten Mittel, des Einsatzes einer Software zur Umschaltung zwischen verschiedenen Betriebsmodi des Abgasrückführungssystems abhängig davon, ob das Fahrzeug im Prüfstandbetrieb oder realen Fahrbetrieb eingesetzt wird. Die besondere Verwerflichkeit dieses eingesetzten Mittels ist darin begründet, dass diese Funktionalität der Software durch das heimliche und planvolle Vorgehen weder durch die Kunden, welche die Fahrzeuge der Beklagten einsetzen, noch durch Prüforganisationen bzw. Behörden ohne erheblichen Ermittlungsaufwand zu erkennen war, da die unterschiedliche Effektivität des Systems zur Reduzierung der NOx-Emissionen nur durch aufwendige Prüfungen überhaupt zu erkennen ist, anders als z.B. Unterschiede beim Kraftstoffverbrauch oder bei der Leistung des Motors. Die besondere Verwerflichkeit ergibt sich auch aus der hierdurch zutage getretenen Gesinnung der verantwortlichen Personen. Dieser habe sich dafür entschieden, trotz des für die Gesundheit der Bevölkerung wichtigen Ziels der Reduzierung der Stickoxidemissionen von Dieselfahrzeugen eine solche unzulässige Abschalteinrichtung zu verbauen, anstatt durch entsprechende technische Weiterentwicklung, die naheliegenderweise mit einen höheren Kostenaufwand verbunden gewesen sein dürfte, das Problem nachhaltig zu lösen.
Die Beklagte kann auch nicht einwenden, es läge bereits kein kaufrechtlicher Mangel der Fahrzeuge vor, so dass keine sittenwidrige Schädigung anzunehmen sein könne. Ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung weist nicht die Beschaffenheit auf, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann, §§ 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
3. Die Beklagte hat durch ihr sittenwidriges Handeln einen Schaden der Klägerseite kausal hervorgerufen.
Hierbei spielt es keine Rolle, ob durch das Bekanntwerden des Einsatzes der verbotenen Abschalteinrichtung und trotz des Softwareupdates eine Wertminderung des Fahrzeuges eingetreten ist; der Schaden der Klägerseite besteht bereits darin, dass das streitgegenständliche Fahrzeug erworben wurde.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 28.10.2014, VI ZR 15/14) dient der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können, schon eine solche stellt einen gem. § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar.
Die Klägerseite behauptet, bei Kenntnis vom Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung hätte sie das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Dieser Vortrag erscheint zutreffend. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass eine exante-Betrachtung vorzunehmen ist, so dass der Umstand, dass nach dem – bestrittenen – Sachvortrag der Beklagten die Problematik durch das Softwareupdate ohne größeren Aufwand behoben werden konnte und dass das Kraftfahrtbundesamt auch bis zur Entwicklung dieser Maßnahme durch die Beklagte zugewartet hat, keine Rolle spielen kann. Bei einer exante-Betrachtung vom Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses aus konnte ein verständiger Verbraucher jedenfalls nicht davon ausgehen, dass es der Beklagten gelingen würde, eine technische Möglichkeit zur Behebung der Problematik ohne größeren Aufwand bzw. ohne größeren Eingriff in die Technik der Fahrzeuge zu entwickeln, da es ja dann mehr als nahe gelegen hätte, diese Weiterentwicklung bereits damals vorzunehmen und in den Fahrzeugen einzusetzen. Weiterhin hätte ein verständiger Verbraucher zumindest damit rechnen müssen, dass das Kraftfahrtbundesamt zumal bei einer längeren Entwicklungszeit einer solchen Nachrüstungsmaßnahme eine Stilllegung der Fahrzeuge prüft.
4. Die sittenwidrige Schädigung der Klägerseite erfolgte vorsätzlich.
Der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung muss mit Vorsatz der handelnden Personen erfolgt sein. Dies ergibt sich daraus, dass die beschriebene Funktionalität der Steuerung des Abgasrückführungsystems nur durch die komplexe Gestaltung der Software erreicht werden konnte, was nur vorsätzlich denkbar ist.
