Aktenzeichen 11 ZB 18.1068
Leitsatz
1 Erledigt sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung und erklärt der Kläger das Verfahren für erledigt, nachdem der Beklagte einer Erledigungserklärung bereits vorab zugestimmt hatte, ist der Rechtsstreit mit Eingang der Erledigungserklärung des Klägers unmittelbar beendet. Ein Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist dann nicht mehr möglich. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine Pflicht zur Nachfrage oder Hinweispflicht des Gerichts auf die Umstellung einer Anfechtungsklage zur Fortsetzungsfeststellungklage nach Erledigung des Verwaltungsaktes besteht nicht. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
RO 5 K 17.1805 2018-04-03 GeB VGREGENSBURG VG Regensburg
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der für sofort vollziehbar erklärte Stilllegungsbescheid vom 14. August 2017 für sein Fahrzeug, den die Beklagte wegen eines Bauteilfehlers in der mechanischen Kindersicherung erlassen hatte, rechtswidrig war.
Nachdem der Kläger die Mängelbeseitigung mit Schreiben vom 21. August 2017 nachgewiesen hatte und die Beklagte daraufhin mit Schreiben vom 23. August 2017 bestätigt hatte, dass die Nummer 1 des Bescheids hinfällig sei und das klägerische Fahrzeug wieder ohne Einschränkungen genutzt werden könne, erklärte der Kläger mit Schreiben vom selben Tag den am 21. August 2017 beim Verwaltungsgericht Regensburg gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (RO 5 S 17.1465) für erledigt und teilte weiter mit, er gehe davon aus, dass nur der Sofortvollzug aufgehoben sei, weil die Beklagte den Stilllegungsbescheid ausdrücklich nicht aufhebe. Mit Schreiben vom 29. August 2017 stimmte die Beklagte der Hauptsacheerledigung sowohl im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes als auch in dem gleichzeitig anhängig gemachten Klageverfahren (RO 5 K 17.1466) zu.
Daraufhin stellte das Verwaltungsgericht Regensburg das Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes unter Kostenaufhebung ein, regte an, auch das Klageverfahren für erledigt zu erklären, und räumte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme ein. Mit Schreiben vom 29. August 2017 beantragte die Beklagte unter Darlegung ihrer Rechtsauffassung, dem Kläger die Kosten der gerichtlichen Verfahren aufzuerlegen. Mit Schreiben vom 13. September 2017 erwiderte der Kläger, dass sich der Stilllegungsbescheid ohne Aufhebung nicht erledigt habe. Dieser Auffassung widersprach das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 14. September 2017 und forderte die Beklagte zu einer Klarstellung auf.
Mit Schreiben vom 19. September 2017 stellte die Beklagte klar, dass sich durch den verspäteten Nachweis der Mängelbeseitigung nicht nur der Sofortvollzug, sondern der angefochtene Bescheid insgesamt erledigt habe. Eine Stilllegung könne somit nicht mehr im Raum stehen. Einer ausdrücklichen Aufhebung des Bescheids bedürfe es nicht.
Auf die gerichtliche Bitte vom 25. September 2017 mitzuteilen, ob der Rechtsstreit nunmehr für erledigt erklärt werde, erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2017, der am 11. Oktober 2017 um 8:51 Uhr bei Gericht einging, auch das Klageverfahren für erledigt. Mit Beschluss vom selben Tag stellte das Verwaltungsgericht das Klageverfahren (RO 5 K 17.1466) unter Kostenaufhebung ein.
Am 11. Oktober 2017 um 8:52 Uhr ging bei Gericht ein weiterer Schriftsatz vom 10. Oktober 2017 ein, mit dem der Kläger eine Fortsetzungsfeststellungsklage zur Vorbereitung eines Haftungsanspruchs gegen die Beklagte erhob.
