Aktenzeichen M 15 K 18.32137
Leitsatz
1. Wennn es sich bei der schwierigen ökonomischen Situation um eine Gefahre, die einen Großteil der Bevölkerung betrifft, begründet diese für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2. Angesichts des sich aus aktuellen und allgemeinkundigen Quellen ergebenden Umstands, dass Diabetes mellitus auch in Nigeria eine Volkskrankheit ist, geht mit dieser Krankheit eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung Nigerias einher, die grundsätzlich einer Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG vorbehalten ist (Anschluss an VG München BeckRS 2018, 30582) (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2019 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Soweit die Klage hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte gemäß Art. 16a Grundgesetz zurück genommen wurde, ist das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 VwGO.
Die im Übrigen aufrecht erhaltene Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, des subsidiären Schutzstatus oder auf die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Verbindung mit Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Auch gegen die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2, 3 AufenthG auf 30 Monate bestehen keine Bedenken. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes Bezug genommen, denen das Gericht folgt (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Lediglich ergänzend hierzu wird ausgeführt:
1. Das Gericht hält den Vortrag der Kläger zu ihrem Verfolgungsschicksal bereits für unglaubhaft.
Hinsichtlich eines vom Asylsuchenden geltend gemachten individuellen Verfolgungsschicksals muss das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsstaat befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Asylanspruch bzw. die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen. Der Asylbewerber muss die persönlichen Umstände seiner Verfolgung und Furcht vor einer Rückkehr hinreichend substantiiert, detailliert und widerspruchsfrei vortragen, er muss kohärente und plausible wirklichkeitsnahe Angaben machen (vgl. BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11). Werden im Laufe des Verfahrens ohne plausible Erklärung unterschiedliche Angaben gemacht, enthält das Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche, erscheinen die Darstellungen nach den Erkenntnismaterialien, der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar oder wird das Vorbringen im Laufe des Verfahrens ohne ausreichende Begründung erweitert oder gesteigert und insbesondere ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren eingeführt, so kann den Aussagen in der Regel kein Glauben geschenkt werden.
Gemessen an diesen Maßstäben ist der Vortrag des Klägers zu 1) hinsichtlich seiner Bedrohung durch seinen Onkel und dessen Gefolgsleute schon nicht glaubhaft. Sein Vortrag ist diesbezüglich widersprüchlich und nicht lebensnah. Es wird auf die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit des Klägers zu 1) im Bescheid vom 19. April 2018 Bezug genommen.
Unglaubwürdig sind zudem die Ausführungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich ihrer finanziellen Situation in Nigeria. Während der Kläger zu 1) bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge noch ausführte, er habe in Nigeria als Fliesenleger gearbeitet und von seinem Verdienst habe leben können, führte er konträr hierzu in der mündlichen Verhandlung aus, er habe in Nigeria gebettelt und sein gesamtes Geld für seine Medikamente ausgegeben. Auch die Klägerin zu 2) widersprach sich in ihren Angaben. Bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führte sie aus, in Nigeria als Schneiderin gearbeitet zu haben und im Monat 2000 Naira verdient zu haben. Zudem gab sie an, dass der Kläger zu 1) für sie gesorgt habe. In der mündlichen Verhandlung führte sie widersprüchlich hierzu aus, sie habe in Nigeria höchstens ca. 300 Naira monatlich verdient und sogar manchmal gebettelt. Unglaubwürdig ist schließlich der Vortrag des Klägers zu 1), er habe für zwei Tage Medikamente ca. 30.000 Naira gezahlt. Denn zum einen sind nach Recherchen im Internet die Medikamente bei Diabetes mellitus in Nigeria zu einem weit günstigeren Preis erhältlich (siehe unten). Zudem überzeugt es nicht, dass der Kläger weder den Namen des Krankenhauses kannte, in dem er die Medikamente bekommen haben soll, noch dass er angeben konnte, wo genau in … … sich das Krankenhaus, in dem er die Medikamente erhalten habe, befindet. Das Gericht geht daher davon aus, dass der erstmalige Vortrag vor dem Bundesamt der Wahrheit entspricht, wonach der Kläger in Nigeria zu 1) den Lebensunterhalt auch für die Klägerin zu 2) bestritten hat und die Klägerin zu 2) als Schneiderin ca. 2.000 Naira im Monat dazu verdient hat.
