Verwaltungsrecht

Keine Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

Aktenzeichen  Au 6 K 19.30786

Datum:
21.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20018
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3, § 4, § 26
AufenthG § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7

 

Leitsatz

Sind keine Anhaltspunkte für eine Verfolgung bzw. die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, bei einer Rückkehr in die Türkei erkennbar, besteht kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG. (Rn. 14 – 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf die Gewährung subsidiären Schutzes oder auf ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG oder auf Familienflüchtlingsschutz (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2019 ist daher rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Es wird insoweit in vollem Umfang Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
1. Der in der Türkei geborene Kläger ist dort unverfolgt gewesen. Er hat auch im Fall einer Rückkehr in die Türkei, deren Staatsangehörigkeit er nach seinen Dokumenten wie auch nach den überzeugenden Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid hat, keinerlei Probleme mit staatlichen Stellen zu befürchten. Dies ergibt sich schon aus dem Vorbringen seiner Mutter in deren eigenem Asylverfahren, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Au 6 K 17.34600). Es ist – wie von der Beklagten im angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt – auch kein Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass er bei einer Rückkehr verfolgt würde. Er hat daher keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG.
Die Niederlassung wäre dem Kläger dort auch in einem anderen Landesteil sprachlich, kulturell, sozial und wirtschaftlich zumutbar, insbesondere wäre dort auch mehr als sein Existenzminimum gesichert (zur landesweiten Existenzsicherung vgl. unten), da seine Mutter sowohl erwerbstätig gewesen ist, als auch über familiären Rückhalt in der Türkei verfügt.
2. Der Kläger hat aus denselben Gründen auch keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes i.S. des § 4 Abs. 1 AsylG. Er hat keine stichhaltigen Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei ein ernsthafter Schaden i.S. des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 bis 3 AsylG droht.
3. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen ebenfalls nicht vor. Auf den Bescheid des Bundesamts wird Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG) und ergänzend ausgeführt:
a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Dies ist auch der Fall, wenn es dem Betroffenen nicht (mehr) gelingen würde, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft, zu befriedigen (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – Asylmagazin 2015, 197) und die aus zu erwartenden schwierigen Lebensbedingungen resultierenden Gefährdungen im Einzelfall eine solche Intensität aufweisen, dass auch ohne konkret drohende Maßnahmen von einer unmenschlichen Behandlung auszugehen ist. Die Gefahren müssen ein Mindestmaß an Schwere unter Berücksichtigung der Gesamtumstände aufweisen.
Hier liegen diese besonders strengen Voraussetzungen nicht vor:
aa) Die erwachsene, gesunde und erwerbsfähige Mutter des Klägers würde im Fall einer Abschiebung in die Türkei keiner besonderen Ausnahmesituation ausgesetzt sein, die mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führen würde, dass ihre und des hiesigen Klägers elementarste Bedürfnisse im Sinne eines absoluten Existenzminimums nicht gesichert wären.
Die Grundversorgung und die medizinische Versorgung sind nach Überzeugung des Gerichts für Rückkehrer in der Türkei jedenfalls im Umfang des absoluten Existenzminimums gesichert.
In der Türkei gibt es zwar keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden aber über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität gewährt und von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können. Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besonderen Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder Volksküchen. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 25 f. – im Folgenden: Lagebericht).
Die medizinische Versorgung durch das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert, vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht krankenversicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite vor allem in ländlichen Provinzen bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet. Landesweit gab es im Jahr 2017 1.518 Krankenhäuser mit einer Kapazität von 226.000 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der „Praxisgebühr“ unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden. Durch die zahlreichen Entlassungen nach dem gescheiterten Putschversuch, von denen auch der Gesundheitssektor betroffen ist, kommt es nach Medienberichten gelegentlich zu Verzögerungen bei der Bereitstellung medizinischer Dienstleistungen (vgl. Lagebericht ebenda S. 26). Psychiater praktizieren und elf psychiatrische Fachkliniken mit einer Bettenkapazität von rund 4.000 Plätzen standen im Jahr 2017 zur Verfügung, weitere Betten gibt es in besonderen Fachabteilungen einiger Regionalkrankenhäuser. Auch sind therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige vorhanden (vgl. Lagebericht ebenda S. 26; zur Behandlung psychischer Erkrankungen auch ebenda Anlage I S. 33 f. sowie Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 18.8.2016, Behandlung und Pflege einer schizophrenen Person im Südosten der Türkei, S. 2). Die spezialisierte psychiatrische Fachklinik in Elazig deckt die Versorgung von Patienten in Südost- und Ostanatolien ab und verfügt über insgesamt 488 Betten, stationäre psychiatrische Versorgung ist auch in den Universitätskliniken in Gaziantep, Diyarbakir und Sanliurfa gewährleistet (SFH ebenda S. 3).
Zum 1. Januar 2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt für alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei mit Ausnahmen u.a. für Soldaten/Wehrdienstleistende und Häftlinge. Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u. a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich. Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und dem doppelten Mindestlohn gelten ermäßigte Beitragssätze. Bis Mitte des Jahres 2014 haben sich rund 12 Mio. Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen, für rund 8 Mio. von ihnen hat der Staat die Zahlung der Beiträge übernommen (vgl. Lagebericht, ebenda S. 27). Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden „Grünen Karten“ (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).
Zudem hätte die Mutter die Möglichkeit, die Betreuung ihrer Kinder ggf. durch landestypische familiäre Unterstützung sicherzustellen, wollte sie wenigstens teilzeitig erwerbstätig sein.
bb) Der Kläger würde im Fall einer Abschiebung in die Türkei auch nicht wegen seiner Asylantragstellung unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.
Rückkehrerinnen und Rückkehrer werden nach vorliegenden Erkenntnissen keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen. Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten – dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen – gefoltert oder misshandelt worden ist (vgl. Lagebericht ebenda S. 28; a.A. allerdings unter Verweis auf Quellen lediglich zum Risiko von Festnahmen und nicht von Folter VG Freiburg, U.v. 13.6.2018 – A 6 K 4635/17 – juris Rn. 28 ff.).
Aufgrund eines Runderlasses des türkischen Innenministeriums dürfen keine Suchvermerke (insbesondere für Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen) mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden; vorhandene Suchvermerke sollen Angaben türkischer Behörden zufolge im Jahr 2005 gelöscht worden sein (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).
Unbegleitet zurückkehrende Minderjährige finden in der Regel Aufnahme bei Verwandten, sonst im Einzelfall ggf. in einem Waisenhaus oder Kinderheim. In letzterem Fall sollten die zuständigen türkischen Behörden rechtzeitig informiert werden (vgl. Lagebericht ebenda S. 28).
In der Türkei finden Einreisekontrollen für alle Personen statt. Bei dieser Personenkontrolle können türkische Staatsangehörige mit einem gültigen türkischen, sie zur Einreise berechtigenden Reisedokument die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen auch auf Inlandsflügen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Türkei vom 14.6.2019, S. 28 f.). Die Einreisekontrollen wurden bereits im Zuge der Flüchtlingskrise verstärkt, nicht erst seit dem Putschversuch (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3), nun aber gezielter mit Listen mutmaßlicher Gülen- oder PKK-Anhänger (Schweizer Flüchtlingshilfe SFH, Schnellrecherche an das VG Karlsruhe vom 17.2.2017, S. 2). Ein abgelehnter kurdischer Asylbewerber läuft bei der Rückkehr nicht Gefahr, allein wegen seiner Volkszugehörigkeit verhaftet zu werden; hat er sich in Deutschland für kurdische Rechte oder Organisationen aktiv eingesetzt oder z.B. regelmäßig an pro-kurdischen Demonstrationen teilgenommen, erhöht dies das Risiko (vgl. Kamil Taylan, Gutachten an das VG Karlsruhe vom 13.1.2017, S. 3 f., 28 f.; auch SFH ebenda S. 2, 3, 10 f.).
b) Ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 ff. AufenthG wegen einer zielstaatsbezogenen erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung voraussetzt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, liegt im Fall der Klägerin nicht vor.
4. Wie vom Bundesamt zutreffend ausgeführt, liegt auch kein Anspruch auf Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 AsylG vor, weil der Kläger als türkischer Staatsangehöriger keinen Anteil an der „Verfolgungsgemeinschaft“ mit seinem syrischen Vater hat.
Die Voraussetzungen für Familienflüchtlingsschutz nach Zuerkennung des subsidiären Schutzes für seinen Vater nach § 26 Abs. 2 und Abs. 5 AsylG und nach Art. 2 Buchst. j, Art. 23 Abs. 1 und Abs. 5 RL 2011/95/EU liegen nicht vor. Es fehlt an einer „Verfolgungsgemeinschaft“ der Familie im Herkunftsstaat des Stammberechtigten.
Umstritten ist, ob der Familienflüchtlingsschutz begehrende Ausländer dieselbe Staatsangehörigkeit wie das als Flüchtling anerkannte Familienmitglied innehaben muss. Dagegen wird eingewandt, dass § 26 AsylG kein solches Merkmal enthält, denn da es für die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nicht auf eine eigene Verfolgung des abgeleitet Schutzsuchenden sondern nur des Stammberechtigten ankommt, könne es auch keinen Ausschluss bei Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat geben (vgl. VG Hamburg, B.v. 13.2.2019 – 10 AE 6172/18 – juris Rn. 16 ff.; VG Frankfurt (Oder), U.v. 26.3.2019 – 3 K 455/17.A – juris Rn. 24 ff. jeweils m.w.N.). Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass schon das Grundprinzip des Flüchtlingsschutzes nach Art. 1 Abs. A GFK auf den Staat der Staatsangehörigkeit als Verfolger abstellt und sich dieser Ausdruck bei Mehrstaatigkeit „auf jedes der Länder, dessen Staatsangehörigkeit diese Person hat“, bezieht. Dieses Prinzip ist ebenso für Art. 2 Buchst. d und Buchst. n RL 2011/95/EU sowie § 3 AsylG maßgeblich. Es gilt daher der Grundsatz „nationaler vor internationalem Schutz“ (vgl. VG Trier, U.v. 13.2.2019 – 1 K 6155/17.TR – juris Rn. 37 ff. m.w.N.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der nationale Gesetzgeber einen weitergehenden Anspruch auf Familienschutz einräumen wollte, zumal neben dem spezifisch asylrechtlichen Schutz der Familieneinheit auch jener des allgemeinen Aufenthaltsrechts besteht (vgl. VG Trier, U.v. 13.2.2019 – 1 K 6155/17.TR – juris Rn. 49 ff. m.w.N.). Letztlich dient das Rechtsinstitut des „Familienasyls“ nicht dem gemeinsamen Aufenthalt von Familienangehörigen im Aufnahmestaat, sondern dem Schutz vor dem gemeinsamen mutmaßlichen Verfolgerstaat. Wo allerdings wegen Mehrstaatigkeit keine gemeinsame Verfolgung stattgefunden hat oder zu befürchten ist, weil Familienangehörige in einen anderen Staat ausweichen können und – wie hier nach Einschätzung des Auswärtigen Amts – sogar der schutzberechtigte Stammberechtigte Aufnahme finden könnte, besteht kein Bedarf an gemeinsamem Schutz im Aufnahmestaat. Eine teleologische Reduktion des § 26 AsylG ist insoweit geboten und gerechtfertigt.
Jedenfalls teilt der Kläger als nachgewiesen türkischer Staatsangehöriger nicht ausschließlich den Herkunftsstaat mit seinem Vater, sondern ebenso mit der Mutter, wo beide Elternteile nach Angaben der Mutter unverfolgt gelebt haben und leben könnten. Damit ist also weder nach jener engeren Auffassung, die für Familienasyl einen gemeinsamen Herkunftsstaat verlangt, noch nach der weiteren Auffassung, die einen zumindest gemeinsamen verfolgenden letzten Aufenthaltsstaat verlangt (zum Ganzen ausführlich VG Wiesbaden, U.v. 7.6.2018 – 2 K 1834/17.KS.A – juris Rn. 30 f. m.w.N.), die Grundvoraussetzung für Familienschutz durch Flüchtlingsschutz gegeben.
5. Nachdem sich auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG mit Blick auf den von der Beklagten in ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigten im Bundesgebiet lebenden Vater als rechtmäßig erweist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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