Baurecht

Erfolgloses Rechtsmittel gegen abgewiesene Nachbarklage gegen die Baugenehmigung für fünf Ferienchalets

Aktenzeichen  1 ZB 18.268

Datum:
16.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34528
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 2
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1
BayBO Art. 3 Abs. 1 S. 1, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Aus dem Rücksichtnahmegebot ist für den Eigentümer eines Waldgrundstückes trotz durch die Bebauung möglicherweise steigender Haftungsrisiken kein Anspruch auf Freihaltung des Baumwurfbereichs von jeglicher Bebauung ableitbar. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Einhaltung der Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO und die Regelung des Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO dienen den Interessen der Allgemeinheit und haben grundsätzlich keinen nachbarschützenden Charakter. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 1 K 17.2753 2017-09-26 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger wendet sich als Nachbar gegen eine dem Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von fünf Ferienchalets. Er ist Eigentümer zweier bewaldeter Grundstücke im Außenbereich, an die die genehmigten Baukörper bis zu einer Entfernung zwischen ca. 5,50 m und ca. 15 m heranreichen. Das Bauvorhaben liegt im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „Sondergebiet … …“ der Beigeladenen zu 2), der mit Urteil des Senats vom 26. November 2019 für unwirksam erklärt wurde, da im Durchführungsvertrag keine Frist für die Realisierung des Vorhabens vereinbart worden war. Die gegen die Baugenehmigung gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. September 2017 abgewiesen. Eine Nachbarrechtsverletzung, insbesondere des Rücksichtnahmegebots, liege nicht vor, selbst wenn das Bauvorhaben planungsrechtlich unzulässig sein sollte. Der Eigentümer angrenzender Waldflächen könne keine Freihaltung des Baumfallbereichs beanspruchen. Die streitgegenständliche Bebauung erschwere die Nutzbarkeit des Waldgrundstücks nicht erheblich. Verkehrssicherungspflichten bestünden unabhängig von der Baugenehmigung. Drohende Schadensersatzansprüche seien keine baurechtlich geschützte Abwehrposition und würden zudem durch die verstärkte Ausführung des Dachstuhls der Gebäude verringert. Die Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO bzw. Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO hätten keinen nachbarschützenden Charakter.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor bzw. ist nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall.
Der Kläger macht geltend, dass mit der Baugenehmigung gegen das in der Rechtsprechung anerkannte Gebot der Rücksichtnahme verstoßen werde und er in unerträglichem Maße in seiner Grundstücksnutzung beeinträchtigt werde.
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass das Bauvorhaben des Beigeladenen zu 1 nicht zu Lasten des Klägers gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt, auf das sich der Kläger gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB berufen kann (vgl. BVerwG, U.v. 27.6.2017 – 4 C 3.16 – BVerwGE 159, 187). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122; BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 16; B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4).
Daran gemessen sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum (drittschützenden) Gebot der Rücksichtnahme nicht zu beanstanden. Es hat zutreffend angenommen, dass die Bebauung nicht rücksichtlos ist, eine forstwirtschaftliche Nutzung des klägerischen Waldes nicht ausschließt und gewisse Erschwernisse bei der Bewirtschaftung zumutbar sind. Nicht jede Beeinträchtigung des Eigentums durch eine benachbarte bauliche Nutzung ist rücksichtslos. Ebenso wenig besteht ein Anspruch, vor einer mit einer Nachbarbebauung verbundenen Änderung der Situation und einer damit einhergehenden Wertminderung bewahrt zu bleiben (vgl. BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – NVwZ-RR 1998, 540; BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 1 ZB 18.696 – juris Rn. 9). Damit sind auch gewisse Veränderungen in den Bewirtschaftungsanforderungen und die damit verbundenen Gewinneinbußen hinzunehmen.
Die Behauptung des Klägers, dass das Waldgrundstück über bloße Bewirtschaftungserschwernisse hinaus infolge der streitgegenständlichen Bebauung forstwirtschaftlich nicht mehr nutzbar sei, erschließt sich auf Grundlage seines Sachvortrags nicht. Indem er erklärt, dass die Fällung zweier Bäume einen Aufwand von 117 Euro verursacht habe, während deren Wert ausweislich der Angaben im Schriftsatz vom 13. März 2018 160 Euro betragen habe, belegt er nicht, dass eine wirtschaftliche Nutzung des Waldes nicht mehr möglich sei. Vielmehr führte im geschilderten Einzelfall selbst die Fällung einzelner Bäume in schwieriger Situation nicht zu einer Kostenunterdeckung. Mit der Zulassungsbegründung wird auch nicht dargelegt, inwiefern erhöhte Aufwendungen für zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen unzumutbar wären. Allein die Behauptung, dass es in Teilbereichen eines Maschineneinsatzes bedürfte, genügt zur Darlegung der fehlenden Wirtschaftlichkeit nicht, nachdem ein Maschineneinsatz bei der Waldbewirtschaftung üblich ist.
Die Bewertung des Verwaltungsgerichts wird auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass der Kläger vorträgt, dieses sei zu Unrecht von einer angrenzenden Campingplatznutzung ausgegangen, während dieser Bereich tatsächlich bewaldet gewesen sei. Seine Beurteilung zur Rücksichtslosigkeit des Vorhabens hat das Verwaltungsgericht gerade nicht auf diesen Umstand gestützt. Ausweislich der Urteilsgründe wird die Frage, ob sich das Haftungsrisiko gegenüber einer zuvor bestehenden Campingplatznutzung tatsächlich erhöht, ausdrücklich offengelassen (vgl. UA S. 9 „kann dahinstehen“).
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes durch infolge der Bebauung entstehende Verkehrssicherungspflichten oder mögliche Schadensersatzforderungen zeigt die Zulassungsbegründung ebenfalls nicht auf. Das Verwaltungsgericht hat unter anderem mit Verweis auf die Rechtsprechung des Senats zutreffend festgestellt, dass aus dem Rücksichtnahmegebot für den Eigentümer eines Waldgrundstückes trotz durch die Bebauung möglicherweise steigender Haftungsrisiken kein Anspruch auf Freihaltung des Baumwurfbereichs von jeglicher Bebauung ableitbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.1997 – 14 ZS 97.1591 – BeckRS 1997, 23847; B.v. 6.11.1989 – 14 CS 89.2551 – n.v.; U.v. 10.3.1987 – 1 B 86.02710 – BayVBl 1987, 727; Wolf in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2019, Art. 4 Rn. 28). Soweit der Kläger vorträgt, die Haftungsfrage sei nicht geklärt und er könne dieser nur durch die Rodung eines 40 m bis 50 m breiten Grundstücksstreifens entgehen, verkennt er, dass es ihm als Waldbesitzer unabhängig von dem streitgegenständlichen Vorhaben grundsätzlich obliegt, einen den Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht genügenden Zustand zu schaffen (vgl. BayVGH, B.v. 5.2.1998 – 14 ZE 98.87 – juris Rn. 2; U.v. 14.1.1997 – 2 B 94.4017 – BeckRS 1997, 18666). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots käme allenfalls bei einer ganz konkreten, nicht bloß abstrakten Baumwurfgefahr in Betracht. Eine konkrete Gefahr ist nicht schon bei der bloßen Möglichkeit eines schädigenden Ereignisses aufgrund eines hypothetischen Sachverhalts anzunehmen, sondern nur, wenn der Schaden bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im konkret zu beurteilenden Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintritt (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 15 ZB 15.2668 – juris Rn. 12). Einen solchen Fall hat der Kläger nicht aufgezeigt. Nach der vom angefochtenen Urteil in Bezug genommenen Stellungnahme des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Traunstein vom 28. Juli 2014 im Bebauungsplanverfahren kann der Gefahrenlage durch die Verstärkung des Dachstuhls hinreichend begegnet werden. Eine solche Ausführung des Dachstuhls ist in den genehmigten Plänen vorgesehen. Die im Zulassungsantrag als besonders gefahrerhöhend angesehene Rodung von Randbäumen auf dem Vorhabengrundstück wurde in der Stellungnahme des Amts für Ernährung Landwirtschaft und Forsten Traunstein bereits berücksichtigt. Fehler der fachlichen Beurteilung, die die Bebauung auch angesichts dieses Umstands für möglich hält, macht der Kläger nicht substantiiert geltend.
Soweit der Kläger auf eine ermessensbindende Funktion des Schreibens des Bayerischen Staatministeriums des Innern vom 11. Juli 1986 Nr. II B7-4101-4.21 (IMS) verweist und ausführt, dass die dort genannten Vorgaben nicht eingehalten seien, bezieht er sich in der Sache auf die nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BayBO in der Fassung vom 22. Juli 2014 erforderlichen, allgemeinen sicherheitsrechtlichen Anforderungen bei Errichtung von Gebäuden an Waldrändern, da das IMS nur hierzu Stellung nimmt (vgl. Nr. 1 und 3 des IMS). Die Einhaltung dieser Vorschrift und die Regelung des Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO, der für die Errichtung eines Gebäudes verlangt, dass das Baugrundstück nach seiner Lage für die beabsichtigte Bebauung geeignet ist, dienen indes den Interessen der Allgemeinheit und haben grundsätzlich keinen nachbarschützenden Charakter (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2016 – 15 ZB 15.2668 – juris Rn. 11; Dirnberger in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2019, Art. 3 Rn. 150, Art. 4 Rn. 28). Die geltend gemachte Nichtbeachtung diesbezüglicher Vorgaben kann der Klage und dem Antrag eines Drittbetroffenen daher nicht zum Erfolg verhelfen.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass der Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt, da diese durch ihre Stellungnahmen das Verfahren gefördert haben und mit ihrem Antrag Erfolg hatten (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Beck Widmann Beil

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen