Europarecht

Klärungs- und Organisationspflichten der Jugendämter

Aktenzeichen  12 ZB 16.1920

Datum:
25.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15363
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 10, § 35a, § 36a, § 78a, § 90
SGB I § 14, § 16

 

Leitsatz

1 Jugendhilfeträger müssen Leistungsanträge nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz so auslegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dazu müssen die Jugendämter alle aufgrund des Sachverhalts dem Begehren des Antragstellers entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen ihrer Zuständigkeit erwägen und ggf. auf eine Klärung des Verfahrensgegenstandes hinwirken. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Jugendämter müssen sich so organisieren, dass dem Hilfebedarf des Betroffenen unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten Genüge getan wird sowie dass bei Zuständigkeit eines anderen Trägers ein Antrag dorthin weitergeleitet wird gem. § 14 SGB IX. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 6 K 15.765 2016-07-21 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Klägerin beansprucht mit ihrer Klage die Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung der R.-S.-Schule in N. für das Schuljahr 2014/2015 als Eingliederungshilfeleistung nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII).
I.
1. Die am 19. Mai 2004 geborene Klägerin J. G. leidet an einer einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (ICD 10: F 90.0), einer Stimmungslabilität, einer Enuresis nocturna (F 98.0) und an einer Sprachentwicklungsstörung (F 80.9). Bei ihr bestehen insbesondere fein- und visuomotorische Probleme und Sprachentwicklungsstörungen, sodass eine seelische Behinderung droht. Angesichts dessen empfahl die Kinder- und Jugendärztin Dr. G.-W in einer Stellungnahme vom 17. Mai 2010 ab September 2010 die Beschulung der Klägerin in der privaten R.-S.-Schule. In der Folge bewilligte die Beklagte der Klägerin ab September 2010 bis zum Ende der 4. Klasse Eingliederungshilfe nach § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) i.V.m. §§ 53, 54 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Form der Übernahme des Schulgeldes der R.-S.-Schule.
2. Am 13. Juli 2012 beantragte die Mutter der Klägerin bei der Beklagten zusätzlich Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für die Nachmittagsbetreuung an der R.-S.-Schule, da sich die Klägerin von ihr bei den Hausaufgaben nicht helfen lasse, es deshalb immer wieder zu Streitigkeiten komme und die Klägerin ihr Lernpensum nicht erfülle. In einer Stellungnahme vom gleichen Tag stellte das Jugendamt fest, dass die Klägerin im Jahr 2012 aufgrund schlechter Leistungen von der 2. in die 1. Klasse zurückgestuft worden sei. Sie benötige insbesondere Hilfe durch fachmännisch geschultes Personal bei der Erledigung der Hausaufgaben. Dem Jugendamt sei die Familie der Klägerin seit Jahren bekannt; bei den Eltern handele es sich um massiv drogengeschädigte Personen, die seit rund 10 Jahren im Methadonprogramm substituiert würden. Sie seien in intellektueller Hinsicht nicht in der Lage, ihre Kinder zu unterstützen. Daher sei es aus fachlicher Sicht ratsam, die Klägerin in die Nachmittagsbetreuung zu geben, da es das pädagogisch geschulte Personal verstehe, mit Blockaden bei Kindern umzugehen. Eine Förderung in der Nachmittagsbetreuung werde daher unterstützt.
Daraufhin erließ die Beklagte am 22. November 2012 unter der Rubrik „Übernahme der Kosten für die Hausaufgaben-/Nachmittagsbetreuung“ einen Bescheid, der – ohne Nennung einer Rechtsgrundlage – der Klägerin für den Zeitraum ab 1. September 2012 die Übernahme der Kosten für die Hausaufgaben-/Nachmittagsbetreuung an der Privatschule R.-S. ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und befristet auf das Schuljahr 2012/2013 bewilligte. Mit weiterem Bescheid vom 2. Dezember 2013, nunmehr unter der Rubrik „Vollzug des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II); Jugendhilfe für: J. G., geb. 19.5.2004“ und unter dem Aktenzeichen „KITA J/B4-5/2 A-M“ verfügte die Beklagte die Übernahme der Kosten für die schulische Mittags- bzw. Nachmittagsbetreuung „als kommunale Eingliederungsleistung für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 31.07.2014“ sowie die direkte Überweisung an die Einrichtung.
3. Am 3. Juli 2014 schloss die Mutter der Klägerin mit der R.-S.-Schule einen „Vertrag über die Nachmittagsbetreuung der Klassen 3 und 4“. Wie sich indirekt aus der Jugendhilfeakte (Az.: KITA J/B4-5/2 A-M) entnehmen lässt, sprach sie am 13. August 2014 wegen „Übernahme/Erlass von Kindertagesstättenbeiträgen/-gebühren“ beim Jugendamt der Beklagten vor. Am 21. Oktober legte sie der Beklagten ferner eine Bestätigung der R.-S.-Schule über den Besuch der Klägerin in der „Nachmittagsbetreuung“ vor.
