Aktenzeichen AN 17 K 19.00050
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 1a, Art. 68 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BImSchG § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 24 S. 1
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 114 S. 1
Leitsatz
1. Es genügt zur Sicherung der Nachbarrechte nicht, in der Baugenehmigung den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten. Vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Nebenbestimmungen zur Verhütung bzw. Minimierung von Lärmimmissionen erweisen sich nicht erst dann als unabdingbar iSd Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG, wenn eine konkrete Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots durch Lärmimmissionen nachgewiesen ist. Es genügt insoweit bereits die konkrete Gefahr der Verletzung des Rücksichtnahmegebots in der Ausprägung des Lärmschutzes. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der typische bayerische Biergarten ist begrifflich als eine Gaststätte bzw. der im Freien gelegene Teil einer solchen auszulegen, deren Betrieb im Wesentlichen auf Schönwetterperioden während der warmen Jahreszeit beschränkt ist. Das Erfordernis des Gartencharakters verlangt eine Situierung des Betriebs im Grünen, jedenfalls im Freien. Ein Biergarten ist grundsätzlich eher Schank- als Speisewirtschaft. Solange keine Verpflichtung zur Abnahme besteht, steht der Verabreichung von Speisen dem Biergartenbegriff allerdings nicht entgegen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtene Nebenbestimmung Ziffer III. 8. in der dem Kläger erteilten bauaufsichtlichen Genehmigung vom 11. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten. Dem Kläger steht die Baugenehmigung ohne die klagegegenständliche Nebenbestimmung nicht zu (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Bei der hier in Streit stehenden Nebenbestimmung in Ziff. III. 8. der bauaufsichtlichen Genehmigung des Beklagten vom 11. Dezember 2018 handelt es sich um eine selbstständig anfechtbare Auflage im Sinne von Art. 36 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG). Diese Auflage ist einer gesonderten Anfechtung gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zugänglich. Die grundsätzliche Zulässigkeit der isolierten Anfechtung einer Nebenbestimmung und insbesondere einer Auflage im Sinne von Art. 36 BayVwVfG ist inzwischen allgemein anerkannt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 23. Aufl. 2017, § 42 Rn. 22). Von der getrennten Anfechtbarkeit einer Auflage ist auszugehen, wenn bei Aufhebung der Auflage im Klageverfahren kein irreparabel rechtswidriger Torso des Verwaltungsaktes im Übrigen verbleibt. Da die Verpflichtung des Klägers zur Einstellung des Ausschankbetriebes für seine Freifläche ab 22.00 Uhr im angegriffenen Bescheid der nach gedanklicher Abtrennung der Auflage verbleibende Rest-Verwaltungsakt nicht gänzlich sinnentleert erscheint, geht die Kammer von der isolierten Anfechtbarkeit der hier in Streit stehenden Nebenbestimmung aus. Als Adressat der streitgegenständliche Nebenbestimmung ist der Kläger klagebefugt, soweit er – wie geschehen – die Möglichkeit der Verletzung eigener Rechte, hier zumindest in Form eines behaupteten Ermessensfehlers aufzeigt.
2. Die angegriffene Auflage, deren rechtliche Zulässigkeit sich nach Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG i.V.m. § 34 Abs. 1 BauGB und § 3 Abs. 1 BImSchG im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme auf nachbarliche Belange richtet, ist weder wegen inhaltlicher Unbestimmtheit (dazu nachfolgende 2.1) noch wegen sachlicher Unrichtigkeit oder wegen der geltend gemachten Unverhältnismäßigkeit ihrer Anordnung (dazu nachfolgend 2.2) aufzuheben. Auf die Anforderungen nach dem Gaststättenrecht kommt es hier zudem nicht an, da diese nicht Regelungsgegenstand der Baugenehmigung und im Besonderen der angegriffenen Auflage sind. Die behaupteten Ermessensfehler hinsichtlich der Aufnahme der streitgegenständlichen Auflage in die Baugenehmigung liegen ebenfalls im Ergebnis nicht vor (dazu nachfolgend 2.3). Folgerichtig war die Klage als unbegründet abzuweisen.
