Medizinrecht

Keine Zuerkennung eines Abschiebeverbots

Aktenzeichen  RN 14 K 17.30897

Datum:
2.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15953
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 11 Abs. 2 S. 1, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1, § 60a Abs. 2c S. 3,

 

Leitsatz

1 Die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG iVm Art. 3 EMRK aufgrund schwieriger Lebensverhältnisse in Sierra Leone liegen nicht vor soweit davon ausgegangen werden kann, dass der Kläger sich ein Existenzminimum sichern kann. (Rn. 18 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 AufenthG wegen einer vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung liegt nicht vor, da die behauptete Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft gemacht wurde. (Rn. 23 – 42) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die Entscheidung des Bundesamts in den Ziffern 1-3 des streitgegenständlichen Bescheids ist bestandskräftig geworden. Der Kläger hat diese Entscheidungen mit seiner Klage nicht angegriffen (vgl. VGH BW, U. v. 26.10.2016 – A 9 S 908/13 – juris).
2. Die zulässige, insbesondere fristgemäß erhobene (vgl. § 74 Abs. 1 Hs. 1 AsylG) Klage war als unbegründet abzuweisen. Dem Kläger steht kein Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Daher ist die Entscheidung des Bundesamts, das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu verneinen und den Kläger unter Androhung seiner Abschiebung nach Sierra Leone zur Ausreise aufzufordern, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO. Entsprechendes gilt für die vorgenommene Befristung des Einreise – und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Die vom Bundesamt gemäß den §§ 31 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AsylG sowie den §§ 75 Nr. 12,11 Abs. 2 AufenthG getroffenen Entscheidungen sind im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG für die Beurteilung der Sachund Rechtslage maßgeblich ist, nicht zu beanstanden.
a) Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – (BGBl. 1952 II, S. 686) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. In diesem Zusammenhang kommt vor allem eine Verletzung des Art. 3 EMRK in Frage (vgl. BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – juris), wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verweist, ist eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK allein durch die humanitäre Lage und die allgemeinen Lebensbedingungen möglich (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C.15.12 – juris = BVerwGE 146, 12; U.v. 13.6.2013 – 10 C 13.12 – juris = BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489; EGMR, U.v. 21.1.2011 – M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413; U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681; U.v. 13.10.2011 – Husseini/Schweden, Nr. 10611/09 – NJOZ 2012, 952). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 28.6.2011 – Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 – NVwZ 2012, 681, Rn. 278, 282 f.) verletzen humanitäre Verhältnisse Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Rückführung in den Herkunftsstaat „zwingend“ seien. Solche humanitären Gründe können auch in einer völlig unzureichenden Versorgungslage begründet sein (so auch BayVGH, U.v. 19.7.2018 – 20 B 18.30800- juris, Rn. 54).
Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in Sierra Leone kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Rückführung der Klagepartei in ihr Heimatland nicht angenommen werden. Trotz seines Rohstoffreichtums gehört Sierra Leone zu den ärmsten Ländern der Erde. Nach den Jahren des Bürgerkriegs erholt sich das Land wirtschaftlich nur langsam. Sierra Leone ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die Wirtschaft Sierra Leones ist geprägt von der Landwirtschaft (überwiegend kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft) und der Rohstoffgewinnung. Das Land ist mit einem Bruttoinlandsprodukt von ca. 4,5 Milliarden US-Dollar und einem Pro-Kopf-Einkommen von ca. 700 US-Dollar im Jahr 2015 eines der ärmsten Länder der Welt und belegt nach dem Human Development Index von 2016 Rang 179 der 188 untersuchten Länder. Ein Großteil der Bevölkerung (ca. 77%) lebt in absoluter Armut und hat weniger als 2 US-Dollar pro Tag zur Verfügung. Die Arbeitslosenrate bewegt sich zwischen 65 und 70%. Staatliche oder nichtstaatliche finanzielle Fördermöglichkeiten wie Sozial- oder Arbeitslosenhilfe existieren nicht. Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen sind ganz besonders auf die Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen bieten in der Regel keine konkreten Hilfen zum Lebensunterhalt. Die Wirtschaft wird mit etwa 51,4% am Bruttoinlandsprodukt vom landwirtschaftlichen Sektor dominiert. Der Dienstleistungssektor trägt mit 26,6% und der Industriesektor mit 22,1% zum Bruttoinlandsprodukt bei. Die Mehrheit versucht mit Gelegenheitsjobs oder als Händler/in ein Auskommen zu erwirtschaften. Die Subsistenzwirtschaft wird in Familien oft parallel oder alternativ genutzt, um den Lebensunterhalt zu sichern (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Sierra Leone, Wien am 3.5.2017, S. 19 ff.). Gleichwohl gelingt es selbst ungelernten Arbeitslosen durch Hilfstätigkeiten, Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Transportwesen), Kleinhandel (z.B. Verkauf von Obst, Süßigkeiten, Zigaretten) und ähnliche Tätigkeiten etwas Geld zu verdienen und in bescheidenem Umfang ihren Lebensunterhalt sicher zu stellen (OVG Nordrhein-Westfalen vom 6.9.2007, Az. 11 A 633/05.A).
Die Lebensumstände in Sierra Leone sind damit zwar äußerst schwierig. Gleichwohl muss davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich in Sierra Leone ein Existenzminimum – wenn auch nur durch Gelegenheitsjobs – erwirtschaften kann (so im Ergebnis auch: VG München, B.v. 29.9.2017 – M 21 S 17.47358 – juris). Der Kläger war auch vor seiner Ausreise aus Sierra Leone in der Lage, sein Auskommen zu finden und sich das Existenzminimum zu sichern. Es ist nicht ersichtlich, warum dies nicht auch bei einer Rückkehr nach Sierra Leone wieder möglich sein sollte. Der Kläger verfügt zumindest über eine neunjährige Schuldbildung und damit über eine für sierra-leonische Verhältnisse relativ gute Schulbildung. Der Kläger hat in Deutschland bei BMW gearbeitet und dabei praktische berufliche Erfahrungen gesammelt, die ihm auch bei einer Rückkehr nach Sierra Leone nützlich sein können. Es leben noch zwei Geschwister des Klägers in seinem Heimatland, so dass davon auszugehen ist, dass der Kläger in der ersten Zeit nach seiner Rückkehr auch auf familiäre Unterstützung zurückgreifen kann. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Tante des Klägers, die diesem die Ausreise finanziert hat und ihm nach Aussagen des Klägers sogar das Geld für eine Flugreise von Sierra Leone nach Frankreich gegeben hat, ihn nicht auch bei einer Rückkehr in sein Heimatland wieder unterstützen würde.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Klägers. Aus sämtlichen im Rahmen des laufenden Verfahrens vorgelegten ärztlichen Befundberichten ergibt sich keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit im Hinblick auf die vorgetragene psychische Erkrankung. Im Gegenteildie Befunde des Bezirkskrankenhauses L … vom 29.4.2014 und vom 30.7.2018 kommen explizit zu der Einschätzung, dass der Kläger arbeitsfähig ist. Die übrigen Atteste verhalten sich zur Frage der Arbeitsfähigkeit nicht. Der Kläger hat auch in Deutschland trotz seiner psychischen Erkrankung bei BMW gearbeitet.
Ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht folglich nicht.
b) Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
Die Gewährung von Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 setzt grundsätzlich das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer dagegen auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt. Nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätzen ist die Gefahr, dass sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, in der Regel nicht als allgemeine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einzustufen, sondern als individuelle Gefahr, die am Maßstab des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfen ist (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18.05 – juris = BVerwGE 127, 33 sowie U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris = BVerwGE 105, 383). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, U.v. 17.10.2006, – 1 C 18.05 – juris = BVerwGE 127, 33). Im Einklang mit dieser Rechtsprechung hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.3.2016 (BGBl I S. 390 ff. vom 11.3.2016) die Sätze 2 bis 4 des § 60 Abs. 7 AufenthG eingefügt. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (Satz 2). Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (Satz 3) und schließlich liegt eine ausreichende medizinische Versorgung in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (Satz 4).
Der sich auf eine seiner Abschiebung entgegenstehende Erkrankung berufende Ausländer muss diese daher durch eine qualifizierte, gewissen Mindestanforderungen genügende ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen (BayVGH, B.v. 27.11.2017 – 9 ZB 17.31302 – juris, Rn. 4). Besondere Anforderungen hierfür gelten nach der ständigen Rechtsprechung im Hinblick auf das Vorbringen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbilds und seiner vielfältigen Symptome bedarf es hierfür regelmäßig eines fachärztlichen Attests, das den Mindestanforderungen genügt. So muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. grundlegend BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17.07 – juris, zu alledem auch VG Regensburg, B.v. 5.9.2018 – RO 7 K 16.32563 – BeckRS 2018, 21554).
Das Gericht geht darüber hinaus mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass die Vorgaben des § 60a Abs. 2c Sätze 2 und 3 AufenthG nicht nur bei der Beurteilung eines inländischen Abschiebungshindernisses, insbesondere einer Reiseunfähigkeit, sondern auch im Rahmen der Prüfung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses und zwar für jegliche Form der Erkrankung Anwendung finden (so auch: BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris, Rn. 6 ff.; OVG Bremen, B.v. 13.6.2018 – 2 LA 60/17 – juris; OVG LSA, B.v. 28.9.2017 – 2 L 85/17 – juris; OVG Hamburg, B.v. 23.9.2016 – 1 Bs 100/16 – juris; VG Hamburg, B.v. 2.2.2017 – 2 AE 686/17 – juris; VG Augsburg, B.v. 6.6.2016 – Au 6 S 16.30662 – juris; VG Gelsenkirchen, U.v. 10.5.2016 – 6a K 3120/15.A – juris). Der Ausländer muss danach eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine „qualifizierte ärztliche Bescheinigung“ glaubhaft machen. Diese „ärztliche Bescheinigung“ soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die „fachlich-medizinische Beurteilung“ des Krankheitsbildes (Diagnose) sowie die Folgen, die sich nach „ärztlicher Beurteilung“ aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
Die dem Gericht vorliegenden ärztlichen Äußerungen, die dem Kläger eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) attestieren bzw. Anpassungsstörungen bzw. eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen, erfüllen alle nicht die an eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung zu stellenden Mindestanforderungen.
Es werden weder die Anforderungen der Rechtsprechung an die Diagnose einer PTBS noch die Anforderungen des § 60a Abs. 2c AufenthG, die auch für sonstige psychische Erkrankungen gelten, erfüllt.
aa) Gemäß der international classification of diseases (ICD-10: F43.1) entsteht die PTBS als „Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“. Ein traumatisches Ereignis/Erlebnis ist damit zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer PTBS. Ohne das Vorliegen eines Traumas kann die Diagnose einer PTBS folglich nicht gestellt werden. Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vom Ausländer gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen oder psychologischen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden. Der objektive Ereignisaspekt ist nämlich nicht Gegenstand der gutachtlichen ärztlichen Untersuchung zu einer PTBS (BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 9 ZB 13.30236 – juris; BayVGH, ‚B.v. 4.11.2016 – 9 ZB 16.30468 – juris; BayVGH, B.v. 15.12.2010 – 9 9 ZB 10.30376 – juris unter Bezugnahme auf VGH BW, B.v. 20.10.2006 – A 9 S 1157/06 – juris).
Den im Verfahren vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ist nicht einmal klar zu entnehmen, auf welches traumatisierende Ereignis die Diagnose des Verdachts auf eine PTBS (im ärztlichen Befundbericht vom 3.1.2017) und der gesicherten PTBS (in den ärztlichen Befunden vom 16.1.2018 und vom 17.9.2018 und vom 15.2.2019) gestützt wird. Es wird nur unkritisch die Aussage des Klägers, er habe seine Eltern verloren und sein Onkel habe versucht, ihn zu töten als traumatisierendes Ereignis übernommen. Aufgrund der Angaben, die der Kläger vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass das vom Kläger behauptete traumatisierende Ereignisdie versuchte Tötung durch den Onkelin Wahrheit nicht stattgefunden hat. Hinsichtlich des Todes der Eltern wurde mit Ausnahme des ungefähren Todeszeitpunktes überhaupt nichts vorgetragen, das als traumatisierendes Ereignis in Betracht kommen könnte. Dementsprechend fehlt ein traumatisierendes Ereignis im Heimatland des Klägers, weshalb sich eine PTBS wegen der von ihm geschilderten Ereignisse auch nicht entwickelt haben kann.
Bezüglich der vom Ausländer im Asylverfahren geltend gemachten Umstände, die zu seiner Ausreise aus dem Heimatland geführt haben, genügt aufgrund der regelmäßig bestehenden Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings die Glaubhaftmachung. Die üblichen Beweismittel stehen ihm häufig nicht zur Verfügung. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung eine gesteigerte Bedeutung zu. Dies bedeutet anderseits jedoch nicht, dass der Tatrichter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben ist (BVerwG U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16 = BVerwGE 71, 180 und U.v. 11.11.1986 – 9 C 316.85 – juris, Rn. 11). Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne setzt voraus, dass die Geschehnisse im Heimatland schlüssig, substantiiert und widerspruchsfrei geschildert werden. Erforderlich ist somit eine anschauliche, konkrete und detailreiche Schilderung des Erlebten. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann dem Ausländer nur geglaubt werden, wenn die Widersprüche und Ungereimtheiten überzeugend aufgelöst werden (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109.84 – juris, Rn. 16, U.v. 1.10.1985 – 9 C 19.85 – juris, Rn. 16 und B.v. 21.7.1989 – 9 B 239.89 – juris, Rn. 3 = NVwZ 1990, 171).
Bereits im angegriffenen Bescheid hat das Bundesamt zutreffend dargestellt, dass die Angaben des Klägers, die dieser bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gemacht hat, vage, oberflächlich und undetailliert waren. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Darstellungen im angegriffenen Bescheid verwiesen.
Auch im Verlauf der Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung konnte der Kläger keine detaillierteren Angaben zu den angeblichen Geschehnissen in seinem Heimatland machen. Er führte nur aus, es seien drei Leute gekommen, die ihn festnehmen wollten. Sie hätten ihn mit Medikamenten ruhigstellen wollen. Es sei dann zu einem Kampf gekommen, bis andere Leute gekommen seien, die den Kläger befreit hätten. Der Kläger konnte das angebliche Ereignis aber weder zeitlich eingrenzen noch angeben, um was für ein Medikament es sich gehandelt haben soll. Auf eine Nachfrage des Gerichts gab der Kläger sogar an, zu der Medikamentengabe sei es gar nicht gekommen. Er vermute nur, dass dies geplant gewesen sei, nachdem er gehört habe, wie einer der Angreifer zu dem anderen gesagt habe, er solle das Medikament holen. Der Kläger konnte nicht mal ansatzweise angeben, wieviel Zeit zwischen dem angeblichen Angriff bis zu seiner Ausreise aus dem Heimatland verging. Erst nach längerem Überlegen gab er an, es könnten ungefähr 6 Monate gewesen sein. Der Kläger schilderte auch keinerlei Begleitumstände, wie sie selbstverständlich wären, wenn jemand über etwas tatsächlich Erlebtes berichtet. Er schilderte weder näher, um was für Leute es sich bei den Angreifern handelte noch wer ihn befreit hat. Auch fehlten Ausführungen zu dem angeblichen Kampf. Selbst auf die wiederholte Bitte des Gerichts, dies genauer zu schildern, wurden die Angaben des Klägers nicht präziser. Auf die Frage des Gerichts, ob der Kläger bei dem Angriff verletzt worden sei, schilderte der Kläger nur von einem kleinen Kratzer am Arm. Auch die Frage des Gerichts, was zwischen 2011 und 2013 passiert ist, konnte der Kläger nicht zur Zufriedenheit des Gerichts beantworten.
Nach alledem ist die zur Entscheidung berufene Einzelrichterin davon überzeugt, dass sich die vom Kläger geschilderten Vorfälle in Wahrheit nicht ereignet haben und er die von ihm vorgetragenen Geschehnisse lediglich erfunden hat, um seinem Asylantrag zum Erfolg zu verhelfen. Somit hat der Kläger gegenüber dem Gericht ein traumatisierendes Ereignis im Heimatland, auf dem die in den ärztlichen Berichten bescheinigte PTBS beruhen könnte, nicht glaubhaft gemacht. Mangels eines solchen Ereignisses ist damit auch die Diagnose einer PTBS nicht haltbar.
Außerdem ist den vorgelegten Befunden nicht nachvollziehbar zu entnehmen, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Zudem fehlen sowohl Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat als auch, ob die vom Patienten geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Außerdem geben die Atteste keinen Aufschluss über die Schwere der Krankheit, den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) und den zukünftig erforderlichen konkreten Behandlungsbedarf und die eintretenden Folgen bei Beendigung einer ggf. medizinisch erforderlichen Therapie. Schließlich fehlt eine Begründung dafür, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht wurde. Das Vorliegen der PTBS wird offensichtlich auf ein Ereignis im Heimatland des Klägers zurückgeführt. Der Kläger hat sein Heimatland nach seinen eigenen Angaben im Februar 2014 verlassen und der erste vorgelegte Arztbrief, der den Verdacht auf eine PTBS-Erkrankung äußert, datiert vom 3.1.2017, also fast 3 Jahre nach der Ausreise aus Sierra Leone.
bb) Die vom Kläger im Verlauf des Asylverfahrens vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen weisen auch in ihrer Gesamtheit nicht nach, dass der Kläger derzeit an sonstigen schwerwiegenden psychischen Erkrankungen leidet, die geeignet wären, ein Abschiebungsverbot auf der Grundlage von § 60 Abs. 7 AufenthG zu begründen.
Aus den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen geht nicht in nachvollziehbarer Weise hervor, dass eine psychische Erkrankung mit einem entsprechenden Schweregrad vorliegt, die eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG im beschriebenen Sinne darstellt. Eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen und die Anpassungsstörungen wurden nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Auch wenn die Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich des Vorliegens einer PTBS (vgl. Urteil vom 11.09.2017, BVerwGE 129, 251/255) auf sonstige psychische Erkrankungen nicht sämtlich anwendbar sind, werden durch die bisher vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen auch die gesetzlich verankerten Mindestanforderungen des § 60 a Abs. 2 c Satz 3 AufenthG nicht erfüllt.
Es fehlt bei den Berichten des Bezirkskrankenhauses L … sowie den ärztlichen Befunden von Frau Dr. C … an einer klaren Folgenprognose im Falle eines Behandlungsabbruches. Soweit diese in ihren ärztlichen Befunden abschließend feststellt, eine Abschiebung würde zu einer deutlichen Verschlechterung des psychischen Zustandes des schwer depressiven Patienten führen bzw. eine Abschiebung sei mit der Gefahr einer Dekompensation der psychischen Erkrankung des Klägers verbunden und es seien suizidale Tendenzen zu erwarten, ist es in keiner Weise ersichtlich, auf welcher Grundlage die Ärztin diese Erkenntnisse gewonnen hat. Weder die Methodik der Tatsachenerhebung noch der Behandlungsverlauf ist daraus erkennbar. Zudem ließe sich daraus nicht ohne weiteres ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis herleiten, sondern dabei würde es sich um ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis handeln, das von der Ausländerbehörde zu berücksichtigen wäre.
