Aktenzeichen 1105 Js 14183/18 33 KLs
StGB 13.11.1998 § 177 Abs. 1, Abs. 2
Leitsatz
1. Der Summe mehrerer zugunsten eines Angeklagten anzuführender Umstände –Teilgeständnis, bisherige Straffreiheit, von Reue und Schuldeinsicht geprägte Entschuldigung gegenüber dem Geschädigten, in der Hauptverhandlung abgeschlossener Teilvergleich bzgl. dessen Schmerzensgeldansprüchen, nahezu 10-jährige Zeitspanne seit der Tat – muss kein derartiges Gewicht zukommen, dass nach umfassender Abwägung die Regelwirkung für einen besonders schweren Fall (hier: § 177 Abs. 2 StGB a.F.) entfällt. (Rn. 85) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bemühen um einen Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a Nr. 1 StGB) setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus. Ein einseitiges Wiedergutmachungsbestreben des Täters ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt dazu nicht. Auch der Abschluss eines Teilvergleiches in der Hauptverhandlung stellt keinen kommunikativen Prozess dar, wenn das Opfer dies deutlich nur als Titulierung der ihm ohnehin zustehenden Schmerzensgeldansprüche versteht. (Rn. 88 – 90) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
1. Der Angeklagte ist schuldig der Vergewaltigung zugleich mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in zwei Fällen.
2. Er wird deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Nebenklägers.
Angewandte Vorschriften:
§§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 13.11.1998, 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 31.10.2008, 52 Abs. 1, Abs. 2, 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Sätze 2, 3, Abs. 2 StGB.
Gründe
Vorspann
Der Angeklagte, …, war als Angestellter im Lager der Fa. EM in H tätig. Der Nebenkläger S, geboren am …., absolvierte dort im August 2009 ein Praktikum. Am vorletzten (06.08.2009) und letzten Tag (07.08.2009) seines Praktikums führte der Angeklagte gegen den Willen des Geschädigten mit diesem jeweils ungeschützten oralen und analen Geschlechtsverkehr teils bis zum Samenerguss aus, nachdem er die Lagerhalle verdunkelt und den Geschädigten in ein abgelegenes Büro gezogen hatte.
Die Feststellungen zum Sachverhalt beruhen auf einer umfassenden Würdigung des Beweisergebnisses der Hauptverhandlung, insbesondere auf den glaubhaften Angaben des Geschädigten. Der Angeklagte hat die Vorfälle weitgehend eingeräumt, gab jedoch vor, dass er lediglich den Oralverkehr am Penis des Geschädigten gegen dessen Willen ausgeübt habe. Im Widerspruch dazu hatte er bei seiner polizeilichen Vernehmung noch einen analen Geschlechtsverkehr zugegeben.
A. Die Kammer hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zugleich mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in zwei tatmehrheitlichen Fällen verurteilt und nach umfassender Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine Gesamtfreiheitstrafe von 6 Jahren ausgesprochen. Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten
I. Lebenslauf
II. Strafrechtliches Vorleben
Der Auszug aus dem Bundeszentralregister des Angeklagten weist keine Eintragung auf.
III. Haftdaten
Der Angeklagte befindet sich nach seiner Festnahme am 18.10.2018 ununterbrochen in Untersuchungshaft aufgrund Haftbefehl des Amtsgerichts Bamberg vom 19.10.2018 (Az. 1 Gs 2210/18).
B. Festgestellter Sachverhalt
Der am … geborene Geschädigte S absolvierte zur Verbesserung seiner Chancen auf dem Arbeitsmarkt – er strebte eine Ausbildung zum Lageristen an – in der Zeit vom 03.08.2009 bis zum 07.08.2009 bei der Fa. EM in H ein Praktikum, in dessen Verlauf er die ersten Tage im internen Lager der Firma, an den letzten beiden Tagen zur Ausladung von Großgeräten im externen Lager auf dem Gelände I-straße xx in H eingesetzt war.
I.
Zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt am späten Nachmittag des 06.08.2009 hielt sich der Angeklagte zusammen mit S – ohne dass weitere Personen in der Nähe waren oder deren Hinzukommen zu befürchten gewesen wäre – in der externen Lagerhalle der Fa. EM in H auf. Der Angeklagte, der den Geschädigten auf etwa 16 Jahre schätzte, schaltete das Licht aus, so dass S – wie beabsichtigt – orientierungslos war, packte den Geschädigten mit einem schmerzhaften Griff am Arm und zog ihn in einen kleineren Raum neben der Lagerhalle. Unter dem Vorwand, der Strom sei ausgefallen und er müsse an den Sicherungskasten wies er S an zu warten. Kurz darauf – der Angeklagte betätigte sich zunächst kurz am Sicherungskasten – zog sich der Angeklagte einen Arztkittel an und hängte sich ein Stethoskop um. Er setzte den Geschädigten zunächst auf einen dort befindlichen Stuhl, zog S die Hose herunter und manipulierte jedenfalls mit der Hand an dessen Penis, um diesen zu versteifen. Der Geschädigte rief mehrfach laut um Hilfe und versuchte, sich zu entfernen, was ihm jedoch aufgrund der körperlichen Überlegenheit des Angeklagten nicht möglich war. Anschließend verbrachte der Angeklagte den Geschädigten auf einen dort befindlichen Tisch, setzte sich auf dessen Beine und begann den Geschädigten gegen dessen Willen zu untersuchen. Der Geschädigte versuchte mindestens dreimal sich aufzurichten, woraufhin ihn der Angeklagte jeweils zurückstieß, so dass er mit dem Kopf auf die Tischplatte aufschlug. Der Angeklagte zwang im weiteren Verlauf – Fluchtversuche des Geschädigten scheiterten an der körperlichen Überlegenheit des Angeklagten – S, ihn oral zu befriedigen und drückte hierzu seinen Penis in den Mund des Jugendlichen und vollzog zudem mit dem Geschädigten den analen Geschlechtsverkehr, indem er S mit dem Oberkörper über den dortigen Tisch legte und mit dem Penis in den After des Geschädigten eindrang – wobei die zeitliche Abfolge des oralen und analen Geschlechtsverkehrs in der Hauptverhandlung nicht mehr aufklärbar war. Im Laufe des gänzlich ungeschützten Geschlechtsverkehrs kam der Angeklagte auf dem Oberkörper des Jugendlichen zum Samenerguss. Nach etwa 15 Minuten ließ der Angeklagte vom Geschädigten mit der Aufforderung, dies müsse unter ihnen bleiben, ab, der Geschädigte begab sich unter dem Eindruck des Erlebten an das M-ufer, ging – nachdem er sich beruhigt hatte – nach Hause, erzählte aber aus Scham zunächst niemanden etwas über den Vorfall.
Der Geschädigte trug aus dem Vorfall keine sichtbaren Verletzungen davon, erlitt aber durch den mehrfachen Aufprall auf den Tisch Schmerzen am Kopf und aufgrund des festen Griffs an den Arm ebenfalls – nur kurzzeitige – Schmerzen. Auch im Analbereich hatte der Geschädigte nach dem Vorfall erhebliche Schmerzen.
II.
Trotz des Vorfalls am Tag zuvor begab sich der Geschädigte am Folgetag, dem 07.08.2009 und damit letzten Tag, erneut zu seinem Praktikumsplatz. Zu einem nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkt an jenem Nachmittag hielt sich der Angeklagte erneut zusammen mit S in der externen Lagerhalle der Fa. EM auf. Der Angeklagte schaltete in der ansonsten menschenleeren Halle wiederum das Licht aus, packte den Geschädigten am Handgelenk und zerrte diesen gegen dessen Willen in den Nebenraum der Lagerhalle. Er verbrachte in dem sich wiederum über einen Zeitraum von etwa 15 Minuten erstreckenden Geschehen den Geschädigten – die zunehmend erlahmende Gegenwehr war erfolglos geblieben – erneut auf den Tisch, zog sich auch dieses Mal einen Arztkittel an und nahm ein Stethoskop zur Hand, entkleidete den Geschädigten und manipulierte mit der Hand an dessen Penis und befriedigte den Geschädigten zudem oral, indem er dessen Penis in den Mund nahm. Daraufhin legte der Angeklagte den Geschädigten erneut mit dem Oberkörper über den Tisch und drang mit seinem Penis in den After des Geschädigten ein, wo er an diesem den ungeschützten analen Geschlechtsverkehr vollzog, wobei nicht mehr mit Sicherheit geklärt werden konnte, ob es hierbei zum Samenerguß beim Angeklagten kam.