2.1 Die Formulierung der klagegegenständlichen Auflage begegnet zunächst keinen Bedenken bezüglich einer möglichen Unbestimmtheit, soweit auch Satz 2 dieser Auflage mit der Klage angegriffen ist. Gemäß Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitsgebot bezieht sich nur auf den verfügenden Teil des Verwaltungsakts einschließlich (aller) Nebenbestimmungen, da sie zum verfügenden Teil gehören (Stelkens/Bonk/Sachs/Stelkens, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 37 Rn. 3 u. § 36 Rn. 27). Demnach muss der Entscheidungsgehalt einer Nebenbestimmung für den Adressaten und für Drittbetroffene nach Art und Umfang aus sich heraus erkennbar und verständlich sein. Zweifel an dieser Voraussetzung ergeben sich für Satz 2 der hier streitgegenständlichen Auflage im Hinblick darauf, was dem Tatbestandsmerkmal „die Bewirtung frühzeitig genug einzustellen“ letztlich verbindlich zu entnehmen ist. Jedoch erachtet die Kammer eine solche Formulierung in einer Baugenehmigung, die einen gaststättenbezogenen Kontext aufweist, als noch hinreichend bestimmt, da es insoweit auf den Verständnishorizont des Adressaten der Baugenehmigung, hier also dem Kläger ankommt, wobei gaststättenspezifische Gepflogenheiten mit zu betrachten sind. So können die beiden Sätze der angegriffenen Auflage nicht isoliert betrachtet werden, sondern sind in Bezug zueinander zu lesen. Das entscheidende Kriterium ist dabei aber – auch aus Sicht des Klägers und des Beklagten – das endgültige Betriebsende für die Bewirtung der Freischankfläche um 22.00 Uhr. Diese Zeitbestimmung ist aus sich heraus bestimmt genug, so dass es keinen rechtlichen Bedenken begegnet, wenn dem Kläger im Weiteren in Eigenverantwortung der Führung seines Freischankbetriebes überlassen bleibt, das vorgenannte Tatbestandsmerkmal unter Berücksichtigung der jeweiligen situativen Gegebenheiten (insb. Anzahl der vorhandenen Gäste im Freischankbereich sowie Art, Anzahl und zeitliche Einordnung ausgeschenkter Getränke und Speisen für den Verzehr auf der Freischankfläche) selbst auszufüllen, soweit im Ergebnis die Hauptbestimmung nach Satz 1 der Auflage durch den Kläger gewahrt wird.
2.2 Weiter ist festzustellen, dass die angegriffene Auflage sachgerecht, d.h. zur Erfüllung eines gesetzlich geregelten Zweckes geeignet und erforderlich ist. Zwar hat der Kläger lediglich Ziffer III. 8. der Auflagen und Bedingungen seiner Baugenehmigung zur gerichtlichen Prüfung gestellt. Die unter der Überschrift „Immissionsschutz“ zusammengefassten Nebenbestimmungen stellen nach Auffassung der Kammer indes ein zusammenhängendes Lärmschutzinstrumentarium dar, bei dem einzelne Auflagen und Bedingungen nicht losgelöst von den weiteren Regelungen des Immissionsschutzinstrumentariums betrachtet werden dürfen. Der Regelungskomplex ist erforderlich und geeignet, einen Verstoß des Bauvorhabens gegen das nachbarliche Rücksichtnahmegebot zu verhindern. Dabei ist es unerheblich, dass ggf. nur eine einzige Anwohnerin zum Betrieb des Klägers Nachbarbeschwerden in der Vergangenheit erhoben hat. Der Kläger verkennt, dass die Baugenehmigungsbehörde das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot des Bauvorhabens, wie es sich für den vorliegenden Fall des unbeplanten Innenbereichs aus dem Merkmal „Einfügen“ des § 34 Abs. 1 BauGB entnehmen lässt (Battis/Krautzberger/Löhr /Mitschang/Reidt, 14. Aufl. 2019, BauGB § 34 Rn. 32 m.w.N.), nicht erst dann in den Blick für die Anordnung von Nebenbestimmungen zu nehmen hat, wenn sich Beschwerden von Nachbarn häufen. Vielmehr folgt aus Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG, dass die Genehmigungsbehörde Nebenbestimmungen bei Verwaltungsakten, auf die von Rechts wegen ein Anspruch besteht (so im Fall der Baugenehmigung: Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO), bereits dann in den Blick zu nehmen hat, wenn nur so sichergestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des begehrten Verwaltungsakts erfüllt werden. Unter dieser Betrachtungsweise dienen Nebenbestimmungen, wie sie der Beklagte