Baurecht

Erfolglose Anfechtung der Baugenehmigung für den Neubau eines Geschäftshauses und einer Ferienwohnanlage in einem durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan festgesetzten Urbanen Gebiet

Aktenzeichen  1 CS 19.1882

Datum:
28.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27506
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4 S. 6, § 162 Abs. 3
BauGB § 1 Abs. 3, Abs. 7, § 2 Abs. 3
BauNVO § 6a, § 17 Abs. 1, § 22 Abs. 2 S. 2
BayBO Art. 6 Abs. 5

 

Leitsatz

1. Allein der Umstand, dass das Grundstück eines einzelnen Eigentümers beplant wird und dort neues Baurecht geschaffen wird, schließt die städtebauliche Erforderlichkeit nicht aus. Vielmehr ist das gewählte Instrument des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gerade auf derartige Konstellationen ausgelegt (vgl. VGH München BeckRS 2018, 19994). (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 6a BauNVO auf größere Kommunen findet weder im Wortlaut noch in der Gesetzesbegründung oder der Entstehungsgeschichte der Vorschrift eine Stütze.  (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Antragsgegner konnte seine Abwägung in fehlerfreier Weise auf eine Verschattungsstudie stützen, die zum Ergebnis kommt, dass eine unzumutbare Verschattung des Gebäudes der Antragstellerin nicht eintritt, ohne dass dabei der wissenschaftliche Nachweis einer Besonnung entsprechend der DIN 5034-1 „Tageslicht in Innenräumen“ erforderlich wäre (vgl. VGH München BeckRS 2014, 55207).   (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 19.2479 2019-09-09 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die von der Antragstellerin vorgetragenen Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Klage der Antragstellerin voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die angefochtene Baugenehmigung vom 22. Oktober 2018 verstößt – worauf es allein ankommt – nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz der Antragstellerin zu dienen bestimmt sind. Die geltend gemachte Verletzung der nachbarschützenden Vorschriften über die Abstandsflächen und des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes lässt sich insbesondere nicht aus der Unwirksamkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. … … … … … … … … … … … …“ ableiten.
1. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Bebauungsplan städtebaulich nicht gerechtfertigt und damit nicht erforderlich im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 – BVerwGE 153, 16; U.v. 27.3.2013 – 4 C 13.11 – BVerwGE 146, 137) sind Bebauungspläne nur dann nicht erforderlich im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB, wenn sie einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind. Allein der Umstand, dass das Grundstück eines einzelnen Eigentümers beplant wird und dort neues Baurecht geschaffen wird, schließt die städtebauliche Erforderlichkeit nicht aus. Vielmehr ist das gewählte Instrument des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gerade auf derartige Konstellationen ausgelegt (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2018 – 1 NE 18.1123 – juris Rn. 13; B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris Rn. 10). Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans dient dieser der Schaffung einer urbanen Nutzungsstruktur im Bereich bislang überwiegend brach liegender ehemaliger Bahnflächen (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. II. 2). Nachdem die bisher vorhandenen Bahnlogistiknutzungen sowie ein Baustoffhandel komplett beseitigt worden waren (vgl. Begründung Nr. II. 1), bedurfte der zentralörtliche Bahnhofsbereich einer städtebaulichen Neuregelung, weshalb der Antragsgegner zu Recht von einem Planungsbedarf ausgehen konnte.
Auch hinsichtlich der Festsetzung der Art der Nutzung in Form eines Urbanen Gebiets gemäß § 6a BauNVO ist ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB nicht ersichtlich. Der von der Antragstellerin vermutete „Etikettenschwindel“ liegt nicht vor. Hiervon wäre nur dann zu sprechen, wenn die Festsetzung nicht gewollt wäre, sondern die wahren Planungsabsichten verdecken soll (vgl. BVerwG, U.v. 3.6.2014 – 4 CN 6.12 – BVerwGE 149, 373). Der Antragsgegner beabsichtigt aber gerade die Schaffung eines Gebietes mit urbaner Nutzungsstruktur im zentralörtlichen Bereich.
Die Unwirksamkeit der Festsetzung eines Urbanen Gebiets gemäß § 6a BauNVO ergibt sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht daraus, dass eine solche Festsetzung in kleineren und mittleren Kommunen nur ausnahmsweise in Betracht kommen würde und die besonderen Voraussetzungen, die eine solche Ausnahme hier rechtfertigen könnten, nicht vorlägen. Die Annahme einer Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 6a BauNVO auf größere Kommunen findet im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Auch die Gesetzesbegründung und die Entstehungsgeschichte bieten hierfür keine Grundlage. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs vom 23. Januar 2017 (BT-Drs. 18/10942 S. 32) dient die Gebietskategorie der Stärkung der Innenentwicklung der Kommunen und der Erweiterung des städtischen Handlungsspielraums bei Konfliktlagen infolge zunehmender Verdichtung in Innenstadtlagen. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht dafür, dass eine Beschränkung der Festsetzungsmöglichkeit auf größere Kommunen nicht gewollt ist. Nach der Ausschussempfehlung vom 30. Januar 2017 zum Gesetzentwurf wurde folgende einschränkende Definition vorgeschlagen: „Die Ausweisung von Urbanen Gebieten soll nur zur städtebaulichen Neuordnung von bereits bebauten Gebieten in Ballungsräumen mit über 100 000 Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von mehr als 1 000 Einwohnern pro Quadratkilometer oder in durch Rechtsverordnung nach § 556d Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ausgewiesenen Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten erfolgen. Sofern auf Grund schädlicher Umwelteinwirkungen auf das urbane Gebiet gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewährleistet werden können, soll das urbane Gebiet im Sinne von § 1 Absatz 4 Satz 1 gegliedert werden.“ (Empfehlung der Ausschüsse vom 30.1.2017, BR-Drs. 806/1/16 S. 28). Diese Einschränkung wurde jedoch nicht in den Gesetzestext aufgenommen. Auf die Größe der Gemeinde kommt es daher für die Zulässigkeit der Festsetzung dieser Gebietsart nicht an (vgl. ebenso: Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2019, § 6a BauNVO Rn. 18; Fischer in Brügelmann, BauGB, Stand April 2018, § 6a BauNVO Rn. 2; Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Auflage 2019, § 6a Rn. 5; Muster-Einführungserlass zum Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt und zu weiteren Änderungen des Baugesetzbuchs vom 28.9.2017, Nr. 2.6.1). Es mag sein, dass die Festsetzung aus tatsächlichen Gründen in kleineren und mittleren Kommunen nur ausnahmsweise in Betracht kommt (vgl. Bönker in Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Auflage 2018, § 6a Rn. 39). Dies resultiert dann aber aus dem Fehlen einer städtischen Struktur bzw. einer städtischen Gemengelage und einem auf die Schaffung urbaner Strukturen bezogenen Planungswillen. Die Ausweisung eines Urbanen Gebiets kommt grundsätzlich sowohl bei der erstmaligen Ausweisung von Baugebieten als auch bei der Überplanung vorhandener Orte in Betracht (vgl. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Stand Mai 2019, § 6a BauNVO Rn. 18; Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Auflage 2019, § 6a Rn. 6; Muster-Einführungserlass zum Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/52/EU im Städtebaurecht und zur Stärkung des neuen Zusammenlebens in der Stadt und zu weiteren Änderungen des Baugesetzbuchs vom 28.9.2017, Nr. 2.6.1). Substantiierte Einwendungen gegen die vorgesehene Nutzungsstruktur des Gebiets werden nicht geltend gemacht.
2. Der Antragsgegner hat vorliegend, abweichend von den Abstandsflächentiefen der Bayerischen Bauordnung, Festsetzungen zum Abstandsflächenrecht nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO getroffen. Der Bebauungsplan lässt Außenwände im Sinn von Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO zu. Indem er den zulässigen Standort der Gebäude durch Baugrenzen und Baulinien (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 BauGB, § 23 BauNVO), die Höhe der baulichen Anlagen (§ 16 Abs. 2 Nr. 4, § 18 BauNVO) sowie die höchstzulässige Zahl der Vollgeschosse (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 16 Abs. 2 Nr. 3, § 20 Abs. 1 BauNVO) festsetzt, bestimmt er auch die für die Tiefe der Abstandsflächen maßgebliche Lage und Höhe der Außenwände (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 1 NE 05.2818 – BayVBl 2006, 670). Die durch den Bebauungsplan bestimmten Abstandsflächen sind so bemessen, dass eine ausreichende Belichtung und Belüftung auch zu außerhalb des Plangebiets angrenzenden Grundstücken gewährleistet ist (Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2 BayBO).