Auch der Eintritt des Schadens durch Abschluss der Kaufverträge über die Fahrzeuge mit der verbotenen Abschalteinrichtung ist von den handelnden Personen zumindest mit bedingtem Vorsatz in Kauf genommen worden. Es wäre vollkommen lebensfremd, davon auszugehen, dass die handelnden Personen dachten, die Kunden würden die Fahrzeuge auch erwerben, wenn die Beklagte ihnen gegenüber offenbaren würde, dass die Fahrzeuge mit einer verbotenen Abschalteinrichtung ausgestattet sind. Dies ergibt sich aus den bereits dargestellten Überlegungen im Rahmen einer exante-Betrachtung vom damaligen Zeitpunkt aus. Im Übrigen wäre es ansonsten auch nicht erforderlich gewesen, den Einsatz der Abschalteinrichtung geheimzuhalten.
Die Beklagte muss sich die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung entsprechend § 31 BGB zurechnen lassen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28.06.2016, VI ZR 536/15).
Die Klägerseite hat substantiiert vorgetragen, dass verfassungsmäßig berufene Vertreter der Beklagten frühzeitig Kenntnis vom Einsatz der Software gehabt haben, die Beklagte hat diesen Vortrag nicht ausreichend substantiiert bestritten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B. BGH, Urteil vom 11. 03.2010 – IX ZR 104/08) hat sich gemäß § 138 Abs. 2 und 3 ZPO jede Partei über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären; Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, sofern nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Die erklärungsbelastete Partei hat – soll ihr Vortrag beachtlich sein – auf die Behauptungen ihres Prozessgegners grundsätzlich „substantiiert” (d.h. mit näheren positiven Angaben) zu erwidern. Ein substanziiertes Vorbringen kann also grundsätzlich nicht pauschal bestritten werden. Die Verpflichtung zu einem substantiierten Gegenvortrag setzt aber voraus, dass ein solches Vorbringen der erklärungsbelasteten Partei möglich ist. Dies ist in der Regel der Fall, wenn sich die behaupteten Umstände in ihrem Wahrnehmungsbereich verwirklicht haben.
Den substandiierten Vortrag der Klagepartei hat die Beklagte nicht mit einem nach den aufgezeigten Maßstäben des Bundesgerichtshofs ausreichenden Substanziierungsgrad bestritten. Die Beklagte hat im Kern lediglich ausgeführt, nach dem jeweils aktuellen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinne an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien oder die Entwicklung oder Verwendung der Software seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Nach dem jeweils aktuellen Ermittlungsstand lägen auch keine Erkenntnisse dafür vor, dass ein Vorstandsmitglied im aktienrechtlichen Sinne im Zeitpunkt des Kaufvertragschlusses von der Programmierung bzw. vom Einsatz der Software in den Fahrzeugen Kenntnis gehabt habe. Diese Erwiderung reicht nach den aufgezeigten Maßstäben des Bundesgerichtshofs für ein substanziiertes Bestreiten angesichts des substanziierten Vortrags der Klägerseite nicht aus. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei der Beklagten um eine Aktiengesellschaft handelt. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen. Aufgrund der langjährigen Geschäftstätigkeit der Beklagten, der Größe des Unternehmens und der Komplexität der unternehmerischen Tätigkeit, der Herstellung und des nahezu weltweiten Vertriebs von verschiedensten Kraftfahrzeuge, dürfte davon auszugehen sein, dass der Vorstand der Beklagten diese Obliegenheit zur Organisation und Führung des Unternehmens durch geeignete Kontrollsysteme, z.B. Berichtspflichten, umgesetzt hat. Dies gilt insbesondere für einen sensiblen Bereich wie die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben durch die technische Ausgestaltung der Kraftfahrzeuge, da Verstöße gegen gesetzliche Vorgaben für das Unternehmen, zumal außerhalb Deutschlands, massive Folgen nach sich ziehen konnten.
Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Beklagte nicht in der Lage sein sollte, mit einen ausreichenden Substanziierungsgrad auf den substanziierten Sachvortrag der Klägerseite zu erwidern. Nach Bekundungen der Beklagten wird seit Bekanntwerden des Einsatzes der Software intensiv versucht, die Vorgänge intern aufzuarbeiten. Jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht ersichtlich, warum die Beklagte nicht in der Lage sein sollte, zumindest Zwischenergebnisse dieser internen Aufklärung mitzuteilen.