der Baugenehmigung des Klägers beigegeben hat, gerade auch dem Interesse des Klägers, ein rechtlich beanstandungsfreies Vorhaben genehmigt zu bekommen. Da auch im Falle eines vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 Satz 1 Nr. 1 a) BayBO die Zulässigkeit eines Bauvorhabens im unbeplanten Innenbereich mit den bauplanungsrechtlichen Anforderungen des § 34 BauGB zu prüfen sind, kommt der Einhaltung des vorerwähnten Rücksichtnahmegebots durch das Bauvorhaben des Klägers ungeachtet der Anzahl tatsächlicher Beschwerden von Nachbarn Bedeutung zu. Im Falle des Klägers hatte der Beklagte jedenfalls hinreichende Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots, weil eine Anwohnerin, deren Wohngebäude sich vis-a-vis zur Freischankfläche des Klägers befindet, in der Vergangenheit Beschwerden über den Betrieb des Klägers geäußert hat. Es ist für die zweckgerechte Anordnung und Geeignetheit der hier streitgegenständliche Nebenbestimmung unerheblich, ob die bestehenden Nachbarbeschwerden in der Sache begründet sind oder hinsichtlich ihrer Häufigkeit dem Kläger querulatorisch erscheinen mögen. Denn der Beklagte hat die ihm bekannten Anhaltspunkte für eine mögliche Verletzung des Rücksichtnahmegebots zum Anlass genommen, das Wohnhaus der Beschwerdeführerin als Immissionsort einer immissionsschutzrechtlichen Beurteilung bezogen auf das Bauvorhaben zu unterziehen und hat dabei unter Zugrundelegung einer rechnerischen Prognose festgestellt, dass es der immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen bedarf. Eine Sachwidrigkeit in Form einer Zweckwidrigkeit oder Ungeeignetheit der gesamten Immissionsschutznebenbestimmungen, worunter auch die angegriffene Auflage fällt, ist bei alledem nicht gegeben. Insbesondere wurde nicht vorgetragen, das Wohnanwesen der beschwerdeführenden Nachbarin sei als Immissionsort fälschlich ausgewählt worden, wofür sich dem Gericht auch keine sonstigen Anhaltspunkte aufdrängen.
Soweit der Kläger vorträgt, die Beschwerdeführerin sei erst im Jahr 2017 hinzugezogen und seine Gaststätte mit Freischankfläche habe zu dieser Zeit bereits existiert, so dass die Beschwerdeführerin kein Mehr an Rücksichtnahme von ihm verlangen könne, ist dies ein Prüfungsaspekt des Rücksichtnahmegebots selbst und nicht des Aspektes der Zweckwidrigkeit bzw. Geeignetheit einer immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmung zu einer Baugenehmigung. Die Rechtsprechung füllt das Rücksichtnahmegebot aus den bauplanungsrechtlichen Bestimmungen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes regelmäßig damit aus, dass im Einzelfall betrachtet wird, wie schutzwürdig die Belange des Einen in abwägender Gegenüberstellung zu den schutzwürdigen Interessen des Anderen sind (Rieger in: Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Auflage 2019, BauGB § 34 Rn. 48). In diesem Zusammenhang ist bereits an dieser Stelle festzuhalten, dass der Betrieb des Klägers – unter Heranziehung der von den Parteien dieses Rechtsstreits unwidersprochenen Stellungnahme der Stadt … im Baugenehmigungsverfahren – in einem faktischen Mischgebiet nicht nur auf Gewerbe bzw. weitere Speisewirtschaften trifft, sondern auch – und wohl sogar überwiegend – auf Wohnbebauung. Da dieser Aspekt in die Gesamtbetrachtung als Abwägungskriterium einzustellen ist, dringt der Kläger mit seinem Argument, bei der Beschwerdeführerin handle es sich um eine „Zugezogene“, nicht durch; dies auch, weil die Frage der Rücksichtnahme bezogen auf sein zur bauaufsichtlichen Genehmigung gestelltes Vorhaben zu beantworten ist und nicht primär darauf, was an betrieblichen Zuständen bereits vor Einreichung des Bauantrages bestanden hat. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Bauantrages bei dem Beklagten wohnte die Beschwerdeführerin indes schon im Anwesen …straße … Ob die Bewohnerin der …straße … bereits in der Vergangenheit an ihren früheren Wohnorten ähnliche Beschwerden geführt hat, wie der Kläger vortragen lässt, ist für die Betrachtung des hiesigen Sachverhaltes gänzlich unerheblich.
