Aktenzeichen 3 Ws 512/19
EMRK Art. 5 Abs. 3 S. 1 Hs. 2
StGB § 211, § 212
Leitsatz
1 Gegen das Beschleunigungsgebot wird nicht verstoßen, wenn die Strafkammer in einem Verfahren, dem umfangreiche und schwierige Ermittlungen zugrunde liegen, einen Monat Stellungnahmefrist zur Anklage gewährt und nicht alle Verteidiger auf ihre Möglichkeit der Stellungnahme verzichten. (Rn. 18 und 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Gegen das Beschleunigungsgebot wird auch nicht verstoßen, wenn die Strafkammer das Verfahren nicht eröffnet, obwohl sie den Haftbefehl aufrechterhält, weil die Anklage auf Mord, der Haftbefehl aber lediglich auf Totschlag lautet, weshalb noch Nachermittlungen erforderlich sind, gleichzeitig aber für den Fall der Eröffnung Termine bei den Verteidigern anfragt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
8 Ks 401 Js 134958/18 2019-05-10 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg
Tenor
Die Beschwerde des Angeschuldigten L. O. gegen den Beschluss der 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 23.04.2019 wird als unbegründet kostenfällig verworfen.
Gründe
Gründe:
I.
Der Angeschuldigte befindet sich seit seiner Festnahme am 22.09.2018 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Augsburg von diesem Tag, ihm auch am 22.09.2018 eröffnet, in dieser Sache ununterbrochen in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt. Im auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl wird ihm Totschlag zum Nachteil seiner Ehefrau zur Last gelegt.
Die weitere Beschwerde des Angeschuldigten gegen den den Haftbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 22.09.2018 aufrechterhaltenden Beschluss des Landgerichts vom 04.12.2018 hat der Senat mit Beschluss vom 14.02.2019 (3 Ws 152/19) als unbegründet verworfen.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat am 29.03.2019 die umfangreichen und schwierigen Ermittlungen abgeschlossen und Anklage zum Landgericht Augsburg – Schwurgericht – erhoben. Die Anklage ging dort am 05.04.2019 ein. Unmittelbar nach Eingang der Anklage hat die 8. Strafkammer am 08.04.2019 die Zustellung der Anklageschrift an den Angeschuldigten und die Verteidiger mit einer einmonatigen Stellungnahmefrist veranlasst und am gleichen Tag wegen Terminsverhinderungen bei den Verteidigern und Sachverständigen im Zeitraum 40. bis 48. Kalenderwoche angefragt. Mit Verfügung vom 11.04.2019 wurden die Verfahrensbeteiligten gebeten, für den Fall der Eröffnung 9 Termine im Oktober und November 2019 verbindlich zu reservieren. Zudem wurden sie um Mitteilung von Verhinderungen im Zeitraum 49. bis 52. Kalenderwoche gebeten. Am 16.04.2019 wurden die Beteiligten sodann gebeten, für den Fall der Eröffnung weitere 6 Termine im Dezember 2019 und Januar 2020 verbindlich zu reservieren.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt W. vom 16.04.2019 beantragte der Angeschuldigte die Aufhebung des Haftbefehls mangels dringenden Tatverdachts und teilte mit, dass auf jegliche Gelegenheit zur Stellungnahme verzichtet wird. Zugleich beantragte er, bereits ab Juni zu terminieren. Rechtsanwältin S., weitere Verteidigerin des Angeschuldigten, beantragte mit Schriftsatz vom 18.04.2019 ebenfalls die Aufhebung des Haftbefehls mangels dringenden Tatverdachts und verzichtete ebenfalls auf jegliche Gelegenheit zur Stellungnahme.
Mit Beschluss der 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 23.04.2019 wurde der Haftbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 22.09.2018 aufrechterhalten und blieb in Vollzug.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg wurde mit Verfügung der Strafkammer vom 25.04.2019 ersucht, Nachermittlungen durchzuführen. Mit Verfügung vom 03.05.2019 wurde die Staatsanwaltschaft darüber hinaus gebeten, ergänzende Ermittlungen zur Vermögenssituation des Angeschuldigten durchzuführen.
Mit Schriftsatz vom 08.05.2019, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat der Angeschuldigte durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt W. Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 23.04.2019 eingelegt und diese umfassend begründet. Der Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls wird nunmehr auf einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot gestützt.
Mit Beschluss vom 07.05.2019 wies die 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg den Antrag der Verteidigung, bereits ab Juni zu terminieren, als unzulässig zurück.
Mit Beschluss vom 10.05.2019 hat die 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die Beschwerde des Angeschuldigten ist statthaft und zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO). In der Sache bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Anordnung und den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft liegen vor.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat Bezug auf seine Beschlüsse vom 14.02.2019 und 03.04.2019 (3 Ws 152/19; 3 Ws 307/19) und auf die ausführliche und in jeder Hinsicht zutreffende Begründung des Nichtabhilfebeschlusses des Landgerichts Augsburg vom 10.05.2019.
Der dringende Tatverdacht, der mit der Beschwerde nicht (mehr) angegriffen wird, ergibt sich insbesondere aus dem Ergebnis der polizeilichen Ermittlungen, zusammenfassend dargestellt im Schlussbericht der KPI Dillingen, K 1, vom 13.03.2019 sowie den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. P. und PD Dr. A.. Ergänzend wird auf die ausführlichen Ausführungen zum dringenden Tatverdacht im Beschluss des Senats vom 14.02.2019 verwiesen.
Gegen den Angeschuldigten liegen auch der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, sowie der Haftgrund der Schwerkriminalität, § 112 Abs. 3 StPO, weiterhin vor. Im Haftbefehl des Amtsgerichts Augsburg vom 22.09.2018 wird dem Angeschuldigten Totschlag vorgeworfen. Gegen ihn ist nunmehr Anklage wegen Mordes erhoben worden. Er muss daher im Falle seiner Verurteilung mit langandauerndem unbedingtem Freiheitsentzug rechnen. Der Angeschuldigte verfügt nur über sehr begrenzt tragfähige soziale Beziehungen. Zu seinen Kindern besteht kein gutes Verhältnis und zu seinen Geschwistern unterhält er schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Den sozialen Bindungen kommt daher keine fluchthemmende Wirkung zu.
Weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 StPO kommen bei einer Gesamtschau und Würdigung der bereits erwähnten Umstände nicht in Betracht. Anders als durch den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft lässt sich der staatliche Strafanspruch nicht sichern.
Angesichts der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe ist die Untersuchungshaft auch nicht unverhältnismäßig, § 120 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 MRK, § 121 Abs. 1 StPO) wurde entsprochen. Vermeidbare, den Strafverfolgungsorganen anzulastende Verzögerungen liegen entgegen der Meinung der Verteidigung nicht vor.
Die Staatsanwaltschaft Augsburg hat die umfangreichen und schwierigen Ermittlungen am 29.03.2019 abgeschlossen und Anklage wegen Mordes zur 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg – Schwurgericht – erhoben. Die dort am 05.04.2019 eingegangene Anklage wurde dem Angeschuldigten und seinen Verteidigern zugestellt mit der Möglichkeit der Stellungnahme binnen 1 Monats. Unverzüglich wurde vom Schwurgericht bei den Verfahrensbeteiligten nach Terminsverhinderungen zunächst in dem Zeitraum 40. bis 48 Kalenderwoche, sodann auch im Zeitraum 49. bis 52. Kalenderwoche angefragt. Nach Eingang der Antworten wurden die Beteiligten gebeten, insgesamt 15 Termine ab dem 15.10.2019 für den Fall der Verfahrenseröffnung verbindlich zu reservieren.
Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 23.04.2019 über den Haftbefehl, der dem Angeschuldigten Totschlag zur Last legt, entschieden. Die Anklage der Staatsanwaltschaft wirft ihm nunmehr Mord vor. Der Angeschuldigte soll aus Habgier gehandelt haben. Wie die 8. Strafkammer zutreffend und ausführlich im Nichtabhilfebeschluss vom 10.05.2019 dargelegt hat, ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.05.2011, wonach mit dem Erlass eines Haftbefehls, der einen dringenden Tatverdacht voraussetzt, regelmäßig zugleich Entscheidungsreife hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens eintritt, nicht einschlägig, da im vorliegenden Verfahren der Haftbefehl auf Totschlag lautet, Anklage jedoch wegen Mordes erhoben wurde. Die Strafkammer hat daher vor Eröffnung des Verfahrens zu überprüfen, ob ein Mordmerkmal gegeben ist. Diesbezüglich hat die Strafkammer bereits mit Verfügungen vom 25.04.2019 und 03.05.2019 Nachermittlungen bei der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben.
Auch wenn Rechtsanwalt W. und Rechtsanwältin S. erklärt haben, auf jegliche Gelegenheit der Stellungnahme zu verzichten, ist die Stellungnahmefrist von Rechtsanwältin Dr. A. erst am 12.05.2019 abgelaufen.
Im Hinblick sowohl auf die Bedeutung des Tatvorwurfs und als auch auf den Aktenumfang ist der Strafkammer ausreichend Zeit zur Prüfung der Verfahrenseröffnung zuzugestehen.
Entscheidungsreife hinsichtlich der Verfahrenseröffnung ist daher derzeit nicht gegeben.
Auch die Terminierung der Hauptverhandlung für den Fall der Eröffnung ab 15.10.2019 ist nicht zu beanstanden. Die Kammer hat ausführlich dargelegt, dass sie aufgrund anderer Strafverfahren und wegen der Verhinderung der Sachverständigen nicht früher terminieren kann. Die Verhandlungsdichte begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Insofern wird auf die Ausführungen auf Seite 2 und 3 des Nichtabhilfebeschlusses verwiesen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.