Der Angeklagte forderte den Geschädigten im Anschluss daran nochmals auf, nichts weiterzuerzählen und begab sich mit diesem zum Haupthaus, wo anlässlich des 33 KLs 1105 Js 14183/18 – Seite 6 – Praktikumsendes eine „Schlussbesprechung“ stattfand.
Der Geschädigte erlitt bei diesem Vorfall neben leichten Kopfschmerzen heftige Schmerzen im Analbereich und eine offene blutende Wunde am Penis. Ärztliche Hilfe nahm der Geschädigte nicht in Anspruch.
Neben den körperlichen Beeinträchtigungen ohne bleibende Folgen, leidet der Geschädigte seit dem Vorfall an Krampfanfällen, er hat Angst vor dunklen Räumen, insbesondere Kellerräumen und vermag sich nicht von (männlichen) Ärzten im Arztkittel untersuchen zu lassen, vor allem nicht im Intimbereich. Er reagiert schreckhaft bei plötzlichen Berührungen. Er befindet sich derzeit in therapeutischer Behandlung.
Die Einsicht des Angeklagten in das Unrecht seines Tuns und die Fähigkeit nach dieser Einsicht zu handeln, war zu keinem Zeitpunkt beeinträchtigt.
C. Beweiswürdigung
I. Verfahrensabsprache
In der Hauptverhandlung hat keine Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten im Sinne des § 257c StPO stattgefunden. Der festgestellte Sachverhalt beruht auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme.
II. Feststellungen zu Lebenslauf, Persönlichkeit, Vorstrafen und Haft
1. Lebenslauf
Die Feststellungen zum Lebenslauf beruhen im Wesentlichen auf den Angaben des Angeklagten in der Hauptverhandlung sowie ergänzend den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. V.
2. Strafrechtliches Vorleben
Die Feststellungen zur bisherigen Straffreiheit des Angeklagten ergeben sich aus dem Bundeszentralregisterauszug vom 15.04.2019, der in der Hauptverhandlung verlesen wurde.
3. Haftdaten
Die Haftdaten wurden dem Akteninhalt entnommen und vom Angeklagten als zutreffend anerkannt.
III. Feststellungen zu den Taten
Die Feststellungen der Kammer beruhen maßgeblich auf den Angaben des Geschädigten in der Hauptverhandlung sowie der teilgeständigen Einlassung des Angeklagten, der die Vornahme sexueller Handlungen am Geschädigten gegen dessen Willen an zwei unterschiedlichen Tagen einräumte, lediglich die im Einzelnen vorgenommenen Handlungen abweichend schilderte. Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten sowie des Angeklagten hat die Kammer den ermittelnden Beamten KHK R, der insbesondere die Vernehmung des Angeklagten durchgeführt hat, herangezogen sowie die Zeuginnen K (frühere Lebensgefährtin des Geschädigten), KL (Patentante des Geschädigten) und S (Pflegemutter des Geschädigten) vernommen.
1. Übereinstimmende Angaben des Geschädigten S sowie des Angeklagten Sowohl der Angeklagte als auch der Geschädigte S gaben in ihren Vernehmungen in der Hauptverhandlung an, dass es im Rahmen des Praktikums des S Anfang August 2009 – die Kammer hat die genauen Daten dem verlesenen Praktikumszeugnis der Firma EM für den Geschädigten S, das als Zeitraum den 03.08.2009 bis 07.08.2009 ausweist, entnommen – an zwei verschiedenen Tagen zu sexuellen Handlungen gegen den Willen des Geschädigten in der Lagerhalle in der I-straße xx in H kam. Die Angaben der beiden Beteiligten decken sich auch insoweit, als übereinstimmend ein dunkler Nebenraum der Lagerhalle als Tatörtlichkeit bezeichnet wurde. In diesen habe der Angeklagte den Geschädigten „geführt“ – so der Angeklagte – bzw. nach der Schilderung des Geschädigten „gezogen“. Übereinstimmung in den Aussagen besteht auch, dass der Angeklagte zunächst versuchte, den Penis des Geschädigten zu versteifen, nachdem er diesem die Hose bis zu den Knien heruntergezogen hatte, sowie der Tatsache, dass jedenfalls am zweiten Tattag der Angeklagte im Rahmen der Tatausführung einen Arztkittel übergezogen hatte, ein Stethoskop für seine „Doktorspiele“ verwendete und es hierbei zu einer oralen Befriedigung des Geschädigten durch den Angeklagten kam. Letztlich räumte auch der Angeklagte ein, dass er mit der Hand Druck auf den Oberkörper des Geschädigten ausgeübt habe, um diesen auf dem Tisch zu fixieren – der Geschädigte bekundete in diesem Zusammenhang, mehrmals auf den Tisch zurück gestoßen worden zu sein, als er sich aufrichten und fliehen wollte.
Die jeweilige Dauer der Vorfälle wurde vom Angeklagten mit etwa 15 Minuten angegeben, was vom Geschädigten, der nach seinen Angaben jegliches Zeitgefühl bei den Vorfällen verloren habe, als realistisch angesehen wurde.
Die im weiteren Verlauf abweichenden Schilderungen stimmen noch insoweit überein, als sich weder aus den Angaben des Geschädigten noch aus dem Vorbringen des Angeklagten die Nutzung eines Kondoms ergibt, andererseits jedoch nach beiden Versionen sexuelle Handlungen vorgenommen wurden, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden waren – nach den Angaben des Angeklagten mit einem Eindringen des Gliedes des Geschädigten in seinen Körper, der Aussage des Geschädigten zufolge teils mit einem Eindringen bei ihm, teils mit einem Eindringen beim Angeklagten.
Angesichts dieser übereinstimmend geschilderten Fakten – es gab keinen Grund diese in Zweifel zu ziehen – konnte sich die Kammer bereits die Überzeugung bilden, dass es im Rahmen des Praktikums des Geschädigten an zwei Tagen zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten gegenüber S gekommen war, wobei seitens des Angeklagten zum einen die von ihm geschaffene Lage – der Geschädigte war in einen dunklen Raum und damit an einen Ort verbracht worden, an dem keinerlei Hilfe für den Geschädigten zu erwarten war – ausgenutzt wurde und zum anderen beim Fixieren des Geschädigten erheblicher Druck ausgeübt wurde.
2. Weiter gehende Angaben des Angeklagten
a) Angaben in der Hauptverhandlung
Der Angeklagte gab zum Geschehen weiter an, dass er das Alter des Geschädigten damals nicht gekannt habe, er sei von ca. 16 Jahren ausgegangen. Auch sei er sich nicht mehr sicher, ob die Taten an zwei aufeinanderfolgenden Tagen begangen worden seien, seiner Erinnerung nach, hätten dazwischen ein paar wenige Tage gelegen.
Er habe S in dem kleinen, relativ dunklen Nebenraum der Halle auf einen Tisch gesetzt und ihm zunächst dessen Oberteil ausgezogen. Er habe dessen Oberkörper wie ein Arzt abgetastet, seiner Erinnerung nach habe er aber bei der ersten Tat noch keinen Arztkittel und kein Stethoskop verwendet. Nachdem er am Penis des Geschädigten manipuliert hatte, habe er den Oberkörper des Geschädigten anschließend nach unten gedrückt, so dass er auf dem Tisch gelegen sei und dessen Penis in seinen Mund geführt. Mit der einen Hand habe er den S auf die Brust gedrückt, um ihn zu fixieren. Er habe schließlich mehrere Minuten Oralsex ausgeführt, bis der Geschädigte ihm in den Mund ejakuliert habe. Obwohl er den entgegenstehenden Willen des Geschädigten gekannt habe, habe sich S seiner Erinnerung zufolge nicht richtig gewehrt.
