Aktenzeichen M 25 K 18.2622
Leitsatz
1. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn im Falle eines Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (Anschluss an BVerwG BeckRS 2019, 16744). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Feststellung eines Abschiebeverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG schließt eine Ausweisung nicht aus. Denn eine Ausweisung kann ihren ordnungsrechtlichen Charakter auch dann erreichen, wenn sie nicht zu einer Abschiebung führt, sondern nur einer Verschlechterung seiner aufenthaltsrechtlichen Position im Bundesgebiet führt (Anschluss an VGH München BeckRS 2016, 50099 Rn. 40) (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung am 23. Oktober 2019 entschieden werden, obwohl der Kläger nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Der Kläger wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 7. Oktober 2019 ordnungsgemäß geladen.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die im Bescheid vom 14. Mai 2019 verfügte Ausweisung des Klägers und das 7- bzw. 9-jährige Einreise- und Aufenthaltsverbot sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I. Die Ausweisung des Klägers erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12) als rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG, wonach ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, ausgewiesen wird, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.
a.) Der weitere Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet stellt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Kläger erneut erheblich straffällig wird (vgl. zum Prognosemaßstab BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris). Beim Kläger handelt es sich um einen Wiederholungstäter, der bereits kurz nach seiner Einreise in das Bundesgebiet straffällig wurde. Der Kläger hielt sich zum Zeitpunkt der Tat vom 29. Januar 2016, die zur Ausweisung führte, erst sechs Monate im Bundesgebiet auf, wobei der Kläger zuvor schon wegen einer Sachbeschädigung im September 2015 strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Bei der Tat vom 29. Januar 2016 handelte es sich des Weiteren um ein Gewaltdelikt, nämlich eine gefährliche Köperverletzung, die bereits als Ersttat zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten geführt hat. Eine gefährliche Körperverletzung stellt eine schwerwiegende Straftat dar, die einen massiven Eingriff in das hohe Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit darstellt. Nach den Feststellungen des Landgerichts München I war das Vorgehen des Klägers extrem gefährlich. Zudem ging der Kläger gemeinschaftlich mit einem anderen auf den Geschädigten los.
Ausweislich des Führungsberichts der JVA … vom 22. Mai 2018 ging ein externer Gutachter weiterhin von einer Wiederholungsgefahr aus. Er begründet seine Einschätzung mit der mangelnden Behandlungsmöglichkeit des Klägers wegen seiner fehlenden Deutschkenntnisse und damit, dass der Kläger nach Haftentlassung in die gleichen Lebensumstände wie vor der Inhaftierung zurückkehren werde. Die Strafvollstreckungskammer schloss sich der Einschätzung des Gutachters an und lehnte daraufhin eine Strafaussetzung zur Bewährung ab. Mit Beschluss vom 7. August 2018 wurde eine Führungsaufsicht für 5 Jahre ausgesprochen, da nicht zu erwarten sei, dass der Kläger künftig straffrei leben werde.
Der Kläger hat bis heute nicht geschafft, sein Leben in D. in geordnete Bahnen zu lenken. Der Kläger ist seit seiner Einreise arbeitslos und hat auch sonst keinen geregelten Tagesablauf. Er lebt von Sozialleistungen. Sonstige Integrationsleistungen sind nicht bekannt.
Da bislang keine Behandlung des Klägers erfolgte und sich auch sein Lebensumstände nicht geändert haben, ist weiterhin von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Überdies hat sich die Wiederholungsgefahr durch die Entwicklung des Klägers nach Erlass des Bescheids bereits realisiert. Den Kläger hat selbst die Haftstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten nicht nachhaltig beeindruckt und zu einem Einstellungswandel geführt. Denn kurze Zeit nach Haftentlassung ist er trotz Führungsaufsicht erneut straffällig geworden. So hat der Kläger bereits am 25. Dezember 2018 eine Sachbeschädigung begangen, für die er auch strafrechtlich verurteilt wurde. In der Zeit danach ergeben sich aus dem Kriminalaktennachweise vom 18. Oktober 2019 beinahe im Monatsrhythmus weitere strafrechtliche Anzeigen: 23. Februar 2019 Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung, 26. Februar 2019 Anzeige wegen Hausfriedensbruch, 20. März 2019 Anzeige wegen Hausfriedensbruch, 20. August 2019 Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und 14. September 2019 schwerer Raub und gefährliche Körperverletzung.
Daneben rechtfertigen auch generalpräventive Gründe eine Ausweisung. Die grundlegende Norm des neuen Ausweisungsrechts, § 53 Abs. 1 AufenthG, verlangt nämlich nicht, dass von dem ordnungsrechtlich auffälligen Ausländer selbst eine Gefahr ausgehen muss. Vielmehr muss dessen weiterer „Aufenthalt“ eine Gefährdung bewirken. Vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen, wenn im Falle eines Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG U.v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 – beckonline, BeckRS 2019; 16744, BVerwG U.v. 12.7.2018 – 1 C 16/17 – juris Rn 16).
Eine Ausweisung aufgrund von Eigentums- und Körperverletzungsdelikten hat stets auch eine generalpräventive Funktion. Denn eine solche setzt ein deutliches Signal, dass die Anerkennung fremden Eigentums und die körperliche Unversehrtheit in der Rechtsordnung der Bundesrepublik D. hohe Rechtsgüter darstellen und Delikte gegen diese nicht nur strafrechtliche Konsequenzen haben, sondern auch ausländerrechtliche. Das Ausweisungsinteresse ist vorliegend auch aktuell, da die Tilgungsfrist des § 46 Abs. 1 Nr. 4 BZRG 15 Jahre beträgt, von denen erst drei Jahre abgelaufen sind. Die Ausweisung stellt damit eine geeignete Maßnahme dar, um andere Ausländer von solchen Delikten abzuhalten. Die Ausweisung von Straftätern stellt auch eine ständige Verwaltungspraxis der Beklagten dar.
b.) Die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der gegenläufigen Interessen ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausweisung das Bleibeinteresse des Klägers überwiegt und die Ausweisung nicht unverhältnismäßig ist, § 53 Abs. 1 AufenthG.
Auf Grund seiner Verurteilung durch das LG München I vom 29. September 2016 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten erfüllt der Kläger ein besonders schweres Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG.
Dem steht auf Seiten des Klägers kein Bleibeinteresse gegenüber. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltserlaubnis, so dass die Regelung des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht einschlägig ist. Andere Tatbestände des § 55 AufenthG erfüllt der Kläger ebenfalls nicht.
Unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten persönlichen Belange des Klägers und der Positionen aus Art. 8 EMRK überwiegt vorliegend das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die Entscheidung wahrt im Übrigen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der Kläger ist bereits zweimal strafrechtlich verurteilt worden. Bei seiner ersten Tat handelte es sich um ein massives Gewaltdelikt, das mit einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten geahndet wurde. Ausweislich des Strafurteils des LG München I vom 29. September 2016 war das Vorgehen des Klägers extrem gefährlich. Eine Strafaussetzung zur Bewährung nach 2/3 der Haftzeit wurde nicht gewährt. Eine Führungsaufsicht wurde für 5 Jahre angeordnet. Weitere strafrechtliche Ermittlungsverfahren sind anhängig, darunter auch wegen Gewaltdelikten.
Schließlich verfügt der ledige Kläger über keine nennenswerten sozialen Bindungen im Bundesgebiet. Der Kläger ist erst seit etwas über vier Jahren im Bundesgebiet, von denen er 2 Jahre und 9 Monate in Haft verbracht hat. Im verbleibenden Zeitraum war und ist der Kläger massiv straffällig.
Im Bundesgebiet hält sich lediglich sein Zwillingsbruder auf, der inzwischen ebenfalls wegen Straftaten bestandskräftig ausgewiesen ist. Die Ehefrau des Klägers lebt nach wie vor in seinem Heimatstaat. Der Kläger arbeitet nicht und macht auch keine Ausbildung. Integrationsleistungen sind nicht bekannt. Der Kläger hat auch die Gelegenheit nicht genutzt, in der mündlichen Verhandlung Auskunft über seine persönlichen Verhältnisse zu geben. Eine soziale und wirtschaftliche Integration in die Bundesrepublik D. ist dem Kläger damit nicht gelungen.
Nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles überwiegt somit das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers. Die ausgesprochen Ausweisung des Kläger ist damit eine verhältnismäßige Maßnahme, die zur Abwehr durch ihn drohender konkreter Gefahren insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen ist.
Der Umstand, dass zugunsten des Klägers ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, schließt die Ausweisung nicht aus. Denn eine Ausweisung kann ihren ordnungsrechtlichen Charakter auch dann erreichen, wenn sie nicht zu einer Abschiebung führt, sondern nur einer Verschlechterung seiner aufenthaltsrechtlichen Position im Bundesgebiet führt (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – beckonline BeckRS 2016, 50099 Rn. 40). Dies ist hier der Fall, da auf Grund der Titelerteilungssperre nach § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG (zuletzt geändert durch Gesetz vom 15. August 2019, BGBl. I S. 1307; im Folgenden: n.F.) dem Kläger kein Aufenthaltstitel erteilt werden darf. Zudem sind räumliche Beschränkungen nach § 61 Abs. 1c AufenthG möglich. Im Rahmen der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis stellen die Straftaten sowie die Ausweisung gewichtige negative Ermessengesichtspunkte dar. Der Ausweisung kommt zudem trotz bestehenden Abschiebeverbots eine verhaltenssteuernde Wirkung zu. Um überhaupt wieder eine Chance auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu bekommen und damit einen gesicherten Aufenthalt zu erhalten, darf kein neues Ausweisungsinteresse entstehen, d.h. der Kläger darf nicht erneut straffällig werden (BayVGH, U.v. 28.6.2016 – 10 B 15.1854 – beckonline BeckRS 2016, 50099 Rn. 41).
II. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 7 bzw. 9 Jahre ist nicht zu beanstanden. Dass nach § 11 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG n.F. das Einreise- und Aufenthaltsverbot gesondert und im Fall einer Ausweisung ausweislich des klaren Wortlaut des Gesetzes immer angeordnet werden muss, macht den Bescheid vom 14. Mai 2018 nicht fehlerhaft, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur früheren Rechtslage war in einer behördlichen Befristungsentscheidung nach § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG a.F. regelmäßig auch die Verhängung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots von bestimmter Dauer zu sehen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2019 – 10 C 18.1821 unter Hinweis auf BVerwG, B.v. 13. Juli 2017 – 1 VR 3. 17 juris Rn 72; BVerwG, U.v. 25.7.2017 – 1 C 13.17 – juris Rn 23). Hinsichtlich der Dauer der Sperrfrist gemäß § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. bedarf es – wie auch nach der alten Rechtslage – der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen – das der auch zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt – das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. In diesem Rahmen sind auch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie die Vorgaben aus Art. 7 Grundrechtecharta, Art. 8 EMRK zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris).
Die Beklagte war bei ihrer Entscheidung vorliegend auf Grund der strafrechtlichen Verurteilung nicht an die Fünfjahresfrist des § 11 Abs. 3 AufenthG n.F. gebunden, § 11 Abs. 5 AufenthG n.F.
Bei der mit einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten abgeurteilten Tat handelt es sich um ein massives Gewaltdelikt. Es besteht eine konkrete Wiederholungsgefahr, da der Kläger bereits erneut straffällig geworden ist. Auch unter Berücksichtigung der geringen sozialen Bindungen des Klägers zum Bundesgebiet und insbesondere unter Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen erscheint eine Frist von 7 Jahren angemessen, aber auch erforderlich, um einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen. Die von der Beklagten verfügte Bedingung, bei deren Nichteintritt eine längere Wiedereinreise- und Titelerteilungssperre gelten soll, dient der Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Den Umstand, dass zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht, hat die Beklagte in ihrer Ermessensentscheidung ebenfalls angemessen berücksichtigt.
Die Klage ist nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.