Mit Bescheid vom 4. November 2014, Az.: KITA J/B4-5/2 A-M, unter der Rubrik „Vollzug des Achten und Zwölften Sozialgesetzbuches (SGB VIII, XII), Jugendhilfe für: J. G., geb. 19.5.2004, Antrag vom 13.8.2014 auf Übernahme von Kosten für den Besuch einer Kindertagesstätte“, lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme ab. Voraussetzung einer Kostenübernahme nach § 90 Abs. 3 SGB VIII sei, dass die Förderung des Kindes in einer Mittagsbetreuung erfolge, für deren Ausgestaltung und Angebot eine Genehmigung der Regierung von Mittelfranken erteilt worden sei. Für die Jahrgangsstufen 1 bis 4 der R.-S.-Schule liege eine derartige Genehmigung für das Schuljahr 2014/2015 nicht vor.
4. Hiergegen legte die Mutter der Klägerin mit Schreiben vom 11. November 2014 Widerspruch ein. In der Vergangenheit sei der Klägerin die Hausaufgabenbetreuung genehmigt worden. Ihr, der Mutter, falle es aufgrund ihrer gesundheitlichen Konstitution schwer, die Klägerin bei den Hausaufgaben zu unterstützen. Die Klägerin wiederum habe Schwierigkeiten, dem Tempo und den Anforderungen der Schule zu folgen. Sie würde daher in der Nachmittagsbetreuung besser gefördert.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2014 an die Beklagte trug die Bevollmächtigte der Klägerin ergänzend vor, dass es wohl unstreitig sei, dass die Klägerin Eingliederungshilfe im Rahmen des § 35a SGB VIII benötige, und zwar sowohl für den Schulbesuch wie auch für die Nachmittagsbetreuung. Daher habe die Beklagte im Schuljahr 2013/2014 die Kosten der Nachmittagsbetreuung auch übernommen. Die Verweigerung der Kostenübernahme im Schuljahr 2014/2015 könne nicht mit der fehlenden Genehmigung der Regierung von Mittelfranken begründet werden, da keinerlei Genehmigungsbedürftigkeit bestehe. Hiervon unabhängig seien Fragen staatlicher Zuschüsse für die neu eingeführte „Offene Ganztagsbetreuung“ zu betrachten. Die Klägerin bedürfe aufgrund ihrer seelischen Behinderung evident der Nachmittagsbetreuung. Dem Widerspruch sei daher stattzugeben.
Mit Bescheid vom 27. März 2015 wies die Regierung von Mittelfranken den Widerspruch zurück. Bei der Übernahme der Kosten für die Nachmittagsbetreuung einer privaten Schule handele es sich um eine freiwillige Leistung der Beklagten. Diese habe hierfür als zusätzliche Bedingung festgelegt, dass nur solche Maßnahmen bezuschusst würden, für deren Ausgestaltung und Angebot die Genehmigung der Regierung von Mittelfranken erteilt worden sei. Diese Bedingungen, die die Beklagte bei einer freiwilligen Selbstverwaltungsaufgabe auch stellen dürfe, seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Demzufolge sei der Widerspruch zurückzuweisen gewesen.
5. Daraufhin ließ die Klägerin Klage erheben und mit Schriftsatz vom 11. Mai 2015 beantragen, den Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Mittelfranken vom 27. März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Nachmittagsbetreuung seit 1. September 2013 i.H.v. monatlich 200,00 € jeweils mit Ausnahme des Monats August zu tragen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen für Eingliederungshilfeleistungen nach § 35a SGB VIII. Bei der von der R.-S.-Schule angebotenen Nachmittagsbetreuung handele es sich um eine ambulante Maßnahme, die keiner Genehmigung bedürfe, und die die Beklagte seit Jahrzehnten anerkannt und bezahlt habe. Die Einholung eines Gutachtens zum Nachweis der seelischen Behinderung obliege nach § 35a SGB VIII der Beklagten. Dieser seien sowohl die Schulpflicht der Klägerin wie auch ihre seelische Behinderung hinlänglich bekannt. Sie habe es jedoch versäumt, einen Hilfeplan aufzustellen und ihrer Steuerungsverantwortung zu genügen. Folglich habe die Klägerin sich hier die Hilfe nach § 36a Abs. 3 SGB VIII selbst beschaffen dürfen. Die Mutter der Klägerin habe bei ihrer Vorsprache am 13. August 2014 der Sache nach einen Antrag auf Eingliederungshilfeleistungen nach § 35a SGB VIII gestellt. Von ihr könne nicht verlangt werden, dass sie die entsprechenden Rechtsgrundlagen für die Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung kenne. Vielmehr gälte für das Jugendamt der Untersuchungsgrundsatz; der entsprechende Sachverhalt hätte von Amts wegen ermittelt werden müssen.
