Aktenzeichen M 9 K 17.6073
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 4, Art. 55 Abs. 1 Alt. 2, Art. 57 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 1, Art. 60 S. 1
GG Art. 13 Abs. 2, Abs. 7
BV Art. 106 Abs. 3
Leitsatz
1 Unter Berücksichtigung des Art. 13 Abs. 7 GG ist für eine Anordnung nach Art. 54 Abs. 2 S. 4 BayBO zum Betreten von Wohnraum zu verlangen, dass eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die das Betreten erforderlich macht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine (Duldungs-)Anordnung an einen sich gegenüber der Besichtigung zur Wehr setzenden Mieter ist bereits dann nicht mehr notwendig, wenn dieser sein Recht zum Besitz erst nach Erlass der Anordnung gegenüber dem Eigentümer erlangt hat (VG München BeckRS 2017, 106406 mwN). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid des Landratsamtes vom 16. November 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die Anordnungen in Ziff. 1 und 2 des Bescheids beruhen in nicht zu beanstandender Weise auf Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO.
Nach dieser Vorschrift, die auch die Duldungsanordnung trägt (Simon/Busse, BayBO, Stand: 131. EL Oktober 2018, Art. 54 Rn. 141), sind die mit dem Vollzug der Bayerischen Bauordnung beauftragten Personen berechtigt, in Ausübung ihres Amtes Grundstücke und Anlagen einschließlich der Wohnungen zu betreten; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG, Art. 106 Abs. 3 BV) wird insoweit eingeschränkt. Darüber hinausgehende Voraussetzungen bestehen danach nicht.
Unter Berücksichtigung des Art. 13 Abs. 7 GG – die Anordnung berechtigt nur zum Betreten, nicht zur Durchsuchung der Räumlichkeiten, somit ist Art. 13 Abs. 2 GG nicht einschlägig – aber ist beim Betreten von Wohnraum weiter zu verlangen, dass eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht, die das Betreten erforderlich macht. Eine solche Gefahr liegt regelmäßig vor, wenn ohne Einschreiten der Bauaufsichtsbehörden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein wichtiges Rechtsgut geschädigt wird. In aller Regel stellt die Einhaltung der formellen und materiellen Anforderungen des Baurechts ein derartiges Rechtsgut dar; damit berechtigen bspw. konkrete Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Baugenehmigungspflicht, Art. 55ff. BayBO, bei der Nutzung einer Wohnung zum Betreten (vgl. BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris; B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris).
Im vorliegenden Fall steht außer Zweifel, dass der tatsächliche Nutzungsumfang des streitgegenständlichen Gebäudes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit deutlich von der Baugenehmigung vom 12. Juni 1974 in der Fassung der Tektur vom 31. Januar 1979 abweicht. Jedenfalls die formellen Anforderungen des Baurechts sind somit nicht gewahrt.
Aufgrund der im Verwaltungsvorgang befindlichen Fotodokumentation – Aufnahmen von außen – ist ersichtlich, dass das Kellergeschoss planabweichend freigelegt, mit einem weiteren Zugang (d. h. insgesamt dürften nach den Bildern somit zwei Zugänge im Kellergeschoss und zwei Zugänge im Erdgeschoss bestehen), mit Fenstern und einem Anbau – der eine Terrasse trägt – versehen wurde (Bl. 49, 55f. d. BA). Damit liegen zum einen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, den Baubestand auf eine etwaige baugenehmigungspflichtige Änderung einer baulichen Anlage zu überprüfen, Art. 55 Abs. 1 Var. 2 BayBO; diese würde auch nicht Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 BayBO unterfallen, da es sich vorliegend nicht um ein Wochenendhaus handelt (Altgenehmigung) und da eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die Vorgaben des Bebauungsplans – als städtebaulicher Satzung – nicht eingehalten werden: Aufgrund des ungenehmigten Anbaus ist berechtigterweise zu überprüfen, ob die nach § 3 Satz 2 BPlan-Festsetzungen maximal zulässige Grundfläche von 90 m² überschritten wird. Zum anderen besteht bereits aufgrund der äußerlich sichtbaren Veränderungen, aber auch aufgrund der zwischenzeitlichen Meldung von bis zu fünf Personen im Objekt (Bl. 51 d. BA), eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Umnutzung der Kellerräume in Wohnräume, hinreichend wahrscheinlich als zweite Wohneinheit. Die berechtigterweise vermutete Umgestaltung brächte auch eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung mit sich, da für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen nach Art. 60 Satz 1 BayBO in Betracht kommen, Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO; so wird u. a. durch die hinreichend wahrscheinliche Nutzung eines Einfamilienhauses als Zweifamilienhaus eine höhere Stellplatzzahl erforderlich, Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO, und es ergeben sich bspw. andere Brandschutzanforderungen, da jede Nutzungseinheit mit mindestens einem Aufenthaltsraum zwei voneinander unabhängige Rettungswege benötigt, Art. 31 Abs. 1 BayBO.
Nach alledem war die Überprüfungsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde einschließlich des Betretungsrechts ohne weiteres eröffnet.
Die angeordnete Zulassung bzw. Duldung der Wohnungsbesichtigung durch die Bediensteten des Landratsamtes war darüber hinaus auch geeignet, notwendig und verhältnismäßig, um die erforderlichen bauaufsichtlichen Maßnahmen vorzubereiten. Die Besichtigung ist geeignet, um festzustellen, welche Bereiche des Gebäudes wie umgenutzt bzw. außerhalb der bestehenden Baugenehmigung genutzt wurden bzw. werden. Die Anordnung war darüber hinaus auch erforderlich, da mehrfache Terminfestsetzungen fruchtlos geblieben sind. Eine Besichtigung des Gebäudes von außen lässt keine gleichwertige Beurteilung des Nutzungsumfanges zu. Es handelt sich auch um das mildeste Mittel, das im vorliegenden Fall angewandt werden konnte, um die Baurechtsverstöße zu klären. Auf eine Einsicht durch die Fenster muss sich die Behörde regelmäßig nicht verweisen lassen (BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris; B.v. 26.3.2012 – 9 ZB 08.1359 – juris).
2. Die Anordnungen, Ziff. 1 und 2, richten sich auch gegen die richtigen Adressaten. Richtiger Adressat einer Betretensanordnung nach Art. 54 Abs. 2 Satz 4 BayBO ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt und damit des Hausrechts an dem Objekt. Hierzu gehört grundsätzlich der Eigentümer. Eine etwaige Vermietung des Objekts – dieses sei laut Klagevortrag „bewohnt“ – wurde auf wiederholte Nachfrage vonseiten des Landratsamts nicht belegt; auch auf entsprechende Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung wurden keine Unterlagen vorgelegt. Die Kläger hätten Mietverträge vorlegen und deren Inhalte bspw. durch Vorlage von Nachweisen über geleistete Mietzahlungen glaubhaft machen und somit selbst darlegen müssen, dass sie trotz ihrer Eigentümerstellung nicht mehr Inhaber der tatsächlichen Gewalt sind (BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 1 ZB 14.1937 – juris). Dies umso mehr, als sich der Eigentümer durch eine Vermietung nicht jeglicher tatsächlicher Gewalt begibt – er wird dadurch zum mittelbaren Besitzer und behält in der Regel Schlüssel für das Objekt – und als es weder substantiiert noch belegt wurde, dass die etwaigen Mieter einer Betretung widersprochen hätten. Wenn die Betroffenen aber einverstanden sind, sind keinerlei weitere Voraussetzungen für das Betreten zu erfüllen (Simon/Busse, BayBO, Stand: 131. EL Oktober 2018, Art. 54 Rn. 141). Die Kläger konnten oder wollten aber noch nicht einmal die Namen etwaiger Mieter nennen. Weiter wurde nicht dargetan, dass die angeblichen Mieter ihr Besitzrecht vor Erlass der streitgegenständlichen Anordnung an die Eigentümer erworben hätten. Da die Kammer bereits entschieden hat, dass eine (Duldungs-) Anordnung an einen sich gegenüber der Besichtigung zur Wehr setzenden Mieter bereits dann nicht mehr notwendig ist, wenn dieser sein Recht zum Besitz erst nach Erlass der Anordnung gegenüber dem Eigentümer erlangt hat (VG München, U.v. 8.3.2017 – M 9 K 16.2327 – juris m. w. N.), hätte es auch insofern entsprechender substantiierter Ausführungen bedurft.
3. Die Zwangsgeldandrohungen (Ziff. 3 und 4) beruhen auf Art. 36 i.V.m. Art. 29 ff. VwZVG und sind ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch insofern führt die Behauptung, das Objekt sei bewohnt, nicht zum Erfolg des Rechtsbehelfs: Selbst eine erforderliche Duldungsanordnung wäre keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass einer Zwangsgeldandrohung, sondern nur eine Bedingung für das Entstehen und Fälligwerden der Geldforderung (BayVGH, B.v. 24.2.2005 – 1 ZB 04.276 – juris; B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris; VG München, U.v. 8.3.2017 – M 9 K 16.2327 – juris).
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708ff. ZPO.