Verwaltungsrecht

Asylrechtliches Übernahmegesuch im Rahmen eines Anspruchs auf Familienzusammenführung

Aktenzeichen  M 19 E 19.50516

Datum:
18.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 46743
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 25 Abs. 3
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 21 Abs. 1
VwGO § 52 Nr. 2, Nr. 3, Nr. 5, § 123

 

Leitsatz

Macht ein Antragsteller, der Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG ist, einen Anspruch auf Zusammenführung mit einem in der EU aufhältigen Familienangehörigen geltend, ist nach § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die „asylrechtliche Leistung“ – hire Zuständigkeits- und Übernahmeerklärung – erlassen werden soll. (Rn. 20 – 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verwaltungsgericht München erklärt sich für örtlich unzuständig.
II. Der Rechtsstreit wird an das Verwaltungsgericht Ansbach verwiesen.

Gründe

I.
Die Antragsteller zu 1) und zu 2), nach eigenen Angaben Brüder, begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Annahme eines seitens des griechischen Migrationsministeriums gestellten Übernahmegesuchs hinsichtlich des Antragstellers zu 2) durch die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. In der Sache wird damit ein Anspruch auf Familienzusammenführung geltend gemacht.
Der Antragsteller zu 1) ist minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger und wohnt derzeit in Griechenland. Der Antragsteller zu 2), sein leiblicher Bruder, ist Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG und hat derzeit seinen Wohnsitz in München.
Das Übernahmegesuch gemäß Art. 21 Abs. 1 Dublin III-VO wurde am 21. Dezember 2018 an die Bundesrepublik gestellt. Mit Schreiben vom 9. Januar 2019 wurde das Übernahmegesuch durch die Antragsgegnerin abgelehnt.
Am 19. Mai 2019 beantragten die Antragsteller zu 1) und zu 2) durch ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die Antragsgegnerin im Wege der einzelligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, sich unter Aufhebung der ergangenen Ablehnungen des Übernahmegesuchs sowie der Wiedervorlagen durch das Griechische Migrationsministerium – Nationales Dublinreferat – für den Asylantrag des Antragstellers zu 1) für zuständig zu erklären und auf seine Überstellung hinzuwirken.
Zur Begründung der Anträge wurde ausführlich vorgetragen, insbesondere auch zur bestehenden örtlichen Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts München.
Die Antragsgegnerin beantragte mit zwei Schreiben vom 11. Juni 2019,
die Anträge abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nicht das Verwaltungsgericht München hinsichtlich des Antragstellers zu 1), sondern das Verwaltungsgericht Ansbach örtlich zuständig sei. Der Antrag des Antragstellers zu 2) sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Mit Schreiben vom 13. Juni 2019 vertiefte die Antragsgegnerin ihre Argumentation.
Mit Schreiben vom 13. Juni 2019 hörte das Gericht unter Mitteilung seiner vorläufigen Rechtsauffassung die Beteiligten zu einer Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht Ansbach an.
Die Antragsteller nahmen hierzu mit Schreiben vom 13. Juni 2019 Stellung; sie halten das Verwaltungsgericht München für örtlich zuständig. Die Antragsgegnerin stimmt demgegenüber einer Verweisung an das Verwaltungsgericht Ansbach mit Schreiben vom 14. Juni 2019 ausdrücklich zu.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Asylakte Bezug genommen.
II.
Das Verwaltungsgericht München ist örtlich unzuständig. Örtlich zuständig ist für beide Anträge das Verwaltungsgericht Ansbach.
Begehrt wird durch beide Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zu 1) für zuständig zu erklären und auf seine Überstellung aus Griechenland hinzuwirken. Die Erklärung soll gegenüber der zuständigen Behörde Griechenlands abgegeben werden.
Die örtliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach für den Antrag des Antragstellers zu 1) ergibt sich aus § 52 Nr. 5 i. V. m. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO.
Es handelt sich bei dem vorliegenden Begehren um eine Streitigkeit nach dem Asylgesetz im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, auch wenn die Abgabe von Erklärungen zum Überstellungsverfahren nach der Dublin III-VO nicht im Asylgesetz selbst, sondern in der Verordnung geregelt ist. Das Asylgesetz greift aber über die Regelung des im Bundesgebiet geführten Asylverfahrens hinaus und schafft die Grundlagen für Zuständigkeiten des Bundesamtes im Dublin-Verfahren gemäß § 88 Abs. 1 Nr. 2 AsylG (vgl. VG Berlin, B.v. 18.4.2019 – 9 L 77.19 A -, juris Rn. 5; VG Freiburg, B.v. 8.5.2018 – A 4 K 11125/17 – juris Rn. 8; VG Trier, B.v. 27.3.2019 – 7 L 1027/19.TR – Umdruck S. 2; VG Wiesbaden, B.v. 25.4.2019 – 4 L 478/19.WI.A, Umdruck S. 9 f.).