Die beklagte Auflage ist im Weiteren nicht schon deshalb ungeeignet, ihren Zweck nach Art. 36 Abs. 1 Alt. 2 BayVwVfG auf Sicherstellung der gesetzlichen Voraussetzungen der Baugenehmigung vom 11. Dezember 2018 zu erfüllen, weil – wie der Kläger meint – die Umgebung seiner Gaststätte immissionstechnisch und -rechtlich vorbelastet sei.
Als Grundprämisse der danach durch das Gericht vorzunehmenden Prüfung ist die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes zugrunde zu legen, wonach bei immissionsschutzrechtlichen Nebenbestimmungen sichergestellt sein muss, dass die maßgeblichen, die Nachbarschaft schützenden Grenzwerte, die bei der Nutzung einer genehmigungsfreien Anlage im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes im regelmäßigen Betrieb entstehen, auch tatsächlich eingehalten werden. Es genügt zur Sicherung der Nachbarrechte nicht, in der Baugenehmigung den maßgeblichen Immissionsrichtwert als Grenzwert festzulegen und weitere Nebenbestimmungen vorzubehalten. Vielmehr muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen eingeschränkt werden (BayVGH, B.v. 15.11.2011 – 14 AS 11.2328; U.v. 18.7.2002 – 1 B 98.2945; beide juris). Auch insoweit weist die Kammer für die Bewertung des vorliegenden Sachverhaltes darauf hin, dass die mit der Klage angegriffene Auflage nicht losgelöst von den weiteren, inzwischen bestandskräftigen Nebenbestimmungen zum Immissionsschutz in der Baugenehmigung des Klägers betrachtet werden kann. Dies betrifft vornehmlich die an dieser Stelle zu betrachtende Geeignetheit der beklagten Auflage zur Durchsetzung des mit ihr bzw. dem gesamten Immissionsschutzinstrumentariums verfolgten Zweckes.
Dabei weist die Kammer – wie auch schon in der mündlichen Verhandlung – darauf hin, dass der Kläger unbestritten die Lärmrichtwerte eines Mischgebietes, wie sie Niederschlag in Ziffer III. 3. der Nebenbestimmungen gefunden sowie der weiteren Bestimmungen nach der TA-Lärm, wie sie mittels Ziffer III. 1. der Auflagen und Bedingungen zur klägerischen Baugenehmigung angeordnet wurden, einzuhalten hat. Auch der Beginn der Nachtzeit mit 22.00 Uhr ist danach bestandskräftig festgeschrieben und vom Kläger zu beachten. Es ist nach alledem bereits aufgrund dieser bestandskräftigen Nebenbestimmungen des Gesamtinstrumentariums „Immissionsschutz“ unerheblich, dass nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die Bestimmungen der TA-Lärm auf Freischankflächen dem Grunde nach keine Anwendung finden (so etwa: BayVGH, U.v. 25.11.2015 – 22 BV 13.1686 – BeckRS 2016, 42078). Im Übrigen findet die von dem Beklagten vertretene Auffassung, dass eine entsprechende Heranziehung als antizipiertes Sachverständigengutachten bezüglich einer prognostischen Berechnung nach den Regelungen der TA-Lärm auch im Falle von Freischankflächen möglich bleibt, eine Grundlage in neuerer obergerichtlicher Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 22 CS 17.1664 – BeckRS 2017, 131796 dort Rn. 48).
