IT- und Medienrecht

Gewährung von Abschlägen für Impfstoffe

Aktenzeichen  7 U 4649/18

Datum:
7.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21272
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
AMRabG § 1 S. 1, § 2 S. 1
IfSG § 2 Nr. 9
SGB V § 20i Abs. 1, § 130a Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung hat gegen ein pharmazeutisches Unternehmen gemäß §§ 1 S. 1 AMRabG, 130a Abs. 2 SGB V Anspruch auf Gewährung eines Abschlages für einen Impfstoff, wenn es einem Versicherten die diesem hierfür entstandenen Kosten aufgrund des Krankenversicherungsvertrages erstattet hat und der Impfstoff sämtliche Voraussetzungen des § 20i Abs. 1 SGB V erfüllen kann.
2. Für die Entstehung des Abschlagsanspruchs nach § 1 S. 1 AMRabG reicht es nicht schon aus, dass es sich um einen Impfstoff für eine Schutzimpfung iSd. § 2 Nr. 9 IfSG handelt.
3. Nicht erforderlich ist dagegen, dass bei der ärztlichen Verordnung des Impfstoffes an einen Versicherten in dessen Person alle in der Schutzimpfungs-Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 11 i.V.m. Anlage 1 der Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sein müssen. Insbesondere muss weder eine Indikation iSd. Spalte 2 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie gegeben sein noch müssen im Falle einer Reiseschutzimpfung die einschränkenden Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sein.
4. Nicht erforderlich ist auch, dass es sich um einen Impfstoff handelt, für den eine gesetzliche Kostenerstattungspflicht des privaten Krankenversicherungsunternehmens besteht.

Verfahrensgang

22 O 4238/18 2018-11-29 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.11.2018, Az. 22 O 4238/18, in Ziffer 1 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin 31.596,27 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
aus einem Betrag von 1.766,74 € seit dem 31.05.2016,
aus weiteren 1.049,55 € seit dem 01.07.2016,
aus weiteren 1.373,04 € seit dem 31.07.2016,
aus weiteren 1.303,70 € seit dem 31.08.2016,
aus weiteren 19.321,96 € seit dem 01.10.2016,
aus weiteren 1.368,47 € seit dem 31.10.2016,
aus weiteren 850,38 € seit dem 01.12.2016,
aus weiteren 1.048,92 € seit dem 31.12.2016,
aus weiteren 723,97 € seit dem 31.01.2017
aus weiteren 1.190,42 € seit dem 03.03.2017,
aus weiteren 814,19 € seit dem 31.03.2017,
aus weiteren 370,66 € seit dem 01.05.2017,
aus weiteren 172,13 € seit dem 31.05.2017,
aus weiteren 126,77 € seit dem 01.07.2017,
aus weiteren 95,82 € seit dem 31.07.2017 und aus weiteren 19,55 € seit dem 31.08.2017 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 20%, die Beklagte 80%.
3. Dieses Endurteil sowie das in Ziffer 1. bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I, soweit es noch Bestand hat, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Gründe

B.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist vollumfänglich begründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Auf die Frage, ob ein Rechtsschutzbedürfnis iSd. § 256 Abs. 1 ZPO für den Feststellungsantrag der Klägerin bestand, nachdem die Beklagte die von der Z. GmBH seit dem 18.09.2017 für die Klägerin gestellten Abschlagsrechnungen nur unter Vorbehalt beglich, kommt es nach der Rücknahme der Berufung hinsichtlich des Feststellungsantrages nicht mehr an.
II.
Die Klage ist auch begründet.
