Aktenzeichen M 28 K 18.1741
Leitsatz
1. Die Bildung einer Erschließungseinheit ist nur möglich, wenn der Beschluss, eine Erschließungseinheit zu bilden, gefasst wird, bevor die Erschließungsbeitragspflicht für eine der zusammenzufassenden Anlagen entstanden ist. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht, der besagt, dass die Beitragspflicht bezogen auf die erstmalige Herstellung einer bestimmten Erschließungsanlage für jede Anlage nur einmal entsteht, gilt sowohl in dem Sinne, dass ein Grundstück vor einer mehrfachen Belastung (Doppelbelastung) für die Erschließung durch eine bestimmte Anlage geschützt ist, als auch in dem Sinne, dass eine Beitragspflicht, wenn sie einmal entstanden ist, nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und gar in anderer Höhe noch einmal entstehen kann (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Um einen Fall der Mehrfacherschließung handelt es sich insbesondere, wenn ein Grundstück an zwei sich aneinander anschließende selbständige Anbaustraßen (etwa eine bereits endgültig hergestellte Straße und eine Verlängerungsstrecke) grenzt und von beiden iSd § 131 I 1 BauGB erschlossen wird. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Erschließungsbeitragsrecht, namentlich § 131 I BauGB, bietet keinen Raum für eine Betrachtung, wonach bei Wegfall einer bislang vorhandenen Erschließung und deren „Ersetzung“ durch Herstellung einer anderen Anbaustraße, die das Grundstück anderweitig neu erschließt, „per saldo“ keine einen Erschließungsvorteil begründende Veränderung der Erschließungssituation vorliege. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Einwendungen der Kläger gegen die Rechtmäßigkeit des Erschließungsbeitragsbescheids der Beklagten vom 27. Juli 2015 und des zurückweisenden Widerspruchsbescheids vom 6. März 2018 greifen nicht durch (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Der streitgegenständliche Erschließungsbeitragsbescheid beruht auf Art. 5a Abs. 1 BayKAG i.V.m. §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der Satzung über die Erschließungsbeiträge der Gemeinde Bergen (EBS) vom 26. April 2007.
Nach diesen Vorschriften erheben die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag. Erschließungsanlagen in diesem Sinne sind u.a. die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bzw. Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 BayKAG). Der Erschließungsaufwand umfasst dabei u.a. die Kosten für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage einschließlich der Einrichtungen für ihre Entwässerung und Beleuchtung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Beiträge können gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur insoweit erhoben werden, als die Erschließungsanlagen erforderlich sind, um die Bauflächen entsprechend den baurechtlichen Vorschriften zu nutzen (beitragsfähiger Erschließungsaufwand). Der ermittelte beitragsfähige Erschließungsaufwand ist nach Abzug eines Gemeindeanteils (vgl. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 1 EBS) auf die durch die Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen (§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Die Beitragspflicht entsteht unbeschadet weiterer Voraussetzungen mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage (§ 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB).