Da der Antragsteller zu 1) nicht im Sinne von § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 1 VwGO seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik zu nehmen hat, bestimmt sich die Zuständigkeit für seinen Antrag zunächst nach § 52 Nr. 3 i.V.m. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2 VwGO. Da der Antragsteller zu 1) allerdings keinen Wohnsitz in der Bundesrepublik hat und folglich der wegen der gerichtsbezirksübergreifenden Zuständigkeit des Bundesamts „an sich“ einschlägige § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO nicht eingreifen kann, bestimmt sich wegen des in § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO angeordneten Verweises die Zuständigkeit nach § 52 Nr. 5 VwGO.
Folgerichtig ist für die örtliche Zuständigkeit maßgeblich der Sitz des Beklagten, vorliegend daher der Sitz der Behörde, die den Verwaltungsakt bzw. die gewünschte „asylrechtliche Leistung“ erlassen soll. Der Sitz des Bundesamts ist Nürnberg, hierfür ist örtlich das Verwaltungsgericht Ansbach zuständig (Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 AGVwGO).
Die Zuständigkeit für den Antragsteller zu 2), der seinen Wohnsitz in München hat, obliegt ebenfalls dem Verwaltungsgericht Ansbach.
Zwar kommt es grundsätzlich in Betracht, die Zuständigkeit insoweit nach § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2 i.V.m. Nr. 3 Satz 2 VwGO zu bestimmen. Doch ist § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO im vorliegenden Fall teleologisch zu reduzieren und nicht anzuwenden; infolgedessen ist auch § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO nicht anwendbar. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich daher nach § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO. Hiernach ist zuständig das Gericht, in dessen Bezirk die „asylrechtliche Leistung“ erlassen werden soll. Das Bundesamt würde gegebenenfalls seine an Griechenland adressierte Zuständigkeits- und Übernahmeerklärung an seinem Behördensitz – in Nürnberg – erlassen; die Außenstellen des Bundesamts sind keine eigenständigen Behörden (vgl. VG Augsburg, B.v. 15.12.2016 – Au 4 K 16.32510 – juris Rn. 4). Hieraus ergibt sich sodann die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach.
Die telelogische Reduktion findet ihren Grund in folgenden Überlegungen: Sinn und Zweck des § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist es, eine Konzentration von Rechtsstreitigkeiten, die eine Behörde mit weitreichenden Zuständigkeiten betreffen, bei nur einem Gericht zu vermeiden (vgl. Fehling/Kastner/Störmer, VwGO, 4. Auflage 2016, § 52 Rn. 17). Dieser Entlastungszweck greift jedoch gerade nicht ein, wenn die wesentliche und streitentscheidende Frage für das Verfahren des Antragstellers zu 2) von der Rechtsposition des sich in Griechenlands befindlichen Bruders, des Antragstellers zu 1), abhängt und diese Frage ohnehin aus den vorstehend genannten Gründen durch das Verwaltungsgericht Ansbach zu entscheiden ist. Insoweit greift im Ergebnis der Gedanke eines Sachzusammenhangs Platz, der zwar für sich genommen nicht gesetzliche Zuständigkeitsvorschriften überspielen, aber im Rahmen der Auslegung Beachtung verlangen kann (vgl. im Zusammenhang mit § 40 VwGO Sodan in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 488 ff., insb. Rn. 491). Auf diese Weise können sodann auch widersprüchliche Entscheidungen bzw. -begründungen zur gleichen Sachfrage durch zwei Gerichte vermieden werden; diesem Aspekt kommt insbesondere deshalb Bedeutung zu, weil die jeweiligen Beschlüsse nach § 80 AsylG unanfechtbar sind und insoweit eine vereinheitlichende Wirkung der nächsten Instanz im Eilverfahren nicht realisiert werden kann.
Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes demgegenüber einen „Zuständigkeitsübergang“ des Verfahrens des Antragstellers zu 1) zum Verwaltungsgericht München anzunehmen, welches allenfalls über die „abgeleitete“ Fragen zu entscheiden hat, ist demgegenüber nicht geboten. Es ist nicht erkennbar, dass das Verwaltungsgericht Ansbach im vorliegenden Rechtsstreit keinen effektiven Rechtsschutz gewähren könnte. Insoweit fehlt es auch an einem sachlichen Grund, der eine – wie auch immer geartete – andere Auslegung der maßgeblichen Zuständigkeitsvorschriften (§ 52 Nr. 5 i. V. m. § 52 Nr. 2 Satz 3 Halbsatz 2 i.V.m. § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO) rechtfertigen könnte. Auch die von den Antragstellern vorgetragene vermeintliche Sachnähe des Verwaltungsgerichts München, die sich aus dem Wohnsitz des Antragstellers zu 2) ergebe und die für die Beurteilung der rechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Familienzusammenführung ausschlaggebend sein solle, spricht nicht gegen die Annahme der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Ansbach. Abgesehen davon, dass die Antwort auf maßgebliche Fragen – insbesondere zum Kindeswohl des Antragstellers zu 1), auch mit Blick auf den Antragsteller zu 2) als Bezugsperson des Antragstellers zu 1) – nicht im eigentlichen Sinne von den örtlich-räumlichen Verhältnissen abhängen, ist in der Sache geltend gemachte Anspruch auf Familienzusammenführung ohnehin nicht von vorherein auf die Stadt München gerichtet. Insoweit kommt es entgegen der Ansicht der Antragsteller nicht darauf an, die Zuständigkeit „entsprechend der begehrten Wohnsitznahme zu bestimmen“ (Schriftsatz vom 13. Juni 2019, S. 2).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2 VwGO).

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