2. Selbst wenn der Vortrag des Klägers zu 1) jedoch für wahr unterstellt wird – wie nicht – ist die zulässige Klage unbegründet.
a. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Es sind nicht einmal ansatzweise Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG durch einen nach § 3c AsylG relevanten Akteur in Anknüpfung an ein flüchtlingsrechtlich relevantes Merkmal i.S.d. § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG ersichtlich.
Hinsichtlich der Gefahr einer Genitalbeschneidung der Tochter des Klägers zu 1) und der Klägerin zu 2) ist darauf hinzuweisen, dass diese nicht Klägerin in dem hiesigen Verfahren ist, so dass eine Verfolgung der Tochter nicht in diesem Verfahren geprüft werden kann.
Dennoch soll hinsichtlich dieses Vortrags auf Folgendes hingewiesen werden:
Das Gericht geht nach den zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismitteln (vgl. insbesondere: EASO, Country of Origin Information Report – Nigeria Country Focus, Stand Juni 2017, Seite 37 ff.; UK Home Office, Country Policy and Information Note – Nigeria: Female Genital Mutilation, Stand Februar 2017; “28toomany“, Country Profile: FGM in Nigeria, Stand Oktober 2016; IRB – Immigration and Refugee Board of Canada – Nigeria, Prevalence of female genital mutilation, Stand September 2016; IRB – Nigeria, Whether parents can refuse female genital mutilation for their daughters, Stand November 2012; Auswärtiges Amt, Lagebericht Nigeria, Stand September 2016, Seite 15) davon aus, dass eine Genitalverstümmelung von Mädchen und jungen Frauen trotz der Bemühungen des nigerianischen Staates und von NGOs, Beschneidungen zu unterbinden, sowie trotz einer über die Generationen hinweg rückläufigen Tendenz der Beschneidungspraxis in Nigeria nach wie vor praktiziert wird.
Auch wenn die Schätzungen zur Verbreitung auseinander gehen, dürften aktuell etwa 25% der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten sein. Es bestehen allerdings große Unterschiede je nach Region, Volksgruppe und Bildungsstand, zwischen Stadt und Land und schließlich auch hinsichtlich des Höchstalters, in dem Mädchen und jungen Frauen noch eine Genitalverstümmelung droht.
Beschneidungen finden dabei regelmäßig auf Veranlassung, jedenfalls aber mit Einverständnis der Eltern bzw. des insoweit meist maßgeblichen Vaters statt. Regelmäßig können die Eltern eine Genitalverstümmelung von Töchtern gegen den Willen der Eltern auch verhindern, wenngleich dies mit erheblichen innerfamiliären Auseinandersetzungen bis hin zur Ausgrenzung aus dem familiären Verband einher gehen kann, weil der soziale Druck der Großfamilien zur Durchführung einer Genitalverstümmelung mit Blick auf traditionelle Überlieferungen und Erwartungen, etwa bezüglich der „Heiratsfähigkeit“ junger Frauen, sehr groß sein kann. Letztlich kann aber auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass in Einzelfällen auch gegen den Willen der Eltern auf Veranlassung von Verwandten eine Beschneidung durchgeführt wird. Dieses verbleibende Risiko kann aber – bei Ablehnung einer Genitalverstümmelung durch die Eltern – jedenfalls dann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn sich die betreffende Familie fernab der Großfamilien, von denen die Gefahr einer Beschneidung von Töchtern ausgehen könnte (oft ist dies nur die Familie väterlicherseits), niederlässt, wenngleich dies dann einen völligen Bruch mit der jeweiligen Herkunftsfamilie bedeutet.