Nach Auffassung der Beklagten lagen indes weder die Voraussetzungen für eine freiwillige Leistung noch diejenigen einer Hilfe nach § 35a SGB VIII vor. Leistungen nach § 35a SGB VIII würden neben einem hinreichend konkreten Antrag der Mutter der Klägerin weiterhin die Vorlage eines hinreichend aktuellen und dem Standard eines 6-Achsen-Gutachtens entsprechenden Gutachtens erfordern. An einem solchen fehle es jedoch. Vorliegend würde lediglich ein Gutachten vom 17. Mai 2010 der Klägerin eine seelische Behinderung attestieren. Vom Grundsatz her werde ferner das Vorliegen eines Antrags auf Eingliederungshilfe durch die Mutter der Klägerin nicht in Frage gestellt. Im vorliegenden Fall sei jedoch nicht erkennbar gewesen, dass ab 1. August 2014 der Klägerin weiterhin Eingliederungshilfe hätte gewährt werden sollen. Bei dem Antrag vom 13. August 2014 im Rahmen der persönlichen Vorsprache bei der Abteilung J/B4-5 habe es sich vielmehr um einen formellen Antrag auf Übernahme von Kinderbetreuungskosten gehandelt; ein Hilfebedarf nach § 35a SGB VIII sei nicht zum Ausdruck gebracht worden. Angesichts eines fehlenden Hilfebegehrens nach § 35a SGB VIII hätte die Beklagte auch keine Pflicht zur Einholung eines Gutachtens über die seelische Behinderung getroffen.
Bei der Klägerin seien in der Vergangenheit die Kosten für die Nachmittagsbetreuung einmalig für den Zeitraum September 2012 bis 31. Juli 2014 übernommen worden, allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, nicht deklariert als Eingliederungshilfe und befristet auf das Schuljahr 2012/2013. Da die Nachmittagsbetreuung ferner kein Angebot der Förderung in einer Tageseinrichtung i.S.v. §§ 22 ff. SGB VIII beinhalte und die Anwendung von § 90 Abs. 3, Abs. 4 SGB VIII daher ausscheide, habe ein Beschluss des Jugendhilfe- und Schulausschusses der Beklagten vom 10. April 2008 trotzdem unter bestimmten Voraussetzungen die Übernahme der Kosten für die schulische Mittagsbetreuung als freiwillige Leistung der Beklagten vorgesehen. Die Beklagte knüpfe die Kostenübernahme jedoch an die „Anerkennung“ des Mittagsbetreuungsangebots bzw. die „schulaufsichtliche Genehmigung“ durch die Regierung von Mittelfranken. Diese liege im vorliegenden Fall nicht vor.
In der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2016 stellte die Bevollmächtigte der Klägerin klar, dass Klagegegenstand lediglich die Nachmittagsbetreuung im Schuljahr 2014/2015 bilde, und beantragte nunmehr ausschließlich, den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der Nachmittagsbetreuung für das Schuljahr 2014/2015 i.H.v monatlich 200,00 € mit Ausnahme des Monats August zu übernehmen.
6. Mit Urteil vom 21. Juli 2016 gab das Verwaltungsgericht der Klage statt und verpflichtete die Beklagte, die Aufwendungen der Klägerin für die Nachmittagsbetreuung für das Schuljahr 2014/2015 i.H.v. monatlich 200,00 € mit Ausnahme des Monats August zu übernehmen.
Bei ihrer Vorsprache beim Jugendamt der Beklagten habe die Mutter der Klägerin auch einen Antrag auf Eingliederungshilfeleistungen nach § 35a SGB VIII gestellt, jedenfalls aber die Beklagte erneut von einem ihr bereits bekannten Hilfebedarf der Klägerin i.S.v. § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII in Kenntnis gesetzt. Dies sei auch rechtzeitig vor Beginn des Schuljahrs 2014/2015 erfolgt.
Für die Gewährung von Hilfen nach § 35a SGB VIII sei in jedem Fall ein Antrag erforderlich, selbst dann, wenn der Hilfebedarf dem Jugendamt bereits bekannt sei. Für einen derartigen Antrag bestehe indes kein bestimmtes Formerfordernis; er lasse sich auch durch schlüssiges Verhalten stellen. Die Vorsprache der Mutter der Klägerin im Jugendamt der Beklagten mit dem Ziel, eine Fortführung der Kostenübernahme für die Nachmittagsbetreuung der Klägerin auch im Schuljahr 2014/2015 zu erreichen, stelle eine schlüssige Antragstellung auf Bewilligung von Eingliederungshilfeleistungen dar. Dass die Beklagte im Bescheid vom 22. November 2012 zwar „Nachmittagsbetreuung“ bewilligt, jedoch keine Rechtsgrundlage für die Übernahme dieser Leistung benannt habe, schließe deren rechtliche Einordnung als Eingliederungshilfe nicht aus. Denn dass eine Leistung der Eingliederungshilfe vorgelegen habe, ergebe sich sowohl aus den Entwicklungsberichten über die Klägerin, die sämtlich von einem weiteren Förderbedarf auch nachmittags ausgehen, wie auch aufgrund des Umstands, dass die Beklagte der Klägerin zeitgleich für den Schulbesuch Eingliederungshilfe in Form der Übernahme des Schulgelds bewilligt habe. Auch aus dem Aktenvermerk des Jugendamts der Beklagten vom 13. Juli 2012 ergebe sich, dass die Beklagte von einem Eingliederungshilfebedarf bei der Klägerin ausgegangen sei. Demnach könne der Bescheid vom 22. November 2012 nur als Bewilligung von Eingliederungshilfe für die Klägerin gedeutet werden. Weiter lägen keine Anhaltspunkte vor, dass der Eingliederungsbedarf in der Folgezeit entfallen wäre. Angesichts dieser Umstände habe die Beklagte bei der Vorsprache der Mutter der Klägerin am 13. August 2014 nicht davon ausgehen dürfen, dass sie lediglich einen Antrag auf Kostenerstattung nach § 90 Abs. 3 SGB VIII habe stellen wollen.