Die Anforderungen des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO sind grundsätzlich schon dann gewahrt, wenn die Festsetzungen so getroffen werden, dass vor den Fenstern von Aufenthaltsräumen ein Lichteinfallswinkel von 45° zur in Höhe der Fensterbrüstung liegenden Waagrechten eingehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2005 – 1 NE 05.2818 – BayVBl 2006, 670; Dhom/Franz/Rauscher in Simon/Busse, BayBO Stand April 2019, Art. 6 Rn. 328). Diese Vorgabe ist hier ersichtlich schon aufgrund der Entfernung des geplanten Gebäudes zu dem Bestandsgebäude der Antragstellerin von mindestens 16 m bei einer Wandhöhe von 12 m eingehalten. Die Frage, ob bei den Festsetzungen die Belange der betroffenen Grundstückseigentümer ausreichend berücksichtigt wurden, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung, da sie das Abwägungsgebot betrifft (vgl. BayVGH, B.v. 29.12.2005 a.a.O. und nachfolgend Nummer 3.3).
3. Es liegen weiter nicht die (sinngemäß) geltend gemachten Abwägungsfehler vor.
Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und die privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das setzt eine zutreffende Ermittlung und Bewertung der für die Abwägung erheblichen Belange voraus (§ 2 Abs. 3 BauGB). Von der Planung berührte schutzwürdige Eigentümerinteressen und die mit den Festsetzungen verfolgten Belange müssen im Rahmen der Abwägung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des Gleichheitssatzes in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – NVwZ 2003, 727). Dabei muss das der Planung zugrundeliegende Konzept im Bebauungsplan möglichst widerspruchsfrei umgesetzt werden. Mängel bei der Ermittlung, der Bewertung oder der Gewichtung der abwägungserheblichen Belange sind beachtlich, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BauGB).
3.1 Die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags, wonach die geplante Nutzungsmischung auch in einem Mischgebiet festgesetzt werden könne, kann die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, dass das Urbane Gebiet nach der Begründung des Bebauungsplans dem Übergang vom Bahnhofsbereich zum südlich angrenzenden Wohngebiet diene und damit auch der Rücksichtnahme auf die auf dem Grundstück der Antragstellerin befindlichen Vergnügungsstätte, nicht in Frage stellen. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Planung durch die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung eine Pufferfunktion zwischen den Nutzungsarten im Bahnhofsumfeld und der im Süden anschließenden Wohnnutzung zukommen kann. Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Pufferfunktion könne angesichts der dichten Bebauung, die in der Umgebung nicht vorhanden sei, nicht erfüllt werden, verkennt sie, dass sich die Erwägung auf die Festsetzung der Art der Nutzung und nicht die Bebauungsdichte bezieht. Soweit die interne Gliederung des Gebiets angegriffen wird, lässt gerade das Urbane Gebiet im Gegensatz zum Mischgebiet erweiterte Gliederungsmöglichkeiten nach der Art der Nutzung zu.
3.2 Einen beachtlichen Abwägungsfehler bei der Festsetzung des Maßes der Nutzung wegen der Überschreitung der Obergrenze des § 17 Abs. 1 BauNVO (Grundflächenzahl) hat die Antragstellerin nicht aufgezeigt. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 17 BauNVO auf den hier vorliegenden vorhabenbezogenen Bebauungsplan nicht anwendbar ist und nur eine Leitlinien- und Orientierungsfunktion hat (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2002 – 4 CN 4.01 – BVerwGE 116, 296; BayVGH, B.v. 23.8.2018 – 1 NE 18.1123 – juris Rn. 18). Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die Überschreitung der Obergrenze um 0,08 hier eine Beeinträchtigung der geordneten städtebaulichen Entwicklung darstellt und Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht vorliegen (vgl. UA S. 17 unten, S. 18 oben). Der Antragsgegner hat sich ausführlich mit der Überschreitung der maximalen Grundflächenzahl auseinander gesetzt und überzeugende städtebauliche Gründe hierfür angeführt (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. IV. 2 Buchst. b, S. 10, 11).
3.3 Abwägungsfehler, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen könnten, ergeben sich nicht aus der Verkürzung der Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin.
Die Antragstellerin trägt vor, eine Abstandsflächenverkürzung durch die Festsetzung eines Urbanen Gebiets sei nur gerechtfertigt, wenn eine besondere Abwägung stattgefunden habe; die Abstandsflächenverkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO für Urbane Gebiete sei im Zeitpunkt der Abwägungsentscheidung des Antragsgegners noch nicht vorgesehen gewesen.