Bei der zweiten Tat sei es in etwa genauso abgelaufen. Es sei wieder so gewesen, dass er den Geschädigten in den kleinen Nebenraum geführt habe, dieser dann auf dem Tisch gesessen sei und er ihn zunächst am Oberkörper untersucht habe. Hierbei habe er definitiv einen Arztkittel und ein Stethoskop verwendet. Er habe anschließend wieder die Hose des Geschädigten bis zu den Knien heruntergezogen und an dessen Penis manipuliert. Danach habe er abermals aktiv für mehrere Minuten Oralsex ausgeführt, bis S in seinen Mund ejakuliert habe. Während des Vorgangs habe er mit der Hand auf den Oberkörper des Geschädigten gedrückt, um ihn zu fixieren. Auch an diesem Tag sei ihm bewusst gewesen, dass er gegen den Willen des Geschädigten gehandelt habe.
Er habe an beiden Taten seine Hose nicht ausgezogen und habe keinen analen Geschlechtsverkehr ausgeführt.
b) Angaben gegenüber KHK R
Der ermittelnde Polizeibeamte R konnte im Rahmen seiner uneidlichen Vernehmung ausführen, dass der Angeklagte nach Eröffnung des Tatvorwurfs und erfolgter Belehrung spontan pauschal geäußert habe, dass die Vorwürfe – insoweit habe ihm auch der Durchsuchungsbeschluss [der auch in der Hauptverhandlung verlesen wurde und hinsichtlich beider Taten auch einen Analverkehr beschreibt] vorgelegen – zuträfen. Der Angeklagte hätte sich diesen auch bereits durchgelesen gehabt und dann eben pauschal eingeräumt, dass es stimmt.
Er habe im Rahmen dieser Vernehmung die Dauer der Vorfälle mit 15 bis 20 Minuten benannt. Im Rahmen der Vernehmung seien die Vorfälle detaillierter behandelt worden. Zu den verwirklichten Praktiken habe der Angeklagte damals angegeben, dass er den Oralverkehr bei S ausgeübt habe, dieser in seinen Mund ejakuliert habe und er sich daher den Mund ausgespült habe. Befragt nach dem Analverkehr habe er – auch auf klarstellende Nachfrage – geäußert, dass es auf jeden Fall bei einem der beiden Vorfälle zum Analverkehr gekommen sei. Er habe sein Glied in den After des Geschädigten eingeführt und den Analverkehr bis zum Samenerguß ausgeübt.
c) Bewertung der Angaben
Angesichts des seitens des Angeklagten an den Tag gelegten Aussageverhaltens was die durchgeführten Sexualpraktiken betrifft, kam die Kammer zum Schluss, dass die Schilderung des Angeklagten in der Hauptverhandlung von massiven Entlastungstendenzen gekennzeichnet war. Insbesondere hinsichtlich der Frage, ob es zu einem Analverkehr kam, ist für die Kammer kein Grund ersichtlich, weshalb ein solcher gegenüber KHK R noch geschildert wurde, in der Hauptverhandlung – wie auch beim Sachverständigen, wie Prof. Dr. V bekunden konnte, – ein solcher aber kategorisch ausgeschlossen wird. Angesichts dieses Aussageverhaltens konnte die Kammer den von den Schilderungen des Geschädigten abweichenden Bekundungen des Angeklagten keinen Glauben schenken; lediglich die Angabe des Angeklagten, er habe S für etwa 16 Jahre alt gehalten, konnte – zu Gunsten des Angeklagten – einer Urteilsfindung zugrunde gelegt werden, nachdem er gegenüber KHK R in der polizeilichen Vernehmung – wie dieser bekunden konnte – angegeben hat, dass S damals etwa 14 Jahre alt gewesen sei, was er – so konnte Prof. Dr. V aus dem Explorationsgespräch berichten – aber damals nicht sicher gewusst habe.
3. Weiter gehende Angaben des Geschädigten S
a) Angaben in der Hauptverhandlung
Der Geschädigte – die Kammer hat dessen Alter den Angaben zu den persönlichen Verhältnissen im Rahmen der Hauptverhandlung entnommen – gab an, er sei damals, da er die Ausbildung zum Lageristen angestrebt habe und mit dem Praktikum seine Chancen bei der Ausbildungsplatzsuche habe verbessern wollen, bei der Fa. EM in H als Praktikant tätig gewesen und die ersten Tage im internen Lager, an den letzten beiden Tagen im externen Lager eingesetzt worden. Dort sei er zusammen mit dem Angeklagten eingesetzt worden. An einem Tag – aufgrund des zweiten Vorfalls einen Tag später, seinem letzten Arbeitstag, habe es sich entsprechend um den vorletzten Tag des Praktikums gehandelt – sei es schon sehr spät gewesen, er sollte eine letzte Maschine in der Lagerhalle nach hinten räumen. Er habe an diesem Tag mit dem Angeklagten schon den ganzen Tag einen LKW ausgeräumt. Plötzlich sei das Licht ausgegangen, es sei stockdunkel gewesen, er habe sich nicht mehr ausgekannt, man habe ihn mit einem festen Griff – er habe dabei Schmerzen gehabt – am Arm gepackt und in einen Raum in der Halle gezogen. Er sei total irritiert gewesen, weil er damit nicht gerechnet habe, er habe schon wegen des fehlenden Lichts Panik bekommen. Der Angeklagte habe zu ihm gesagt, der Strom wäre ausgefallen und er müsse an den Sicherungskasten. Der Angeklagte habe dann etwas an dem Sicherungskasten gemacht, er habe in der Zwischenzeit gewartet.
Daraufhin habe der Angeklagte sich einen weißen Arztkittel angezogen, sei zu ihm gekommen und habe ihn zunächst auf einen Stuhl gesetzt und sich auf ihn drauf gesetzt. Dann habe er sich auf einen Tisch legen müssen, in der Zwischenzeit habe er mehrfach gerufen, auch als er auf dem Tisch gelegen sei. Der Raum habe sich im Lager aber ganz hinten befunden, sie seien ohnehin nur zu zweit dort gewesen. Er habe fliehen wollen und mehrfach gesagt, er wolle weggehen, was der Angeklagte jedoch ignoriert habe. Der Angeklagte habe sich auf ihn drauf gesetzt, damit er nicht fliehen konnte, damals sei er erst 14 Jahre alt gewesen und habe nicht die nötige Kraft gehabt, um gegen diesen anzukommen.
Der Angeklagte habe dann versucht – sicher anfangs mit der Hand, möglicherweise auch mit dem Mund, was er aber nicht mehr genau sagen könne – seinen Penis steif zu bekommen, insofern stimme was dieser angegeben habe, das sei jedoch nicht gegangen. Anschließend sei er auf dem Tisch gelegen und habe sich nicht mehr bewegen können, alles sei „wie in so nem Film abgelaufen“. Er habe ihn dann auf den Tisch gelegt und „von hinten genommen“. Insofern sei er sich sicher, da er unglaubliche Schmerzen hatte.
Der Angeklagte habe ein Stethoskop dabei gehabt. Er habe ein T-Shirt oder einen Pullover angehabt, der Angeklagte habe ihn am Brustkorb und am Bauch abgehört, hinten unter der Kleidung, vorne wisse er es nicht mehr. Dabei sei er nicht ruhig gelegen, er habe aufstehen und gehen wollen, der Angeklagte habe sich aber auf seine Beine gesetzt. Auf dem Tisch liegend habe er mehrmals versucht sich aufzurichten, wie oft genau wisse er nicht, dreimal aber auf jeden Fall. Der Angeklagte habe ihn dann zurückgestoßen und er sei mit dem Kopf schmerzhaft gegen den Tisch gestoßen. Der Angeklagte habe ihn am Arm festgehalten und so zugedrückt, dass er nicht gehen habe können.
