Verwaltungsrecht

Zur Unwirksamkeit von Unzulässigkeitsentscheidungen des BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 aufgrund von stattgebenden Beschlüssen nach § 80 Abs. 7 VwGO

Aktenzeichen  13a ZB 19.32868

Datum:
2.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32442
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 37
VwGO § 80 Abs. 7

 

Leitsatz

§ 37 Abs. 1 AsylG findet auch auf stattgebende Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs bzw. Oberverwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 5 oder 7 VwGO Anwendung. (Rn. 9 – 14)
Erledigt sich das Hauptsacheverfahren durch einen solchen Beschluss während des Rechtsmittelverfahrens, stellt das Rechtsmittelgericht fest, dass sich die Hauptsache und ggf. das Zulassungsverfahren erledigt haben und erklärt zugleich klarstellend das angefochtene Urteil für unwirksam. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 19.30636 2019-06-27 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass sich die Hauptsache des Rechtsstreits und das Berufungszulassungsverfahren erledigt haben.
II. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2019 ist wirkungslos geworden.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob sich die Hauptsache des Rechtsstreits erledigt hat.
Mit Beschluss vom 27. September 2019 (Az. 13a AS 19.32891 – juris) gab der Senat einem Antrag der Klägerin nach § 80 Abs. 7 VwGO statt und ordnete die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 6. Mai 2019 an, mit dem der Asylantrag der Klägerin wegen Schutzgewährung in einem anderen EU-Mitgliedstaat als unzulässig erachtet worden ist (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Im Eilbeschluss wies der Senat darauf hin, dass die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sowie die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 6. Mai 2019 infolge des stattgebenden Eilbeschlusses unwirksam seien, § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG. Das Bundesamt habe das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG).
Mit Schreiben vom 23. Oktober 2019 hat sodann die Klägerin im vorliegenden Zulassungsverfahren den Rechtsstreit in der Hauptsache unter Verwahrung gegen die Kostenlast für erledigt erklärt.
Mit Schreiben vom 6. November 2019 hat die Beklagte der Erledigungserklärung nicht zugestimmt. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass gegen eine Anwendbarkeit des § 37 Abs. 1 AsylG auf einen Abänderungsbeschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO des Verwaltungsgerichtshofs nicht nur der ausdrückliche Gesetzeswortlaut („Verwaltungsgericht“ und „Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung“) spreche, sondern auch der gesetzgeberische Wille der Verfahrensbeschleunigung. Dieser Verfahrensbeschleunigungswille werde in einem Berufungszulassungsverfahren zumindest nicht in der gleichen Weise gefördert wie in einem erstinstanzlichen Verfahren. Zudem führe eine Anwendbarkeit des § 37 Abs. 1 AsylG vorliegend dazu, dass die in der Hauptsache aufgeworfene Grundsatzfrage letztlich keiner Klärung mehr zugeführt werde, was dem Sinn und Zweck der Berufungszulassung zuwiderlaufe. Es sei nach alledem davon auszugehen, dass sich § 37 Abs. 1 AsylG allein auf Eilbeschlüsse nach § 80 Abs. 5 VwGO erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte beziehe.
II.
1. Auf die einseitig gebliebene Erledigungserklärung der Klägerin und Rechtsmittelführerin ist festzustellen, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache und damit auch das Verfahren auf Zulassung der Berufung erledigt haben.
Die Klägerin hat den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagte hat dieser Erledigungserklärung nicht zugestimmt. Die einseitig gebliebene Erledigungserklärung der Klägerin ist als Antrag auszulegen, die Erledigung der Hautsache festzustellen. Damit wandelt sich der Streit um die Begründetheit des von der Klägerin zulässig erhobenen Antrags auf Zulassung der Berufung in einen solchen über die Frage um, ob sich die Hauptsache des Rechtsstreits erledigt hat. Diese besondere Form der Klageänderung kann (jedenfalls) durch die Klägerin und Rechtsmittelführerin auch im Zulassungsverfahren erklärt werden (BayVGH, B.v. 22.12.2008 – 22 ZB 08.3045 – juris Rn. 1; VGH BW, B.v. 28.6.2007 – 13 S 779.07 – NVwZ-RR, 2007, 823 – juris Rn. 2). Ist die Hauptsache objektiv erledigt, stellt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass sich die Hauptsache des Rechtsstreits und das Zulassungsverfahren erledigt haben, und erklärt zugleich klarstellend das angefochtene Urteil für unwirksam (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 28.4.2011 – 6 ZB 11.328 – juris Rn. 2; vgl. allg. auch OVG LSA, B.v. 4.7.2018 – 2 L 119/16 – NVwZ-RR 2018, 828 – juris Rn. 6; OVG RhPf, B.v. 2.4.2014 – 8 A 10021/14 – juris Rn. 11; SächsOVG, B.v. 27.1.2012 – 5 A 157/10 – juris Rn. 1; NdsOVG, B.v. 25.3.2010 – 11 LA 237/09 – juris Rn. 2).