Der Antragsgegner hat umfangreiche Erwägungen zu den Abstandsflächen des streitgegenständlichen Gebäudes angestellt (vgl. Nr. IV. 6 der Begründung des Bebauungsplans). Er hat dabei auch eine Prüfung der Besonnung des Baukörpers der Antragstellerin vorgenommen und aufgrund des Ergebnisses dieser Ermittlungen eine ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie einen ausreichenden Sozialabstand zur benachbarten Bebauung bejaht. Die im Rahmen der Abwägung beurteilten Abstandsflächenverhältnisse ergaben sich dabei bereits aufgrund der Festsetzung von Bauräumen und Wandhöhen gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO. Es kommt daher für die Rechtmäßigkeit der Abwägung nicht darauf an, dass nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO in der ab dem 1. September 2018 geltenden Fassung für ein festgesetztes Urbanes Gebiet allgemein eine Abstandsflächentiefe von 0,5 H vorgesehen ist.
Es kann auch nicht angenommen werden, dass der Antragsgegner im Rahmen seiner Abwägung das geltend gemachte Baupotential auf dem Grundstück der Antragstellerin nicht hinreichend in seine Erwägungen miteinbezogen hat. Die Begründung des Bebauungsplans legt bei der Erläuterung der Verkürzung der Abstandsflächen zum außerhalb des Plangebiets liegenden Grundstück der Antragstellerin zugrunde, dass zur Grundstücksgrenze der Antragstellerin ein Abstand von 0,5 H gewahrt bleibt. Die Erwägungen beziehen sich somit auf die Grundstücksgrenze, nicht auf die auf dem Grundstück der Antragstellerin vorhandene Bebauung (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. IV. 6, S. 20). Der Antragsgegner ging bei der Planung zudem davon aus, dass das Grundstück der Antragstellerin zunächst nach § 34 BauGB beurteilt werden müsse und gegebenenfalls künftig im Fall einer beabsichtigten Umnutzung oder Neubebauung durch einen eigenen Bebauungsplan geregelt werden könne (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. II. 1, S. 3 f.). Damit wird deutlich, dass der Antragsgegner sich der bauplanungsrechtlichen Situation auf dem Grundstück der Antragstellerin bewusst war und diese in seine Abwägung eingestellt hat. Soweit die Antragstellerin andeutet, sie müsse auf ihrem Grundstück künftig andere Abstandsflächen (1 H) als die benachbarte Bebauung des Plangebiets einhalten, ergibt sich daraus keine Ungleichbehandlung der Antragstellerin, da die Antragstellerin mit ihrem Grundstück nicht im Planbereich liegt. Ein Anspruch auf Einbeziehung in den Bebauungsplan bestand nicht (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB) und wurde von der Antragstellerin auch nicht geltend gemacht. Sie hat im Planaufstellungsverfahren zudem nicht vorgetragen, dass bereits eine konkrete Bebauungsabsicht bestanden hätte. Weiter muss sie nicht befürchten, aufgrund von Abstandsflächen der geplanten Gebäude selbst einen größeren Abstand zur Grenze einhalten zu müssen, da die Abstandsflächen der geplanten Gebäude wegen der Abstandsflächenverkürzung nicht auf ihr Grundstück fallen.
Die Antragstellerin macht in diesem Zusammenhang geltend, die mit der Bauleitplanung vorgesehenen Nutzungsarten hätten auch ohne die Verkürzung der Abstandsflächen im Plangebiet verwirklicht werden können. Damit zeigt sie keinen Ermittlungs- und Abwägungsfehler auf. Städtebauliches Ziel des Bebauungsplans ist die Schaffung eines verdichteten Bereichs mit urbaner Nutzungsstruktur in dem durch den Bahnhof dominierten zentralen Umfeld. Mit dieser städtebaulichen Zielsetzung verfolgt der Antragsgegner nicht nur die Zulassung bestimmter Nutzungsarten, sondern die Entwicklung der städtebaulichen Gestalt (§ 1 Abs. 5 Satz 2 BauGB). Die Abstandsflächenverkürzung dient dem städtebaulichen Konzept einer erhöhten Verdichtung (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. IV. 6, S. 16) und nicht allein der Realisierung bestimmter Nutzungsarten.