Auf Vorhalt seiner Angaben in der E-Mail vom 30.03.2018 erklärte der Geschädigte, er habe die genaue Reihenfolge beim Aufschreiben nicht mehr gewusst, habe den Angeklagten aber auch oral befriedigen müssen. Er gehe davon aus, dass der Angeklagte auf seinen Oberkörper ejakuliert habe, da es dort klebrig gewesen sei.
Er sei dann schließlich zu sich gekommen, habe geweint, sei aus dem Lagerhaus gegangen und sei zum Main gelaufen. Er habe zu Hause angerufen und vorgegeben, er komme später nach Hause, weil er einen Freund besuche. Sonst habe ihn sein Vater immer abgeholt.
Der nächste Tag sei der letzte seine Praktikums gewesen, er habe dieses „rumbringen“ wollen, da sein Vater auch gesagt habe, man solle Sachen zu Ende bringen, die man angefangen habe. Sein Vater sei sehr streng gewesen und hätte nie zugelassen, dass er nicht hingehe. Er habe dann die Chefin gefragt, ob er woanders arbeiten könne, habe dann aber doch wieder im Lager arbeiten müssen und mit anderen einen LKW ausgeräumt. Er denke jedoch, der Angeklagte sei nicht dagewesen.
Die zweite Tat sei ähnlich abgelaufen, allerdings habe er diesmal auf „Durchzug geschaltet“. Auch diesmal sei, als er das letzte Teil ausgeräumt habe, wieder das Licht ausgegangen und er sei nach hinten in einen Raum gezerrt worden. Er sei dann gleich auf den Tisch gelegt worden. Er habe sich quasi „schon verloren gesehen“, habe zwar schon versucht sich zu wehren, aber nicht mit der Kraft, die er nutzen hätte können. Er sei „wie in einem Film neben sich“ gestanden. Sämtliche Fluchtversuche seien schon am ersten Tag schief gelaufen. Der zweite Vorfall sei ähnlich abgelaufen, er könne sich aber nicht mehr ganz so gut daran erinnern. Der Angeklagte habe wieder Arztkittel und Stethoskop angehabt und am Anfang Untersuchungen an ihm durchgeführt. Als er zu Hause gewesen sei, habe sein Penis geblutet und er habe Schmerzen gehabt. Man habe die Vorhaut kaum zurückschieben können. Er wisse jedoch nicht, ob der Angeklagte ihn bei der oralen Befriedigung gebissen habe.
Auf Vorhalt seiner schriftlichen Erklärung gegenüber der Polizei in der E-Mail vom 30.03.2018 erklärte er, dass er hieran keine genauen Erinnerungen mehr habe. Die Handlung sei nicht brutaler gewesen, aber die Schmerzen vor allem am After seien am zweiten Tag schlimmer gewesen. Er wisse nicht mehr genau, ob er den Angeklagten auch oral habe befriedigen müssen. Ob er den Angeklagten auch anal befriedigen habe müssen, wisse er nicht mehr genau, jedenfalls sei der Angeklagte bei ihm eingedrungen. Der Angeklagte habe ihn oral befriedigt. Er wisse nicht mehr genau, ob der Angeklagte auf ihn ejakuliert habe, da alles an ihm vorbeigelaufen sei. Er habe sich aber, wie auch am ersten Tag, erst zu Hause geduscht.
Nach dem Vorfall habe es wegen der Beendigung des Praktikums ein kurzes Gespräch mit der Chefin gegeben, bei der auch sein Vater und der Angeklagte zugegen gewesen seien. Dabei sei ihm aufgefallen, dass der Täter aufgrund des „innigen Verhältnisses“ zur Geschäftsführung in irgendeiner Form im Zusammenhang mit dieser stehe. Im Vorfeld habe der Angeklagte zu ihm gesagt, er solle nichts sagen, dass solle „unter uns bleiben“.
Er habe im Nachgang mehreren Personen von den Vorfällen berichtet, etwa 2014 seiner damaligen Freundin, der Zeugin K. Er habe mit dieser das „Thema Sex“ lange gemieden, irgendwann habe er sich ihr gegenüber offenbart, da diese ja sonst nicht nachvollziehen hätte können, warum sie keinen Sex haben könnten. Er habe sie jedoch dahingehend angelogen, dass er ihr gegenüber einen Arztbesuch wegen der Verletzung am Penis vorgab, weil es so für ihn einfacher gewesen sei, möglichst schnell „aus dem Gesprächsthema rauszukommen“. Auch seiner Patentante, der Zeugin KL, habe er etwa 2015 von einem Vorfall – unter völliger Entstellung des Sachverhaltes – berichtet, seiner Mutter gegenüber später, im Rahmen eines Besuchs bei Mc Donalds.
Er habe erst so spät Anzeige erstattet, da er aufgrund seines Wegzugs von H keinen Kontakt mehr zum Angeklagten gehabt habe.
b) Angaben im Ermittlungsverfahren
Die Angaben des Geschädigten im Ermittlungsverfahren (E-Mail vom 30.03.2018 und Vernehmung bei der KPI R vom 06.06.2018) stimmen mit den in der Hauptverhandlung getätigten in den maßgeblichen Kernbereichen überein, Abweichungen ergaben sich lediglich und nachvollziehbar insoweit, als sowohl in der E-Mail – die teils im Wege des Vorhalts im Rahmen der Vernehmung des Zeugen S in die Hauptverhandlung eingeführt wurde, teils hat der Zeuge KHK R den Inhalt bei der Schilderung des Verfahrensganges referiert – als auch in der polizeilichen Vernehmung des Geschädigten – die ebenfalls sowohl im Wege des Vorhalts an den Zeugen S als auch über die Vernehmung des Zeugen KHK R und ergänzend über die Verlesung des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bamberg vom 17.09.2018, der die Quintessenz der Aussage darstellt, eingeführt wurden – hinsichtlich des genauen Ablaufs des zweiten Vorfalles ziemlich pauschal darauf verwiesen wurde, dass dieser so wie der erste abgelaufen sei. Erst im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgte insoweit eine weitergehende Konkretisierung, die – nachvollziehbar – einige kleinere Abweichungen im Geschehensablauf ergab.
Der Geschädigte schilderte dabei folgende sexualbezogene Handlungen des Angeklagten:
aa) Angaben in der verfahrenseinleitenden E-Mail
In der E-Mail führte der Geschädigte hinsichtlich des ersten Vorfalls aus, dass, nachdem er auf einen Tisch gelegt worden sei – begonnen habe der Vorfall auf einem Stuhl – und der Täter seine Hose geöffnet habe, dieser seinen Penis in die Hand genommen und versucht habe, diesen zu versteifen. Er habe dann den Penis des Täters oral befriedigen müssen und sei auch „von hinten genommen“ worden. Der Täter habe schließlich seinen Orgasmus über seinen Oberkörper verteilt.
Der zweite Vorfall wird letztendlich nur insoweit beschrieben, dass dieser „wieder so ähnlich abgelaufen sei“.
bb) Angaben bei der Polizei
Der Geschehensablauf hinsichtlich des ersten Vorfalls wurde hinsichtlich der einzelnen Sexualhandlungen vollständig identisch zur E-Mail beschrieben.
Hinsichtlich des zweiten Vorfalls gab der Geschädigte zunächst wieder an, dass sich der Tatablauf wie am Vortag gestaltet habe. Es sei insoweit lediglich gleich auf den Tisch gelegt und nicht auf einen Stuhl gesetzt worden. Nach dem Abhören mit dem Stethoskop habe der Täter wieder mit der Hand den erfolglosen Versuch unternommen, seinen Penis zu versteifen. Er habe ihn dann oral befriedigen müssen. Der Angeklagte sei nach oben gerutscht und habe seinen Penis in den Mund gedrückt. Anschließend habe er ihn anal vergewaltigt, indem er ihn vom Tisch runtergeschubst, den Oberkörper über Tisch gelegt und den Penis von hinten in den After eingeführt habe. Der Angeklagte habe auch auf seinen Oberkörper ejakuliert. Dabei habe er einen wesentlich stärkeren Schmerz verspürt und eine blutende Vorhaut davongetragen.
c) Würdigung der Angaben des Geschädigten
Die Kammer hat keinen Zweifel, dass die Angaben des Nebenklägers der Wahrheit entsprechen. Die Kammer hat die von den Angaben des Angeklagten, der selbst sexuelle Nötigungen eingeräumt hat, abweichenden Schilderungen einer kritischen Analyse unterzogen, diese aber letztlich für glaubhaft befunden worden. An der Aussagetüchtigkeit des Geschädigten bestehen keine Zweifel (aa). Aufgrund dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung hinterließ er bei der Kammer einen glaubwürdigen Eindruck (bb). Seine Angaben waren glaubhaft und widerspruchsfrei. Diese weisen eine Reihe von Realkennzeichen auf, die in aller Regel nur vor dem Hintergrund realer Erlebnisse zu erwarten sind, insbesondere sprechen hierfür die Aussagekonstanz, Aussageentstehung und Aussageentwicklung (cc). Eine vorsätzliche Falschbelastung ist zur Überzeugung der Kammer ebenso ausgeschlossen wie eine Falschaussage als Ergebnis eines auto- oder fremdsuggestiven Prozesses (dd).
aa) Zunächst steht für das Gericht die uneingeschränkte Aussagetüchtigkeit des Nebenklägers außer Frage. Es haben sich in der Beweisaufnahme keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Geschädigte S nicht in der Lage sein könnte, ein Geschehen angemessen wahrzunehmen, über längere Zeit im Gedächtnis zu bewahren und verständlich zu schildern.
bb) S war in seiner Person auch glaubwürdig. Er hinterließ bei der Kammer einen authentischen und wahrhaftigen Eindruck, auch weil er keinen Belastungseifer an den Tag legte. Er relativierte vielmehr in der Hauptverhandlung teilweise seine Angaben zu Gunsten des Angeklagten, indem er etwa hinsichtlich des zweiten Tatgeschehens, das im Rahmen des Ermittlungsverfahrens relativ pauschal geschildert worden war („war ähnlich dem ersten Vorfall“), angab, dass er nicht mehr mit Sicherheit sagen könne, ob es beim Angeklagten zum Samenerguß gekommen sei und ob er auch in diesem Fall den Angeklagten oral habe befriedigen müssen. Der Leiter der Ermittlungen KHK R erklärte, es habe keine Anhaltspunkte für eine Unglaubwürdigkeit des Geschädigten gegeben.
cc) Auch an der Glaubhaftigkeit der Schilderungen des Nebenklägers bestehen für die Kammer keine Zweifel. S machte seine detaillierten Angaben im Rahmen der Vernehmung in der Hauptverhandlung ruhig und ohne erkennbaren Belastungseifer. Er war sichtlich bemüht, sich so gut wie möglich zu erinnern und stellte auch klar, wenn er sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern konnte, insbesondere hinsichtlich des zweiten Tattages. Seine in sich widerspruchsfreien Angaben waren gut nachvollziehbar.
Die Angabe des zentralen Kerngeschehens – der Vornahme der sexuellen Handlungen des Angeklagten an dem Nebenkläger, insbesondere die orale und anale Penetration des Geschädigten beim 1. Vorfall – erfolgte durch den Nebenkläger in den wesentlichen Teilen im Rahmen der schriftlichen Erklärung per Mail vom 30.03.2018 – der Zeuge HKH R gab den Inhalt im Rahmen seiner Ausführungen zur Verfahrenseinleitung wieder -, der Vernehmung bei der KPI R vom 06.06.2018 und im Rahmen der Hauptverhandlung gleich. Der Geschädigte legte somit eine klare Aussagekonstanz an den Tag. Kleinere Abweichungen waren nachvollziehbar, etwa die Angaben des Geschädigten, den genauen zeitlichen Ablauf der sexuellen Handlungen nicht mehr schildern zu können.
Der Nebenkläger brachte bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung viele Details spontan, ohne längeres Überlegen und ohne Anzeichen erhöhter gedanklicher Anstrengungen hervor. Er ergänzte und präzisierte seinen Aussagebericht ferner auf Nachfragen der Kammer, der Nebenklägervertreterin und des Verteidigers spontan und in schlüssiger Weise. Er konnte Details zu den Tatvorwürfen schildern, beim ersten Tatvorwurf etwa die Vornahme von „Doktorspielen“ auf einem Stuhl, die anschließende Verlagerung des Geschehens auf einen Tisch in liegender Position und sodann das anale Eindringen durch den Angeklagten, wobei er sich in einer über den Tisch gebeugten Position befunden habe.
Dass sich der Geschädigte, was insbesondere den Tatvorwurf vom 07.08.2009 anbelangt, im Rahmen der Hauptverhandlung nicht an alle Details erinnern konnte, schmälert die Glaubhaftigkeit seiner Angaben nicht. Er hat nachvollziehbar angegeben, in einer Art Film „neben sich gestanden“ zu sein und erst nach Beendigung der sexuellen Handlungen durch den Angeklagten wieder „aufgewacht“ bzw. zu sich gekommen zu sein.
Die Kammer ist angesichts der Angaben des Nebenklägers auch davon überzeugt, dass es nicht lediglich zu einer oralen Befriedigung des Penis des Geschädigten durch den Angeklagten gekommen ist, wie dieser angab, sondern dass am 06.08. der orale und anale Verkehr durch den Angeklagten am Geschädigten bis zum Samenerguss auf dem Oberkörper des S vollzogen wurde und am 07.08.2009 jedenfalls der anale Verkehr durch den Angeklagten am Geschädigten ausgeführt wurde. Obgleich der Angeklagte dies in der Hauptverhandlung abgestritten hat, glaubt die Kammer insofern dem Geschädigten. Nachvollziehbar und detailbasiert schilderte der Geschädigte den Geschehensablauf am ersten Tattag und gab an, dass es bei der zweiten Tat ähnlich abgelaufen sei. Insbesondere aufgrund der Angaben zu den Schmerzen im Afterbereich, die sich nach Angaben des Geschädigten am 07.08.2009 nach der Tat noch deutlich verschlimmert haben, erachtet die Kammer den dahingehenden Vorwurf der analen Penetration als besonders glaubhaft.
Die Kammer ist zudem davon überzeugt, dass der Angeklagte jedenfalls am ersten Tattag auf den Oberkörper des Geschädigten ejakuliert hat, da dieser nachvollziehbar und schlüssig angab, etwas klebriges habe sich auf seinem Oberkörper befunden. Er habe sich zu Hause geduscht.
Für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Geschädigten, insbesondere zu einem analen Eindringen durch den Angeklagten an beiden Tattagen, sprechen auch die Angaben des Angeklagten selbst im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung vom 18.10.2018, die durch die uneidliche Vernehmung des Zeugen KHK R in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Der Polizeibeamte erklärte, der Angeklagte habe ihm gegenüber die Vornahme von Analverkehr am Geschädigten zumindest bei einem Vorfall eingeräumt, wobei es der Angeklagte auch für möglich gehalten habe, dass es an beiden Tagen zum Analverkehr gekommen sei. Zwar sei dieser aufgrund der Hör- und Spracheinschränkung teils schwer zu verstehen gewesen, er habe jedoch mehrfach nachgehakt und den Angeklagten gefragt, ob er seinen Penis in den After des Geschädigten eingeführt habe, was dieser bejaht habe. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte, der durch Lippenablesen Gesprächen ohne weiteres folgen kann (wovon sich die Kammer in der Hauptverhandlung selbst ein Bild machen konnte), den polizeilichen Vernehmungsbeamten KHK R nicht oder falsch verstanden hat. Entsprechendes hat der Angeklagte auch nicht geltend gemacht.
Dem steht nicht entgegen, dass den Personen im näheren Umfeld des Geschädigten von dessen Verletzungen und Folgewirkungen unmittelbar nach den Taten nichts aufgefallen ist. Der Nebenkläger schilderte nachvollziehbar, dass er seine Verletzungen vor allem im Analbereich gegenüber den Arbeitskollegen und Familienangehörigen habe verbergen wollen. Er habe die Geschehnisse bei sich „verschlossen wie in einem Tresor“. Zudem schilderte er, aufgrund der Aufforderungen des Angeklagten, niemandem etwas davon zu erzählen, Angst gehabt zu haben. Damit ist auch zwanglos sein zurückhaltendes, den „Schein wahrendes“ Verhalten bei der Schlussbesprechung seines Praktikums mit der Chefin in Einklang zu bringen. Insofern ergibt sich für die Kammer ein geradezu typisches Tatfolgeverhalten des Geschädigten einer Vergewaltigung, geprägt von Unverständnis, Angst, Scham und Überforderung.
Nachvollziehbar ist angesichts dessen auch, dass der Geschädigte seine spätere Freundin, die Zeugin K – wie der Geschädigte im Rahmen seiner Vernehmung angab – angelogen hat, als er dieser gegenüber angab, wegen der Verletzungen am Penis beim Arzt gewesen zu sein, welcher dann gesagt habe, er solle künftig besser aufpassen. Der Geschädigte führte insoweit aus, dass diese Behauptung in der damaligen Situation die schnellste Möglichkeit gewesen sei, das ihm unangenehme Gesprächsthema wieder verlassen zu können.
Auch die Schilderungen gegenüber seiner Patentante, der Zeugin KL, stehen einer Glaubhaftigkeit seiner Angaben nicht entgegen. Zwar schilderte er dieser gegenüber – wie auch die Zeugin KL bestätigen konnte – einen Übergriff, der völlig von dem tatsächlichen Geschehen abweicht (er sei auf dem Heimweg in ein Auto gezerrt worden und mit einer Waffe bedroht worden, wolle dies aber nicht zur Anzeige bringen). Die Entfremdung des Sachverhaltes lässt sich aber zwanglos damit erklären, dass der Geschädigte einerseits zwar Gesprächsbedarf hatte, offensichtlich aus Scham aber nicht über das tatsächliche Geschehen sprechen wollte – gegenüber der Zeugin KL, wie diese bekundete, hat er entsprechend auch eine von dieser angeregte Anzeigenerstattung abgelehnt.
Die spätere Offenbarung gegenüber der K spiegelt bereits den Kernbereich des tatsächlichen Tatvorwurfs wieder. Dieser gegenüber, wie die unvereidigte Zeugin K bekunden konnte, schilderte er bereits Anal- und Oralverkehr durch einen Mann im Rahmen eines Praktikums als Lagerist. Dieser gegenüber gab er auch an, es sei zweimal passiert und der Täter sei mit einem Arztkittel und Stethoskop verkleidet gewesen. Diese Schilderungen, die sich im Kernbereich mit den Angaben gegenüber der Polizei (E-Mail vom 30.03.2018 und Vernehmung vom 06.06.2018) und in der Hauptverhandlung decken, sprechen letztlich für eine Erlebnisfundierung der Angaben des Nebenklägers.
Auch die – teilweise – Offenbarung gegenüber seiner Mutter bzw. Pflegemutter, der Zeugin S, welcher er nach Eintritt der Volljährigkeit von einem Zwischenfall im Rahmen seines Praktikums bei der Fa. EM berichtete, spricht für die Glaubhaftigkeit des Geschädigten. Er machte dabei – so die Zeugin S2. S – einen aufgewühlten Eindruck, den sie aber in der damaligen Situation vornehmlich auf einen eingegangenen Brief der leiblichen Mutter des Geschädigten zurückführte.
dd) Ausgehend von der sog. Nullhypothese hat das Gericht schließlich auch kritisch geprüft, ob es sich bei der Aussage des Nebenklägers, den Vorwurf des oralen und analen Eindringens betreffend, um eine intentionale Falschaussage oder das Ergebnis eines auto- oder fremdsuggestiven Prozesses handeln könnte. Jede dieser Untersuchungshypothesen kann jedoch mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
(1) In Anknüpfung an die vorstehenden Erörterungen schließt die Kammer zunächst aus, dass der Nebenkläger den Angeklagten bewusst zu Unrecht der oralen und analen Penetration zu seinen Lasten bezichtigt. Ein durchgreifendes Motiv, den Angeklagten insofern zu Unrecht zu belasten, ist nicht gegeben. Insbesondere sprechen die Differenziertheit sowie die Entstehung und Entwicklung der Aussage des Nebenklägers (etwa das zögerliche Offenbarungsverhalten gegenüber Dritten) für eine unvoreingenommene Aussagehaltung und gegen eine intentionale Falschaussage aus einem unsachlichen Motiv. Der Angeklagte war dem Geschädigten vor den Taten völlig unbekannt, auch danach gab es keinerlei Kontakt mehr, wie sich aus den Angaben sowohl des Angeklagten als auch des Geschädigten ergab.
(2) Auch für eine objektiv unwahre Aussage des Zeugen S bezüglich der oben aufgeführten Punkte als Ergebnis eines auto- oder fremdsuggestiven Prozesses fanden sich keine Anhaltspunkte.
Der Geschädigte machte in seinen Angaben gegenüber der Polizei sowie in der Hauptverhandlung konsistente Angaben zum Tatgeschehen. Bereits gegenüber der Zeugin K hatte er den Kernvorwurf (anales und orales Eindringen in den Körper des Geschädigten im Rahmen seines Praktikums bei der Fa. EM in H) offenbart. Für eine Einflussnahme und Einwirkung von dritter Seite auf die Entstehung und die Inhalte der Aussage des Nebenklägers ist nichts ersichtlich. Die Zeugen K und Susanne S schilderten glaubhaft die Umstände, wie es zur Offenbarung des Nebenklägers ihnen gegenüber gekommen ist.
4. Feststellungen zum Tatort
Von den örtlichen Verhältnissen am Tatort hat sich die Kammer im Rahmen der Beweisaufnahme ein Bild gemacht durch Inaugenscheinnahme von Lichtbildern der Lagerhalle und der dortigen Räumlichkeiten. Aus diesen ist insbesondere auch ersichtlich, dass sich in der Lagerhalle keine bzw. kaum Fenster befinden, was zu einer starken Verdunkelung bei Abschalten des Lichts führt. Außerdem zeigen die Bilder die Weitläufigkeit der Halle, woraus sich für die Kammer nachvollziehbar die seitens des Geschädigten geschilderte Zwecklosigkeit von Hilferufen ergibt.
5. Feststellungen zum subjektiven
Tatbestand:
Dem Angeklagten war nach seiner eigenen Einlassung bekannt, dass es sich bei dem Geschädigten um einen Jugendlichen handelte, obgleich er nicht von einem 14-jährigen sondern einem 16-jährigen ausging.
Ergänzend hat sich die Kammer insofern ein Bild gemacht durch Inaugenscheinnahme der Lichtbilder, die den Geschädigten S im Jahr 2009 zeigen. Er war aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes offensichtlich als Jugendlicher erkennbar.
Aufgrund seiner eigenen Angaben war es dem Angeklagten auch bewusst, dass er bei beiden Taten gegen den Willen des S handelte. Dem Angeklagten war aufgrund der Tatsache, dass er den Geschädigten jeweils kurz vor Feierabend in einer dunklen, ansonsten leeren Lagerhalle in einen abgeschiedenen Raum verbrachte, auch bewusst, dass sich der Geschädigte der Situation jeweils nicht entziehen konnte. Im Hinblick auf die zweimalige identische Vorgehensweise kam die Kammer auch zur Überzeugung, dass der Angeklagte bewusst die für den Geschädigten ausweglosen Situationen herbeigeführt hat, insbesondere auch durch Verdunklung der Lagerhalle.
IV. Feststellungen zu den Folgen der Tat
Die Feststellungen zu den Schmerzen des Angeklagten nach den beiden Taten, insbesondere im Analbereich, am Penis (betrifft den zweiten Tattag) und am Kopf, beruhen auf den glaubhaften Angaben des Nebenklägers S. Hinsichtlich der Verletzungen am Penis ergeben sich die Feststellungen darüber hinaus aus den Angaben der Zeugin K, der gegenüber der Geschädigte von seinen Verletzungen berichtet hatte.
Die Feststellungen zu den psychischen Folgen beim Geschädigten, insbesondere die Angst vor dunklen Räumen (Keller), die Krampfanfälle, die Probleme bei Sexualität in der Beziehung sowie die Unfähigkeit sich von männlichen Ärzten, die einen Arztkittel tragen, behandeln zu lassen und allgemeine Probleme bei Arztbesuchen (v.a. beim Berühren im Intimbereich) ergeben sich ebenfalls aus den Angaben des Nebenklägers sowie der Zeugin K.
V. Feststellungen zur voll erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten
Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten haben sich weder in der Verhandlung noch im Laufe des Ermittlungsverfahrens ergeben. Nach den Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. V ist der psychopathologische Querschnittsbefund eindrücklich von der Höreinschränkung des Angeklagten geprägt. So habe der bei dem Angeklagten durchgeführte sprachgestützte Kurzintelligenztest (Mehrfach-Wortschatz-Wahltest – MWT-B) zwar eine unterdurchschnittliche Intelligenz gezeigt – der Proband habe 18 von maximal 37 möglichen Punkten erreicht was einem IQ von 86 entspreche -, die aber keinesfalls so weit gehe, dass von einem Schwachsinn (d.h. einer Intelligenzminderung nach ICD-10 bei einem Intelligenzquotienten von unter 70) gesprochen werden könnte. Zu berücksichtigen sei hierbei noch zusätzlich, dass gerade dieser Test angesichts der Höreinschränkung das intellektuelle Leistungsvermögen tendenziell zu niedrig einordne. Dies werde letztlich auch durch den bisherigen Schul-, Ausbildungs- und Berufsweg des Angeklagten bestätigt.
Aufgrund der nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. V liegt auch keine schwere Pädophilie vor, die zur Annahme einer „anderen seelischen Abartigkeit“ führen würde. Angesichts der Partnerschaft des Angeklagten mit einem erwachsenen Mann sowie eines Zeitraums von knapp 10 Jahren seit den Tatgeschehen, in dem keine anderen Vorfälle bekannt wurden, sei ein sexueller Drang im Sinne einer stabilen sexuellen Orientierung auf Kinder, die sich im vorpubertären oder einem frühen Stadium der Pubertät befinden, beim Angeklagten nicht zu diagnostizieren. Beim Angeklagten habe zum Tatzeitpunkt allenfalls eine „Notpädophilie“ vorgelegen in dem Sinn, dass der Angeklagte mangels anderweitigen Sexualpartners auf den Geschädigten zurückgegriffen hat, um seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Dies führe aber weder zur Verminderung noch zur Aufhebung der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit gem. §§ 20, 21 StGB.
Da somit zu den jeweiligen Tatzeiten bereits die Eingangskriterien der §§ 20, 21 StGB aus medizinischer Sicht nicht gegeben waren, sei aus psychiatrischer Sicht die Steuerungs- und die Einsichtsfähigkeit in das Unrecht des Tuns beim Angeklagten unverändert gegeben gewesen. Dies zeige sich letztlich auch an dem planvollen Vorgehen des Angeklagten bei Durchführung der Taten (Abschalten des Lichtes, Locken des Geschädigten in ein dunkles Zimmer, Abwarten bis der Angeklagte mit dem Geschädigten allein ist).
Die Kammer schließt sich den Ausführungen des gerichtsbekannt sorgfältig und gewissenhaft arbeitenden Sachverständigen, gegen dessen Sachkunde auch die übrigen Verfahrensbeteiligten nichts erinnert haben, an und macht sich diese nach kritischer Prüfung zu eigen. Der forensisch sehr erfahrene Sachverständige hat nachvollziehbar hergeleitet und begründet, dass bei dem Angeklagten eine Beeinträchtigung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht gegeben ist. Es ist kein Umstand ersichtlich, der zu einer abweichenden Beurteilung Anlass geben könnte.
D. Rechtliche Würdigung
Der Angeklagte hat sich durch die Tathandlungen in den unter B. geschilderten Fällen der Vergewaltigung zugleich mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in zwei tatmehrheitlichen Fällen schuldig gemacht, §§ 177 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 13.11.1998, 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 31.10.2008, 52, 53 StGB.
Der Angeklagte hat dabei den Geschädigten zum einen mit Gewalt genötigt, indem er diesen mit einigem Kraftaufwand in den Raum verbrachte und zum anderen zur Vornahme der Tathandlungen mit entsprechendem Druck auf den Oberkörper fixierte .
Durch das Abschalten des Lichtes in der Lagerhalle und das Verbringen in einen abgeschiedenen Raum in der Lagerhalle sowie das Ausnutzen der Situation kurz vor Feierabend, in welcher sich außer dem Angeklagten und dem Geschädigten keine weiteren Mitarbeiter der Fa. EM mehr in der Halle befanden, hat der Angeklagte zudem eine Lage ausgenutzt, in der S seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.). Die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers waren in einem solchen Maß verringert, dass es dem ungehemmten Einfluss des Angeklagten preisgegeben war (vgl. BGH, NStZ 2006, 165; BGH, NStZ 1999, 130).
Sowohl durch die Handlungen vom 06.08.2009 als auch vom 07.08.2009 hat der Angeklagte das Regelbeispiel der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a.F. verwirklicht, da die vorgenommenen sexuellen Handlungen jeweils mit einem oralen und analen Eindringen in den Körper verbunden waren.
Tateinheitlich hat der Angeklagte jeweils den Geschädigten als eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen hat (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Der Geschädigte war zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt und somit Jugendlicher im Sinne des § 182 Abs. 1 StGB. Dem Angeklagten war bekannt, dass der Geschädigte das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Eine Verjährung ist angesichts der Ruhensregelung des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB (zunächst bis zum 21. Lebensjahr, mit Fassung vom 20.11.2015 schließlich bis zum 30. Lebensjahr) nicht eingetreten.
Hinsichtlich des jeweils tateinheitlich verwirklichten Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung (§§ 223 Abs. 1, 230 StGB) ist dagegen Verjährung eingetreten, § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB.
E. Rechtsfolgen
I. Strafausspruch
1. Strafrahmen
a) Regelstrafrahmen
Der Regelstrafrahmen ergibt sich zunächst für beide Taten aus § 177 Abs. 1 StGB a.F., der Freiheitsstrafe von 1 Jahr bis 15 Jahren vorsieht, wobei angesichts des verwirklichten Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a.F. konkret der Rahmen dem § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB zu entnehmen ist, der auf Freiheitsstrafe von 2 Jahren bis 15 Jahren lautet.
Außergewöhnliche Umstände, die bei Gesamtabwägung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte der vorliegenden Taten zu einer Widerlegung der Indizwirkung des erfüllten Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a.F. führen, sind bei beiden Tatkomplexen nicht gegeben. Insbesondere heben sich die vorliegenden Vergewaltigungen auch nicht deutlich vom Regeltatbild des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a.F. nach unten ab. Der Angeklagte hat jeweils analen Geschlechtsverkehr ausgeübt, zudem in einem Fall den oralen Geschlechtsverkehr an sich ausführen lassen, bzw. im anderen Fall den oralen Verkehr am Geschädigten ausgeführt und damit das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB a.F. zweifach verwirklicht (vgl. BGH NStZ 1999, 186). Die Vergewaltigung war in beiden Fällen von nicht unerheblicher Intensität (der Geschädigte erlitt erhebliche Schmerzen vor allem im Analbereich) und Dauer (mindestens 15 Minuten). Der Geschädigte hat erhebliche physische und psychische Folgewirkungen davongetragen, leidet noch immer unter Krampfanfällen, hat Angst in der Dunkelheit, vor allem in Kellerräumen und ist bis heute nicht in der Lage sich von Ärzten im Arztkittel untersuchen zu lassen.
Demgegenüber haben die zugunsten des Angeklagten anzuführenden Umstände, d.h. sein Teilgeständnis, dessen Straffreiheit, eine von Reue und Schuldeinsicht geprägte Entschuldigung gegenüber dem Geschädigten und die Tatsache, dass die Taten lange zurückliegen (nahezu 10 Jahre) auch in Zusammenschau mit dem in der Hauptverhandlung abgeschlossenen Teilvergleich über 9.000 € auf die Schmerzensgeldansprüche des Geschädigten kein derartiges Gewicht, dass es nach umfassender Abwägung zu einem Entfallen der Regelwirkung führen würde und es somit bei dem Strafrahmen von 2 Jahren bis 15 Jahren verbleibt.
Einen milderen Sanktionskorridor sieht auch § 177 Abs. 6 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB in der Fassung vom 04.11.2016 nicht vor (§ 2 Abs. 3 StGB).
b) keine Milderung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB
Die Voraussetzungen für eine Strafmilderung aufgrund eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB liegen nicht vor.
aa) Zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB muss der Täter im Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat „ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gutgemacht“ haben, wobei es aber ausreichend sein kann, dass der Täter dieses Ziel ernsthaft erstrebt. Das „Bemühen“ setzt grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Dafür ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung Voraussetzung. Das Bemühen des Täters muss Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer muss die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt dazu nicht. Es genügt also regelmäßig nicht, wenn sich der Täter für die Tat entschuldigt (vgl. Heintschel-Heinegg in: Beck´scher Onlinekommentar zum StGB, 41. Edition, Stand: 01.02.2019, § 46a Rn. 20 m.w.N.).
An einem entsprechenden kommunikativen Prozess, der über die Entschuldigung hinausgeht, fehlt es vorliegend zwischen dem Angeklagten und dem Geschädigten S. Zwar gab es eine schriftsätzliche Korrespondenz zwischen dem Verteidiger des Angeklagten und der Prozessbevollmächtigten des Geschädigten als Nebenkläger, die Kammer hat insoweit die entsprechenden Schreiben im Rahmen der Hauptverhandlung verlesen. Der Geschädigte hat jedoch von vornherein deutlich gemacht, dass er für einen Täter-Opfer-Ausgleich gemäß § 46a Nr. 1 StGB nicht bereit ist und ebenso wenig eine Entschuldigung des Angeklagten akzeptieren wird.
Soweit sich der Angeklagte zur Zahlung eines (Teil-)Schmerzensgeldbetrages von 9.000,00 EUR bereit erklärt hat und der Angeklagte und der Geschädigte in der Hauptverhandlung einen Teilvergleich geschlossen haben, machte der Geschädigte deutlich, dass hierin kein kommunikativer Prozess im Sinne von § 46a StGB zu sehen ist, sondern lediglich eine Titulierung der ihm ohnehin zustehenden zivilrechtlichen Ansprüche.
Im Übrigen hat der Angeklagte, der zunächst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beim ermittelnden Polizeibeamten KHK R Analverkehr zumindest teilweise eingeräumt hat, mit dem Prozessverhalten in der Hauptverhandlung deutlich gemacht, dass er gerade keine vollständige Verantwortung für seine Taten übernehmen will.
bb) Auch die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Die Vorschrift betrifft vorwiegend den materiellen Schadensausgleich, während hier allenfalls immaterielle Schadensersatzansprüche (Schmerzensgeld) in Frage stehen. Darüber fehlt es auch insofern an einem kommunikativen Prozess, der über die Entschuldigung bei dem Geschädigten hinausgeht.
2. Strafzumessung
Bei der Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat die Kammer innerhalb der hiernach maßgeblichen Strafrahmen jeweils unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 46 StGB alle zuvor im Rahmen der Strafrahmenwahl genannten Strafzumessungskriterien nochmals herangezogen und geprüft. Im Einzelnen wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
Darüber hinaus war zu Gunsten zu berücksichtigen, dass das Teilgeständnis jedenfalls eine zeitlich kürzere Einvernahme des sichtlich belasteten Geschädigten ermöglicht hat. Der Angeklagte ist nicht vorbestraft und hat eine von Reue und Schuldeinsicht geprägte Entschuldigung gegenüber dem Geschädigten abgegeben. Die Taten liegen bereits sehr lange (nahezu 10 Jahre) zurück. Außerdem ist der hörgeschädigte Angeklagte als besonders haftempfindlich einzustufen (und war dies auch bereits in der Untersuchungshaft). Zudem hat sich der Angeklagte – obgleich dies nicht die Voraussetzungen des § 46a StGB erfüllt (s.o.) – zur Zahlung eines Teilschmerzensgeldes in Höhe von 9.000,00 EUR im Vergleichswege verpflichtet und bereits auf das Anderkonto seines Verteidigers – wie dieser bestätigte – eingezahlt. Er ist bereit therapeutische Hilfe anzunehmen und hat dies auch bereits – wie der Sachverständige Prof. Dr. V ausgeführt hat – wegen eines von ihm begangenen Übergriffs in der Vergangenheit getan. Beim zweiten Vorfall war die Hemmschwelle des Angeklagten angesichts des erfolgreichen Vorgehens am Vortag bereits herabgesetzt.
Zu seinen Lasten war außerdem der Umstand zu berücksichtigen, dass in beiden Fällen § 177 Abs. 1 StGB a.F. in 2 Alternativen verwirklicht wurde, ebenso, dass in beiden Fällen tateinheitlich zwei Delikte verwirklicht wurden, wenn auch der Verwirklichung des § 182 StGB hierbei angesichts des massiven Vorgehens im Rahmen der Vergewaltigung und der Tatsache, dass bereits im Rahmen des § 177 Abs. 1 StGB a.F. das Merkmal des Ausnutzens einer schutzlosen Lage erfüllt wurde, kein eigenständiges Gewicht mehr zukam. Im ersten Fall wurde der Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß vollzogen, im zweiten Fall waren die Verletzungsfolgen gravierender.
Unter Berücksichtigung dieser für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände sowie sämtlicher weiterer sich aus § 46 Abs. 1, Abs. 2 StGB ergebenden Strafzumessungsgründe sind nach Überzeugung der Kammer folgende Einzelstrafen tat- und schuldangemessen:
Tat vom 06.08.2009 (Fall B.I.): Freiheitsstrafe von 4 Jahren Tat vom 07.08.2009 (Fall B.II.): Freiheitsstrafe von 4 Jahren
3. Gesamtstrafenbildung
Unter nochmaliger Gesamtabwägung sämtlicher Strafzumessungsgesichtspunkte gemäß § 54 Abs. 1 S. 2, 3 StGB, wobei zugunsten des Angeklagten insbesondere sein Teilgeständnis und dessen bisherige Straffreiheit, zu seinen Lasten vor allem die erheblichen Tatfolgen bei dem Geschädigten berücksichtigt wurde, ist nach Überzeugung der Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren tat- und schuldangemessen und als – nach den Tatbildern der beiden Vorfälle – Mindestmaß schuldgerechten Ausgleichs (§ 46 Abs. 1 StGB) geboten.
II. Maßregeln der Besserung und Sicherung
1. Keine Unterbringung nach den §§ 63, 64 StGB
Mangels Vorliegen der Eingangsvoraussetzungen der §§ 20, 21 StGB kommt eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht in Betracht. Die Kammer folgt dabei den nachvollziehbaren, schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. V.
Für eine Unterbringung einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB fehlt es bei dem Angeklagten bereits am Vorliegen eines Hangs alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen.
2. Keine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB
Auch eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gem. § 66 StGB scheidet bei dem Angeklagten aus, da ein Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB bei dem Angeklagten nicht festgestellt werden kann.
Anhand der Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten konnte kein „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ gem. § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB abgeleitet werden. Seit den hier abgeurteilten Taten aus dem Jahr 2009 sind neben einem Übergriff, bei dem das Opfer fliehen konnte (ebenfalls aus dem Jahr 2009) keine weiteren, ähnlichen Taten bekannt geworden. Nach dem individuellen Risikoprofil des Angeklagten ist bei der Rückfallprognose ein niedriges bis sehr niedriges Risiko anzunehmen – auch diesbezüglich folgt die Kammer uneingeschränkt den plausiblen und gut nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. V.
F. Kostenentscheidung
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 464 Abs. 1, Abs. 2, 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.