Denn die Klägerin hat gegen die Beklagte gemäß § 1 S. 1 AMRabG Anspruch auf Zahlung der von der Z. GmbH für die Klägerin mit Rechnungen vom 18.05.2016 bis 18.08.2017 geltend gemachten Abschlagsbeträge für Impfstoffe in Höhe von 31.596,27 €, da die Klägerin ihren Versicherten die Kosten für den jeweiligen Impfstoff aufgrund des Krankenversicherungsvertrages erstattet hat und es sich bei allen streitgegenständlichen Impfstoffen um solche handelt, die sämtliche Voraussetzungen des § 20i Abs. 1 S.1 – 6 SGB V erfüllen können (§ 20i Abs. 1 S. 7 SGB V betrifft nur die Bereitstellung von Impfausweisvordrucken und ist deshalb im streitgegenständlichen Kontext irrelevant).
Für die Entstehung des Abschlagsanspruchs nach § 1 S. 1 AMRabG reicht es nicht schon aus, dass es sich um einen Impfstoff für eine Schutzimpfung iSd. § 2 Nr. 9 IfSG handelt. Vielmehr muss der Impfstoff auch die einschränkenden Voraussetzungen des § 20i Abs. 1 S. 2 – 6 SGB V erfüllen können. Nicht erforderlich ist dagegen, dass bei jeder einzelnen Verabreichung des Impfstoffes an einen Versicherten, in der Person des Versicherten alle in der Schutzimpfungs-Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 11 i.V.m. Anlage 1 der Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sein müssen, das heißt insbesondere eine Indikation iSd. Spalte 2 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie gegeben sein muss und im Falle einer Reiseschutzimpfung auch die einschränkenden Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sein müssen. Entgegen der Ansicht der Beklagten und des Landgerichts muss es sich dabei auch nicht um Impfstoffe handeln, für die eine gesetzliche Kostenerstattungspflicht des privaten Krankenversicherungsunternehmens besteht.
1. Zutreffend ist das Landgericht noch davon ausgegangen, dass die Verweisungen in § 1 S. 1 AMRabG und § 130a Abs. 2 SGB V Rechtsgrundverweisungen sind, sodass ein Abschlagsanspruch der Klägerin bezüglich Impfstoffen grundsätzlich voraussetzt, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 130 Abs. 2 SGB V und gleichzeitig die des § 20i Abs. 1 SGB V, auf den § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V verweist, erfüllt sind, und es deshalb nicht ausreicht, dass das Versicherungsunternehmen einer bei ihr versicherten Person Kosten für einen Impfstoff für eine Schutzimpfung iSd. § 2 Nr. 9 IfSG welcher Art auch immer erstattet hat. Denn der Gesetzgeber wollte es mit § 1 S. 1 AMRabG den privaten Krankenversicherungen ermöglichen, „Einsparungen auch in den Bereichen (…) zu erzielen, die ebenso wie die gesetzliche Krankenversicherung in der Vergangenheit besonders stark von Kostensteigerungen betroffen waren, jedoch nicht von den Preisregulierungen des SGB V erfasst sind“ (BT-Drs. 17/3698, S. 60). Ziel des Gesetzgebers war es dabei jedoch ausdrücklich, den für die gesetzlichen Krankenkassen geltenden Kostensteigerungsschutz grundsätzlich auf die privaten Krankenversicherungen zu übertragen. Es sollten für die unterschiedlichen Krankenversicherungssysteme aber gerade keine unterschiedlichen Kostensteigerungsschutzsysteme installiert werden (vgl. BT-Drs. 17/3698, S. 60: „Der Gesetzgeber hat für die gesetzliche Krankenversicherung schon seit längerem das Niveau einer angemessenen Preisgestaltung durch gesetzliche Abschlagsregelungen auf die von den pharmazeutischen Unternehmen geforderten Abgabepreise bestimmt. Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, für den Gesundheitsschutz außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abweichende Abschläge vorzusehen“). Eine von der Klägerin in § 1 S. 1 AMRabG gesehene Rechtsfolgenverweisung würde entgegen dieser Zielsetzung des Gesetzgebers dazu führen, dass von den pharmazeutischen Unternehmen Abschläge auch für Impfstoffe zu gewähren wären, die nicht unter §§ 130a Abs. 2, 20i Abs. 1 SGB V fallen, sodass bei den privaten Krankenversicherungen für Impfstoffe ein umfassenderer Kostensteigerungsschutz bestünde als bei den gesetzlichen Krankenkassen, bei denen die Abschläge auf die in §§ 130a Abs. 2, 20i Abs. 1 SGB V näher definierten Impfstoffe beschränkt sind.