Dem Antragsgegner ist auch nicht insofern ein Abwägungsfehler unterlaufen, als er bei der Bemessung der Abstandsflächen nicht hinreichend berücksichtigt hätte, dass das Plangebiet durch größere Freiflächen gekennzeichnet war. Er hat das Gebiet des vorhabenbezogenen Bebauungsplans und das Areal südlich davon als Teil der letzten verbleibenden größeren Innenentwicklungsfläche der Marktgemeinde in die Abwägung eingestellt (vgl. Niederschrift über die Ausschusssitzung vom 2.7.2018). Der Erhalt einer zwischenzeitlich bestehenden Brachfläche stellt keine schützenswerte Rechtsposition der Antragstellerin dar. Die Antragstellerin musste damit rechnen, dass ein innerörtliches Grundstück nicht dauerhaft von jeglicher oder einer höheren Bebauung freigehalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2018 – 1 NE 18.1303 – juris Rn. 14; U.v. 18.7.2014 – 1 N 13.2501 – BayVBl 2015, 166).
3.4 Eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans ergibt sich auch nicht aufgrund einer fehlerhaften Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebots im Rahmen der Abwägung. Es besteht kein gesondertes bauplanungsrechtliches Rücksichtnahmegebot als eigene rechtliche Kategorie. Vielmehr ist in der Abwägung sicherzustellen, dass unzumutbare Beeinträchtigungen benachbarter Grundstücke vermieden werden. (vgl. BVerwG U.v. 24.9.1998 – 4 CN 2.98 – BVerwGE 107, 215).
Die geplante Bebauung ist nicht aufgrund des Volumens und der Stellung der Baukörper für das Grundstück der Antragstellerin unzumutbar. Eine unzumutbare erdrückende oder abriegelnde Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohnhäusern in Betracht (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – DVBl 1981, 928: zwölfgeschossiges Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – DVBl 1986, 1271: drei 11,50 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer solchen Wirkung sind demnach die Höhe und Ausdehnung des Bauvorhabens sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes oder wenn die Gebäude so weit voneinander entfernt liegen, dass eine solche Wirkung ausgeschlossen ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.8.2018 – 1 NE 18.1123 – juris Rn. 24; B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 30). So liegt der Fall hier.
Es fehlt trotz der L-förmigen Bebauung des Grundstücks mit einer vom Grundstück der Antragstellerin sichtbaren Fassadenlänge von ca. 64,5 m im Westen und ca. 18,5 m im Süden sowohl an einem erheblichen Höhenversatz als auch an einer geringen Entfernung der betroffenen Baukörper. In dem Bereich, in dem das Gebäude der Antragstellerin zum Teil nur ca. 16 m von dem streitgegenständlichen Gebäude entfernt liegt, wird durch die Beschränkung der Wandhöhe auf 4, 5 m eine optische Durchlässigkeit ermöglicht. Zum südlichen Gebäudeteil des Anwesens der Antragstellerin beträgt der künftige Gebäudeabstand mehr als 29 m. Das Ergebnis der Abwägung hinsichtlich der zugelassenen Baukörpergröße und Situierung ist auch deshalb nicht zu beanstanden, da das Bahnhofumfeld, zu dem auch das Grundstück der Antragstellerin gehört, einen dicht bebauten, zentralen Bereich darstellt. Dies wird gerade auch durch die Grenzbebauung des Gebäudes der Antragstellerin zur Straße hin deutlich. Die Nachbarsituation zwischen dem Grundstück der Antragstellerin und dem Baugrundstück wird durch das nähere Bahnhofsumfeld mit den Bahnhofsgebäuden geprägt und nicht durch die im Osten und im Süden vorhandene Wohnbebauung, auf die die Antragstellerin abstellen will. Sie kann deshalb nur das beanspruchen, was in der Situation, in der das Grundstück liegt, allgemein zu erwarten ist. Soweit vorgetragen wird, dass es sich bei dem Plangebiet nicht um einen dicht bebauten Bereich handle und die zugelassene Bebauungsdichte der Umgebung widerspreche, wird kein Abwägungsfehler im Rahmen des Bauleitplanverfahrens aufgezeigt. Der Antragsgegner hat die durch die Bauleitplanung eintretende zusätzliche Verdichtung der Bebauung in seine Erwägungen eingestellt und wegen der innerörtlichen Lage sowie dem Ziel der Nutzung von Innenentwicklungspotentialen nachvollziehbar abgewogen (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. IV. 2 a und b). Er hat auch die durch die Festsetzung der überbaubaren Grundstücksflächen eintretenden Folgen gesehen und die Wirkungen auf das Gebäude der Antragstellerin abgewogen. Dabei hat er auch berücksichtigt, dass zwischen dem Grundstück der Antragstellerin und dem Grundstück FlNr. … ein beiderseitiger Grenzanbau geplant ist, den er angesichts des bestehenden einseitigen Grenzanbaus der Antragstellerin nachvollziehbar als Bereinigung eines städtebaulichen Missstands beurteilt hat (vgl. Begründung des Bebauungsplans Nr. IV. 4 a). Anhaltspunkte dafür, dass die Wirkung der Gesamtgebäudeanordnung in der Abwägung nicht hinreichend berücksichtigt worden wäre, bestehen nicht.