Damit bedurfte es vorliegend keiner konkreten Messung der von der Freischankfläche des Klägers in Richtung des von dem Beklagten angenommenen Immissionsortes ausgehenden Lärmwerte, um entsprechende Nebenbestimmungen in der Baugenehmigung zur Verhütung bzw. Minimierung von Lärmimmissionen zu rechtfertigen. Entsprechende Nebenbestimmungen erweisen sich nicht erst dann als unabdingbar im Sinne des Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG, wenn eine konkrete Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots durch Lärmimmissionen nachgewiesen ist. Es genügt insoweit bereits die konkrete Gefahr der Verletzung des Rücksichtnahmegebots in der Ausprägung des Lärmschutzes. Dieser Umstand folgt aus den dabei zu berücksichtigenden Vorschriften der §§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 BImSchG, wonach sich im Umkehrschluss aus diesen Normen eine nicht der Genehmigungspflicht des BImSchG unterliegende Anlage dann als rücksichtslos im Sinne des Bauplanungsrechts erweist, wenn sie so errichtet oder betrieben wird, dass die von ihr ausgehenden Immissionen nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Wenn demnach der Gesetzgeber die Eignung hierfür genügen lässt, wozu es für den vorliegenden Fall konkrete Anhaltspunkte gibt, kann sich der Kläger nur dann auf das Erfordernis einer Beurteilung mittels konkreter Lärmwertmessungen zu seinen Gunsten berufen, wenn der Fall aufgrund der Einzelumstände ernsthaft die Möglichkeit nahelegt, dass vom Betrieb seiner Freischankfläche keine immissionsrechtlichen Nachteile für den hier maßgeblichen Immissionsort zu befürchten stehen. Dazu hat der Kläger ohne weitere Substantiierung vorgetragen, das sei im Hinblick auf den vorhandenen Verkehrslärm der viel befahrenen …straße anzunehmen, da insoweit der Verkehrslärm eine abschirmende Wirkung erzeuge. Mit diesem pauschalen Vortrag kann der Kläger allerdings nicht durchdringen. Der hier maßgeblich für die Prognoseberechnung herangezogenen TA-Lärm sowie der für die Beurteilung von Verkehrslärmereignissen heranzuziehenden 16. BImSchV (Verkehrslärmschutzverordnung) ist eigen, dass der Verordnungsgeber die Bewertung der Verkehrsgeräusche abschließend und unabhängig von den Anlagengeräuschen geregelt hat. Dies verdeutlicht, dass die Bundesregierung als Verordnungsgeber und als diejenige Stelle, die die TA-Lärm erlassen hat, die unterschiedlichen Geräuscharten je für sich bewertet wissen wollte und eine Summierung von Anlagen- und Verkehrsgeräuschen nicht ins Auge gefasst hat (VG Ansbach, U.v. 8.11.2007 – AN 18 K 05.04260 – BeckRS 2007, 34435; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 S7 16.3394 – BeckRS 2016, 115870 dort Rn. 27). Eine rechnerische Summierung scheidet aber auch deshalb aus, weil es keine einheitlichen, Anlagen- und Verkehrsgeräusche nach gleichen Kriterien beurteilende Bewertungsverfahren gibt. Eine Berechnung von Lärmbeeinträchtigungen nach Maßgabe eines Summenpegels unter Einbeziehung von Lärmvorbelastungen scheidet nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes grundsätzlich aus (vgl. BVerwG, U.v. 16.5. 2001 – 7 C 16/00 – NVwZ 2001, 1167). Daher brauchte der Beklagte den Verkehrslärm der …straße für die Beurteilung, ob von der Freischankfläche des Klägers bezüglich des Anwesens …straße … als ausgewählter Immissionsort unzumutbare Lärmemissionen ausgehen, zu Recht nicht beachten. Durch den Vortrag des Klägers wird im Ergebnis die Annahme des Beklagten, die aus einer prognostischen Beurteilung resultiert, nicht erschüttert. Das Gericht folgt vielmehr dieser Verfahrensweise des Beklagten; eine Beanstandung unter rechtlichen Gesichtspunkten scheidet aus.