Gegen die Annahme einer Rechtsgrundverweisung in § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V spricht nicht die Verwendung des Wortes „entsprechend“ in § 1 S. 1 AMRabG, da damit nur zum Ausdruck gebracht wird, dass § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V auf Abschläge für private Krankenversicherungen nur mit einer Modifikation anwendbar ist, die auf die unterschiedlichen Leistungserbringungsprinzipien im System der gesetzlichen Krankenversicherung einerseits und der privaten Krankenversicherung andererseits zurückzuführen ist. Denn private Krankenversicherungen können die auf die Impfstoffe zu gewährenden Abschläge anders als die gesetzlichen Krankenversicherungen nicht – wie in § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V vorgesehen – gegenüber den die Impfstoffe abgebenden Apotheken geltend machen. Private Krankenversicherungen stehen nämlich anders als die gesetzlichen Krankenversicherungen nach dem für sie geltenden Sachleistungsprinzip aufgrund des für sie ausschließlich geltenden Kostenerstattungsprinzips in keiner Rechtsbeziehung zu den Apotheken. Eine Rechtsbeziehung besteht vielmehr ausschließlich zwischen der den Impfstoff abgebenden Apotheke und dem den Impfstoff dort erwerbenden Versicherten.
2. Demnach sind nach § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V von den pharmazeutischen Unternehmen Abschläge nur für „Impfstoffe für Schutzimpfungen nach § 20i Absatz 1“ SGB V zu gewähren, sodass nur solche Impfstoffe iSd. § 2 Nr. 9 IfSG unter die Abschlagsgewährungspflicht der Beklagten fallen, die gleichzeitig die einschränkenden Voraussetzungen des § 20i Abs. 1 S. 2 – 6 SGB V erfüllen können. Die Impfstoffe müssen also zur Impfung gegen eine in Spalte 1 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie genannte Krankheit verabreicht werden können.
a. Gegen diese Auslegung spricht nicht, dass über „Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistungen“ für Schutzimpfungen nach § 20i Abs. 1 S. 3 SGB V der Gemeinsame Bundesausschuss iSd. § 91 Abs. 1 S. 1 SGB V entscheidet, in dem die privaten Krankenversicherungen nicht vertreten sind. Denn dadurch wird die bei Abschluss des privaten Krankenversicherungsvertrages mit der Einschränkung des § 152 Abs. 1 S. 1 VAG grundsätzlich allein von den Vertragsparteien zu treffende Entscheidung, welche Impfkosten im Verhältnis von Versichertem und Versicherungsunternehmen erstattungsfähig sein sollen, nicht berührt, sodass die Vertragsparteien in ihrer Vertragsfreiheit nicht beeinträchtigt sind. Vielmehr betreffen die Entscheidungen des Gemeinsamen Bundesausschusses im Falle der privaten Krankenversicherungen ausschließlich die Frage, für welche Impfstoffe ein Abschlagsanspruch zu gewähren ist. Dass der Gesetzgeber hierfür aber gerade keine Beteiligung aller nur reflexhaft Betroffenen (wie hier der privaten Krankenversicherungen) für notwendig erachtete, ergibt sich schon daraus, dass die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses auch die über § 20i Abs. 1 SGB V zur Rabattgewährung verpflichteten pharmazeutischen Unternehmen betreffen und auch diese nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss vertreten sind.