2. Vorliegend hat die Beklagte bei der Festsetzung des streitgegenständlichen Erschließungsbeitrags zu Recht nur die abgerechnete Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27, Gemarkung H., zugrunde gelegt:
Auch aus Sicht des Gerichts stellt die abgerechnete Anlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 eine eigenständige Erschließungsanlage gegenüber der Anlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 dar. Entgegen der Ausführungen der Klägerseite hätte die Beklagte die bereits im Jahr 2009 erstmalig endgültig hergestellte Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 auch nicht mit der neu erstellten, eigenständigen Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 zur gemeinsamen Aufwandsermittlung und Abrechnung im Sinne von § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB zusammenfassen müssen bzw. können:
Gemäß § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB kann der Erschließungsaufwand für mehrere Anlagen, die für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden, insgesamt ermittelt werden. Dabei ist zu beachten, dass die Ermittlung des Aufwands für eine einzelne Erschließungsanlage gemäß § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB den gesetzlichen Regelfall darstellt. Die Rechtmäßigkeit einer hiervon abweichenden Erschließungseinheit hängt vor allem von Anforderungen ab, die von dem das Erschließungsbeitragsrecht insgesamt prägenden sog. Vorteilsprinzip aufgestellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 22.5.1992 – 8 C 57/90 – NVwZ 1993, 1201). Die Bildung einer Erschließungseinheit ist aber nur möglich, wenn der Beschluss, eine Erschließungseinheit zu bilden, gefasst wird, bevor die Erschließungsbeitragspflicht für eine der zusammenzufassenden Anlagen entstanden ist. Denn gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung einer Erschließungsanlage unabhängig von einem hierauf gerichteten Willen der Gemeinde und unabhängig von einer Erhebung des Erschließungsbeitrags kraft Gesetzes. In diesen Fällen kann der Erschließungsbeitrag, entsprechend der Grundregel des Gesetzes, nur für die einzelne Erschließungsanlage im Sinne des § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB erhoben werden. Ist die Beitragspflicht für ein Grundstück im Hinblick auf dieselbe Erschließungsanlage bereits einmal entstanden, kann sie nicht durch eine spätere Entscheidung der Gemeinde noch einmal entstehen (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1983 – 8 C 47, 67 – 69/82 – NVwZ 1984, 369; Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 14. Auflage 2019, § 130 Rn. 27, 46; BVerwG, U.v. 20.1.1978 – 4 C 2/75 – VerwRspr. 1979, 200). Vorliegend wurde die Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 bereits im Jahr 2009 als erstmalig endgültig hergestellt abgerechnet. Insoweit sind auch weder aus den vorgelegten Unterlagen, noch aus dem Vortrag der Beteiligten im behördlichen und gerichtlichen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass hinsichtlich der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 bei Erlass der diesbezüglichen Bescheide über die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen im Jahr 2009 die Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten noch nicht vorgelegen haben könnten. Daher ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf die Abrechnung der Anlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 jedenfalls in zeitlicher Hinsicht keine rechtlich wirksame Erschließungseinheit mit der Erschließungsanlage „D.“ FlNr. 452/9 mehr hätte gebildet werden können. Angesichts dessen scheidet die von der Klägerseite geforderte Anrechnung der von den Klägern in der Vergangenheit im Hinblick auf die Abrechnung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 geleisteten Zahlungen auf den festgesetzten Erschließungsbeitrag im streitgegenständlichen Bescheid für die eigenständige Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 von vorneherein aus. Eine Anrechnung von Herstellungskosten für die frühere private Zufahrt zur Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9, die die Kläger aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung zu tragen hatten, auf den streitgegenständlichen Erschließungsbeitrag ist ebenfalls unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt möglich.
3. Die Beklagte hat auch zu Recht angenommen, dass hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks eine Mehrfacherschließung vorliegt bzw. die vorliegende Konstellation jedenfalls mit derjenigen einer Mehrfacherschließung vergleichbar ist, so dass den Klägern zu Recht (lediglich) eine Ermäßigung wegen Mehrfacherschließung gemäß § 5 Abs. 11 EBS gewährt wurde:
Die (erneute) Festsetzung eines Erschließungsbeitrags hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks war insbesondere nicht wegen des Grundsatzes der Einmaligkeit der Beitragspflicht von vorneherein ausgeschlossen:
Die Beitragspflicht für ein Grundstück entsteht, bezogen auf die erstmalige Herstellung einer bestimmten Erschließungsanlage, nur einmal (BVerwG, U.v. 26.9.1983 – 8 C 47, 67 – 69/82 – NVwZ 1984, 369; BVerwG, U.v. 7.6.1996 – 8 C 30/94 – NVwZ 1998, 67). Hierauf bezieht sich der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht, der besagt, dass die Beitragspflicht bezogen auf die erstmalige Herstellung einer bestimmten Erschließungsanlage für jede Anlage nur einmal entsteht. Dieser Grundsatz gilt sowohl in dem Sinne, dass ein Grundstück vor einer mehrfachen Belastung (Doppelbelastung) für die Erschließung durch eine bestimmte Anlage geschützt ist, als auch in dem Sinne, dass eine Beitragspflicht, wenn sie einmal entstanden ist, nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt und gar in anderer Höhe noch einmal entstehen kann (BVerwG, U.v. 14.2.2001 – 11 C 9/00 – NVwZ 2001, 1417 ff.; BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 12/94 – NVwZ 1996, 800 ff.; BVerwG, U.v. 26.9.1983 – 8 C 47, 67 – 69/82 – NVwZ 1984, 369; BVerwG, U.v. 20.1.1978 – 4 C 2/75 – VerwRspr. 1979, 200; VGH BW, U.v. 20.7.2017 – 2 S 620/16 – DVBl. 2017, 1307; OVG Berlin – Bbg, B.v.22.9.2017 – OVG 9 S 8.17 – juris, Rn. 11).