Der nunmehr auf Feststellung der Erledigung gerichtete Antrag ist begründet.
Der Antrag, festzustellen, dass die Hauptsache erledigt ist, ist nur dann begründet, wenn nachträglich ein erledigendes Ereignis eingetreten ist. Die Hauptsache muss sich objektiv erledigt haben. Die Hauptsache hat sich objektiv erledigt, wenn der Kläger infolge eines nachträglich eingetretenen Ereignisses sein Klagebegehren nicht mehr mit Aussicht auf Erfolg weiterverfolgen kann, seinem Klagebegehren vielmehr rechtlich oder tatsächlich die Grundlage entzogen ist. Es muss eine Lage eingetreten sein, die eine Entscheidung über den Klageanspruch erübrigt oder ausschließt (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 3.7.2006 – 7 B 18.06 – juris Rn. 11).
Hiervon ausgehend hat sich der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamts vom 6. Mai 2019 dadurch erledigt, dass aufgrund des stattgebenden Eilbeschlusses des Senats vom 27. September 2019 (Az. 13a AS 19.32891 – juris) gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG sowie die Abschiebungsandrohung unwirksam geworden sind.
Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG werden die Entscheidung des Bundesamts über die Unzulässigkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG des Asylantrags und die Abschiebungsandrohung unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch auf den hier vorliegenden stattgebenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs nach § 80 Abs. 7 VwGO anwendbar.
Zunächst erfasst die Vorschrift trotz ihrer ausdrücklichen Nennung einer stattgebenden Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO auch Entscheidungen nach § 80 Abs. 7 VwGO. Dies folgt aus dem Umstand, dass ein Beschluss nach § 80 Abs. 7 VwGO letztlich in der Sache nichts anderes ist als ein erneuter Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO, der einen vorangegangenen Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO abändert oder aufhebt (vgl. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO). Dementsprechend ist höchstrichterlich geklärt, dass für Anträge nach § 80 Abs. 7 VwGO die gleichen Grundsätze gelten wie für eine Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO (BVerwG, B.v. 7.9.2005 – 4 B 49.05 – BVerwGE 124, 201 – juris Rn. 4). Für die hier vertretene Auffassung spricht ferner, dass die amtliche Überschrift von § 37 AsylG („Weiteres Verfahren bei stattgebender gerichtlicher Entscheidung“) keine Einschränkung auf stattgebende Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO enthält, sondern jede stattgebende gerichtliche Entscheidung erfasst. Würde man hingegen der Auslegung der Beklagten folgen, dass § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur auf Entscheidungen nach § 80 Abs. 5 VwGO eines erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts anwendbar sei, so würde dies zu dem nicht sachgerechten – und auch nicht der Argumentation der Beklagten entsprechenden – Ergebnis führen, dass ein stattgebender Änderungsbeschluss eines erstinstanzlichen Verwaltungsgerichts nach § 80 Abs. 7 VwGO nicht zur Unwirksamkeit des Bescheids des Bundesamts nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG führen würde, während dies bei einem unmittelbar stattgebenden Beschluss nach § 80 Abs. 5 VwGO der Fall wäre.
Die bereits angeführte amtliche Überschrift von § 37 AsylG („Weiteres Verfahren bei stattgebender gerichtlicher Entscheidung“) macht überdies deutlich, dass entgegen der Beklagten die Norm auch auf stattgebende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs bzw. des Oberverwaltungsgerichts anwendbar ist. Denn eine Beschränkung auf erstinstanzliche Verwaltungsgerichte ist hier nicht enthalten. Ohnehin überzeugt die Ansicht der Beklagten, dass mit dem Begriff „Verwaltungsgericht“ in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG nur erstinstanzliche Verwaltungsgerichte gemeint seien, den erkennenden Senat nicht. Das Asylgesetz differenziert nur in § 78 AsylG begrifflich zwischen Verwaltungsgericht und Oberverwaltungsgericht, da dies dort zur Regelung des Rechtsmittelverfahrens erforderlich ist. Im Übrigen wird der Begriff „Verwaltungsgericht“ im Asylgesetz jedoch bei Fehlen einer weiteren auf die Instanz hindeutenden Spezifizierung (etwa „Kammer“) ersichtlich als Oberbegriff für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (sämtliche Verwaltungsgerichte gleich welcher Instanz) verwendet (vgl. etwa § 42 Satz 1 AsylG: „Die Ausländerbehörde ist an die Entscheidung des Bundesamtes oder des Verwaltungsgerichts über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes gebunden.“). Für die Anwendbarkeit von § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG auch auf stattgebende Eilbeschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs sprechen überdies die Gesetzgebungsmaterialien. Der 1992 in Kraft getretene § 37 Abs. 1 AsylG entspricht ausweislich der amtlichen Gesetzesbegründung inhaltlich dem zuvor geltenden § 10 Abs. 4 AsylVfG a.F. (BT-Drs. 12/2062 v. 12.2.1992, S. 34). § 10 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG a.F. enthielt jedoch ebenfalls keine Beschränkung auf Eilbeschlüsse erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte („Wird dem Antrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprochen, ist der Asylantrag unverzüglich dem Bundesamt zuzuleiten.“).
Soweit die Beklagte meint, dass eine Anwendbarkeit des § 37 Abs. 1 AsylG vorliegend dazu führe, dass die in der Hauptsache aufgeworfene Grundsatzfrage letztlich keiner Klärung mehr zugeführt werde, was dem Sinn und Zweck der Berufungszulassung zuwiderlaufe, führt auch dies zu keinem anderen Ergebnis. Maßgeblich ist insoweit auf den beschleunigenden Normzweck des § 37 Abs. 1 AsylG einer unmittelbaren Fortführung des Asylverfahrens durch das Bundesamt nach einer stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Eilentscheidung (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris Rn. 26) abzustellen, der grundsätzlich auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erreicht wird, was auch die Beklagte im Ausgangspunkt einräumt. Ohnehin hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst darauf hingewiesen, dass es dem Bundesamt jedenfalls nach einem stattgebenden Eilbeschluss freisteht, bei einer erneuten Unzulässigkeitsentscheidung von einer erneuten Abschiebungsandrohung abzusehen oder alternativ den Vollzug einer erneuten Abschiebungsandrohung gemäß § 80 Abs. 4 Satz 1 VwGO bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens auszusetzen, um so eine rechtsgrundsätzliche Klärung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen (BVerwG, U.v. 15.1.2019 – 1 C 15.18 – juris Rn. 48 f.).
2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist wirkungslos geworden (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung). Letzteres gilt auch dann, wenn die Erledigung des Rechtstreits in der Hauptsache nicht übereinstimmend erklärt wurde, sondern sie – wie hier – streitig festzustellen war (BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 11 CS 05.826 – juris Rn. 20 m.w.N.).
3. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat die Beklagte zu tragen.
Über die Kosten eines Erledigungsrechtsstreits ist ausschließlich gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu befinden, ohne dass hierbei Billigkeitserwägungen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO berücksichtigt werden können (BVerwG, U.v. 22.1.1993 – 8 C 40.91 – NVwZ 1993, 979 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 11 CS 05.826 – juris Rn. 21; B.v. 18.12.2002 – 7 CE 02.2672 – juris Rn. 10). Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen waren danach vorliegend der Beklagten aufzuerlegen, da die Klägerin mit ihrem zuletzt nur noch streitgegenständlichen Begehren, die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache sowie des Berufungszulassungsverfahrens festgestellt zu erhalten, in vollem Umfang durchgedrungen ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 80 AsylG).

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