Steuerrecht

Richterabblehnung wegen langandauernder Untätigkeit trotz Erinnerungsschreiben der Partei

Aktenzeichen  1 W 649/19

Datum:
7.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 19409
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 42, § 44, § 46, § 47

 

Leitsatz

1. Die bloße Untätigkeit des Richters über einen gegebenenfalls auch längeren Zeitraum stellt im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund dar, weil sie die Parteien gleichermaßen belastet und aus ihr regelmäßig keine der Parteien folgern kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ablehnungsgrund kann aber unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles  dann in Betracht kommen, wenn der Richter eine Sache unter Nichtbeantwortung von Erinnerungsschreiben der Partei langandauernd nicht bearbeitet und dieses Vorgehen aus der Sicht auch eines vernünftigen Dritten in derselben Lage wie die Partei einer Rechtsverweigerung gleich kommt (so auch OLG Dresden BeckRS 2010, 10409). (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts München …, abgeändert und das Ablehnungsgesuch der Klägerin vom 23.07.2018 gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht … für begründet erklärt.
2. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 19.085,29 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin macht gegen die Beklagten materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Behandlungs- und Aufklärungsfehler bei einer Kaiserschnittentbindung am 31.07.2014 geltend.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 9.05.2019 (Bl. 222/226 d.A.) das mit Schriftsatz vom 23.07.2018 (Bl. 175/181 d.A.) gestellte und mit Schriftsatz vom 15.03.2019 (Bl. 200/215 d.A.) ergänzend begründete Ablehnungsgesuch der Klägerin wegen Besorgnis der Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter am Landgericht S1., der am 8.03.2019 (Bl. 197 d.A.) eine dienstliche Äußerung dazu abgegeben hat, zurückgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 25.05.2019 (Bl. 230/271 d.A. = Bl. 277/318 d.A.) sofortige Beschwerde erhoben, der das Landgericht mit Beschluss vom 03.06.2019 (Bl. 273/275 d.A.) nicht abgeholfen hat. Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 17.06.2019 (Bl. 320/326 d.A.) und – nach Akteneinsicht beim Oberlandesgericht – vom 15.07.2019 (Bl. 329/331 d.A.) ihr Beschwerdevorbringen ergänzt.
Die Beklagten sind der Beschwerde mit Schriftsatz vom 6.08.2019 (Bl. 333/334 d.A.) entgegengetreten.
II.
Die gemäß §§ 46 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat Erfolg. Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist begründet, weil sie glaubhaft gemacht hat, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, berechtigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des … zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
1. Der Senat teilt zwar auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens die Auffassung des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss, dass sich aus dem Inhalt und der Formulierung des Beweisbeschlusses vom 26.04.2018 die Besorgnis der Befangenheit von … nicht ableiten lässt.
2. Die Klägerin hat aber im Hinblick auf die zeitliche Verfahrensgestaltung glaubhaft gemacht, dass ein Grund vorliegt, der geeignet ist, berechtigtes Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des … zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO).
Besorgnis der Befangenheit ist zu bejahen, wenn ein objektiv vernünftiger Grund gegeben ist, der die Partei von ihrem Standpunkt aus befürchten lassen kann, der Richter werde nicht unparteiisch allein nach sachlichen Gesichtspunkten entscheiden. Eine unsachgemäße Verfahrensleitung kann die Befangenheit eines Richters begründen; das ist anzunehmen, wenn sich das prozessuale Vorgehen des Richters soweit von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass sich für die betroffene Partei der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung aufdrängt.
Die bloße Untätigkeit des Richters über einen gegebenenfalls auch längeren Zeitraum stellt im Allgemeinen keinen Ablehnungsgrund dar, weil sie die Parteien gleichermaßen belastet und aus ihr regelmäßig keine der Parteien folgern kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber. Anders kann es aber ausnahmsweise unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles liegen. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Richter eine Sache unter Nichtbeantwortung von Erinnerungsschreiben der Partei langandauernd nicht bearbeitet und dieses Vorgehen aus der Sicht auch eines vernünftigen Dritten in derselben Lage wie die Partei einer Rechtsverweigerung gleich kommt (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 29.06.2009 – 3 W 526/09, juris-Tz. 3; ähnlich OLG Bamberg, Beschl. v. 11.11.1999 – SA F 31/99, juris-Tz-. 5; zur grundlosen Verweigerung von Akteneinsicht BayObLG, Beschl. v. 20.07.2000 – 2 Z BR 49/2000, juris-Tz. 10 f; Zöller/Vollkommer, ZPO 30. Aufl. § 42 Rn. 24 m.w.N.).
Ein solcher Fall liegt hier nach dem maßgeblichen aktuellen Sachstand vor. Das Landgericht hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die hiesige lange Verfahrensdauer nur teilweise auf Untätigkeit des abgelehnten Richters zurückzuführen war, insbesondere die späte Durchführung der ersten mündlichen Verhandlung erst am 24.01.2017 durch einen Verlegungsantrag der Klägerin bedingt war. Auch lagen mit der jahrelangen Überlastung der 1. Zivilkammer und den urlaubs- und krankheitsbedingten Abwesenheiten des Berichterstatters durchaus erhebliche Gründe dafür vor, dass der ursprünglich für den 7.03.2017 angekündigte – sehr umfangreiche und arbeitsaufwändige – Beweisbeschluss schließlich erst am 26.04.2018 erlassen wurde. Allerdings wurden die Gründe für die Verzögerung den Parteien, insbesondere der im März 2017 mehrmals und seit April 2017 in etwa monatlichen Abständen anfragenden Klägerin, nach Aktenlage nur sporadisch und erst sehr spät mitgeteilt, nämlich mit Verfügungen vom 23.10.2017 und vom 26.01.2018 (Bl. 142 und 143 d.A.). Hinzu kommt, dass der abgelehnte seine nach § 44 Abs. 3 ZPO zum Befangenheitsantrag vom 23.07.2018 abzugebende dienstliche Äußerung erst am 8.03.2019, also gut sieben Monate später, erteilt hat, und diese Verspätung erst in der Stellungnahme selbst und dort lediglich pauschal mit persönlichen Gründen und der bekannten Überlastung der Kammer begründet, aber zwischenzeitlich gegenüber der Klägerin trotz erneuter wiederholter Sachstandsanfragen nicht kommuniziert hatte. Dem hätte das Handlungsverbot des § 47 Abs. 1 ZPO – anders als ein Tätigwerden im Prozess selbst – sicher nicht entgegengestanden, dem Abgelehnten musste andererseits aus den Akten klar sein, dass der Prozess vor Entscheidung über das Ablehnungsgesuch keinen echten sachlichen Fortgang nahm. Angesichts dieser Umstände kann eine verständige Partei in der Lage der Klägerin nachvollziehbar den Eindruck gewinnen, der Richter nehme ihr Anliegen nicht ernst, verweigere ihr die Rechtsfindung über eine erhebliche Zeitspanne hinweg und stehe ihr nicht mit der gebotenen Unvoreingenommenheit gegenüber. Entscheidend ist dieser nach außen hin erweckte Eindruck, nicht, ob bzw. welche Gründe für die Untätigkeit des Richters über die langen Zeiträume hinweg tatsächlich vorgelegen haben.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Bei erfolgreicher Beschwerde sind deren Kosten solche des Rechtsstreits (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Auflage, § 46 Rn. 20 m.w.N.). Der Streitwert wurde nach § 3 ZPO bestimmt, wobei vorliegend 1/3 des Wertes der Hauptsache anzusetzen war.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wurde entsprechend der ständigen Spruchpraxis des Senats in Ablehnungsverfahren gemäß § 3 ZPO auf 1/3 des Hauptsachestreitwerts (57.255,86 € nach Klageerweiterung durch Schriftsatz vom 19.01.2017) festgesetzt (vgl. Zöller/Herget a.a.O. § 3 Rn. 16 Stichwort „Ablehnung eines Richters“ mit Darstellung des Meinungsstandes).

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