Soweit im Folgebescheid vom 2. Dezember 2013 die Kosten der Nachmittagsbetreuung bis einschließlich Juli 2014 von der Beklagten übernommen worden seien, habe die Befristung dazu geführt, dass die Mutter der Klägerin gehalten gewesen sei, den Hilfebedarf für das folgende Schuljahr der Beklagten erneut vor Augen zu führen, was mit der Vorsprache am 13. August 2014 auch geschehen sei. Soweit sich die Beklagte nunmehr darauf berufe, die Mutter der Klägerin habe ausdrücklich nur den Wunsch geäußert, Kostenerstattung nach § 90 SGB VIII zu erhalten, sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte die Mutter der Klägerin in Kenntnis des Hilfebedarfs nach § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch darüber hätte beraten müssen, dass die Möglichkeit bestehe, die Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung als Eingliederungshilfeleistung zu erhalten. Für die Mutter der Klägerin sei es hingegen nicht erkennbar gewesen, dass die Beklagte den Wunsch nach Kostenübernahme dahingehend „kanalisiere“, dass „nur“ ein Antrag nach § 90 Abs. 3 SGB VIII beabsichtigt sei. Aus der Perspektive der Mutter der Kläger habe die Vorsprache beim Jugendamt wohl eher dazu gedient, die Kostenübernahme weiterhin als Eingliederungshilfeleistung zu erhalten.
Da die Beklagte den Kostenübernahmeantrag jedoch allein nach § 90 Abs. 3 SGB VIII (analog) bewertet habe, habe sich die Klägerin die dringend erforderlichen Eingliederungshilfemaßnahmen selbst beschaffen dürfen. Insoweit lägen die Voraussetzungen des § 36a Abs. 3 Satz 1 Ziffern 1 bis 3 SGB VIII vor. Über den Hilfebedarf der Klägerin sei die Beklagte wiederholt, zuletzt bei der Vorsprache am 13. August 2014, in Kenntnis gesetzt worden. Weiter spreche alles dafür, dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die Nachmittagsbetreuung vorgelegen haben. Die bei der Klägerin gegebene seelische Behinderung belegten bereits das ärztliche Gutachten vom Mai 2010 sowie die jährlichen Entwicklungsberichte über die Klägerin. An der Eignung der selbst beschafften Maßnahme der Nachmittagsbetreuung bestünden vorliegend keine Zweifel, ebenso wenig an der Dringlichkeit der Maßnahme. Letzteres gelte umso mehr, als die Beklagte durch die Behandlung des Antrags der Kindsmutter als Antrag nach § 90 Abs. 3 SGB VIII zum Ausdruck gebracht habe, dass sie trotz Kenntnis des Hilfebedarfs nicht gewillt sei, über Eingliederungshilfemaßnahmen zu entscheiden. Der Klage sei daher insgesamt stattzugeben gewesen.
7. Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte nunmehr mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO sowie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht. Dem tritt die Bevollmächtigte der Klägerin entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da die vorgetragenen Zulassungsgründe entweder nicht vorliegen oder nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt sind.
1. Hinsichtlich des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 21. Juli 2016 liegen unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens keine ernstlichen Richtigkeitszweifel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vor, die die Zulassung der Berufung gebieten würden.
1.1 Dies gilt zunächst, soweit die Beklagte unter beharrlicher Wiederholung ihrer bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertretenen Position vorträgt, die Mutter der Klägerin habe anlässlich ihrer – im Übrigen in den beiden vorgelegten Jugendamtsakten nicht dokumentierten – Vorsprache am 13. August 2014 ausschließlich einen Antrag auf Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung nach § 90 Abs. 3 SGB VIII anlog gestellt, nicht hingegen einen Antrag auf Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII. Diese Auffassung erweist sich als unzutreffend.
Denn soweit die Mutter der Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung der Klägerin an der R.-S.-Schule erreichen wollte, standen für diese Leistung prinzipiell zwei Anspruchsgrundlagen zur Verfügung: Die Kostenübernahme durch den Jugendhilfeträger hätte danach sowohl als Maßnahme der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII wie auch in Form der Übernahme der „Kostenbeiträge“ der Nachmittagsbetreuung nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII – im vorliegenden Fall in analoger Anwendung auf eine freiwillige Leistung der Beklagten – erbracht werden können. Dem im Jugendhilferecht unbewanderten Laien, wozu die Mutter der Klägerin zweifelsohne rechnet, wird dieser Unterschied regelmäßig nicht deutlich. Die Zielsetzung der Antragstellung lag daher ungeachtet der Rechtsgrundlage allein auf der Fortführung der Kostenübernahme durch den zuständigen Jugendhilfeträger.