Die Bescheinigungen sind nicht nachvollziehbar und unschlüssig. Der in den Attesten der Fachärztin aufgezeigte psychische Befund bestätigt die unter den ICD-Codes F 32.2 und 3 erwähnten schwerwiegenden Symptome nicht annähernd. Die Diagnosen stützen sich zudem auf unzureichende Befunde. Denn die Fachärztin belässt es bei einer allgemeinen Wiedergabe der vom Kläger berichteten Beschwerden. Die Atteste sind hinsichtlich ihrer Diagnosen nicht schlüssig hergeleitet. Die Anamnese beruht ausschließlich auf den subjektiven Aussagen des Klägers. Es ist für das Gericht nicht erkennbar, auf welcher Grundlage die Ärztin zu ihrer Prognose kommt. Es ist nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage der psychische Befund und die Diagnose gestellt wurden. Eine hinreichend kritische Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers erfolgt nicht. Aus den vorgelegten Befunden ergeben sich weder nachvollziehbar die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist noch die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), der Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Bisher wurde nicht einmal im Ansatz ärztlich bescheinigt, dass es sich um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung handelt, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde oder dass sich die Krankheit in seinem Heimatland nach einer Ausreise in der Weise verschlechtert, dass sie zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führt, weil die Behandlungsmöglichkeiten im Zielland unzureichend sind.
Demnach war der in der mündlichen Verhandlung gestellte, bedingte Beweisantrag abzulehnen. Die zu beweisende Tatsache wurde den vorherigen Ausführungen folgend nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Eine hier maßgebliche zielstaatsbezogene Verschlimmerung einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Befundberichten nicht ansatzweise. Die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens ist daher auch nicht erforderlich.
Insgesamt hat das Gericht keine durchgreifenden Zweifel, dass der Kläger in psychischer Hinsicht belastet ist. Eine PTBS bzw. psychische Erkrankung ausreichender Schwere, die zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis führt, ist aber nicht substantiiert dargelegt. Für das erkennende Gericht ist daher keine derartige Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers bei seiner Rückkehr nach Sierra Leone ersichtlich, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit lebensbedrohlich oder schwerwiegend wäre.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva nach der Auskunftslage auch in Sierra Leone möglich wäre (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21.2.2007 an das VG Aachen in Sachen 9 K 2065/02.A). Anhaltspunkte dafür, dass sich daran etwas geändert haben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Erforderlichkeit einer darüber hinausgehenden Therapie wurde nicht substantiiert dargetan.
Die Zuerkennung eines Abschiebeverbotes schied daher aus.
3. Die in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung ist gleichfalls nicht zu beanstanden. Sie beruht auf den §§ 34 Abs. 1 AsylG, 59 AufenthG. Die dem Kläger gesetzte Ausreisefrist von 30 Tagen beruht auf § 38 Abs. 1 AsylG.
4. Die in Ziffer 6 des angegriffenen Bescheids ausgesprochene Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes auf 30 Monate ist rechtmäßig. Die Beklagte musste nach den §§ 11 Abs. 2 Sätze 1 und 4, 75 Nr. 12 AufenthG eine Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG treffen. Über die Länge der Frist wird gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen entschieden. Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich. Grundsätzlich darf die Frist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG fünf Jahre nicht überschreiten. Hier hat das Bundesamt diese maximale Frist zur Hälfte ausgeschöpft, was nicht zu beanstanden ist. Besondere Umstände, die eine kürzere Frist gebieten würden, sind vom Kläger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht er-hoben, § 83b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 ff. ZPO.
Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

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