Dass eine Vorbelastung der Umgebung des maßgeblichen Immissionsortes durch andere Gewerbetreibende bzw. Gaststättenbetriebe bestehe, hat der Kläger nicht behauptet. Solche Umstände ergeben sich nach Ermittlung des Gerichts in öffentlich zugänglichen Daten aus Google Maps auch nicht. Soweit danach festgestellt werden konnte, dass sich in dem benachbarten Anwesen …straße … ein Imbissgeschäft befindet, was wohl ebenfalls eine kleine Bestuhlung für Gäste vor dem Geschäft bereithält, so konnte das Gericht jedenfalls dem entsprechenden Eintrag in Google Maps zu diesem Geschäft entnehmen, dass die Betriebszeiten dort regelmäßig 20.30 Uhr enden. Im Übrigen waren keine dem klägerischen Betrieb vergleichbaren Gewerbe in der näheren Umgebung des maßgeblichen Immissionsortes feststellbar, so dass es auch insoweit keiner näheren Beweisaufnahme des Gerichts durch Einnahme des Ortsaugenscheins bedurfte.
Die Berechnungen des Beklagten hinsichtlich der Prognose nach TA-Lärm unter Zugrundelegung von 40 Sitzplätzen im Freischankbereich sind gleichfalls nicht zu beanstanden. Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass dem Kläger bauaufsichtlich sogar 50 Sitzplätze genehmigt worden sind, so dass sich hieraus ggf. ein höherer Lärmwert am maßgeblichen Immissionsort ergeben kann, wenn der Kläger seine Baugenehmigung für den Freischankbereich voll ausnutzen würde. Ungeachtet dessen ist die Zugrundelegung von 40 Sitzplätzen aber sachgerecht, da dies den tatsächlichen aktuellen Freisitzbedingungen entspricht, wie sie sich auch aus den vorgelegten Bauvorlagen vermitteln. Nicht ins Gewicht fällt der Vortrag des Klägers in diesem Zusammenhang, der Freischankbereich sei regelmäßig mit deutlich weniger als 40 Gästen besetzt. Bei der Beurteilung des Bauvorhabens hat sich der Beklagte daran zu orientieren, was der Kläger als Bauherr mit seinem eingereichten Bauantrag vorhabensmäßig umgrenzt und damit zur Genehmigungsprüfung stellt. Es bleibt ihm unbenommen, bei entsprechend geringerer Auslastung seines Freischankbereiches auch den Bauantrag an die tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Die konkrete Prognoseberechnung hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger durch eine falsche Berechnungsmethode oder einer fehlerhaften Grundannahme, z.B. zur Annahme eines Lautstärkepegels für ein normales Gespräch, für die Berechnung insoweit in seinen Rechten verletzt ist. Der der Prognoseberechnung zugrunde gelegte Beginn der Nachtzeit mit 22.00 Uhr ergibt sich hier schon zutreffend aus den weiteren Nebenbestimmungen der dem Kläger erteilten Baugenehmigung zum Immissionsschutz, die er bestandskräftig hat werden lassen und zudem auch aus Ziffer 6.4 Satz 1 der TA-Lärm. Auf § 2 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Biergartenverordnung hat sich der Kläger nicht berufen und kann es im Hinblick auf die fehlende Einbeziehung seiner Freischankfläche in den Anwendungsbereich dieser Verordnung sowie aufgrund der vorerwähnten Nebenbestimmungen in seiner Baugenehmigung auch nicht. Der typische bayerische Biergarten ist begrifflich als eine Gaststätte bzw. der im Freien gelegene Teil einer solchen auszulegen, deren Betrieb im Wesentlichen auf Schönwetterperioden während der warmen Jahreszeit beschränkt ist. Das Erfordernis des Gartencharakters verlangt eine Situierung des Betriebs im Grünen, jedenfalls im Freien. Das Idealbild des Biergartens ermöglicht, unter großen Bäumen im Schatten zu sitzen. Ein Biergarten ist grundsätzlich eher Schank- als Speisewirtschaft. Solange keine Verpflichtung zur Abnahme besteht, steht der Verabreichung von Speisen dem Biergartenbegriff allerdings nicht entgegen (VG Würzburg, U.v. 25.5.2007 – 4 K 06.1160 – BeckRS 2009, 30744). Nach Maßgabe dieser Begriffsdefinition in Anlehnung an die Verordnungsbegründung fehlt es der klägerischen Freischankfläche als Teil seiner Pizzeria am Biergartencharakter.