In einer derartigen Situation gebietet § 16 Abs. 3 SGB I dem zuständigen Jugendhilfeträger, einen ihm unterbreiteten Antrag so auszulegen, dass das Begehren des Antragstellers möglichst weitgehend zum Tragen kommt. Das Jugendamt hat in diesem Kontext folglich alle aufgrund des Sachverhalts dem Begehren des Antragstellers entsprechenden rechtlichen Möglichkeiten im Rahmen seiner Zuständigkeit zu erwägen und ggf. auf eine Klärung des Verfahrensgegenstandes durch den Antragsteller hinzuwirken. Insoweit gilt zugunsten des Antragstellers der sozialrechtliche „Meistbegünstigungsgrundsatz“ (vgl. BSG, U.v. 4.4.2006 – B 1 KR 5/05 R – BSGE 96, 161 = BeckRS 2006, 41976 Rn. 5; ferner Merten in BeckOK Sozialrecht, Stand 1.3.2019, § 16 SGB I, Rn. 22 f; Öndül in jurisPK-SGB I, 3. Aufl. 2018, § 16 Rn. 24; Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand März 2019, § 16 SGB I, Rn. 54 m.w.N. aus der Rspr.).
Ungeachtet bei welchem konkreten Sachbearbeiter bzw. welcher Abteilung des Jugendamts die Mutter der Klägerin vorgesprochen bzw. welches Formular sie verwendet hat, hätte das Jugendamt der Beklagten – zu dessen sachlicher Zuständigkeit sowohl die Bewilligung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII wie auch die Kostenübernahme nach § 90 Abs. 3 SGB VIII rechnet – das Begehren nach Fortführung der Kostenübernahme für die Nachmittagsbetreuung im Schuljahr 2014/2015 daher unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten und damit auch als Eingliederungshilfeleistung nach § 35a SGB VIII prüfen müssen. Bei etwaigen Unklarheiten in der Antragstellung wäre die Beklagte verpflichtet gewesen, diese durch Nachfrage bei der Mutter der Klägerin aufzuklären. Dass eine entsprechende Nachfrage bei der Mutter der Klägerin erfolgt wäre, lässt sich den – insoweit mangelhaft geführten – Jugendhilfeakten nicht entnehmen.
Auch sonstige Anhaltspunkte lassen entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht den Schluss zu, dass die Mutter der Klägerin bei der Vorsprache am 13. August 2014 ausschließlich und ausdrücklich nur einen Antrag nach § 90 Abs. 3 SGB VIII analog und gerade nicht einen Antrag nach § 35a SGB VIII gestellt hat.
Dies gilt zunächst, soweit die Beklagte darauf verweist, in den beiden vorangegangenen Schuljahren der Klägerin für die Nachmittagsbetreuung gerade keine Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII bewilligt zu haben. Zwar nennt der Bescheid vom 22. November 2012 – offensichtlich bewusst aufgrund der zwischen dem Jugendamt und dem Träger der R.-S.-Schule über die weitere Finanzierung der Nachmittagsbetreuung bestehenden Differenzen – für die bewilligte Leistung keine Rechtsgrundlage, erfolgte die Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und lediglich befristet für das Schuljahr 2012/2013. Lässt die Beklagte die Klägerin bzw. deren sorgeberechtige Mutter dergestalt über die Art der bewilligten Leistung im Unklaren, kann sie nicht im Nachhinein beanspruchen, gerade keine Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII geleistet zu haben. Vielmehr ergeben sich nämlich – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – aus den Rahmenbedingungen der Leistungsbewilligung, konkret der Bejahung des Eingliederungshilfebedarfs im internen Jugendamtsvermerk sowie die zeitgleiche Bewilligung von Eingliederungshilfe in Form der Übernahme des Schulgelds für die Klägerin, hinreichende Anhaltspunkte dafür, die Kostenübernahme für die Nachmittagsbetreuung ebenfalls als Leistung der Eingliederungshilfe einzuordnen. Soweit der Bescheid vom 2. Dezember 2013 noch unklarer von der Bewilligung einer „kommunalen Eingliederungsleistung“ spricht, kann nichts anderes gelten. Anders als die Beklagte daher meint, ist der Antrag der Mutter der Klägerin aufgrund der vorhergehenden Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung vorrangig als Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, nicht hingegen als Antrag nach § 90 Abs. 3 SGB VIII zu interpretieren.