Jedoch ist vorliegend keine solche Konstellation gegeben, bei der der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht anzuwenden wäre. Vielmehr ist vorliegend ein Anwendungsfall der sog. Mehrfacherschließung oder jedenfalls eine mit diesen Fällen vergleichbare Konstellation gegeben. Denn durch die Errichtung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 ist für die Kläger – jedenfalls bei der gebotenen objektiven Betrachtungsweise – gegenüber der bereits im Jahr 2009 abgerechneten Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 ein darüber hinausgehender Erschließungsvorteil entstanden. Ausweislich der Festsetzungen in der 51. Änderung des Bebauungsplans „Enthal – Bernhaupten“, die am 22. Oktober 2004 ortsüblich bekannt gemacht wurde, reichte die Privatstraße, die das streitgegenständliche Grundstück vor Errichtung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 mit der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 verband, und hierdurch „das Erschlossensein“ des streitgegenständlichen Grundstücks sicherstellte, nur etwa bis zum ersten Drittel der Frontlänge des klägerischen Grundstücks (siehe Bl. 6 der Akten der Beklagten). Die u.a. anstelle dieses Privatwegs neu errichtete Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 reicht hingegen deutlich über das klägerische Grundstück hinaus und endet bezüglich der von der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 abzweigenden Stichstraße zum klägerischen Grundstück erst an den Grenzen der FlNr. 452/21 und 452/28. Die neu errichtete Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 hat somit diese Stichstraße gegenüber dem dort vorher vorhandenen Privatweg deutlich verlängert. Dies gilt auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass in der „Erweiterung des Bebauungsplans Enthal – Bernhaupten – Nördlicher Teil, Flurstücksnr. 452, 452/21 der Gemeinde Bergen, Landkreis Traunstein“, die am 11. September 2015 ortsüblich bekannt gemacht wurde, das letzte Teilstück dieser Stichstraße als „gemeindliche Grünfläche – Schotterrasen“ festgesetzt ist. Denn auch der dort als öffentliche Verkehrsfläche festgesetzte verbleibende Teil der Stichstraße stellt für sich allein betrachtet ebenfalls noch eine nicht unerhebliche Verlängerung der Straße gegenüber dem früheren Privatweg dar (vgl. Bl. 7 der Akten der Beklagten). Schließlich liegt ein Erschließungsvorteil auch darin, dass die Kläger die Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 seit der Errichtung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 nicht mehr nur über diese Stichstraße erreichen können, sondern dies nunmehr auch über die neu errichtete „Schleife“ zwischen den Grundstücken mit der Fl.Nr. 452/28 und 452/31 möglich ist und die Kläger zudem die an dieser „Schleife“ anliegenden Grundstücke über das Befahren der „Schleife“ von ihrem Grundstück aus direkt erreichen können, ohne einen Umweg über die Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 fahren zu müssen. Dass die Kläger dies subjektiv nicht als vorteilhaft empfinden werden, ist dem Gericht bewusst, bleibt aber beitragsrechtlich irrelevant.
Erfolgt aber eine spätere Verlängerung um eine in einem Bebauungsplan vorgesehene Strecke, handelt es sich hierbei um eine neue, selbständige Erschließungsanlage. Ein Grundstück, das sowohl an die früher hergestellte Strecke, als auch an die sich anschließende Verlängerungsstrecke grenzt und von beiden erschlossen wird, ist bei der Abrechnung jeder dieser Anlagen mit den vollen, auf dieses Grundstück nach der satzungsmäßigen Verteilungsregelung entfallenden Bezugsgrößen zu berücksichtigen. Erschließungsbeiträge werden zudem für die „erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage“ erhoben, nicht für die „erstmalige Erschließung eines Grundstücks“. Um einen Fall der Mehrfacherschließung handelt es sich daher insbesondere auch, wenn ein Grundstück an zwei sich aneinander anschließende selbständige Anbaustraßen (etwa eine bereits endgültig hergestellte Straße und eine Verlängerungsstrecke) grenzt und von beiden im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen wird. Wenn zwei sich aneinander anschließende, selbständige Anbaustraßen einem Grundstück jede für sich die Bebaubarkeit vermitteln, das Grundstück somit durch jede der beiden Erschließungsanlagen jeweils einmal, insgesamt also zweimal, erschlossen wird, kann eine Belastungsbeschränkung nur nach Maßgabe der satzungsmäßigen Vergünstigungen für mehrfach erschlossene Grundstücke erfolgen. Denn die anderen Anlieger an der jetzt abgerechneten Anbaustraße haben ein schutzwürdiges Interesse daran, dass alle von dieser Straße erschlossenen Grundstücke in dem (vollen) Umfang, in dem sie erschlossen sind, an der Aufwandsverteilung teilnehmen. Denn einen – durch die eingeschränkte Einbeziehung eines Grundstücks in die Aufwandsverteilung entstehenden – Ausfall müssten gerade sie anteilig tragen (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 1. Auflage 2018, § 6 Rn. 3, § 13 Rn. 88 unter Verweis auf BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 12/94 – NVwZ 1996, 800 ff; NdsOVG, B.v. 4.3.2016 – 9 LA 154/15 – NordÖR 2016, 359 ff.).
Mit dieser Variante ist die vorliegende Konstellation angesichts der obigen Ausführungen zumindest vergleichbar. Denn vorliegend wurde das streitgegenständliche Grundstück zunächst durch eine zur Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 führende Privatstraße erschlossen. Durch Errichtung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 wurde dann eine neue, selbständige, an die Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 angrenzende Erschließungsanlage geschaffen, die die erwähnte Privatstraße ersetzte und zugleich deutlich verlängerte (s.o.). Die vorliegende Verlängerung ist auch wertungsmäßig vergleichbar mit den Konstellationen, in denen eine solche zur Annahme von zwei selbständig zu betrachtenden Erschließungsanlagen führt. Denn abweichend vom Grundsatz der natürlichen Betrachtungsweise kann ein einheitlich erscheinender Straßenzug insbesondere dann in zwei jeweils selbständig zu betrachtende Erschließungsanlagen zerfallen, wenn eine schon endgültig hergestellte Anbaustraße nachträglich verlängert oder fortgeführt wird. Dann stellt das nachträglich angelegte Teilstück eine selbständige Erschließungsanlage dar. Diese Ausnahme betrifft allerdings nur solche Fälle, in denen eine endgültig hergestellte Anbaustraße nachträglich um eine zuvor nicht angelegte Teilstrecke verlängert wird (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 6 ZB 18.1416 – juris Rn. 10). Die vorliegende Konstellation ist mit diesen Fällen insbesondere auch deswegen zumindest wertungsmäßig vergleichbar, weil vorliegend aus den Festsetzungen der 51. Änderung des Bebauungsplans „Enthal – Bernhaupten“ (s.o.) ersichtlich ist, dass die Verlängerung der zum klägerischen Grundstück führenden Stichstraße zum damaligen Zeitpunkt in keiner Weise vorgesehen war. Die Ausführungen auf Seite 3 des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheids deuten darauf hin, dass die Beklagte entsprechende Planungen erst im Zusammenhang mit dem Erwerb des „Grundstücks mit der FlNr. 452“ im Jahr 2012 vornahm. Jedenfalls aber hat vorliegend zunächst die Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/9 zusammen mit dem erwähnten Privatweg dem streitgegenständlichen Grundstück die Bebaubarkeit vermittelt. Seit Errichtung der neuen, selbständigen Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 vermittelt stattdessen und zeitlich nachfolgend diese neue Erschließungsanlage dem streitgegenständlichen Grundstück die Bebaubarkeit. Somit haben die beiden Erschließungsanlagen „D.“ mit der FlNr. 452/9 in Verbindung mit dem Privatweg sowie „D.“ mit der FlNr. 452/27 zeitlich hintereinander diesem Grundstück jede für sich die Bebaubarkeit vermittelt, so dass das Grundstück somit zeitlich gestaffelt im obigen Sinne durch jede der beiden Erschließungsanlagen jeweils einmal, also insgesamt zweimal, erschlossen wurde. Auch in dieser Konstellation haben die übrigen Anlieger der neu errichteten Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 ein schutzwürdiges Interesse daran, dass alle von dieser neuen, selbständigen, die vorherige Erschließungsanlage gerade auch im Bereich des klägerischen Grundstücks verlängernden (s.o.) Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücke im obigen Sinne bei der Abrechnung dieser Erschließungsanlage mit dem vollen, auf dieses Grundstück nach den einschlägigen Satzungsbestimmungen entfallenden „Verteilungswerten“ berücksichtigt werden. Dies gilt umso mehr, als, wenn im Sinne der sog. „Wegdenktheorie“ das Hinzutreten einer (an sich überflüssigen) Zweiterschließung nichts am Vorliegen eines Erschließungsvorteils ändert, dies erst recht bei einem Wegfall der Ersterschließung gelten muss, weil das Grundstück dann auf die neu hinzutretende Erschließungsanlage angewiesen ist, da sie allein ihm nunmehr die Bebaubarkeit vermittelt. Das Erschließungsbeitragsrecht, namentlich § 131 Abs. 1 BauGB, bietet daher keinen Raum für eine Betrachtung, wonach bei Wegfall einer bislang vorhandenen Erschließung und deren „Ersetzung“ durch Herstellung einer anderen Anbaustraße, die das Grundstück anderweitig neu erschließt, „per saldo“ keine einen Erschließungsvorteil begründende Veränderung der Erschließungssituation vorliege (vgl. BVerwG, B.v. 9.12.2010 – 9 B 58.10 – LKV 2011, 81). In der vorliegenden Konstellation gilt dies auch deswegen umso mehr, als die Kläger durch die Errichtung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 die oben dargestellten konkreten Erschließungsvorteile erlangt haben, die zuvor nicht bestanden haben. Angesichts dessen ist es aus Sicht des Gerichts nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Kläger zu einem Erschließungsbeitrag für die neu errichtete Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 herangezogen hat, aber zugleich gemäß § 5 Abs. 11 EBS angenommen hat, dass das klägerische Grundstück (zeitlich hintereinander) von mehr als einer Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB erschlossen wird bzw. wurde und den Klägern daher eine Ermäßigung wegen Mehrfacherschließung dergestalt gewährt hat, dass die Grundstücksfläche bei der Abrechnung der Erschließungsanlage „D.“ mit der FlNr. 452/27 nur mit 60 v.H. angesetzt wurde.
Nachdem das Gericht auch keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids aus anderen als den von den Klägern vorgetragenen Gründen erkennen konnte, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).