b. Nicht erforderlich für den Abschlagsgewährungsanspruch nach § 1 S. 1 AMRabG ist entgegen der im Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 19.07.2019 geäußerten Rechtsansicht (dort S. 2 ff, Bl. 127 ff. d.A.), dass bei jeder einzelnen Verabreichung des Impfstoffes an einen Versicherten, in der Person des Versicherten alle in der Schutzimpfungs-Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach § 11 i.V.m. Anlage 1 der Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sein müssen, das heißt insbesondere eine Indikation iSd. Spalte 2 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie gegeben sein muss und im Falle einer Reiseschutzimpfung auch die einschränkenden Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sein müssen.
aa. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 2 S. 2 AMRabG, der anordnet, dass die Z. als zentrale Stelle iSd. § 2 S. 1 AMRabG für einen Nachweis des Abschlags nur die Pharmazentralnummer des abgegebenen Arzneimittels, das Abgabedatum, das Apothekenkennzeichen und den Anteil der Kostentragung an das jeweilige pharmazeutische Unternehmen zu übermitteln hat. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass zur Abrechnung des Abschlags iSd. § 1 S. 1 AMRabG nur diese Daten erforderlich sind. Wenn die Ansicht der Beklagten richtig sein sollte, müssten aber darüber hinaus weitere, patientenbezogene Daten von der Z. übermittelt werden, da es bspw. im Falle des von der Beklagten in Bezug genommenen Impfstoffes HBVAXPRO für eine Rabattgewährungsverpflichtung darauf ankommen soll, ob es sich bei dem Geimpften um einen Dialyse- oder um einen Prädialyse-Patienten handelt. Hinsichtlich der anderen von der Beklagten aufgeführten Impfstoffe käme es ausschlaggebend auf das Alter der geimpften Person an. Eine Abrechnung mit den nach § 2 S. 2 AMRabG von der Z. übermittelten Daten wäre dann nicht möglich, die nach § 2 S. 2 AMRabG vom Gesetzgeber auf bestimmte Daten beschränkte Datenübermittlung liefe leer.
bb. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die pharmazeutischen Unternehmen danach den privaten Krankenversicherungen u.U. Abschläge auf Impfstoffe zu gewähren haben, die bei gesetzlich Versicherten wegen der im Einzelfall vom Versicherten nicht erfüllten Indikation laut Spalte 2 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie oder mangels Vorliegens der einschränkenden Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie nicht anfallen würden. Dies widerspricht zwar der oben dargelegten gesetzgeberischen Absicht gleicher Kostendämpfung in den beiden Krankenversicherungssystemen, ist aber auf Grund deren systembedingter Unterschiede nicht zu umgehen und deshalb hinzunehmen.
Denn aufgrund des in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Sachleistungsprinzips hat der Arzt, bevor er einem gesetzlich Versicherten eine Schutzimpfung als Kassenleistung verordnet, zu prüfen, ob beim Versicherten eine Indikation nach Spalte 2 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie gegeben ist und ob im Falle einer Reiseschutzimpfung die einschränkenden Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sind. Nur wenn dies der Fall ist, erfolgt eine ärztliche Verordnung, kann der gesetzlich Versicherte den Impfstoff von einer Apotheke beziehen, erhält die Krankenkasse von der Apotheke nach § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V einen Abschlag für den zu ihren Lasten abgegebenen Impfstoff und kann die Apotheke den Abschlag nach § 130a Abs. 7 S. 1 SGB V mit dem pharmazeutischen Großhändler verrechnen, der wiederum eine Verrechnung mit dem pharmazeutischen Unternehmen vornehmen kann (§ 130a Abs. 7 S. 2 SGB V). Damit ist sichergestellt, dass sich die Abschläge ausschließlich auf Impfstoffe beziehen, bei deren Verabreichung in der Person des Versicherten alle Voraussetzungen der Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt sind.
