IT- und Medienrecht

Kein deliktischer Schadensersatzanspruch gegen Hersteller auf merkantilen Minderwert eines abgasmanipulierten Fahrzeugs

Aktenzeichen  21 U 90/19

Datum:
17.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40773
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249, § 823 Abs. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Der Käufer eines von einer Abgasmanipulation betroffenen Fahrzeugs kann vom Hersteller als Schadensersatz wegen unerlaubter Handlung nur sein negatives Interesse ersetzt bekommen. Er kann deshalb lediglich fordern, so gestellt zu werden, als hätte er den Pkw nicht gekauft. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Will der Käufer das Fahrzeug aber behalten und daneben den ihm aus dem Erwerb entstandenen Schaden (hier den merkantilen Minderwert) ersetzt erhalten, ist sein Begehren in der Sache darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als hätte er einen Kaufvertrag über ein nicht manipuliertes Fahrzeug abgeschlossen und er begehrt damit das Erfüllungsinteresse. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

53 O 2009/17 2018-12-03 Endurteil LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 03.12.2018, Az. 53 O 2009/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17.06.2019.

Gründe

I.
Im Streit ist ein Anspruch auf Schadensersatz, insbesondere in Höhe des merkantilen Minderwerts, den die Eigentümerin eines abgasmanipulierten Fahrzeugs gegen die Herstellerin geltend macht.
1. Die Klägerin erwarb am 12.11.2010 einen Audi Q5 SUV 2.0 TDI quattro über das … Zentrum
… GmbH für € 37.596,99.
Das streitgegenständliche Fahrzeug war mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und damit vom sogenannten Abgasskandal betroffen. Nach Einschreiten des Kraftfahrtbundesamts im Rahmen des Abgasskandals wurde auf Kosten der Beklagten am Fahrzeug der Klägerin ein Softwareupdate vorgenommen.
Im Übrigen wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen gemäß § 540 ZPO auf das Urteil Bezug genommen.
2. Das Landgericht hat mit Urteil vom 03.12.2018 (vgl. Bl. 174/182 d.A.) die Klage abgewiesen, und zwar den Feststellungsantrag zu Ziffer 3. bereits als unzulässig und die Anträge zu den Ziffern 1. und 2. als unbegründet.
Kaufrechtliche Ansprüche scheiterten bereits daran, dass die Beklagte unstreitig nicht Verkäuferin im Verhältnis zur Klägerin gewesen sei. Etwaige deliktische Ansprüche gingen letztlich ins Leere, da der Ersatz eines merkantilen Minderwerts im Rahmen deliktischer Ansprüche nicht geschuldet sei, weil entsprechend der anzuwendenden Differenzhypothese ein Ausgleich des Erfüllungsinsteresses, also des positiven Interesses nicht beabsichtigt sei.
3. Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin (vgl. Berufungsbegründung vom 06.02.2019, Bl. 189/197 d.A.).
Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, sie habe einen Anspruch auf Ersatz des merkantilen Minderwerts des Fahrzeugs in Höhe von wenigstens 10% des Kaufpreises, also auf einen Betrag von mindestens € 3.759,70. Auch sei der Feststellungsantrag zulässig und begründet, da über die technischen Auswirkungen der Nachrüstung und die Folgen für die Werthaltigkeit der betroffenen Fahrzeuge selbst unter Fachleuten unterschiedliche Auffassungen bestünden.
Jedenfalls habe die Beklagte der Klägerin durch die Manipulation des Fahrzeugs in sittenwidriger Weise vorsätzlich Schaden zugefügt. Auch nach dem Softwareupdate sei das Fahrzeug mit einem erheblichen Mangel behaftet. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein für sie wirtschaftlich nachteiliges Geschäft abgeschlossen. Hätte sie von der Manipulation gewusst, hätte sie das Fahrzeug als Neufahrzeug nicht erstanden.
Die Klägerin stützt ihre Schadensersatzansprüche insbesondere auf §§ 826, 249 ff. BGB sowie auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV.
Die Klägerin beantragt daher in der Berufung:
1. Unter Abänderung des am 03.12.2018 verkündeten und am 06.12.2018 zugestellten Urteils des LG Ingolstadt, Az.: 53 O 2009/17, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag bezüglich des Fahrzeuges Audi Q5 SUV 2.0 TDI quattro, Fahrzeug-Ident-Nr. …, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, der jedoch mindestens € 3.759,70 betragen muss, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.12.2017 zu bezahlen.
2. Unter Abänderung des am 03.12.2018 verkündeten und am 06.12.2018 zugestellten Urteils des LG Ingolstadt, Az.: 53 O 2009/17, festzustellen,
dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin weiteren Schadensersatz, der über den zu Ziffer 1. zu zuerkennenden Betrag hinausgeht, zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation des Abgasreinigungssystems des Fahrzeuges Audi Q5 SUV 2.0 TDI quattro, Fahrzeug-Ident-Nr. …, durch die Beklagte resultieren.
3. Unter Abänderung des am 03.12.2018 verkündeten und am 06.12.2018 zugestellten Urteils des LG Ingolstadt, Az.: 53 O 2009/17, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von € 650,34 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
In ihrer Berufungserwiderung vom 25.04.2019 (vgl. Bl. 204/236 d.A.) stellt sie ausführlich im Hinblick auf die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen dar, warum die klägerischen Ansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 27 EG-FGV bzw. aus § 826 BGB scheiterten.
II.
Der Senat beabsichtigt, sein eingeschränktes Ermessen (“soll“) dahingehend auszuüben, dass er die Berufung des Klägers und damit auch die Klageerweiterung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückweist.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nach derzeitigem Sach- und Rechtsstand eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung, die auch nicht geboten ist, § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wobei ausdrücklich klargestellt wird, dass damit ein negatives Urteil über die Qualität der Berufung nicht verbunden ist. Die Entscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer Rechtsverletzung, § 546 ZPO und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
Der Senat verweist in diesem Zusammenhang auch auf einen Hinweisbeschluss in einem Parallelverfahren (vgl. Beschluss vom 29.04.2019, Az.: 21 U 89/19).
2. Das Urteil des Landgerichts Ingolstadt hält den Berufungsangriffen der Klägerin stand:
2.1. Berufung hinsichtlich der Anträge zu 1. und 2. (Leistungsanträge)
Es soll angesichts höchstrichterlich noch nicht geklärter Fragen im Rahmen des „Dieselskandals“ ausdrücklich offen bleiben, ob die übrigen Voraussetzungen der jeweiligen, insbesondere deliktischen Anspruchsgrundlagen erfüllt sind, weil die Klägerin jedenfalls keinen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses hat.
Die Klägerin steht mit der Beklagten in keinem Vertragsverhältnis. In Betracht kommen daher nur Ansprüche aus Delikt. Nur solche wurden auch geltend gemacht.
Im Falle einer unerlaubten Handlung der Beklagten kann die Klägerin nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aber nicht ihr positives, sondern nur ihr negatives Interesse ersetzt bekommen. Sie kann deshalb lediglich fordern, so gestellt zu werden, als hätte sie den Pkw nicht gekauft (BGH, NJW 2011, 1962, 1963 Rn. 11). Eine Rückabwicklung des Kaufvertrags begehrt die Klägerin aber mit den Anträgen zu 1. und 2. nicht.
Im Einzelnen:
Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist nach der sogenannten Differenzhypothese grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Der nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB (bzw. anderen – vermeintlichen – Schutzgesetzen) oder nach § 826 BGB zum Schadensersatz Verpflichtete hat lediglich den Differenzschaden zu ersetzen. Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Anspruchsinhaber verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse als solche nicht (hierzu mit vielen Nachweisen BGH, Urteil vom 18.01.2011, Az.: VI ZR 325/09).
Die Klägerin kann also – bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen – verlangen, so gestellt zu werden, wie sie stünde, wenn sie nicht über die Manipulation getäuscht worden wäre. Sie könnte also gegebenenfalls beanspruchen, so gestellt zu werden, als habe sie den Kaufvertrag über das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Einen Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages hat sie jedoch in erster Instanz nicht geltend gemacht. Vielmehr will sie das Fahrzeug behalten und daneben den ihr „aus dem Erwerb entstandenen Schaden“ ersetzt erhalten. In der Sache ist ihr Begehren mithin darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als hätte sie einen Kaufvertrag über ein nicht manipuliertes Fahrzeug abgeschlossen. Damit beansprucht sie aber das Erfüllungsinteresse, denn sie möchte im Ergebnis so gestellt werden, als hätte der Verkäufer den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt. Ein solcher Anspruch steht ihr jedenfalls gegenüber der Beklagten als Dritter nach den für Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gemäß § 249 Satz 1 BGB maßgebenden Grundsätzen der Differenzhypothese nicht zu.
Allerdings muss der Differenzschaden nicht notwendigerweise geringer sein als das positive Interesse des Geschädigten an der Vertragserfüllung. So ist anerkannt, dass die Anwendung der Differenzhypothese in dem Fall, in dem der Geschädigte nachweist, dass er ohne die für den Abschluss des Vertrages ursächliche Täuschungshandlung einen anderen, günstigeren Vertrag – mit dem Verkäufer oder einem Dritten – abgeschlossen hätte, im Ergebnis das Erfüllungsinteresse verlangen kann, und zwar deswegen, weil der Schaden in diesem Ausnahmefall dem Erfüllungsinteresse entspricht (BGH, aaO Rn. 10).
Die Klägerin müsste also nachweisen können, dass sie ohne die Manipulation ein anderes Fahrzeug gekauft hätte, welches den behaupteten Wertverlust nicht erlitten hätte. Hierzu findet sich kein substanziierter Vortrag.
2.2. Berufung hinsichtlich Antrag 3. (Feststellungsantrag)
Das Landgericht hat zutreffend den Antrag zu 3. als unzulässig zurückgewiesen. Dabei hat es zum einen festgestellt, der Klageantrag sei zu unbestimmt, und zum andern ausgeführt, dass die weiteren Schäden nicht hinreichend substanziiert seien. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand:
Der Feststellungsantrag ist nicht bestimmt genug. Auch eine Feststellungsklage muss den Anforderungen des § 253 ZPO genügen. Insbesondere muss der Klageantrag im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt sein, denn der Umfang der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft muss feststehen. Die erforderliche Bestimmtheit verlangt, dass das festzustellende Rechtsverhältnis genau bezeichnet wird. Dazu genügt es, dass die Klägerin die rechtsbegründenden Tatsachen näher angibt. Soweit es sich um Schadensersatzansprüche handelt, ist eine bestimmte Bezeichnung des zum Ersatz verpflichtenden Ereignisses erforderlich (BGH, Urteil vom 10.01.1983, Az.: VIII ZR 231/81, Rn. 39 ff. mwN, juris).
Das Landgericht hat aus Sicht des Senats zutreffend angenommen, dass der Antrag, mit welchem die Feststellung begehrt werden sollte, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerin Ersatz zu leisten „für Schäden, die aus der Manipulation des Abgasreinigungssystems“ des streitgegenständlichen Fahrzeugs resultieren, nicht bestimmt genug ist. Der Antrag lässt offen, woraus sich überhaupt eine Schadensersatzpflicht ergeben soll. Das Gericht hat zwar im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) auf sachdienliche Anträge hinzuwirken und gegebenenfalls auch auf Bedenken gegen unbestimmte Anträge aufmerksam zu machen. Einen solchen Hinweis hat die Klägerin aber spätestens durch das erstinstanzliche Urteil erhalten, in dem ihr Feststellungsantrag bereits mangels Bestimmtheit als unzulässig abgewiesen worden ist. Dennoch hat sie ihren Antrag im Berufungsverfahren nicht geändert, sondern verfolgt den ursprünglichen Antrag weiter. Das Landgericht hatte erstinstanzlich auch entsprechende Hinweise erteilt.
III.
Der Senat erwägt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf € 6.259,70 festzusetzen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 17.06.2019.
Der Klägerin wird zur Vermeidung weiterer Kosten die Berufungsrücknahme anheimgestellt.
.. Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Richterin am Oberlandesgericht Richterin am Oberlandesgericht München, 17.05.2019 Oberlandesgericht München
1. Beschluss vom 17.05.2019 hinausgeben an:
… Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht

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