Soweit die Antragstellerin darauf verweist, auf dem Grundstück bestehe weiteres Baurecht, das im Fall seiner Verwirklichung einen noch stärkeren Höhenversatz zu erdulden habe, fehlen Anhaltspunkte, die eine Berücksichtigung dieses Umstands in der Abwägung erfordern würden.
Es erschließt sich nicht, weshalb die Antragstellerin meint, aus § 22 Abs. 2 Satz 2 BauNVO ergebe sich eine Wertung, deren Umgehung die Rücksichtslosigkeit des streitgegenständlichen Gebäudes bedinge. Durch § 22 BauNVO wird der Rahmen für Festsetzungen zur Bauweise geregelt, die im streitgegenständlichen Bebauungsplan nicht enthalten sind. Die Länge des geplanten Baukörpers in seinen konkreten Abmessungen hat der Antragsgegner in seine Abwägung einbezogen (vgl. Niederschrift über die Sitzung des Bau- und Umweltausschusses vom 2. 7.2018, S. 29, 30).
Die Abwägung des Antragsgegners ist auch nicht insofern fehlerbehaftet, als er die Verschattung des Nachbargrundstücks, unabhängig von der Verkürzung der Abstandsflächen, nicht ausreichend sicher ermittelt oder zutreffend gewertet hätte. Er konnte seine Abwägung auf die Ergebnisse einer Verschattungsstudie stützen, ohne dass dabei der wissenschaftliche Nachweis einer Besonnung entsprechend der DIN 5034-1 „Tageslicht in Innenräumen“ erforderlich wäre (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2014 – 1 N 13.2501 – BayVBl 2015, 166). Aus der eingeholten Verschattungsstudie ist ersichtlich, dass eine unzumutbare Verschattung des Gebäudes der Antragstellerin nicht eintritt. Dies ergibt sich augenscheinlich auch aufgrund des Mindestabstandes der Gebäude von stets mehr als 16 m bei einer maximalen Wandhöhe des streitgegenständlichen Gebäudes von 12 m.
Soweit die Antragstellerin vorträgt, es sei zu erwarten, dass von dem Bauvorhaben erhebliche Störungen und Belästigungen ausgehen, die gegenüber der Wohnnutzung in ihrem Gebäude rücksichtlos seien, ist dies bei Betrachtung der mit dem Bebauungsplan zugelassenen und auf dem Grundstück der Antragstellerin vorhandenen Nutzungen nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin übersieht, dass die Anforderungen, die sich aus dem Rücksichtnahmegebot ergeben, maßgeblich davon abhängen, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – NVwZ 2005, 328; BVerwG, U.v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – BVerwGE 98, 235). Eine besonders schutzwürdige Stellung kommt dem Grundstück der Antragstellerin nicht zu. Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans befinden sich im Gebäude der Antragstellerin Vergnügungsstätten und gastronomische Einrichtungen (Cocktailbar „…“, Shisha Bar, Tabledance-Bar „…“), während in dem streitgegenständlichen Gebäude eine wohnähnliche Ferienwohnungsnutzung sowie gastronomische Nutzung zugelassen wurde. Auch wenn sich im Gebäude der Antragstellerin Wohnnutzung befindet, kann sich diese angesichts der im eigenen Gebäude bestehenden Vergnügungsstätten und dem daraus resultierenden Störpotential nicht darauf berufen, dass die wenig störintensive Nutzung der Beigeladenen unzumutbare Belästigungen hervorrufen könnte.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, ihr auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, weil die Beigeladene einen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nr. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen