Aktenzeichen 8 ZB 19.270
BayStrWG Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 18 Abs. 1 S. 1, Art. 18b Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsakts ist nach seinem objektiven Erklärungsinhalt aus der Sicht des Adressaten (Empfängerhorizont) zu beurteilen, der in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird. Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. BVerwG BeckRS 2018, 16832 Rn. 38; BayVGH BeckRS 2018, 4334 Rn. 28). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Errichtung eines Zauns in der Verkehrsfläche stellt eine erlaubnispflichtige Sondernutzung nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG dar, durch die der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann. Der Gemeingebrauch wird beeinträchtigt, wenn die tatsächliche Benutzung des öffentlichen Verkehrsraums durch andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen oder nicht unerheblich erschwert wird, mithin die Straße den gewöhnlichen Bedürfnissen des Verkehrs sowie den Anforderungen der Sicherheit und Leichtigkeit nicht so genügen kann, wie dies ohne das störende Ereignis der Fall wäre (vgl. BayVGH BeckRS 2017, 137008 Rn. 19 mwN). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ob sich eine Widmungsbeschränkung – ohne konkrete Verfügung des Trägers der Straßenbaulast – ausnahmsweise auch aus dem baulichen Zustand einer Straße, nämlich ihrer geringen Breite ergeben kann, bedarf keiner Entscheidung, wenn ihre Beschaffenheit eine Benutzung mit (sehr) kleinen Pkw nicht ausschließt. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Anliegergebrauch, zu dem die Zugänglichkeit eines innerörtlich an die öffentliche Straßenfläche angrenzenden Grundstücks mit Kraftfahrzeugen gehört (vgl. zB BayVGH BeckRS 2018, 14553 Rn. 9), unterfällt als gesteigerter Gemeingebrauch (vgl. BayVGH BeckRS 2006, 23189) dem Begriff des Gemeingebrauchs iSd Art. 14 BayStrWG. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die straßenrechtliche Anordnung der Beseitigung ihres auf einer gewidmeten Verkehrsfläche errichteten Zauns.
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 32/1 Gemarkung G* …, das als Abschnitt der Ortstraße („…“) gewidmet ist. Der schmale, unbefestigte Straßenabschnitt ist ein Schlussstück der Ortsstraße (Sackgasse); an seiner engsten Stelle ist er mindestens 1,65 m breit. Das ca. 30 m lange, in nordwestlicher Richtung verlaufende Schlussstück grenzt an seinen Längsseiten nordöstlich an das klägerische Grundstück FlNr. 48 und südwestlich an das Grundstück FlNr. 44 des Beigeladenen; an seinem westlichen Ende schließen sich das Grundstück FlNr. 89 sowie dahinter die Grundstücke FlNr. 90 und 86 (alle im Eigentum des Beigeladenen) an.
Die frühere Einziehung der öffentlichen Straßenfläche FlNr. 32/1 wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 24. April 2015 (B 1 K 13.442), rechtskräftig durch Beschluss des Senats vom 3. November 2016 (8 ZB 15.1340), aufgehoben.
Mit Bescheid vom 5. April 2017 verpflichtete die Beklagte die Klägerin, den in der Verkehrsfläche FlNr. 32/1 errichteten Zaun samt Pfosten und Fundamenten zu entfernen und den ursprünglichen Zustand der Verkehrsfläche wiederherzustellen.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2018 hat das Verwaltungsgericht Bayreuth die hiergegen gerichtete Klage abgewiesen. Der Bescheid sei hinreichend bestimmt; es finde sich kein Anhaltspunkt, dass mit „ursprünglicher Zustand“ derjenige in früheren Jahren gemeint gewesen sei. Von einer faktischen Widmungsbeschränkung auf Fußgänger und Radfahrer sei nicht auszugehen; die Straße habe trotz ihrer geringen Breite ihre Bedeutung für die Nutzung mit Pkw nicht verloren, da zumindest für den Anlieger der FlNr. 89 und 90 ein Zugang zum allgemeinen Straßennetz vorhanden sein müsse.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend. Aus dem Bescheid ergebe sich nicht, welcher „ursprüngliche Zustand der Verkehrsfläche“ wiederhergestellt werden soll. Als „ursprünglicher Zustand“ komme nicht nur derjenige vor 2004 (kein Zaun), sondern auch derjenige ab 2004 (quer verlaufender Zaun) in Betracht, den die Beklagte bei einer Ortsbegehung gebilligt habe. Die Allgemeinheit könne die Straße wegen ihrer geringen Breite nicht mit Pkw oder landwirtschaftlichen Maschinen nutzen; dass dies der Beigeladene unter Befahrung seines Grundstückes könne, sei unerheblich.
II.
Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
1. Der von der Klägerin allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist nicht hinreichend dargelegt oder liegt nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1.1 Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der angefochtene Bescheid sei inhaltlich hinreichend bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG), wird durch das klägerische Vorbringen nicht ernstlich in Frage gestellt.
Die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsakts ist nach dem objektiven Erklärungsinhalt der behördlichen Regelung aus der Sicht des Adressaten (Empfängerhorizont) zu beurteilen (vgl. BVerwG vom 10.12.2015 – 3 C 7.14 – BVerwGE 153, 335 = juris Rn. 16). Das bedeutet, dass der Adressat in die Lage versetzt werden muss, zu erkennen, was von ihm gefordert wird (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2018 – 8 ZB 16.993 – juris Rn. 28). Es reicht aus, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheids, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (vgl. BVerwG, U.v. 30.5.2018 – 6 A 3.16 – NVwZ 2018, 1476 = juris Rn. 38; BayVGH, B.v. 2.5.2014 – 20 ZB 13.1972 – juris Rn. 4; Schönenbroicher in Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 1. Aufl. 2014, § 37 Rn. 42). Das ist hier der Fall.
Aus dem Bescheid vom 5. April 2017 ergibt sich ohne jeden Zweifel, dass der Zaun auf der FlNr. 32/1 vollständig („den … errichteten Zaun“) zu entfernen ist. Weder dem Bescheidstenor noch der Begründung lässt sich ein Anhaltspunkt entnehmen, dass nur ein Teil des Zauns zu beseitigen wäre. Der Zusatz im Bescheidstenor „und den ursprünglichen Zustand der Verkehrsfläche wiederherzustellen“ kann nicht in diesem Sinne verstanden werden; vielmehr sollte damit aus objektiver Empfängersicht klargestellt werden, dass auch die neu angelegten Löcher für Zaunpfosten-Fundamente zu verfüllen sind (vgl. S. 2 oben des Bescheids). Das Zulassungsvorbringen, als „ursprünglicher Zustand“ käme auch der Zustand ab dem Jahr 2004 in Betracht, weil die Beklagte von da an den quer über FlNr. 32/1 verlaufenden Zaun gebilligt habe, ist abwegig. Mit der rechtskräftigen Aufhebung der Einziehung der FlNr. 32/1 (BayVGH, B.v. 3.11.2016 – 8 ZB 15.1340) war eine etwaige frühere Billigung oder Duldung von Teilen des Zauns gegenstandslos; dementsprechend hat der Bürgermeister der Beklagten der Klägerin am 5. Januar 2017 auch mitgeteilt, dass der Zaun nun zu entfernen sei (vgl. Gesprächsnotiz vom 5.1.2017 in der Akte der Beklagten).
1.2 Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen einer Beseitigungsanordnung nach Art. 18a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG vorliegen, weil die Errichtung des Zauns eine Sondernutzung darstellt, durch die der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann. Das Zulassungsvorbringen, der Gemeingebrauch sei aufgrund der natürlichen und tatsächlichen Beschaffenheit des Straßenabschnitts beschränkt, weil es der Allgemeinheit – ohne Benutzung des angrenzenden Grundstücks des Beigeladenen – unmöglich sei, diesen mit landwirtschaftlichen Maschinen oder Pkw zu befahren, greift nicht durch.
1.2.1 Nach Art. 18a Abs. 1 Satz 1 BayStrWG kann die Straßenbaubehörde die erforderlichen Anordnungen unter anderem erlassen, wenn eine Straße ohne die erforderliche Erlaubnis nach Art. 18 BayStrWG benutzt wird. Die Errichtung eines Zauns stellt eine erlaubnispflichtige Sondernutzung nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG dar, durch die der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann. Der Gemeingebrauch wird beeinträchtigt, wenn die tatsächliche Benutzung des öffentlichen Verkehrsraums durch andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen oder nicht unerheblich erschwert wird, mithin die Straße den gewöhnlichen Bedürfnissen des Verkehrs im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG sowie den Anforderungen der Sicherheit und Leichtigkeit nicht so genügen kann, wie dies ohne das störende Ereignis der Fall wäre (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2017 – 8 ZB 16.1806 – NVwZ 2018, 511 = juris Rn. 19; B.v. 27.9.2010 – 8 CS 10.1720 – BayVBl 2011, 729 = juris Rn. 14).
1.2.2 Der Umfang des Gemeingebrauchs richtet sich nach der Widmung (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2014 – 8 B 12.2268 – BayVBl 2014, 565 = juris Rn. 39; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2018, Art. 14 Rn. 4). Beschränkungen der Widmung auf bestimmte Benutzungsarten sind in der Verfügung festzulegen und vom Träger der Straßenbaulast kenntlich zu machen (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG). Vorliegend wurde die Widmung der Ortsstraße unstreitig nicht förmlich beschränkt.
1.2.3 Die Widmung des gegenständlichen Straßenabschnitts wird auch nicht objektiv – aufgrund seiner tatsächlichen Beschaffenheit (geringe Breite) – auf bestimmte Benutzungsarten beschränkt (Fußgänger, Radfahrer), die durch den entlang des Hofgrundstücks des Beigeladenen (FlNr. 44) errichteten Zaun nicht beeinträchtigt würden. Ob sich eine Widmungsbeschränkung – ohne konkrete Verfügung (vgl. insoweit z.B. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG) – ausnahmsweise auch aus ihrem baulichen Zustand ergeben kann (so Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 6 Rn. 38; in diese Richtung auch Herber in Kodal, Straßenrecht, 7. Aufl. 2010, Kap. 8 Rn. 18.1; SächsOVG, U.v. 29.9.2016 – 3 A 53/14 – NVwZ-RR 2017, 320 = juris Rn. 27; a.A. BayVGH, B.v. 6.10.1980 – 8 CE 80 A-1424 – nicht veröffentlicht; so wohl auch Edhofer/Willmitzer, BayStrWG, 14. Aufl. 2013, Art. 6 Anm. 6), bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung. Denn die Beschaffenheit des gegenständlichen Straßenabschnitts schließt eine Benutzung mit (sehr) kleinen Pkw nicht aus, wie die Klägerin selbst einräumt (vgl. S. 4 der Zulassungsbegründung). Die zwischen den Beteiligten streitige Breite der Verkehrsfläche ist an ihrer engsten Stelle ausweislich des klägerseits vorgelegten Auszugs aus dem Liegenschaftskataster (vgl. S. 128 der VG-Akte) 1,65 m breit; einige Kleinwagenmodelle haben eine geringere Fahrzeugbreite.
1.2.4 Auch das Zulassungsvorbringen, bei der Bestimmung des Gemeingebrauchs sei alleine auf die Nutzung durch Dritte, nicht auf diejenige des Beigeladenen (unter Inanspruchnahme seines Grundstücks FlNr. 44) abzustellen, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Zugänglichkeit des an die öffentliche Straßenfläche angrenzenden Grundstücks FlNr. 89 mit Kraftfahrzeugen zum Anliegergebrauch gehört (vgl. Urteilsabdruck S. 11 f.; vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 8 ZB 18.734 – NVwZ-RR 2018, 758 = juris Rn. 9). Der klägerische Zaun, dessen Pfosten bis zur nordöstlichen Ecke des Grundstücks FlNr. 46/2 verlaufen (vgl. Fotos S. 89 und 91 der VG-Akte, jeweils oben), steht dem entgegen. Der Anliegergebrauch unterfällt als gesteigerter Gemeingebrauch (vgl. BayVGH, U.v. 15.3.2006 – 8 B 05.1356 – BayVBl 2007, 45 = juris Rn. 28) dem Begriff des Gemeingebrauchs im Sinne des Art. 14 BayStrWG, sodass seine Beeinträchtigung eine – hier unerlaubte – Sondernutzung darstellt (vgl. Wiget in Zeitler, BayStrWG, Art. 14 Rn. 10, 70; Stahlhut in Kodal, Straßenrecht, Kap. 27 Rn. 10).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO (zur Nichterstattungsfähigkeit außergerichtlicher Kosten der Beigeladenen im Zulassungsverfahren vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2017 – 8 ZB 15.2664 – ZfB 2018, 33 = juris Rn. 24).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).