Aktenzeichen Au 1 K 19.465
Leitsatz
Es ist mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zur Familienzusammenführung zu verweisen; der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Kläger zu 1 ist nigerianischer Staatsangehöriger und Vater der Kläger zu 2 und 3, welche ebenfalls die nigerianische Staatsangehörigkeit besitzen. Die Kläger begehren allesamt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 4 bzw. 5 AufenthG.
Die Kläger reisten am 12. Juli 2017 zusammen mit der Ehefrau des Klägers zu 1 bzw. Mutter der Kläger zu 2 und 3 in das Bundesgebiet ein und stellten einen Asylantrag. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 24. August 2017 ab. Die dagegen erhobene Klage des Klägers zu 1 wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 2. März 2018 (M 28 K 17.47728) ab. Hinsichtlich der Kläger zu 2 und 3 wurde die gegen den Asylbescheid erhobene Klage mit Urteil vom 7. Mai 2018 (M 15 K 17.47391) durch das Verwaltungsgericht München abgewiesen.
Die Kläger sind seitdem im Besitz von befristeten Duldungen, während der Ehefrau bzw. Mutter der Kläger aufgrund einer diagnostizierten Hepatitis B sowie einer arteriellen Hypertonie mit hypertensiver Herzerkrankung eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 i. V. m. § 60 Abs. 7 AufenthG erteilt wurde.
Am 21. November 2018 beantragte die Bevollmächtigte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 AufenthG für den Kläger zu 1 bzw. nach § 32 AufenthG für die Kläger zu 2 und 3. Hilfsweise wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG für alle Kläger beantragt. Mit Bescheid vom 25. März 2019 lehnte der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 30 bzw. 32 AufenthG die Titelerteilungssperre aus § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entgegenstehe.
Ferner fehle es an den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG, da die Kläger ohne Visum eingereist seien. § 25 Abs. 5 AufenthG sei aufgrund der Spezialität des § 25 Abs. 3 bzw. der §§ 27 ff. AufenthG bereits nicht anwendbar, scheitere des Weiteren jedoch auch daran, dass die Ausreise möglich und zumutbar sei (§ 25 Abs. 3 Satz 2 Alt. 1 AufenthG). Auch könne vom Erfordernis der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG nicht abgewichen werden, da es für die Kläger rechtlich und tatsächlich zumutbar sei, ein Visumverfahren zu durchlaufen. Die zeitweilige Trennung der Kläger von der Ehefrau bzw. Mutter sei hinzunehmen.
Hiergegen ließen die Kläger am 2. April 2019 Klage erheben. In der Begründung führte die Bevollmächtigte aus, dass das dem Beklagten zustehende Ermessen nicht bzw. nicht ordnungsgemäß ausgeübt worden sei, da insbesondere die Zumutbarkeitsregel fehlerhaft angewandt worden wäre. Die Ehefrau des Klägers zu 1 sei aufgrund ihrer Erkrankung dringend auf Unterstützung und Hilfe angewiesen und könne sich nicht um zwei heranwachsende Kinder alleine kümmern. Des Weiteren seien auch die Kläger zu 2 und 3 auf ihre Mutter angewiesen. Die gesamte Familie müsse nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK geschützt werden. Es könne auch nicht nachvollzogen werden, warum trotz geklärter Identität ein Visumverfahren notwendig sei, bei welchem die Gefahr einer Ablehnung durch die deutsche Botschaft bestehe. § 25 Abs. 5 AufenthG normiere keinen Auffangtatbestand, sondern sei als eigenständige Norm im Aufenthaltsrecht anwendbar. Ferner sei § 25 Abs. 4 AufenthG durch den Beklagten erst gar nicht geprüft worden.
Die Kläger beantragen,
1. Der Bescheid des Beklagten vom 25. März 2019, zugegangen am 27. März 2019, wird aufgehoben.
2. Unter Aufhebung dieses Bescheids wird den Klägern
eine Aufenthaltserlaubnis laut Antrag vom 21. November 2018 erteilt. Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2019 führte die Klägerbevollmächtigte aus, dass sich die Klage lediglich auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4, 5 AufenthG beziehe. Für dieses Verfahren begehren die Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Landratsamt … bezog sich zur Begründung zunächst auf den angefochtenen Bescheid. Es führte ferner aus, dass nach § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthGi. V. m. § 30 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 AsylG kein Aufenthaltstitel vor der Ausreise erteilt werden könne. Ein Anspruch nach § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG liege nicht vor. Der hilfsweise beantragte Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei ebenfalls nicht erteilbar, da eine Ausreise zur Nachholung des Visumverfahrens rechtlich und tatsächlich möglich sowie zumutbar sei. Die kurzfristige Trennung von Familienmitgliedern sei grundsätzlich hinnehmbar. Zwar leide die Ehefrau bzw. Mutter der Kläger an einer schweren Erkrankung, eine dauerhafte Einschränkung der Alltagskompetenzen sei jedoch nicht ersichtlich. Umstände, die das Vorliegen einer besonderen Härte begründen würden, seien weder nachgewiesen noch substantiiert vorgetragen worden. Die Nachholung des Visumverfahrens sei unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK zumutbar und stelle keinen Grund nach § 25 Abs. 5 AufenthG dar. Ein Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 4 AufenthG könne nicht erteilt werden, da die Kläger keinen vorübergehenden, sondern einen dauerhaften Aufenthalt in Bundesgebiet anstrebten und darüber hinaus vollziehbar ausreisepflichtig seien.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe konnte nicht entsprochen werden.
1. Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist etwa dann gegeben, wenn schwierige Rechtsfragen zu entscheiden sind, die im Hauptsacheverfahren geklärt werden müssen. Auch wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, ist vorab Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. BVerfG, B.v. 14.4.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976). Insgesamt dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens nicht überspannt werden, eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Erfolges genügt. Denn die Rechtsverfolgung darf nicht in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe vorverlagert werden und unbemittelten Personen soll ein weitgehend gleicher Zugang zum Gericht ermöglicht werden wie Personen, denen ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, B.v. 4.5.2015 – 1 BvR 2096/13; Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 166 Rn. 26).
2. Gemessen daran konnte dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entsprochen werden, da die von den Klägern erhobene Klage aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Nach derzeitigem Sachstand ist davon auszugehen, dass sich die angegriffene Entscheidung als rechtmäßig erweisen wird und kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4, 5 AufenthG für die Kläger besteht.
a) Es besteht kein Anspruch nach § 25 Abs. 4 AufenthG. Demnach kann einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Da die Kläger einen dauerhaften Aufenthalt in der Bundesrepublik anstreben, liegt bereits der Tatbestand von § 25 Abs. 4 AufenthG nicht vor.
b) Den Klägern steht auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist.
aa) Da die Kläger bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber sind, die sich ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten, sind sie vollziehbar ausreisepflichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG.
bb) Die Ausreise der Kläger ist aber nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründe n unmöglich. Rechtliche Unmöglichkeit liegt unter anderem dann vor, wenn der Ausreise Gründe entgegenstehen, welche diese als unzumutbar erscheinen lassen (Bergmann/Röcker in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 25 AufenthG Rn.105). Insbesondere ergibt sich vorliegend eine Unzumutbarkeit der Ausreise und der anschließenden Durchführung des Visumverfahrens nicht aus Art. 6 GG i.V.m. Art. 8 EMRK. Es ist mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie grundsätzlich vereinbar, einen Ausländer auf die Einholung des erforderlichen Visums zur Familienzusammenführung zu verweisen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist von demjenigen, der die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland begehrt, regelmäßig hinzunehmen (BVerfG, B.v. 17.5.2011 – 2 BvR 2625/10 – juris Rn. 13f. m.w.N.). Dies gilt vor allem vor dem Hintergrund, dass die vorherige Durchführung eines Visumverfahrens wichtigen öffentlichen Interessen dient. In Fällen wie dem vorliegenden soll die vorherige Durchführung des Visumverfahrens gewährleisten, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug vor der Einreise geprüft werden können, um die Zuwanderung von Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein zu verhindern (BayVGH, B.v. 21.2.2013 – 10 CS 12.2679 – juris Rn. 35). Die mit dem Visumverfahren verbundene Trennung der Kläger von ihrer Ehefrau bzw. Mutter tritt hier hinter dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung des Visumverfahrens zurück. Es sind im Fall der Kläger keine Umstände erkennbar, die eine Ausreise nach Nigeria unzumutbar erscheinen lassen. Die schwere Erkrankung der Ehefrau bzw. Mutter wurde zwar vorgetragen, deren konkreter Schweregrad und die Auswirkungen auf den Alltag der Familie jedoch weder bewiesen noch substantiiert dargelegt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 7. Mai 2018 (M 15 K 17.47391), welches sich auch mit der Krankheitsgeschichte der Ehefrau bzw. Mutter auseinandersetzt, stellte diesbezüglich nur fest, dass eine regelmäßige Einnahme der Medikation erforderlich ist, um weitere gesundheitliche Schädigungen zu vermeiden. Da es dem Kläger zu 1 zudem bislang möglich war in Vollzeit zu arbeiten, kann davon ausgegangen werden, dass die Ehefrau bzw. Mutter ihren Alltag selbst bestreiten kann. Im Übrigen liegt es im Verantwortungsbereich der Kläger, die Ausreisemodalitäten familienverträglich zu gestalten. Eine zumindest vorübergehende Trennung von ihrer Ehefrau bzw. Mutter ist ihnen zumutbar. Die Kläger befinden sich in keiner anderen Situation als andere Familienangehörige, die ordnungsgemäß das Visumverfahren vom Ausland aus durchführen.
c) Da somit bereits die besonderen Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG nicht erfüllt sind, kommt es auf das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG nicht mehr entscheidend an.