Verwaltungsrecht

Wiedereinsetzung trotz ablehnender PKH-Entscheidung

Aktenzeichen  10 ZB 19.1527

Datum:
9.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 22534
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 152a

 

Leitsatz

1. Tatsachen, die erst nach dem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens, dessen Fortführung mit der Anhörungsrüge erstrebt wird, entstehen oder vorgetragen werden, können keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung von rechtlichem Gehör begründen. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mangelndes Verschulden i.S.d. § 60 Abs. 1 VwGO kann vorliegen, wenn einem Beteiligten wegen Mittellosigkeit die fristgerechte Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt nicht zuzumuten war. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt, dann ist dem Betroffenen Wiedereinsetzung in die abgelaufene Begründungsfrist zu gewähren, wenn er sich entschließt, das Verfahren auf eigene Kosten fortzusetzen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags gewährt. Das Zulassungsverfahren 10 ZB 19.776 wird unter dem neuen Aktenzeichen 10 ZB 19.1781 fortgeführt.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

Mit der Anhörungsrüge und dem Wiedereinsetzungsantrag nach § 60 VwGO erstrebt der Kläger die Fortführung des Verfahrens über seinen Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 25. Oktober 2018 (10 ZB 19.776), den der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. Juli 2019 abgelehnt hat.
1. Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Das Vorliegen der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen ist gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO darzulegen. Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Die Anhörungsrüge richtet sich dagegen, dass der Senat den Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Fristversäumnis abgelehnt hat (Nr. II. des Beschlusses vom 18.7.2019) und dem Kläger keine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung des Zulassungsantrags gewährt hat, weil sein Prozesskostenhilfeantrag wegen fehlender Erfolgsaussichten abgelehnt worden ist (Nr. I. des Beschlusses vom 18.7.2019).
Zur Darlegung der Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO bringt der Kläger zunächst vor, dass der Senat den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg vom 20. Juli 2019 nicht berücksichtigt habe. Wie sich bereits aus der zeitlichen Abfolge der Entscheidungen ergibt, konnte der Senat den Beschluss vom 20. Juli 2019 seiner Entscheidung nicht zugrunde legen, weil dieser zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ergangen war. Tatsachen, die erst nach dem Abschluss des gerichtlichen Verfahrens, dessen Fortführung mit der Anhörungsrüge erstrebt wird, entstehen oder vorgetragen werden, konnten vom Gericht nicht zur Kenntnis genommen werden und können daher auch keine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung von rechtlichem Gehör begründen.
Soweit der Kläger vorträgt, der Senat habe nicht berücksichtigt, dass er sich für die Zeit nach der Haftentlassung einen Arbeitsplatz bei seinem künftigen Arbeitgeber gesichert habe, trifft dies nicht zu. Die im Anhörungsrügeverfahren vorgelegte Bescheinigung vom 10. August 2018 ist im Beschluss vom 18. Juli 2019 ausdrücklich erwähnt (BA S. 9). Der Senat hat diesbezüglich aber die Auffassung vertreten, dass trotz einer Arbeitsplatzzusage die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Kläger verfüge über keine gesicherte berufliche Position, zutreffend sei. Auch habe das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Arbeitsplatzes bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keinen Eingang in die Legalprognose gefunden. Insoweit würde es folglich auch an der Entscheidungserheblichkeit einer etwaigen Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtberücksichtigung der Arbeitsplatzzusage fehlen. Auch der erfolgreiche Abschluss des Fernlehrgangs wurde berücksichtigt (BA S. 9).
2. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) bezüglich der Begründungsfrist für den Zulassungsantrag ist stattzugeben. Der Kläger war ohne Verschulden i.S.d. § 60 Abs. 1 VwGO verhindert, die gesetzliche Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zur Begründung des Rechtsmittels einzuhalten.
Der neue Prozessbevollmächtigte bringt diesbezüglich vor, dass der damalige Prozessbevollmächtigte sein Mandat zwei Tage vor Ablauf der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO niedergelegt habe, der Kläger in der Kürze der Zeit keinen neuen Bevollmächtigten habe finden können und es im Übrigen im vorliegenden Fall nicht möglich sei, in der gesetzlichen Begründungsfrist eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Begründung vorzulegen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 11. August 2019 eine Liste der nach der Mandatsniederlegung von ihm kontaktierten Rechtsanwälte und eine Reihe von Ablehnungsschreiben vorgelegt.
Vorliegend kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Mandatsniederlegung des ehemaligen Bevollmächtigten einen Wiedereinsetzungsgrund i.S.d. § 60 Abs. 1 VwGO darstellt (vgl. hierzu: BFH, B.v. 27.6.2006 – I B 159/05 – juris Rn. 7; B.v. 3.5.2002 – I B 68/01 – juris Rn. 4), denn dem Kläger ist jedenfalls Wiedereinsetzung in die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO zu gewähren, weil er wegen Mittellosigkeit und damit unverschuldet an der Einhaltung der Frist für die Begründung des Zulassungsantrags gehindert war.
Mangelndes Verschulden i.S.d. § 60 Abs. 1 VwGO kann vorliegen, wenn einem Beteiligten wegen Mittellosigkeit die fristgerechte Einlegung bzw. Begründung eines Rechtsmittels durch einen Rechtsanwalt nicht zuzumuten war. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt in diesem Fall voraus, dass der Betreffende alles getan hat, was von ihm zur Wahrung der Frist erwartet werden konnte. Hierzu gehört, dass er innerhalb der Begründungsfrist einen vollständigen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht gestellt hat (BayVGH, B.v. 13.4.2012 – 10 ZB 11.2993 – juris Rn. 9) und zumindest in Grundzügen darlegt, weshalb aus seiner Sicht die Berufung zuzulassen ist. Eine dezidierte Darlegung der Zulassungsgründe wird von einem Laien nicht erwartet, so dass es für die Begründung des Prozesskostenhilfeantrags auch keines Anwalts bedarf.
Wird die Prozesskostenhilfe bewilligt, ist Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist zu gewähren, um den Betroffenen in die Lage zu versetzen, sich durch einen ihm beigeordneten Anwalt zur Abgabe der versäumten Begründung vertreten zu lassen. Wird – wie hier im Beschluss vom 18. Juli 2019 (10 ZB 19.776) – der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt, dann ist dem Betroffenen Wiedereinsetzung in die abgelaufene Begründungsfrist zu gewähren, wenn er sich entschließt, das Verfahren auf eigene Kosten fortzusetzen. Die begehrte Wiedereinsetzung hängt in diesem Fall nur davon ab, ob er sich ohne Verschulden für bedürftig und nur deshalb für verhindert halten konnte, den Zulassungsantrag rechtzeitig zu stellen bzw. zu begründen (Seibold in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 245; Roth in BeckOK VwGO, Posser/Wolff, Stand 1.7.2019, § 124a Rn. 33; BVerwG, B.v 23.7.2003 – 1 B 386/02 – NVwZ 2004, 111). Dies trifft beim Kläger zu, weil der damalige Bevollmächtigte sein Mandat aufgrund der vom Kläger nicht beglichenen Honorarforderungen niedergelegt hat und er durch den Prozesskostenhilfeantrag zu erkennen gegeben hat, dass er die Kosten der Prozessführung für ein Zulassungsverfahren nicht aufbringen kann.
Die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat der Kläger gewahrt. Das Hindernis für die fristgerechte Einreichung der Begründung für den Zulassungsantrag ist mit Zustellung des Beschlusses vom 18. Juli 2019, mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Fristversäumnis und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden sind (BGH, B.v. 9.1.1985 – IVb ZB 142/84 juris Rn. 9), am 30. Juli 2019 entfallen. Ab diesem Zeitpunkt war dem Kläger bewusst, dass er seine Mittellosigkeit nicht mehr als Hinderungsgrund für die Begründung des Zulassungsantrags durch einen Rechtsanwalt geltend machen kann und er sich entscheiden muss, ob der die Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwalts anderweitig aufbringen will und kann.
Der vom neuen Bevollmächtigten des Klägers gestellte Wiedereinsetzungsantrag datiert vom 7. August 2019. Die versäumte Rechtshandlung wurde innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nachgeholt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3, § 60 Abs. 5 VwGO).

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