Aufgrund des in der privaten Krankenversicherung geltenden Erstattungsprinzips ist dies dort jedoch nicht möglich. Denn bei der privatärztlichen Verordnung einer Schutzimpfung hat der Arzt nicht vorab zu prüfen, ob eine Indikation nach Spalte 2 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie gegeben ist und die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie vorliegen. Auch wenn – aus welchen Gründen auch immer – dies nicht der Fall ist, kann er – sofern aus medizinischer Sicht veranlasst – eine Schutzimpfung verordnen. Aus der zum Zwecke der Kostenerstattung vom Versicherten bei der Krankenversicherung eingereichten Verordnung kann die Krankenversicherung aber nur entnehmen, ob der Impfstoff unter die Spalte 1 der Anlage 1 zur Schutzimpfungs-Richtlinie fällt, nicht aber, ob auch eine Indikation iSd. Spalte 2 und die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 Schutzimpfungs-Richtlinie vorliegen.
3. Können also Impfstoffe, für die die private Krankenversicherung Kosten erstattet hat, die Voraussetzungen des § 20i Abs. 1 SGB V erfüllen, besteht ein Abschlagsgewährungsanspruch des privaten Krankenversicherungsunternehmens. Eine weitere Einschränkung des Kreises der abschlagsfähigen Impfstoffe auf Impfstoffe, deren Kosten die private Krankenversicherung aufgrund einer gesetzlichen Leistungsverpflichtung zu gewähren hat, kann § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V entgegen der Ansicht der Beklagten und des Landgerichts nicht entnommen werden.
Der in § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V enthaltene Verweis auf § 20i Abs. 1 SGB V führt nämlich nicht dazu, dass die in § 20i Abs. 1 und 2 SGB V enthaltene Differenzierung zwischen Schutzimpfungen, auf die die gesetzlich Versicherten einen unmittelbaren gesetzlichen Anspruch haben (Abs. 1), und weiteren Schutzimpfungen, deren Erbringung die Krankenkassen in ihren Satzungen vorsehen können (Abs. 2), auf Schutzimpfungen für privat Krankenversicherte entsprechend dergestalt zu übertragen ist, dass unter §§ 1 S. 1 AMRabG, 130a Abs. 2 SGB V nur solche Impfstoffe fallen, zu deren Kostenerstattung die privaten Krankenversicherungen nach § 152 Abs. 1 S. 1 VAG oder § 192 Abs. 1 VVG gegenüber ihren Versicherten bereits unmittelbar gesetzlich verpflichtet sind.
aa. Dies folgt schon aus dem Wortlaut der Verweisung in § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V, die nur auf § 20i Abs. 1 SGB V, nicht aber auch auf § 20i Abs. 2 SGB V Bezug nimmt. Da sich die von der Beklagten und ihr folgend vom Landgericht postulierte Einschränkung der Abschlagsgewährungspflicht ausschließlich aus der systematischen Zusammenschau von § 20i Abs. 1 SGB V einerseits und Abs. 2 andererseits herleiten lässt und der Gesetzgeber § 20i Abs. 2 SGB V in die Verweisung des § 130a Abs. 2 S. 1 SGB V gerade nicht aufgenommen hat, kann diese nicht in Bezug genommene Norm auch nicht zur Beschränkung der Abschlagsgewährungspflicht herangezogen werden. Vielmehr verbleibt es entsprechend dem Wortlaut des Gesetzes bei der Pflicht zur Gewährung eines Abschlags, sofern es sich um einen Impfstoff für eine Schutzimpfung iSd. § 20i Abs. 1 SGB V handelt.