Gemessen an diesen Erkenntnissen müsste sich die Tochter bzw. Schwester der Kläger dem ggf. bestehenden Druck der Familien der Eltern nicht aussetzen. Eine Beschneidung von Frauen und Mädchen findet – wie auch der Kläger zu 1) deutlich gemacht hat – regelmäßig auf Veranlassung der Familie statt. Zwar kann mit Blick auf die „Heiratsfähigkeit“ der Mädchen der soziale Druck der (Groß-) Familie zur Durchführung einer Beschneidung sehr groß sein. Dieses Risiko ist aber jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn sich die Kläger fernab deren Familien niederlassen und sich die Kläger in einem anderen Landesteil von Nigeria eine neue Existenz aufbauen. Insoweit kann die Familie der Kläger wohl auf internen Schutz im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG i.V.m. § 8 Abs. 1 RL 2011/95/EU verwiesen werden. Von den Klägern kann auch vernünftigerweise erwartet werden, sich fernab von ihren Familien niederzulassen, insbesondere ist auch davon auszugehen, dass die Kläger auch in anderen Gebieten von Nigeria als ihren Herkunftsorten ihren Lebensunterhalt bestreiten werden können (siehe unten).
b. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus.
Die Gefahr eines ernsthaften Schadens i.S.d. § 4 Abs. 1 AsylG durch einen gem. § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3c AsylG relevanten Akteur liegt offensichtlich nicht vor. Bei der angeblichen Verfolgung des Klägers zu 1) durch seinen Onkel handelt es sich um eine Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteure, ohne dass Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der nigerianische Staat erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens ist, Schutz vor derartiger Verfolgung zu bieten.
Unterstellt der Kläger zu 1) könne wegen einer Bedrohung durch seinen Onkel tatsächlich nicht in seine Heimatstadt zurückkehren, steht den Klägern dennoch bereits deshalb kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, weil für sie eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne des § 3e AsylG i.V.m. § 8 Abs. 1 RL 2011/95/EU existiert. Von den Klägern kann vernünftigerweise erwartet werden, sich in anderen Gebieten, insbesondere den größeren Städten im Süden des Landes niederzulassen. Angesichts der Größe und der Bevölkerungsdichte Nigerias (über 180 Mio. Menschen) und des Umstands, dass es weder ein Melde- noch ein Fahndungssystem gibt, ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger zu 1) in ganz Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung durch seinen Onkel drohen könnte.
Nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, U.v. 1.2.2007 – 1 C 24/06 – juris, Rn. 11 m.w.N.). Der Kläger zu 1) ist trotz seiner Erkrankung an Diabetes arbeitsfähig. Dies hat er bereits dadurch bewiesen, dass er in Nigeria als Fliesenleger gearbeitet hat, seitdem er arbeiten konnte. Zudem hat der Kläger zu 1) eine sechsjährige Schulbildung genossen. Nachdem der Kläger angeblich bereits mit 15 Jahren an Diabetes erkrankt ist, jedoch erst im März 2015 sein Heimatland verlassen hat, ist davon auszugehen, dass er über zehn Jahre lang als Fliesenleger arbeiten konnte, gleichwohl er an Diabetes erkrankt war.
c. Der Kläger zu 1) hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Insbesondere führt seine Erkrankung an Diabetes mellitus nicht zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
aa. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines – nationalen – Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, wonach eine Abschiebung dann verboten ist, wenn dem Ausländer in dem Zielstaat der Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung landesweit droht, sind nicht ersichtlich (vgl. VG Aachen, U.v. 12.5.2017 – 2 K 1387/16.A – juris). Eine Bedrohung der Kläger durch nichtstaatliche Akteure ist offensichtlich nicht gegeben (s.o.). Anhaltspunkte für ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG lassen sich auch nicht aus den schwierigen Lebensbedingungen in Nigeria ableiten. Das Gericht verkennt nicht, dass nach der derzeitigen Erkenntnislage die allgemeine wirtschaftliche und soziale Lage für die Mehrheit der Bevölkerung in Nigeria problematisch ist. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung, nach den vorliegenden Erkenntnissen 70 – 80% der Bevölkerung, lebt am Existenzminimum bzw. 65 – 70% leben unterhalb der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Dieser große Teil der Bevölkerung lebt im Wesentlichen als Bauer, Landarbeiter, oder Tagelöhner vom informellen Handel sowie (Subsistenz-) Landwirtschaft. Viele Menschen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem oder zu Wasser und Strom. Ein staatlich organisiertes Hilfsnetz für Mittellose existiert nicht.
Bei den mit der schwierigen ökonomischen Situation verbundenen Gefahren handelt es sich jedoch um Gefahren, die einen Großteil der Bevölkerung in Nigeria betreffen und die für sich keine Verletzung von Art. 3 EMRK i.S.d. Rechtsprechung des EGMR begründen (vgl. BVerwG, B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem humanitäre Gründe in der Person der Kläger zwingend gegen eine Rückführung nach Nigeria sprechen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Für die Kläger kann auch auf Grund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria keine mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretende besondere – außergewöhnliche – Gefahrenlage angenommen werden. Auch wenn der Kläger zu 1) nun seine Familie zu versorgen hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er zusammen mit der Klägerin zu 2), die in Nigeria als Schneiderin gearbeitet hat, sich nicht eine existenzielle Situation aufbauen wird können, von der er neben der Bestreitung des Lebensunterhaltes für seine Familie auch die Medikamente zahlen wird können. Das Gericht geht daher davon aus, dass es dem Kläger zu 1) in Zusammenwirken mit der Klägerin zu 2) bei ihrer Rückkehr nach Nigeria – gegebenenfalls mit Unterstützung der vor Ort tätigen Hilfsorganisationen -gelingen wird, ausreichend Geld zu verdienen, um hiervon neben den notwendigen Medikamente ihre Familie finanzieren zu können.
bb. Ein (nationales) Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist für den Kläger zu 1) wegen seiner Krankheit ebenfalls nicht gegeben.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung einer Erkrankung führen können, in die Beurteilung der Gefahrenlage mit einzubeziehen.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG in der Fassung des am 17. März 2016 in Kraft getretenen Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Nach § 60a Abs. 2c Satz 1 bis 3 AufenthG in derselben Gesetzesfassung wird gesetzlich vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen.
Vorliegend hat der Kläger ein Attest vom 2. Mai 2019 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass er an Diabetes mellitus und an einer Hypercholesterinanämie leidet. Als Medikament wurde dem Kläger zu 1) ein Medikament zur Senkung des Cholesterinspiegels und der Fettwerte verschrieben sowie das Medikament Metformin zur Senkung der Blutzuckerwerte. Das ärztliche Attest erfüllt aber bereits nicht die strengen Voraussetzungen, die in § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG aufgestellt sind, wonach eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich medizinische Beurteilung des Krankheitsbild, den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten müssen. So ist dem Attest weder der Schweregrad der Erkrankung des Klägers zu entnehmen, noch seit wann der Kläger bei dem Arzt in Behandlung ist, noch um welche Form der Diabetes mellitus es sich bei dem Kläger zu 1) handelt. Zudem ist das Medikament Metformin, das der Kläger zu 1) morgens und abends einzunehmen hat, nach Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Minden vom 16. Januar 2012 in Nigeria erhältlich (vgl. VG Augsburg, U.v. 5.12.2017 – Au 7 K 17.35152 – juris). Nach einer Auskunft an das Bundesamt von der internationalen Organisation für Migration – IOM – (Az. Z C 2/20.01.15) ist ferner ein äquivalentes Medikament zu Metformin 1000 für 2200 Naira für 30 Tabletten in Nigeria erhältlich.
Schließlich ergibt die Auswertung der aktuellen und allgemeinkundigen Quellen, dass Diabetes mellitus auch in Nigeria eine Volkskrankheit ist. Mit dieser Krankheit geht daher eine allgemeine Gefahr für die Bevölkerung Nigerias einher, die grundsätzlich einer Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 AufenthG vorbehalten ist (vgl. BVerwG, U. v. 20.4.1998 – 9 C 13/97 – juris), an der es fehlt (VG München, U.v. 23.11. 2018 – 21 K 17.42562 – juris). Die gegenwärtige Prävalenz von Diabetes mellitus wird in Nigeria derzeit auf bis zu 12,2% der Bevölkerung geschätzt (https://www.n…gov/pmc/articles/PMC5062798/; 12,2%). Da Nigeria aktuell ca. 190.000.000 Einwohner hat, sind in diesem Land über 19.000.000 Menschen von Diabetes mellitus betroffen. Diese Größenordnung der Betroffenen verdeutlicht den Vorbehalt einer politischen Leitentscheidung im Sinne des § 60a Abs. 1 AufenthG.
Es bestehen im vorliegenden Fall auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die in Nigeria im Grundsatz vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten dem Kläger zu 1) aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich sein werden. Zwar gewährleistet die staatliche Gesundheitsversorgung keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient – auch im Krankenhaus – muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl-und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand 21. November 2016). Dem Kläger zu 1) ist aber zuzumuten, die notwendigen Behandlungskosten selbst zu tragen. Er ist ein junger Mann, der sich in Nigeria auch vor seiner Ausreise als Fliesenleger hat versorgen können. Auch wenn der Kläger zu 1) nun seine Familie zu versorgen hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er zusammen mit der Klägerin zu 2), die in Nigeria als Schneiderin gearbeitet hat, sich nicht eine existenzielle Situation aufbauen wird können, von der er neben der Bestreitung des Lebensunterhaltes auch die Medikamente zahlen wird können. Das Gericht geht daher davon aus, dass es dem Kläger zu 1) in Zusammenwirken mit der Klägerin zu 2) bei ihrer Rückkehr nach Nigeria gelingen wird, ausreichend Geld zu verdienen, um sich hiervon die für die Behandlung seiner Krankheit notwendigen Medikamente kaufen und seine Familie finanzieren zu können. Dafür, dass insbesondere der Kläger, was von Verfassung wegen eine Durchbrechung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG ermöglichen würde, „sehenden Auges“ dem Tode ausgeliefert würde, spricht daher nichts.
Um dem Kläger zu 1) insbesondere die Anfangszeit in Nigeria, in der er in seinem Heimatland erst wieder Fuß fassen muss, zu erleichtern, ist darauf zu achten, dass dem Kläger zu 1) bei seiner Abschiebung ein für mindestens drei Monate ausreichender Vorrat an den für ihn notwendigen Medikamenten mitgegeben wird.
d. Die auf § 34 i.V.m. § 59 AufenthG gestützte Abschiebungsandrohung und die nach § 38 Abs. 1 AsylG festgesetzte Ausreisefrist sind demnach nicht zu beanstanden.
e. Die im Bescheid gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ausgesprochene Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung ist nach Maßgabe des § 114 VwGO nicht zu beanstanden. Über die Länge der Frist wird gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden, wobei die Befristung im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten darf. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ermessensausübung sind nicht erkennbar. Die von der Beklagten festgesetzte Frist hält sich im mittleren Bereich der zulässigen Befristungsdauer.
3. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des zurückgenommenen Teils der Klage auf § 155 Abs. 2 VwGO, im Übrigen auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 ff. ZPO.
Die Entscheidung über die Einstellung des Verfahrens (Nummer I des Tenors) ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).