Auf Ziffer 6.4 Satz 2 der TA-Lärm, wonach die Nachtzeit bis zu eine Stunde hinausgeschoben oder vorverlegt werden kann, soweit dies wegen der besonderen örtlichen oder wegen zwingender betrieblicher Verhältnisse unter Berücksichtigung des Schutzes vor schädlichen Umwelteinwirkungen erforderlich ist, kann sich der Kläger ebenfalls nicht erfolgreich berufen. Darauf, ob die Tatbestandsmerkmale dieser Vorschrift im Falle des Klägers erfüllt sein mögen, kommt es vor dem Hintergrund der weiteren bestandskräftigen Nebenbestimmungen zum Immissionsschutz in der Baugenehmigung des Klägers nicht an und lässt es deshalb die Kammer auch dahingestellt sein. Nur am Rande ist überdies zu bemerken, dass von der Möglichkeit eines solchen Hinausschiebens des Beginns der Nachtruhe die Stadt … im Ergebnis der von ihr erteilten Auskunft keinen generellen Gebrauch mittels Ortsrecht gemacht hat, so dass sich der Kläger auch insoweit nicht auf Satzungsrecht der Gemeinde berufen kann. Hinsichtlich der von ihm erwähnten Ungleichbehandlung mit anderen Gaststätten in der näheren Umgebung fehlt es bereits an einem substantiierten Vortrag, um welche Bezugsfälle es sich handelt. Aber selbst im Falle der Darstellung eines solchen Bezugsfalles wäre es dem Kläger verwehrt, unter Außerachtlassung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles pauschal ein Hinausschieben des Beginns der Nachtzeit auch für sich zu fordern.
Auch eine Unverhältnismäßigkeit der angegriffenen Nebenbestimmung kann die Kammer nicht erkennen. Unzweifelhaft ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, der insbesondere verlangt, dass Nachteile und erstrebter Erfolg noch in einem angemessenen Verhältnis stehen (Sparwasser/Heilshorn in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 90. EL Juni 2019, § 24 BImSchG Rn. 49 ff.; vgl. auch Ziffer 5.2 Satz 1 in Verbindung mit Ziffer 5.1 TA-Lärm). Dass die ausgesprochene Betriebszeitenbeschränkung der Freifläche diesen Grundsatz nicht wahrt, ist jedoch nicht anzunehmen. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist das vom Kläger sinngemäß eingewandte Argument, aufgrund der Duldung der Gemeinde hinsichtlich einer Betriebszeit bis 23.00 Uhr bei anderen Gaststätten, die mit dem Kläger konkurrieren, sei eine Abwanderung seiner (potentiellen) Gäste dorthin zu befürchten, wenn er schon um 22.00 Uhr seinen Freisitz schließen müsse, was für ihn einen unzumutbaren Eingriff in seinen ausgeübten Gewerbebetrieb darstelle, nicht zu seinen Gunsten heranzuziehen. Es entspricht obergerichtlicher Rechtsprechung (BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 22 CS 17.1664 – BeckRS 2017, 131796), dass sich insoweit ein faktischer Nachteil für den Kläger realisiert, dass er eine Gastronomie an einem Ort betreibt, an dem eine Freisitzgastronomie nach 22.00 Uhr rechtskonform nicht betrieben werden kann. Jedenfalls hat der Kläger keine Bezugsfälle aus der näheren Umgebung seiner Gaststätte benannt, mit der Folge, dass eine gegebenenfalls abweichende Prüfung des Einzelfalles vorgenommen werden könnte. Den wirtschaftlichen Interessen des Klägers stehen auf der anderen Seite erhebliche Rechtsgüter der gesunden Wohnverhältnisse und des sozialen Nachbarschaftsfriedens gegenüber, wobei den gesunden Wohnverhältnissen schon kraft des Wortlautes des § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB ein hoher Stellenwert einzuräumen ist. Im Übrigen ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Auflage auch zu bedenken, dass der Kläger nur zu einem ganz geringen Teil seiner Betriebszeiten eingeschränkt wird, da er seine Pizzeria regelmäßig um 23.00 Uhr schließt, wie den ebenfalls öffentlich zugänglichen Daten aus seiner gewerblichen Internetseite entnommen werden kann. Auch dürfte es sich angesichts der Öffnungszeiten der Pizzeria des Klägers insoweit zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr nicht um eine für ihn wesentliche Hauptgeschäftszeit handeln, was er in der mündlichen Verhandlung selbst bekräftigt hat. Letztlich ist überdies zu berücksichtigen, dass die örtlichen Verhältnisse ein erhebliches Störpotential der Freischankfläche des Klägers aufgrund ihrer Ausrichtung im vorderen Grundstücksbereich mit Vis-a-vis-Sicht zum maßgeblichen Immissionsort und der Anzahl der baurechtlich genehmigten Sitzplätze für den Freischankbereich belegen, was durch die prognostische Berechnung des Beklagten bei einer Zugrundelegung von „nur“ 40 Sitzplätzen mit einer Richtwertüberschreitung von immerhin schon 3 dB(A) am Immissionsort untermauert wird. Die beklagte Auflage wahrt im Ergebnis auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
2.3 Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen unter Ziffer 2.2 erweist sich die Baugenehmigung im Hinblick auf die Aufnahme der streitbefangenen Auflage auch nicht als ermessensfehlerhaft. Ein Ermessensausfall dergestalt, dass sich der Beklagte im Hinblick auf die Anwendung des Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG überhaupt nicht bewusst war, Ermessen betätigen zu müssen, ist unter Heranziehung der maßgeblichen Gründe der Baugenehmigung vom 11. Dezember 2018 nicht anzunehmen. Wie bereits ausgeführt, bedarf die Anwendung der streitbefangenen Auflage einer Gesamtschau mit den weiteren dem Immissionsschutz dienenden Nebenbestimmungen in der Baugenehmigung des Klägers. Aus der Historie des Sachverhaltes, wie ihn der Kläger selbst in dem vorbereitenden Schriftsatz vom 26. März 2019 unter dem Punkt A. Sachverhalt darstellt und der in der mündlichen Verhandlung durch den Beklagten auch bestätigt worden war, ergibt sich, dass dem Kläger aufgrund der bisherigen Verständigung zwischen den Beteiligten und der Anwohnerin der …straße … die wesentliche Sachlage bekannt war, auf der das Landratsamt seine immissionsschutzrechtlichen Auflagen stützte. Hinzu treten die Umstände, dass ein zunächst gefundener Kompromiss zwischen allen Beteiligten, der auch eine Aufweitung der Betriebszeiten der Freischankfläche des Klägers an Freitagen und Samstagen bis 22.30 Uhr vorsah, keinen Bestand hatte und der Beklagte den Kläger nach dessen Bekunden sodann mit Schriftsatz vom 16. August 2018 auf die geltenden Vorgaben der TA-Lärm hinwies. Hieraus musste sich dem Kläger auch ohne nähere Begründung in der Folgeentscheidung die Tatsache aufdrängen, dass der Beklagte hinsichtlich der Erteilung einer Baugenehmigung nunmehr eine strenge Linie bezüglich nachbarschützender Nebenbestimmungen befolgen wird. Wie den weiteren Nebenbestimmungen zum Immissionsschutz indes Geltung verschafft werden kann, ohne zugleich eine Betriebszeitenbeschränkung auszusprechen, ist nicht ersichtlich und zeigt der Kläger auch nicht auf. Der Kammer wiederum ist es verwehrt, ein eigenes Ermessen an die Stelle der Entscheidung des Beklagten zu setzen. Eine umfassende Begründung der entsprechenden Ermessensbetätigung im Baugenehmigungsbescheid selbst konnte jedenfalls vor diesem Hintergrund in Anwendung des Art. 39 Abs. 2 Nr. 2 BayVwVfG unterbleiben. Nach alledem erkennt die Kammer auch kein Ermessensdefizit, denn das Ermessen konnte vorliegend nur hinsichtlich des Gesamtpaketes „Immissionsschutz“ ausgeübt werden. Dass der Kläger sich mit seiner Klage dabei nur eine Nebenbestimmung heraussucht und dem Beklagten dazu punktuell Ermessensfehler anlastet, kann die Kammer nicht nachvollziehen. Zu betrachten ist die Behandlung des Lärmschutzes insgesamt. Hieran sind keine Ermessensfehler erkennbar.
Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Von der Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenfolge gemäß § 167 Abs. 2 VwGO hat die Kammer abgesehen.