bb. Darüber hinaus würde die von der Beklagten vertretene Ansicht auch zu einer Differenzierung innerhalb der Gruppe der nach § 1 S. 1 AMRabG Abschlagsberechtigten führen, für die es in § 1 AMRabG aber keinen Anhaltspunkt gibt. Abschlagsberechtigt iSd. § 1 S. 1 AMRabG sind nämlich nicht nur „Unternehmen der privaten Krankenversicherung“, sondern auch die „Träger der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach beamtenrechtlichen Vorschriften“ (im Folgenden als Beihilfeträger bezeichnet). Diesen haben – wie die Beklagte selbst vorträgt (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.07.2018, S. 4 und 5, Bl. 43 und 44 d.A.) – auch nach der von ihr vertretenen Ansicht Anspruch auf Rabattgewährung im Umfang ihrer jeweiligen Kostentragungsquote, da ihre Kostenerstattungspflicht bezüglich Schutzimpfungen gegenüber den Beihilfeberechtigten unmittelbar aus den bundes- bzw. landesgesetzlichen Beihilferegelungen resultiert (vgl. bspw. § 41 Abs. 5 BayBhV). Die privaten Krankenversicherungen, die, sofern die von den Beihilfeberechtigten mit ihnen abgeschlossenen Krankenversicherungsverträge die Kostenerstattung für unter § 20i Abs. 1 SGB V fallende Schutzimpfungen vorsehen, den nicht von der Beihilfe abgedeckten Rest der Impfkosten zu übernehmen haben, sollen nach Ansicht der Beklagten aber von der anteiligen Rabattgewährung ausgeschlossen sein, nur weil ihre Kostenerstattung nicht unmittelbar auf Gesetz, sondern auf einer vertraglichen Grundlage beruht. Eine solche Differenzierung bei einem ein und derselben Person, nämlich dem Beihilfeberechtigten, verabreichten Impfstoff würde dem mit § 1 S. 1 AMRabG vom Gesetzgeber verfolgten Zweck des gleichmäßigen Schutzes nicht nur der Beihilfeträger, sondern auch der privaten Krankenversicherungen vor übermäßigen Kostensteigerungen widersprechen. Für eine solche Differenzierung zwischen den nach § 1 Abs. 1 AMRabG Abschlagsberechtigten ist auch kein sachlicher Grund erkennbar.
4. Ob – wie die Beklagte annimmt (Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17.07.2018, S. 3, Bl. 42 d.A.) – durch die hier vertretene Auslegung der zwischen der privaten Krankenversicherung und der krankenversicherten Person geschlossene Krankenversicherungsvertrag zu einem Vertrag zu Lasten des pharmazeutischen Unternehmens wird, das, je nachdem, ob und in welchem Umfang die Parteien des privaten Krankenversicherungsvertrages die Kostenerstattung für Schutzimpfungen iSd. § 20i Abs. 1 SGB V vereinbart haben, der privaten Krankenversicherung einen Rabatt nach § 1 S. 1 AMRabG zu gewähren hat, kann dahinstehen. Denn dies wäre Folge der in § 1 S. 1 AMRabG getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung, die das pharmazeutische Unternehmen, als verfassungsrechtlich zulässige Berufsausübungsregelung iSd. Art. 12 GG (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30.04.2015 – I ZR 127/14) hinzunehmen hat.
Nach alledem hat die Beklagte der Klägerin für Impfstoffe Rabatte zu gewähren, wenn und soweit diese die Voraussetzungen des iSd. § 20i Abs. 1 SGB V erfüllen können und die Klägerin für diese Impfstoffe ihren Versicherten entsprechend der mit diesen bestehenden Krankenversicherungsverträge Kosten erstattet hat. Da unstreitig alle streitgegenständlichen Impfstoffe die Voraussetzungen des § 20i Abs. 1 SGB V erfüllen können (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 19.07.2019, S. 2, 1. Absatz, Bl. 127 d.A.) und auch die Kostenerstattung durch die Klägerin zwischen den Parteien unstreitig ist, hat die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung der gesamten 31.596,27 €. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob bei jeder einzelnen Verabreichung der streitgegenständlichen Impfstoffe in der Person des jeweils Geimpften alle Voraussetzungen der Schutzimpfungs-Richtlinie erfüllt waren, kommt es nicht an.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 Nr. 2, 288 BGB.
C.
Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, und berücksichtigt das jeweilige Unterliegen der Parteien.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision gegen dieses Urteil war zuzulassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage der Voraussetzungen eines Abschlagsgewährungsanspruchs bei Impfstoffen tritt in einer unbestimmbaren Zahl von Fällen auf.

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