Neben der Sache liegt der weitere Vortrag der Beklagten, das Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren stelle ein Indiz dafür dar, dass gerade kein Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gestellt worden sei. Umgekehrt verhält es sich vielmehr so, dass sowohl die Mutter der Klägerin in ihrer Widerspruchsbegründung vom 11. November 2014 der Sache nach auf den Eingliederungshilfebedarf der Klägerin abgestellt hat – ohne freilich § 35a SGB VIII ausdrücklich als Anspruchsgrundlage zu bezeichnen – wie auch gerade die Bevollmächtigte der Klägerin im Schreiben vom 7. Dezember 2014 ausdrücklich auf den aus § 35a SGB VIII folgenden Anspruch der Klägerin hingewiesen hat. Auf dieses Vorbringen der Bevollmächtigten der Klägerin ist die Widerspruchsbehörde indes nicht eingegangen, wobei sich den vorgelegten Jugendamtsakten nicht entnehmen lässt, ob die Widerspruchsbegründung der Bevollmächtigten der Klägerin der Regierung von Mittelfranken überhaupt vorgelegt wurde. Aus dem Verlauf des Widerspruchsverfahrens den Schluss ziehen zu wollen, es liege gerade kein Antrag auf Eingliederungshilfe vor, verkehrt den Sachverhalt in sein Gegenteil.
Auch soweit die Beklagte darauf abstellt, verschiedene Abteilungen ihres Jugendamts – im vorliegenden Fall die Abteilung J/B4-4 und J/B4-5 – müssten sich die Kenntnis der jeweils anderen Abteilung „nicht zurechnen lassen“, geht ihre Auffassung fehl. Denn ausgehend vom sozialrechtlichen Meistbegünstigungsgrundsatz obliegt es der Beklagten, durch die Organisation des Jugendamts, das im Bereich der Jugendhilfeleistungen als einheitlicher Leistungsträger auftritt, sicherzustellen, dass dem Hilfebedarf des betroffenen jungen Menschen unter allen möglichen rechtlichen Gesichtspunkten Genüge getan wird. Besteht für den Hilfebedarf die Zuständigkeit eines anderen Trägers, obliegt es dem Jugendamt zusätzlich, den entsprechenden Antrag nach § 14 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) an den zuständigen Träger weiterzuleiten. Angesichts dessen erweist sich die Postulierung von „Informationsbarrieren“ innerhalb des Jugendamts, die dazu führen, dass einem Hilfebedarf nicht entsprochen wird, als verfehlt. Inwieweit die auf die Kenntnis eines Jugendamts von der Leistungserbringung im Rahmen eines Erstattungsverfahrens nach § 105 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ergangene Entscheidung des OVG Münster (U.v. 5.10.2015 – 12 A 1450/144 – BeckRS 2015, 53379), auf die sich die Beklagte in der Zulassungsbegründung bezieht, auf die vorliegende Fallkonstellation aus dem Leistungsbereich übertragen werden soll, erschließt sich dem Senat nicht. Auch die Kenntnis einer „unzuständigen Abteilung“ des Jugendamts von einem bestehenden Hilfebedarf löst eine Handlungspflicht zur Bedarfsdeckung aus.
Hat die Beklagte den Antrag der Mutter der Klägerin demnach einseitig ausgelegt und dahingehend „kanalisiert“, dass die Prüfung einer Antragstellung nach § 35a SGB VIII unterblieben ist, liegt darin eine Verletzung der Pflicht aus § 16 Abs. 3 SGB I i.V.m. der Beratungspflicht des § 14 Satz 1 SGB I. Diese Pflichtverletzung der Beklagten eröffnet den Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs (vgl. Merten in BeckOK Sozialrecht, § 16 SGB I Rn. 24 f.; Reinhardt in Kramer/Trenck-Hinterberger, Sozialgesetzbuch I, 3. Aufl. 2014, § 16 Rn. 18; Öndül in jurisPK-SGB I, § 16 Rn. 49; Knecht in Hauck/Noftz, SGB I, Stand November 2015, § 16 Rn. 19 ff.). Steht der Klägerin ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form der Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung zu, führt die „einseitige Auslegung“ des Antrags der Mutter der Klägerin im Hinblick auf § 90 Abs. 3 SGB VIII und die Nichtbearbeitung des Antrags nach § 35a SGB VIII gleichwohl zur Verpflichtung der Beklagten auf der Grundlage dieses Rechtsinstituts. Dies bedarf indes im vorliegenden Kontext keiner weiteren Klärung, da sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, die Verpflichtung der Beklagten zur Kostentragung infolge einer zulässigen Selbstbeschaffung auch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII ergibt.
1.2 Auch die von der Beklagten im Hinblick auf die Bejahung der Voraussetzungen einer zulässigen Selbstbeschaffung nach § 36a Abs. 3 SGB VIII geäußerten Richtigkeitszweifel greifen nicht durch.
Insoweit geht die Beklagte zu Unrecht vom Vorliegen einer unzulässigen Selbstbeschaffung durch die Klägerin aus. Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es im vorliegenden Fall nicht an der Voraussetzung des § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII, wonach der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt haben muss. Zwar trifft es zu, dass die Mutter der Klägerin bereits am 3. Juli 2014 mit der R.-S.-Schule für die Klägerin einen Vertrag über die Nachmittagsbetreuung in den Klassen 3 und 4 abgeschlossen hat, der nach dem Vertragstext nur mit einer dreimonatigen Frist zum Schuljahresende gekündigt werden konnte. Dieser Zeitpunkt lag vor der Vorsprache beim Jugendamt der Beklagten am 13. August 2014. Gleichwohl führt dies nicht zur Annahme einer unzulässigen Selbstbeschaffung durch die Klägerin.