5. Für die Haftung der Beklagten spielt es im Ergebnis keine Rolle, ob der Mangel in Form der unzulässigen Abschalteinrichtung unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB gewesen ist, da selbst bei Annahme einer Unerheblichkeit in diesem Sinne kein zwingender Wertungswiderspruch zu erkennen wäre.
Die Rechtsfolgen eines Rücktritts können den Verkäufer treffen, ohne dass er schuldhaft gehandelt hat, ein kaufrechtlicher Schadenersatzanspruch kann bereits bei fahrlässigem Handeln des Käufers eintreten. Vor diesem Hintergrund versteht sich die normative Korrektur in § 323 Abs. 5 S. 2 BGB. Demgegenüber setzt ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB sowohl Vorsatz als auch eine Sittenwidrigkeit des Handelns voraus. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, weshalb derjenige, der die Tatbestandsvoraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erfüllt, genauso schutzbedürftig sein sollte wie ein Verkäufer, der sich Ansprüchen wegen eines unerheblichen Mangels ausgesetzt sieht.
6. Die klägerischen Ansprüche sind nicht verjährt.
Die Klägerseite hat sich am 28.12.2018 zur Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte angemeldet und hierdurch die Verjährung gehemmt, § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. Der Klägerseite ist es auch nicht verwehrt, sich wegen rechtsmissbräuchlicher An- und Abmeldung zur Musterfeststellungsklage auf die Wirkung der Verjährungshemmung zu berufen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 28.10.2015, IV ZR 526/14) zur rechtsmissbräuchlichen Einleitung eines außergerichtlichen Güteverfahrens ist auf die Anmeldung zum Musterfeststellungsklage nicht zu übertragen, da nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs der Zweck des außergerichtlichen Güteverfahrens in einer Entlastung der Justiz und der Schaffung eines dauerhaften Rechtsfriedens durch konsensuelle Lösungen besteht, was auf die Musterfeststellungsklage so nicht zutrifft. Sonstige konkrete Anhaltspunkte für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten wurden von Beklagtenseite nicht aufgezeigt.
7. Die Klägerseite ist im Rahmen ihres Schadensersatzanspruches so zu stellen, als ob sie den Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht abgeschlossen hätte. Die Beklagte hat daher Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges zu leisten.
Zu ersetzen sind folglich auch die Zinsen in Höhe von 1.457,71 Euro, welche die Klägerseite für die Finanzierung des Fahrzeugs zahlen musste.
Entgegen der von der Klägerseite vertretenen Auffassung hat sich der Kläger Wertersatz für Nutzungen anrechnen zu lassen, da er das Fahrzeug normal nutzen konnte und offensichtlich angesichts der nicht unerheblichen Fahrleistung auch genutzt hat.
Das Gericht schätzt gemäß § 287 ZPO die Höhe des Nutzungsersatzes ausgehend von einer fiktiven Gesamtfahrleistung von 250.000 km. Die Klägerseite muss sich demnach bei einer Fahrleistung von 133.058 km (Kilometerstand bei Kauf: 10) und einem Kaufpreis von 16.843,30 € einen Nutzungsersatz in Höhe von 8.964,90 € anrechnen lassen. Es verbleibt ein Rückzahlungsanspruch hinsichtlich des Kaufpreises in Höhe von 7.787,40 Euro.
Die Klägerseite hatte daneben Anspruch auf Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, jedoch lediglich in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer aus einem Gegenstandswert von 18.801,02 €. Eine höhere Geschäftsgebühr ist nach Ansicht des Gesichts nicht angezeigt, da es sich bei den „VW-Klagen“ um ein Massengeschäft handelt, so dass die rechtlichen und tatsächlichen Probleme nicht für jeden Fall aufwendig erarbeitet werden müssen.
II.
Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 BGB.
Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf Verzinsung ab Kaufvertragsabschluss, da die Voraussetzungen des § 849 BGB nicht erfüllt sind, weil weder eine Entziehung noch eine Beschädigung einer Sache vorliegt.
Verzugszinsen sind ab dem im klägerischen Aufforderungsschreiben gesetzten Zahlungstermin, hier dem 17.01.2019, zu zahlen.
III.
Die übrigen prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO, 48 GKG. Beim Streitwert wurde für den Zahlungsantrag Ziff 1 ein Streitwert von 9.336,11 €, für den Feststellungsantrag Ziff. 2. ein Teilstreitwert von 500 € angesetzt.

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