Mit Gerichtsbescheid vom 3. April 2018 wies das Verwaltungsgericht diese Klage wegen Fehlens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses als unzulässig ab. Werde die Absicht geltend gemacht, einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess zu führen, sei ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nur gegeben, wenn die Klage vor Eintritt der Hauptsacheerledigung erhoben sei. Der Stilllegungsbescheid habe sich mit dem Schreiben der Beklagten vom 23. August 2017 und damit vor der Klageerhebung am 11. Oktober 2017 erledigt. Insoweit komme es auf die Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage an, da die übereinstimmenden Erledigungserklärungen hinsichtlich der am 21. August 2017 erhobenen Anfechtungsklage diesen Rechtsstreit unmittelbar ipso iure beendet hätten. Der Gerichtsbeschluss, mit dem über die Verfahrenskosten entschieden werde, sei lediglich deklaratorisch. Die Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage sei hier am 11. Oktober 2017 um 8:51 Uhr erloschen, weshalb eine (konkludente) Umstellung von einem Anfechtungsauf den Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht mehr in Betracht komme. Die Abgabe einer Erledigungserklärung neben einem Fortsetzungsfeststellungsantrag sei auch nicht hilfsweise zulässig. Nach Abgabe einer Erledigungserklärung könne der Sachverhalt auch nicht mehr zum Gegenstand einer echten Feststellungsklage gemacht werden. Eine gerichtliche Umdeutung der Erledigungserklärung scheide aus, weil hiermit die Grenzen der Auslegung gemäß § 88 VwGO überschritten würden. Der Kläger könne sein Rechtsschutzziel, die Erhebung einer Amtshaftungsklage, auch durch unmittelbare Inanspruchnahme des Zivilgerichts erreichen. Die Erhebung der Fortsetzungsfeststellungsklage könne auch nicht als Widerruf der Erledigungserklärung ausgelegt werden, weil die Beklagte der Erledigung bereits zugestimmt gehabt habe. Das Gericht habe den rechtskundigen Kläger auch nicht auf die Möglichkeit einer Umstellung der Anfechtungsauf eine Fortsetzungsfeststellungsklage hinweisen müssen. Es habe davon ausgehen dürfen, dass dem Kläger als Rechtsanwalt die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten in einer Erledigungssituation bekannt seien. Die erteilten Hinweise seien deshalb auch nicht als irreführend anzusehen.
Zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid macht der Kläger im Hinblick auf die verbürgte Garantie effektiven Rechtsschutzes ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung geltend. Die am 21. August 2017 erhobene Anfechtungsklage sei in der Sache entscheidungsreif gewesen. Die gerichtlichen Aufforderungen mitzuteilen, ob der Rechtsstreit für erledigt erklärt werde, seien wenig sachdienlich und irreführend gewesen, so dass er ungeachtet seiner Profession keine eigene rechtliche Prüfung mehr durchgeführt habe. In einem fairen Verfahren hätte das Verwaltungsgericht auf die Möglichkeit einer Umstellung der Klage hinweisen müssen. Im Zweifel sei die Erledigungserklärung als stillschweigend-konkludente Umstellung des Klageantrags anzusehen, insbesondere deshalb, weil eine Minute nach der Erledigungserklärung der Feststellungsantrag bei Gericht eingegangen sei. Weiter habe die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, weil der Fall die Gelegenheit biete, wem Falschinformationen im Zusammenhang mit der Stilllegung eines Kraftfahrzeugs zuzurechnen seien.
Die Beklagte tritt dem Zulassungsantrag entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), sind nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, da er weder einen tragenden Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung noch eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09 – NJW 2010, 1062/1063; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106/118).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger sich nicht auf ein von ihm darzulegendes (Riese in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand September 2018, § 113 Rn. 122) Fortsetzungsfeststellungsinteresse für die nach Erledigung der Anfechtungsklage erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO berufen kann. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung kann die Absicht, eine Amtshaftungsklage zu erheben, ein schutzwürdiges Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage begründen, wenn sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt hat (vgl. BVerwG, B.v. 14.5.1999 – 6 PKH 3.99 – juris Rn. 4; U.v. 20.1.1989 – 8 C 30.87 – BVerwGE 81, 226 = juris Rn. 9 m.w.N.). Das war hier zwar der Fall, doch hat der Kläger von der Möglichkeit, den Anfechtungsantrag entsprechend umzustellen, keinen Gebrauch gemacht und das Klageverfahren stattdessen für erledigt erklärt. Nachdem die Beklagte einer Erledigungserklärung bereits vorab zugestimmt hatte, ist der Rechtsstreit mit Eingang der Erledigungserklärung des Klägers unmittelbar beendet worden. Für einen Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage war damit kein Raum mehr (Riese a.a.O. Rn. 108). Eine Erledigungsklärung kann auch nicht – etwa wegen einer unmittelbar nachfolgenden Fortsetzungsfeststellungsklage – gemäß § 88 VwGO als stillschweigender Umstellungsantrag ausgelegt werden, da sich die beiden prozessualen Reaktionsmöglichkeiten auf die Erledigung des streitgegenständlichen Verwaltungsakts gegenseitig ausschließen (vgl. BVerwG, U.v. 9.12.1981 – 8 C 39.80 – NVwZ 1982, 560/561). Eine derartige Auslegung käme allenfalls dann in Betracht, wenn der Kläger die Klage nicht ausdrücklich umstellt, sie aber auch nicht für erledigt erklärt (vgl. Emmenegger in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 113 Rn. 92), wobei eine großzügige Anerkennung einer konkludenten Antragstellung der Dispositionsmaxime nicht gerecht wird und in Konflikt mit dem Fairnessgebot gegenüber dem Beklagten gerät. Denn sie würde dazu führen, dass eine unzulässige Klage vom Gericht zulässig gemacht wird (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 91).
Entgegen der Auffassung des Klägers war das Verwaltungsgericht nicht nach § 86 Abs. 3 VwGO verpflichtet, ausdrücklich nachzufragen, ob er den Klageantrag umstellen wolle (Riese a.a.O.), oder ihn dahingehend zu beraten. Vielmehr durfte es davon ausgehen, dass einem Rechtsanwalt bekannt ist, dass sich nicht jeder Fall einer durch Verwaltungsakt auferlegten Handlungspflicht mit deren Erfüllung erledigt und in dieser Hinsicht einiges zweifelhaft bzw. streitig ist (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 43 Rn. 216 ff.) und bei Nichtabgabe einer Erledigungserklärung im Rahmen des Klageverfahrens zu prüfen ist, ob tatsächlich Erledigung eingetreten ist. Gleiches gilt für die Frage, welche Handlungsoptionen für ihn im Falle einer Hauptsacheerledigung bestehen, darunter die Umstellung der Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage, sowie den Umstand, dass bei einer Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO aus prozesswirtschaftlichen Gründen nicht anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden ist (BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2), Beweise zu erheben oder schwierige Rechtsfragen zu klären sind (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 161 Rn. 15 m.w.N.; vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2010 – 20 BV 10.2130 – juris Rn. 2 u. B.v. 11.11.2016 – 15 B 16.1239 – juris Rn. 2). Das Verwaltungsgericht hat den Kläger auch nicht dadurch in die Irre geführt, dass es – wofür vieles spricht – die rechtliche Auffassung der Beklagten hinsichtlich einer Erledigung des Stilllegungsbescheids geteilt und ihm die Abgabe einer Erledigungserklärung nahegelegt hat. So wenig ein Gericht grundsätzlich dazu verpflichtet ist, die Beteiligten vor Ergehen der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinzuweisen (BVerwG, B.v. 21.6.2017 – 4 B 48.16 – juris Rn. 5), so wenig ist es daran gehindert, dies im Rahmen eines richterlichen Hinweises zu tun. Es muss nicht damit rechnen, dass ein rechtskundiger Beteiligter dem richterlichen Vorschlag ohne eigene Prüfung und gegen seine Überzeugung folgt und darf keine die Neutralitätspflicht verletzende rechtliche Beratung leisten (vgl. BVerwG, B.v. 27.6.2007 – 4 B 25.07 – juris Rn. 7). Es darf daher nicht für einen Beteiligten Partei ergreifen und ihm den Weg zum effektivsten Rechtsschutz weisen. Wie ein Beteiligter einen Prozess führt, ist letztlich seine Sache. Die in § 86 Abs. 3 VwGO normierte Pflicht beinhaltet – richtig verstanden – keine Beratungs-, sondern Formulierungshilfe (BVerwG a.a.O). Es ist hier nicht dem Verwaltungsgericht anzulasten, dass der Kläger von seiner Dispositionsbefugnis Gebrauch gemacht und das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren für erledigt erklärt hat. Weder die Anheimgabe, eine Erledigungserklärung abzugeben, noch das durch den Wegfall der Beschwer bzw. des Rechtsschutzbedürfnisses gerechtfertigte Erfordernis eines besonderen Fortsetzungsfeststellungsinteresses bei der Überprüfung erledigten Verwaltungshandelns stellt einen Verstoß gegen das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dar (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 = juris Rn. 30 ff.; HessVGH, B.v. 25.6.2014 – 7 A 1563/13.Z – juris Rn. 6). Dem Kläger entstehen auch keine Rechtsnachteile dadurch, dass er die öffentlich-rechtliche Vorfrage nunmehr im Rahmen eines Amtshaftungsprozesses durch das zuständige Zivilgericht klären lassen muss.
Die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt nicht in Betracht, da sich die aufgeworfene Rechtsfrage wegen der vom Verwaltungsgericht zu Recht verneinten Zulässigkeit der Klage im Berufungsverfahren nicht stellen würde und damit nicht entscheidungserheblich ist (vgl. (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2018 – 1 B 5.18 – juris Rn. 2; B.v. 24.4.2017 – 1 B 22.17 – NVwZ 2017, 1204 = juris Rn. 3).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.3 und Nr. 46.16 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird der angegriffene Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).