§ 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII sichert die Steuerungsverantwortung des Jugendamts für Jugendhilfemaßnahmen. Das Erfordernis, den Jugendhilfeträger vor einer Selbstbeschaffung vom Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, ermöglicht es ihm, die Leistungsvoraussetzungen sowie mögliche Hilfemaßnahmen pflichtgemäß zu prüfen und entsprechende Leistungen zu bewilligen. Seine Aufgabe liegt damit gerade nicht darin, als Zahlstelle für vom Leistungsberechtigten selbst beschaffte Maßnahmen zu fungieren. Beschafft sich daher ein Leistungsberechtigter eine Leistung, bevor der Jugendhilfeträger überhaupt Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt hat, liegt regelmäßig eine unzulässige Selbstbeschaffung vor.
Wird indes eine bestimmte Hilfeleistung zeitabschnittweise erbracht und hat der Leistungsberechtigte den Jugendhilfeträger erst nach Beginn der Maßnahme vom Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt, kommt eine Kostenübernahme nach § 36a Abs. 3 SGB VIII gleichwohl dann in Betracht, wenn die Selbstbeschaffung nachträglich zulässig geworden ist (OVG Münster, U.v. 16.11.2015 – 12 A 1639/14 – BeckRS 2015, 56316 Rn. 58 f.; VG Aachen, U.v. 18.11.2014 – 2 K 2798/12 – BeckRS 2015, 42044 Rn.; U.v. 28.7.2014 – 2 K 1679/12 – BeckRS 2014, 55318; VG Cottbus, U.v. 27.5.2016 – 1 K 1700/14 – BeckRS 2016, 48048; vgl. ferner Stähr in Hauck/Noftz, SGB VIII, Stand Dezember 2014, § 36a Rn. 27; von Koppenfels-Spies in jurisPK-SGB VIII, Stand 15.7.2018, § 36a Rn. 47 ff.). In diesem Fall kann sich der Jugendhilfeträger für nachfolgende Zeitabschnitte nicht auf die Unzulässigkeit der Selbstbeschaffung berufen.
Diese Fallkonstellation ist im vorliegenden Fall gegeben. Denn die Hilfeleistung – Tragung der Kosten für die Nachmittagsbetreuung der Klägerin i.H.v. 200,00 € – wird zeitabschnittweise, nämlich monatlich, erbracht, beginnend ab September 2014. Da die Klägerin die Beklagte, der der Hilfebedarf aus der Vergangenheit hinlänglich bekannt war, am 13. August 2014 vom fortbestehenden Hilfebedarf der Klägerin in Kenntnis gesetzt hatte, wäre es der Beklagten bei Zubilligung eines angemessenen Prüfungs- und Entscheidungszeitraums möglich gewesen, spätestens bis zum Beginn der Hilfeleistung eine Entscheidung hierüber zu treffen. Mit dem Ausbleiben der Entscheidung über die Bewilligung von Eingliederungshilfemaßnahmen bei gleichzeitiger „Kanalisierung“ des Antrags hin auf eine Kostenübernahme nach § 90 Abs. 3 SGB VIII ist die Selbstbeschaffung daher mit dem Maßnahmebeginn zulässig geworden.
Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es im vorliegenden Zusammenhang auf die zivilrechtlichen Kündigungsmöglichkeiten der Klägerin nicht an. Denn der Umstand, dass erst mit einer Dreimonatsfrist zum Schuljahresende die Nachmittagsbetreuung gekündigt werden kann, führt nicht dazu, dass damit zwangsläufig die Selbstbeschaffung der „Leistung“ vor Kenntniserlangung des Jugendhilfeträgers vom Hilfebedarf erfolgt wäre. Die Kündigungsregelung tangiert vielmehr die zeitabschnittweise Leistungserbringung nicht. Sie führt lediglich dazu, dass der Selbstbeschaffer im Falle einer rechtmäßigen Ablehnung der beantragten Hilfeleistung vertraglich weiter gebunden bleibt und daher die anfallenden Kosten selbst zu tragen hat. Das Systemversagen auf Seiten des Jugendamts, das hier darin liegt, dass über den Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII innerhalb eines angemessenen Zeitraums nicht entschieden wurde, hebt die eingeschränkte Kündigungsmöglichkeit vorliegend nicht auf.
Dass darüber hinaus die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe gegenüber der Klägerin nach § 36a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII nicht vorgelegen hätten, wie die Beklagte behauptet, trifft ebenfalls nicht zu. Insoweit erweist sich bereits deren Ausgangspunkt, dass die Mutter der Klägerin eben nur einen Antrag nach § 90 Abs. 3 SGB VIII analog, nicht hingegen einen Antrag auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gestellt hat und dass deshalb die Beklagte die Pflicht aus § 35a Abs. 1a SGB VIII zur Einholung einer Stellungnahme über die Abweichung der seelischen Gesundheit der Klägerin von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand nicht getroffen hätte, als unzutreffend.
Ernstliche Zweifel am Vorliegen einer seelischen Behinderung der Klägerin auch im Schuljahr 2014/2015 bestehen vorliegend nicht. Insoweit ist gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die mit ärztlicher Stellungnahme aus dem Jahr 2010 attestierte seelische Behinderung der Klägerin sei durch die fortlaufende Entwicklungsberichte über die Klägerin, die die jeweiligen Lehrkräfte der R.-S.-Schule erstellt haben, bestätigt worden, nichts zu erinnern. § 35a Abs. 1a Satz 4 SGB VIII, wonach die Stellungnahme nach § 35a Abs. 1a Satz 1 SGB VII nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden soll, ist vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten schon deshalb nicht einschlägig, weil die Lehrkräfte der R.-S.-Schule nicht dem Personenkreis der „Gutachter“ nach § 35a Abs. 1a SGB VIII angehören und im vorliegenden Fall keine ärztliche Stellungnahme, sondern eben einen schulischen Entwicklungsbericht abgegeben haben. Hätte die Beklagte die seelische Behinderung der Klägerin in Zweifel ziehen wollen, hätte es ihr oblegen, eine entsprechende Gutachtenerstellung nach § 35a Abs. 1a SGB VIII zu veranlassen.
1.3 Die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist vorliegend auch nicht deswegen zweifelhaft, weil – wie die Beklagte meint – die Voraussetzungen für die Leistung von Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII in Form der Nachmittagsbetreuung bei der R.-S.-Schule deswegen nicht vorgelegen hätten, weil diese als „Einrichtungsträgerin“ keine Leistungsvereinbarung nach §§ 78a ff SGB VIII mit der Beklagten abgeschlossen habe. Wegen der „fehlenden Voraussetzungen der §§ 78a ff. SGB VIII“ sei keine Eingliederungshilfeleistung möglich. Hätte sich herausgestellt, dass bei der Klägerin ein Eingliederungshilfebedarf bestünde, hätte man seitens der Beklagten daher nach einer anderen Einrichtung suchen müssen.
Die Beklagte übersieht insoweit, dass im Falle der zulässigen Selbstbeschaffung einer Eingliederungshilfemaßnahme der Leistungsberechtigte gerade nicht verpflichtet ist, einen Leistungserbringer auszuwählen, mit dem eine Leistungsvereinbarung nach § 78b SGB VIII abgeschlossen worden ist (so Schmid-Oberkirchner in Wiesner SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 36a Rn. 54; Winkler in BeckOK Sozialrecht Stand 1.3.2019, § 36a SGB VIII Rn. 22; von Koppenfels-Spies in jurisPK-SGB VIII, Stand 4.4.2019, § 36a Rn. 63;). Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist vielmehr vorwerfbar seiner Steuerungsverantwortung nicht nachgekommen. Eine Bindung an bestimmte „zugelassene“ Leistungserbringer ist damit nicht mehr gegeben.
2. Die Berufung gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Die von der Beklagten für grundsätzlich bedeutsam angesehen Frage, „ob der zunächst gestellte Antrag auf Beitragsübernahme/-erlass bei der richtigen Stelle nach dessen negativer Prüfung hätte umgedeutet werden müssen in einen weitergehenden Antrag nach § 35a SGB VIII, der von der dafür unzuständigen Stelle im Jugendamt hätte weitergeleitet werden müssen (entsprechend § 16 SGB I)“, rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.
Diese Frage stellt sich nicht entscheidungserheblich, weil der (unterstellte) Ausgangspunkt, nämlich, dass die Mutter der Klägerin zunächst lediglich einen Antrag auf „Beitragsübernahme/-erlass bei der richtigen Stelle“ gestellt hat, unzutreffend ist. Die Mutter der Klägerin hat vielmehr beim Jugendamt der Beklagten einen nicht auf eine bestimmte Rechtsgrundlage beschränkten Antrag auf Übernahme der Kosten der Nachmittagsbetreuung gestellt, der vom Jugendamt der Beklagten nach § 16 Abs. 3 SGB I auf der Grundlage des sozialrechtlichen Meistbegünstigungsgrundsatzes zu behandeln gewesen wäre. Hierzu wäre auch keine wie auch immer geartete „Umdeutung“ des Antrags der Mutter der Klägerin erforderlich gewesen. Im Übrigen ergeben sich die Anforderungen an die Behandlung von auf die Gewährung von Sozialleistungen gerichteten Anträgen aus § 16 SGB I sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung; eine diesbezügliche Zweifelsfrage, die der Klärung in einem Berufungsverfahren zugänglich wäre, zeigt die Beklagte nicht auf.
3. Soweit die Beklagte schließlich die Zulassung der Berufung wegen besonderer rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erstrebt und zur Begründung lediglich auf eine Kommentardefinition der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten verweist, ohne vorzutragen, weshalb diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sein sollen, genügt sie dem Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.
Demzufolge kommt dem Antrag auf Zulassung der Berufung insgesamt kein Erfolg zu.
4. Die Beklagte trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Kinder- und Jugendhilferechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das verwaltungsgerichtliche Urteil nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

Jetzt teilen:

Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen